Verena Schäffer: „Wir müssen nachhaltige Investitionen fördern – das ist die Strategie heraus aus den Krisen“

Zum Entwurf der Landesregierung zum Haushalt 2022 - dritte Lesung

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Legislaturperiode – ich glaube, heute ist auch ein guter Tag, auf die letzte Legislaturperiode zurückzublicken – war von Krisen geprägt, von der Klimakrise und von der Coronapandemie. In den vergangenen Jahren hat sich eines ganz deutlich gezeigt: Das Krisenmanagement dieser Landesregierung war und ist leider erbärmlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das Krisenmanagement in der Coronapandemie ist nach wie vor geprägt von einem Schlingerkurs und von Kommunikationschaos. Der Erlass von diesem Montag zeigt das überdeutlich. Die Ankündigung, dass sich jeder vier Wochen nach der Zweitimpfung boostern lassen kann, ist nicht nur medizinisch unsinnig, sondern sie führt auch zu vielen Fragen, zu Unsicherheiten und Unklarheiten bei den Menschen, die sich gerne impfen lassen wollen.

So ein Kommunikationschaos ist aus meiner Sicht absolut verheerend in einer Pandemie. Man fragt sich wirklich, wie so etwas mehr als 20 Monate nach Beginn der Pandemie noch passieren kann –

(Beifall von den GRÜNEN)

20 Monate, in denen wir erlebt haben, dass sich die FDP allzu oft mit ihrem Realitätsverlust als gefährlicher Bremsklotz für wirksame Schutzmaßnahmen erwiesen hat.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wenn man noch einmal an den Beginn dieses Jahres zurückerinnert, dann muss man klar feststellen: Das Hin und Her zu Beginn des Jahres verdanken wir der FDP, als in die dritte Welle hinein geöffnet wurde, um nur wenige Wochen danach alles wieder dichtmachen zu müssen.

Ministerpräsident Armin Laschet hat es allzu oft nicht geschafft, sich gegen den kleineren Koalitionspartner durchzusetzen. Er konnte es nicht, vielleicht wollte er es auch nicht. Von seiner verantwortungsvollen Normalität, die er ja mehrfach angekündigt hat, sind wir nach wie vor meilenweit entfernt.

Sie, Herr Wüst, stellen sich auf Bundesebene als Mitglied des Teams Vorsicht dar. In Nordrhein-Westfalen nutzen Sie aber Ihre Spielräume nicht. Das ist absurd, das ist widersprüchlich, und das wird Ihrer Verantwortung als Ministerpräsident nicht gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN und Sven Wolf [SPD])

Im Coronarettungsschirm bildet sich das chaotische Krisenmanagement quasi spiegelbildlich ab. Ja, natürlich muss es einen Rettungsschirm geben; natürlich müssen vor allem zu Beginn der Pandemie flexibel und schnell Gelder, unter anderem für die Krankenhäuser, zur Verfügung gestellt werden – völlig einverstanden. Der Rettungsschirm hat sich aber immer mehr zu einem Selbstbedienungsladen der Ministerien entwickelt. Wenn Herr Löttgen jetzt noch hier wäre, müsste er zugeben, dass das das Gegenteil von seriöser Haushaltspolitik ist.

(Beifall von den GRÜNEN, Hannelore Kraft [SPD] und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Herr Reul, ich erinnere mich gut an eine Innenausschusssitzung – ich meine, wir diskutierten über die Software Palantir –, in der Sie auf den Punkt gebracht und zugegeben haben, dass sich eigentlich alle Ministerien aus diesem Rettungsschirm bedienen würden. Was für ein Offenbarungseid, dass Sie uns bis heute nicht schlüssig erklären können, was der Backup-Server oder die neuen Handys für unsere Polizeibeamtinnen und -beamten mit Corona zu tun haben. 50 Millionen Euro für IT in der Polizei: Das freut mich als Innenpolitikerin persönlich sehr für alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Man muss aber ganz klar sagen: Das ist ein Mitnahmeeffekt, und für solche Mitnahmeeffekte war der Rettungsschirm definitiv nicht gedacht.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Man muss auch klar sagen: An anderer Stelle hingegen zeigte sich die Regierung geiziger. Solo-Selbstständige, die coronabedingt tatsächlich vor dem Ruin standen, bekamen, anders als beispielsweise in Baden-Württemberg, kein wirksames Landesprogramm. Bis heute gibt es auch kein schlüssiges, nachhaltiges Landesinvestitionsprogramm als Konjunkturimpuls, wie es andere Länder mit ihren Coronahilfen umgesetzt haben. Bis heute bekommen die Kommunen ihre Mindereinnahmen durch den Steuerverbund nur kreditiert und werden so weiter in die Schuldenspirale gedrängt. Die Bewirtschaftung dieses Coronarettungsschirms steht absolut sinnbildlich für die Planlosigkeit der Regierung in der Coronakrise.

Wir als grüne Fraktion haben dem im Haushaltsverfahren ein Investitionspaket entgegengestellt. Wir werden es heute noch einmal zur Abstimmung stellen, weil wir ganz klar sagen: Wir müssen jetzt Konjunkturimpulse setzen. Wir müssen nachhaltige Investitionen fördern. Das ist die Strategie heraus aus den Krisen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gerade in dieser Zeit wäre es so wichtig, als Staat in die Zukunft zu investieren. Sie nutzen Ihre finanziellen Spielräume aber nicht, um genau das jetzt zu machen. Dabei hatte Armin Laschet damals im Wahlkampf große Versprechungen gemacht: Ein Drittel der Steuermehreinnahmen sollte für Investitionen genutzt werden. Von diesem vollmundigen Versprechen ist allerdings nicht viel übrig geblieben. Im kommenden Jahr – um jetzt noch einmal einen Blick auf die Zahlen zu werfen – wird Nordrhein-Westfalen laut aktueller Steuerschätzung trotz der Auswirkungen der Coronakrise 15 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen haben, als im letzten rot-grünen Haushalt 2017 vorgesehen waren – 15 Milliarden Euro. Laut des Versprechens von Armin Laschet – ein Drittel der Steuermehreinnahmen für Investitionen – müsste die jetzige Landesregierung 5 Milliarden Euro mehr für Investitionen ausgeben als die damalige im Jahr 2017. Aber was machen Sie? – Sie planen nicht einmal 3 Milliarden Euro mehr für Investitionen ein. Das ist einfach viel zu wenig.

(Beifall von den GRÜNEN und Heike Gebhard [SPD])

Die Investitionsquote soll 2022 von 10,4 auf gerade einmal 11 % steigen, um dann, wenn das Wahljahr vorbei ist, in der Finanzplanung wieder unter das Niveau von 2021 zu sinken.

Man muss eines ganz klar sagen: Die negativen Auswirkungen dieser fehlgeleiteten Politik auf Wirtschaft und Gesellschaft sind immens. Wir haben jetzt schon einen riesigen Investitionsstau. Der DGB hat es ausrechnen lassen: Der Investitionsstau bei Land und Kommunen liegt bei rund 27 Milliarden Euro. Wir als Opposition könnten jetzt hingehen und sagen: Ja, da hat Herr Laschet ein Versprechen gegeben. Versprochen gebrochen; wir setzen jetzt einen Haken dahinter.

Aber so einfach ist es nicht, denn das schwarz-gelbe Versäumnis, jetzt nicht zu investieren, lastet schwer auf den zukünftigen Generationen. Das sind Investitionen in Radwege und in die Sanierung von Straßen, in Hochschulen, in Studierendenwohnheime, in Klimaschutz und in Klimafolgenanpassung. Wenn diese Investitionen jetzt nicht getätigt werden, sind das angesichts sprudelnder Steuermehreinnahmen verpasste Chancen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn der Putz in den Hörsälen unseres Landes von den Decken rieselt und die Schulen tief in der Kreidezeit stecken, dann hat das ziemlich wenig mit vorausschauender und generationengerechter Haushaltspolitik zu tun. Ihnen geht es ja noch nicht einmal mehr um die Erhaltung des Status quo.

(Zuruf von Claudia Schlottmann [CDU])

Sie leben von der Substanz und gefährden damit den Wohlstand unseres Landes.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine zentrale Aufgabe müssen die Investitionen in mehr Klimaschutz sein. Im Sommer dieses Jahres haben wir direkt vor unserer Haustür erleben müssen, dass Sie die falsche Frage stellen. Sie darf nicht lauten: Wie teuer ist der Klimaschutz? Nein, die Frage heißt doch: Wie teuer ist kein Klimaschutz?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Im Sommer dieses Jahres haben wir die Auswirkungen der Klimakrise direkt vor unserer Haustür erleben müssen. Keinen Klimaschutz können wir uns nicht leisten – das ist die schreckliche Erkenntnis aus der Hochwasserkatastrophe.

Ich bin drei Tage nach dem Hochwasser nach Hagen gefahren. Da waren die Straßen noch graubraun vom Schlamm des Hochwassers. Am Straßenrand türmten sich die Sperrmüllberge, und es sind nicht nur Tische und Stühle und zum Teil die gesamten Inneneinrichtungen mancher Wohnungen, sondern auch private Erinnerungsstücke, Fotos, Kuscheltiere dem Hochwasser zum Opfer gefallen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass ich einen Blick in das Haus des Kinderschutzbundes in Hagen geworfen habe, in dem, kurz vor Schulanfang, unzählige Tornister in Schlamm schwammen. Am schlimmsten aber ist es, dass im Jahr 2021 so viele Menschen bei einem Hochwasser sterben mussten. Warum die Landesbehörden die Unwetterwarnungen nicht bewertet haben,

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

warum die Kommunen damit alleine gelassen wurden, das wird der Parlamentarische Untersuchungsausschuss klären. Ich bin der Auffassung, dass wir eine Verantwortung gegenüber den Menschen dafür haben, dass diese Fragen jetzt parlamentarisch aufgearbeitet werden.

Neben den vielen offenen Fragen steht für die betroffenen Menschen natürlich der Wiederaufbau an erster Stelle. Auch vier Monate nach dem Hochwasser sind die Schäden an den Privathäusern, an der öffentlichen Infrastruktur und bei den Unternehmen immens. Die Bilanz von Ministerin Scharrenbach von Mitte November zeigt, dass der Wiederaufbau schleppend läuft – zu schleppend. Menschen, die alles verloren haben, brauchen jetzt Antworten darauf, wie es mit ihren zerstörten Häusern, mit ihren zerstörten Unternehmen weitergeht. Das lange Warten auf die Bearbeitung der Anträge zur Wiederaufbauhilfe ist für viele einfach unerträglich.

Ja, es ist gut, dass die Landesregierung in den Ministerien und bei den Bezirksregierungen neue Stellen zur Bearbeitung der Anträge eingerichtet hat. Man fragt sich allerdings, warum sie erst drei Monate nach dem Hochwasser darauf gekommen ist. Erst drei Monate später kommen Sie auf die Idee, neue Stellen einzurichten. Aus meiner Sicht ist das viel zu spät. Sie haben den Menschen ein Versprechen gegeben. Sie haben gesagt, dass die betroffenen Privatleute, die Kommunen, die Unternehmen schnelle und unbürokratische Hilfen bekommen würden. Dieses Versprechen muss jetzt auch eingelöst werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden in Zukunft häufiger solche Extremwetterereignisse erleben. Deshalb wird es eine der großen Aufgaben der nächsten Legislaturperiode sein, den Katastrophenschutz noch besser aufzustellen. Wir brauchen Vorsorge vor Ort mit Katastrophenschutzbedarfsplänen. Wir brauchen klare Zuständigkeiten und Landeskompetenzen im Katastrophenfall, damit sich die Landesregierung nie wieder so aus der Verantwortung zieht, wie sie es im Juli dieses Jahres getan hat.

Wir Grüne haben Ihnen angeboten, gemeinsam an einem Konzept zur Stärkung des Katastrophenschutzes zu arbeiten. Leider wurde dieses Angebot vonseiten des Innenministers ausgeschlagen.

Wir Grüne haben sehr konkrete Vorschläge dazu gemacht, wie der Katastrophenschutz gestärkt werden kann, weil wir unsere Verantwortung als konstruktive Opposition sehr ernst nehmen. Ich will hier und heute unser Angebot noch mal erneuern, gemeinsam an diesem wichtigen Thema zu arbeiten.

Warum sage ich dies in einer Haushaltsdebatte? – Ich sage es deshalb, weil die Stärkung des Katastrophenschutzes – zum Beispiel durch ein eigenes Landesamt für Katastrophenschutz – Kosten für den Landeshaushalt nach sich ziehen wird; dies werden nicht wenige Kosten sein.

Ich bin aber der Überzeugung, dass dies gut investiertes Geld ist, wenn wir damit Menschenleben in einer Katastrophe retten können. Wir sollten an diesen Konzepten gemeinsam arbeiten und dieses Geld zur Verfügung stellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden in Zukunft nicht jede Katastrophe verhindern können, aber Vorsorge muss natürlich unser Leitprinzip sein. Hitze und Dürren, Starkregenereignisse und Hochwasser sind angesichts der Klimakrise die Herausforderungen für unsere Städte.

Bei meinem Besuch vor Kurzem in Erftstadt sind wir auch nach Blessem gefahren. Ich stand an der Stelle, an der früher die Häuser standen, die vom Wasser weggerissen wurden. Dieser bedrückende Ort zeigt, wie zerstörerisch die Kraft des Wassers ist.

Wasser braucht Fläche, um sich ausbreiten und versickern zu können. Doch Sie von der CDU und FDP haben ausgerechnet dem Flächenfraß Tür und Tor geöffnet. Mit der Änderung des Landesentwicklungsplans haben Sie den Fünfhektargrundsatz gestrichen. Mit der Änderung des Landeswassergesetzes haben Sie den Hochwasserschutz empfindlich geschwächt. Diese Änderungen müssen so schnell wie möglich rückgängig gemacht werden. Wir jedenfalls setzten dies ab Mai 2022 auf unserer Agenda ganz nach oben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Schutz vor den Auswirkungen von Starkregenereignissen ist nur ein Baustein der Klimafolgenanpassung vor Ort in den Städten. Unsere Städte müssen auch gegenüber Hitze oder Stürmen als Folgen des Klimawandels widerstandsfähiger werden. Damit können aber die finanzschwachen Städte – zum Beispiel im Ruhrgebiet, aber auch anderswo – nicht alleine gelassen werden. Sie stehen ohnehin schon mit einer desolaten Haushaltssituation da. Hinzu kommen noch die Steuermindereinnahmen durch Corona.

Klimafolgenanpassung darf aber kein Nice-to-have sein, sondern ist ein zwingender Teil der Daseinsvorsorge. Dem trägt dieser schwarz-gelbe Landeshaushalt leider keinerlei Rechnung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie rühmen sich immer für das Klimaanpassungsgesetz. Die Auskopplung des Klimaanpassungsgesetzes aus dem rot-grünen Klimaschutzgesetz ist aber reiner Etikettenschwindel.

Sorgen Sie dafür, dass die Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung mit Haushaltsmitteln hinterlegt werden, damit Vorsorge zum Leitprinzip wird. Die wenigen Millionen, die Sie aus dem Coronarettungsschirm für Klimaanpassung bereitgestellt haben, waren in kürzester Zeit überzeichnet. Dies zeigt doch, dass die Kommunen händeringend nach Mitteln für die Umsetzung ihrer Projekte suchen.

Die Landesregierung hat nach der Hochwasserkatastrophe versprochen, die Kommunen bei der Klimaanpassung deutlich stärker zu unterstützen. Im Haushalt selbst sehen wir aber keinerlei Erhöhung in diesem Bereich. Trotz des verheerenden Hochwassers im Juli diesen Jahres kommen nur Peanuts aus dem Rettungsschirm. Damit brechen Sie beim Thema „Klimaanpassung“ Ihr Versprechen an die Kommunen. Dies ist schlecht für uns alle.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klimafolgenanpassung ist wichtig. NRW muss aber natürlich auch der Verantwortung für den Klimaschutz nachkommen. Altena, Hagen, Erftstadt, Euskirchen und viele weitere Orte sowie ihre Bewohnerinnen und Bewohner haben im Juli dieses Jahres erlebt, was die Klimakrise konkret bedeutet.

Dabei sprechen wir von einer Erderwärmung von etwa 1,2°C. Die Erderwärmung – auch das wissen wir – wird weiter zunehmen. Es liegt in unser aller Verantwortung, sie auf 1,5°C zu begrenzen.

An vielen Stellen, an einer aber ganz explizit, muss ich Armin Laschet wirklich widersprechen.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Ich dachte, recht geben!)

Spätestens das Hochwasser im Juli war ein solcher Tag, der alles in der Politik verändern sollte. Der 29. April hätte aber bereits für diese Landesregierung ein Weckruf sein müssen. Am 29. April haben nämlich die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts einen historischen Beschluss gefasst: Konsequenter Klimaschutz schützt die Freiheit der zukünftigen Generationen.

(Beifall von den GRÜNEN und Marina Dobbert [SPD])

Die Eindämmung der Klimakrise ist damit auch höchstrichterlich zur Sache der Generationengerechtigkeit geworden. Die Politik steht in der Pflicht, nachfolgenden Generationen ein Leben in Freiheit zu ermöglichen, und dies geht nur durch konsequenten Klimaschutz, der die konkreten Maßnahmen nicht in die Zukunft verschiebt.

Diesem Beschluss müssen auch politische Taten folgen. – Nein, die eiligen Nachbesserungen beim NRW-Klimaschutzgesetz sind keine ausreichenden Taten. Es fehlen die konkreten Maßnahmen und die sektorspezifischen Ziele. Vor allem aber fehlt das entschlossene Handeln dieser Landesregierung.

Herr Wüst, reden Sie nicht nur darüber, was wünschenswert wäre, sondern handeln Sie. Dafür sind Sie schließlich Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Handeln Sie. Lösen Sie die Fesseln, die Sie dem Ausbau der Windenergie angelegt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sorgen Sie für den Kohleausstieg bis 2030. Sorgen Sie auch für die von Ihnen selbst eingeforderte Klarheit für die Menschen in den Dörfern, Herr Wüst. Drücken Sie sich nicht weiter um die Verantwortung und zeigen Sie nicht weiterhin mit dem Finger nach Berlin. Legen Sie in einer Leitentscheidung den Kohleausstieg bis spätestens 2030 fest und schließen Sie weitere Umsiedlungen aus. Machen Sie klar, dass die Dörfer gerettet werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass hinter der schwarz-gelben Klimapolitik nicht viel steckt, zeigt auch der letzte Haushalt Ihrer Regierung.

(Bodo Löttgen [CDU]: Dieser!)

Viele der Mehrausgaben im Bereich „Energiewende und Klimaschutz“ haben bei näherer Betrachtung mit Klimaschutzmaßnahmen nur indirekt etwas zu tun, Herr Löttgen.

Denn ob die gesamten Strukturfördermittel für den Umbau des Rheinischen Reviers – zweifelsohne ein wichtiges Thema; auch wir wollen den Umbau des Rheinischen Reviers – und damit jedes geförderte Gewerbegebiet und jeder Coworking-Space wirklich in den Klimaetat gehören, ist doch sehr zweifelhaft. Dies dient offenbar eher der künstlichen Aufblähung des Klimaetats als dem konsequenten Klimaschutz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Mittel für den Klimaschutz reichen angesichts der Investitionsbedarfe insbesondere in den Kommunen vorne und hinten nicht. Wir haben deshalb einen Änderungsantrag mit zusätzlichen Mitteln – 250 Millionen Euro – für kommunale Klimaschutzmaßnahmen eingebracht, und wir werden diesen heute noch mal zur Abstimmung stellen.

Auch die Industrie wartet auf konkrete Maßnahmen und klare Rahmenbedingungen. Wenn wir mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Wirtschaft sprechen, dann drängt sich immer mehr der Verdacht auf: Die Landesregierung hat den Bezug zur Wirtschaft schon komplett verloren.

Die Unternehmen haben diese Landesregierung in Sachen „Klimaschutz“ schon längst überholt, weil sie wissen, dass sie klimaneutral wirtschaften müssen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Was aber macht diese Landesregierung? – Ein Investitionsprogramm für den Umbau zur klimaneutralen Wirtschaft suchen wir vergebens. Sie haben gerade mal 15 Millionen Euro für Wasserstoff bereitgestellt und nur 7 Millionen Euro für mehr Energieforschung. Das ist alles.

Sie setzen sich Klimaschutzziele, tun aber faktisch kaum etwas dafür, dass diese auch erreicht werden können.

(Christof Rasche [FDP]: Das ist ja wohl der Hammer!)

Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern diese Mutlosigkeit gefährdet den Industriestandort NRW.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb haben wir beantragt, dass es mehr Investitionen für den Umbau zur klimaneutralen Wirtschaft gibt.

Wer den Klimaschutz wirklich ernst nimmt, der kommt an der Mobilitätswende nicht vorbei. Der Verkehrssektor ist ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung der Klimakrise. Es ist allerdings auch der Sektor, in dem in den letzten Jahren praktisch keine klimaschädlichen Emissionen reduziert wurden.

Nicht der Neubau von Landesstraßen darf Priorität haben, sondern dies muss für den Erhalt der Straßeninfrastruktur gelten. Die Brückensperrung auf der A 45 führt uns dies derzeit nur zu gut vor Augen. Es ist eine riesige Belastung für alle Anwohnerinnen und Anwohner sowie für die Unternehmen in der Region.

Statt sich auf die Sanierung der zentralen Straßen und Brücken zu konzentrieren, haben Sie, Herr Wüst, als Verkehrsminister wieder einmal mit der Gießkanne Neubauprojekte geplant und die Schwerpunktsetzung aus der rot-grünen Regierungszeit, die auf Erhalt vor Neubau lag, zurückgenommen. Wir fordern Sie auf, die Kapazitäten auf die drängenden Probleme unserer wichtigen Routen zu konzentrieren. Spätestens jetzt muss die Landesregierung klare Prioritäten setzen. Statt auf dem Neubau von Straßen muss die Priorität auf dem Erhalt unserer Straßeninfrastruktur, auf der Reaktivierung und Elektrifizierung von Schienenstrecken und auf dem Ausbau des ÖPNV liegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ hatte Ihnen eigentlich ausreichend Rückenwind für ein ambitioniertes Gesetz gegeben. Ihr Gesetz bleibt jedoch hinter dem zurück, was die mehr als 200.000 Unterstützerinnen und Unterstützer der Volksinitiative gefordert hatten. Ähnlich wie beim Klimaschutz, reicht es einfach nicht aus, Ziele festzuschreiben, wenn diese nicht mit konkreten Maßnahmen verbunden sind. Die Mittelaufwüchse in Ihrem Haushalt sind noch keine Radwege. Sie werden sich daran messen lassen müssen, wie viele sichere und gute Radwege Sie damit tatsächlich bauen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klimaschutz wird vor Ort gemacht. Es braucht dafür handlungsfähige Kommunen, um den vielfältigen Herausforderungen wie dem Klimaschutz und der Klimafolgenanpassung, aber auch einer modernen Mobilitätspolitik, der Quartiersentwicklung und dem gesellschaftlichem Zusammenhalt gerecht zu werden.

Doch die Landesregierung verschleppt die Lösung der Altschuldenproblematik unserer Kommunen seit über vier Jahren. Wir alle wissen, dass die Coronakrise diese Ungleichheit noch weiter verschärfen wird und auch schon verschärft hat.

(Bodo Löttgen [CDU]: Deswegen geht es in Kommunen heute auch besser!)

Während die Finanzprobleme der Kommunen ungelöst bleiben, hat Corona bei den Kommunen zu neuen Mindereinnahmen und Mehrausgaben geführt. Die Mehrausgaben der Kommunen dürfen sie jetzt gnädigerweise in ihren Haushalten isolieren. Damit sind die Schulden aber nicht vom Tisch. Im Gemeindefinanzierungsgesetz bietet das Land den Kommunen den Ausgleich der Mindereinnahmen nur als Darlehen an. Im Klartext bedeutet das also: Städte und Gemeinden dürfen zusätzliche Schulden machen. Sie werden noch tiefer in die roten Zahlen rutschen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Noch tiefer?)

Damit erweisen Sie den Kommunen einen Bärendienst . Man muss eins wirklich feststellen: Die Kommunen sind der große Verlierer dieser Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Coronapolitik der Landesregierung führt Schätzungen zufolge dazu, dass die Kommunen in Nordrhein-Westfalen auf ca. 6 Milliarden Mindereinnahmen sitzen bleiben werden. Diese werden sie nicht alleine stemmen können. Ich will auch noch mal auf die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände verweisen und ein kurzes Zitat daraus vorlesen:

„Über die kommenden 50 Jahre werden die Handlungsspielräume lokaler Politik eingeschränkt. Haushaltsicherungskonzepte und dauerhafte Nothaushalte […] werden ohne Korrekturen zum Regelfall kommunaler Haushaltswirtschaft werden.“

(Josefine Paul [GRÜNE]: Verrückt, so etwas Undankbares!)

Das sind ziemlich düstere Aussichten für unsere Kommunen. Der letzte Haushalt dieser Landesregierung ist also auch ein weiterer Haushalt, der die überschuldeten Kommunen – gerade jetzt in der Coronakrise – im Stich lässt. Das bedeutet ganz konkret, dass die Lebensverhältnisse in Nordrhein-Westfalen weiterhin von der Postleitzahl abhängen werden und dass wir uns von dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in unserem Land weiter entfernen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Kann das Schwimmbad saniert werden? Wie hoch sind die Elternbeiträge für Kita oder OGS? Diese Fragen schiebt diese Landesregierung auf die Kommunen ab.

Zusammenleben wird vor Ort gestaltet. Sie hat ihre Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land längst abgegeben. Das zeigt sich auch bei Ihren kosmetischen Projekten im Bereich des Sozialindexes für Schulen oder Ihrem Leuchtturmprojekt, den Talentschulen. Für faire Bildungschancen müssten alle 5.000 Schulen in Nordrhein-Westfalen Talentschulen sein – gerade diejenigen in besonders benachteiligten Stadtteilen und nicht nur die 60 Schulen, die Sie quasi handverlesen dazu auserkoren haben.

Der schulscharfe Sozialindex ist ebenfalls eine bildungspolitische Mogelpackung. Die – in Anführungsstrichen – zusätzlichen Stellen rekrutieren Sie zum größten Teil aus bereits bestehenden Töpfen – aus dem Topf gegen den Unterrichtsausfall, dem Topf der Integrationsstellen und dem Topf der sozialpädagogischen Fachkräfte der Schuleingangsphase.

(Josefine Paul [GRÜNE]: So ist das!)

Statt dass besonders herausgeforderte Schulen wirklich unterstützt werden, stehen die Schulen jetzt also in einem Umverteilungskampf, weil der Sozialindex in der Realität mit zu wenig Stellen hinterlegt ist. Das ist das Gegenteil von einer Schulpolitik, die faire Chancen für alle Kinder zum Ziel hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Josefine Paul [GRÜNE]: So ist das!)

Dieser Haushalt hält eine weitere Enttäuschung bereit. Entgegen Ihrer eigenen Ankündigungen wird es keine Erhöhung der Besoldung für Lehrkräfte an Grundschulen und in der Sekundarstufe I von A12 auf A13 geben.

Das ist nicht nur ein Vertrauensbruch gegenüber den Lehrkräften. Vielmehr wäre das auch eine notwendige Konsequenz aus der Reform der Lehrerausbildung. Es ist vor allem außerdem Ausdruck Ihrer Haltung gegenüber dem öffentlichen Dienst insgesamt.

(Henning Höne [FDP]: Mutig für Leute, die gesagt haben, dass es ab A13 gar keine Erhöhung mehr gibt!)

– Herr Höne, ich kann Sie bei dem Gebrüll hier ehrlich gesagt kaum verstehen. Ihr Fraktionsvorsitzender hat aber ja gleich die Chance, hier zu reden.

(Henning Höne [FDP]: Darüber können wir ja noch mal reden! 0 % Erhöhung ab A13! – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Der kann uns ja noch mal einiges erläutern. A12, A13, faire Chancen für alle Schülerinnen und Schüler in den Schulen, das Thema „Altschuldenproblematik“ – Ihr Kollege, Ihr Vorsitzender hat gleich 45 Minuten Zeit, uns all das noch mal zu erklären. Wir sind sehr gespannt auf seine Rede.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schauen wir mal, was seine Antworten auf diese Herausforderungen und auf diese gebrochenen Versprechen, die diese Landesregierung zu verzeichnen hat, sind. Herr Rasche, wir dürfen sehr gespannt sein, welche Antworten Sie darauf haben.

(Henning Höne [FDP]: Dringend notwendig!)

Morgen Abend diskutieren wir hier im Plenum ein Gesetz mit dem schönen Titel „Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes in Nordrhein-Westfalen“. Das klingt gut, es steckt aber eigentlich überhaupt nichts darin. Es ist ein Gesetz, auf das viele Beschäftigte dieses Landes gewartet haben.

Vor dem Hintergrund von rund 20.000 unbesetzten Stellen im öffentlichen Dienst des Landes wäre eine echte Attraktivitätsoffensive mehr als angemessen. Ich will korrigieren: Das wäre nicht nur angemessen, es ist sogar dringend notwendig.

Der Gesetzentwurf, den Sie für morgen vorgelegt haben, liegt aber meilenweit hinter den Erwartungen zurück. Man muss feststellen: Die im Koalitionsvertrag groß angekündigte Attraktivitätsoffensive ist einfach komplett gescheitert. Das sagen auch alle Gewerkschaften und Verbände. Der Gesetzentwurf ist schlicht eine Nullnummer. Das wissen Sie auch, sonst hätten Sie ihn nicht als letzten TOP des Tages und sogar des Jahres auf der morgigen Tagesordnung versteckt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf hat nichts mehr mit den Gesprächen zwischen der Landesregierung und den Gewerkschaften und den dort gemachten Vorschlägen zu tun.

Der Grund für das Scheitern ist, dass aus Ihrer Sicht die Attraktivierung des öffentlichen Dienstes nichts kosten darf. Attraktive Arbeitsbedingungen zum Nulltarif wird es aber nicht geben können.

Wir können uns diese Haltung angesichts der Höchststände bei den unbesetzten Stellen und angesichts des Wettbewerbs um die besten Köpfe im Land schlicht nicht mehr leisten. Wir brauchen einen attraktiven öffentlichen Dienst und engagierte Beschäftigte, wenn wir den Herausforderungen der Zukunft begegnen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte meine Rede gerne mit dem Blick auf eine weitere Krise dieser Zeit neben der Klimakrise abschließen. Es ist die Bedrohung der biologischen Vielfalt.

Dass die Koalitionsfraktionen die Forderungen der Volksinitiative abgelehnt haben, ist im Endeffekt eine Fortsetzung Ihrer ignoranten Politik der vergangenen vier Jahre.

Die Reduzierung des Flächenfraßes oder den Schutz von Schutzgebieten haben Sie in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt. Wenn man noch mal in den Etat, in die Haushaltsbücher schaut, möchte ich daraus zum Vergleich zwei Zahlen nennen. Der gesamte Naturschutzhaushalt in NRW beträgt gerade einmal 37 Millionen Euro. Daran hat sich in den letzten Jahren im Endeffekt nicht viel geändert; das ist ziemlich gleich geblieben.

Nur einmal zum Vergleich: Für die Heimat-Projekte von Frau Scharrenbach steht ein Volumen von 33 Millionen Euro zur Verfügung – 37 Millionen Euro für den gesamten Naturschutzbereich, 33 Millionen Euro für die Heimat-Projekte.

Wenn Sie unsere heimatliche Flora und Fauna schützen wollen,

(Bodo Löttgen [CDU]: Flora und Fauna sind wichtiger als die Menschen?)

müssen Sie die Mittel im Naturschutzetat erhöhen. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei, Herr Löttgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gerade der Schutz der biologischen Vielfalt berührt die Frage der Generationengerechtigkeit. Es ist nämlich die Frage, welche Tier- und Pflanzenarten unsere Kinder und Enkelkinder noch erleben dürfen. Es ist die Frage, welche Welt wir ihnen hinterlassen werden.

Herr Wüst, wer die Bewahrung der Schöpfung als größte Aufgabe unserer Zeit bezeichnet, muss Worten auch Taten folgen lassen. Das findet sich in diesem Haushalt nicht wieder. Ändern Sie das! Wir brauchen mehr Geld und mehr Aktivitäten im Bereich der Artenvielfalt. Wir müssen die biologische Vielfalt erhalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Krisen unserer Zeit zeigen uns sehr deutlich, welche Auswirkungen eine Politik hat, die nicht vorausschauend ist und nicht auf Vorsorge ausgerichtet ist.

Mit diesem Haushalt hätten Sie letztmalig die Gelegenheit gehabt, wichtige Zukunftsinvestitionen vorzunehmen.

(Christof Rasche [FDP]: Das machen wir nächstes Jahr wieder!)

Mit diesem Haushalt zeigen Sie einmal mehr: Sie stehen noch nicht einmal mehr für den Erhalt des Status quo. Das ist wirklich bitter für unser Land. Es zeigt einmal mehr, dass es einen Aufbruch für Nordrhein-Westfalen braucht. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN)

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