Josefine Paul: „Einen neuen Zauber wird es mit einem neuen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst für Nordrhein-Westfalen nicht geben“

Zur Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst

Portrait Josefine Paul

(Einige Abgeordnete verlassen den Plenarsaal.)

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch die Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen dürfen ruhig bleiben.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Nach der Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden sei Ihnen aber auch eine kurze Pause zum Durchatmen gegönnt.

(Zurufe von Matthias Kerkhoff [CDU] und Bodo Löttgen [CDU])

– Richtig.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, diese Zeile von Hermann Hesse ist längst in die Alltagssprache eingegangen, und, ja, sie ist auch etwas abgegriffen. Aber scheinbar verbindet, wenn man Ihnen so zugehört hat, die Koalition mit dieser Regierungserklärung die Hoffnung auf einen Zauber, darauf, dass von dem neuen Ministerpräsidenten möglichst ein Zauber ausgehe.

Was wir gehört haben, war aber in allererster Linie Selbstsuggestion.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Zauber fehlte nicht nur dieser Regierungserklärung, er fehlt ganz offensichtlich auch der Landesregierung. Herr Ministerpräsident, statt Aufbruch fand sich in Ihrer Rede sehr viel Weiter-so und in der Tat auch sehr viel Rückschau, was aber konsequent ist, immerhin gehören Sie der Landesregierung, die ja immer noch die gleiche ist, seit 2017 an. Es wird sich weisen – das wird der Wähler und die Wählerin zu bestimmen haben –, ob Sie als Ministerpräsident des Aufbruchs oder nur des Übergangs in die Geschichtsbücher dieses Landes eingehen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Wüst, DER SPIEGEL hat über Sie geschrieben, Sie seien ein Machtprofi, der auf Newcomer mache. „Ein bisschen Klimapolitik, smarter Auftritt, gute Bilder“ war da zu lesen. Auch wenn das sicherlich zum modernen Regieren dazugehört – das will ich gar nicht abstreiten –, so fordern die aktuellen Herausforderungen doch etwas mehr, und davon war leider viel zu wenig zu hören an diesem Vormittag.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei der zentralen Aufgabe dieser Regierung und unserer Zeit – das haben auch Sie so benannt –, nämlich dem Klimaschutz, kann vom Zauber eines Neuanfangs nun wirklich keine Rede sein. Auch Sie sind in Ihrer Rede den Pfad schuldig geblieben, wie NRW klimaneutral werden kann.

Ich möchte Ihnen noch einmal sehr deutlich sagen: Die Zeit drängt, und es braucht endlich konkrete Maßnahmen, um konsequenten Klimaschutz umzusetzen und damit Freiheit, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt auch für künftige Generationen zu sichern.

Die Energiewende ist dabei ein zentraler Baustein. Solange die Landesregierung den Windenergieausbau aber weiter mehr behindert, als sie ihn vorantreibt, wird der Ausbau der Erneuerbaren nicht den notwendigen Schub bekommen. Daran ändert auch Ihr ausgiebiges Selbstlob nichts. Sie verweisen zwar auf bessere Ausbauzahlen als in anderen Bundesländern, ich will aber sagen, dass es sich hier nicht um die Bundesligatabelle handelt.

Noch viel wichtiger ist: Mit den Ausbauzielen, die Sie hier vorzuweisen haben, erreichen Sie doch nicht mal die Ziele Ihrer bisherigen Energieversorgungsstrategie. Sie haben uns eben sehr groß angekündigt, es gebe demnächst eine Energieversorgungsstrategie 2.0. Wenn Sie mit dieser Strategie dem gerecht werden wollen, was Sie angekündigt haben, nämlich ambitionierte Ziele umzusetzen, um die Forderungen des neuen Klimaschutzgesetzes zu erfüllen, kann ich nur sagen: Mit dem, was Sie bisher in Bezug auf den Ausbau der Erneuerbaren geleistet haben, werden Sie diese Ziele nicht erreichen können.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich bin sehr gespannt, ob sich hinter der Energieversorgungsstrategie 2.0 dann auch wirklich die Revolution verbirgt, die Sie uns hier offensichtlich suggerieren wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir schon bei Ländervergleichen sind: Beim Thema „Solarenergie“ kommt NRW auch nicht entscheidend voran. Dabei ist doch längst klar, dass Solar auf jedem Dach zum Standard werden muss. Doch die Landesregierung hat es versäumt, im Rahmen der Novellierung der Landesbauordnung genau das in Nordrhein-Westfalen zum Standard zu machen. Andere Bundesländer wie Hamburg, Berlin und Baden-Württemberg machen es vor, man muss es politisch nur wollen. Auch – Herr Stamp, Sie gucken gerade – Ihre Heimatstadt Bonn macht es vor; sie ist uns auf Landesebene bereits meilenweit voraus.

(Beifall von den GRÜNEN)

Derzeit findet in Glasgow die 26. Weltklimakonferenz statt. Es sind entscheidende Verhandlungen darüber, ob die Zusagen der Staaten ausreichend sind, um die Erderhitzung zu begrenzen. Wir alle erinnern uns noch an die eindringlichen Verlautbarungen des Weltklimarates aus diesem Sommer. Dort war zu lesen:

„Wenn es keine sofortigen, schnellen und umfassenden Reduktionen der Treibhausgas-Emissionen gibt, ist das Begrenzen der Erwärmung auf wenig mehr als 1,5 oder sogar 2,0 Grad nicht mehr möglich.“

Klimaschutz ist eine weltweite Herausforderung und Aufgabe, und wir werden sie nicht allein in NRW bewältigen können. Klar ist aber auch: Wir können und dürfen uns nicht hinter der internationalen Dimension verstecken. Herr Ministerpräsident, das ist auch Ihre Verantwortung. Nordrhein-Westfalen ist die stärkste Industrieregion Europas, und sie muss zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas werden.

In der vergangenen Woche hat die IG Metall zum Aktionstag „FairWandel – sozial, ökologisch, demokratisch“ aufgerufen. Auch Sie, Herr Ministerpräsident, sind diesem Aufruf gefolgt, sind dort hingegangen und haben gehört, dass die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter von der Landespolitik ein industriepolitisches Zukunftskonzept einfordern, das wirtschaftlichen Wohlstand, gute und sichere Arbeit und eine lebenswerte Umwelt verbindet.

Knut Giesler, der Bezirksleiter der IG Metall NRW, hat es in Duisburg noch einmal deutlich zusammengefasst:

„Das gelingt nur, wenn NRW zum Vorreiter für einen sozialen und ökologischen Wandel der Industrie wird, für den die Landespolitik den politischen Rahmen setzt.“

Aber, Herr Ministerpräsident, von einem industriepolitischen Zukunftskonzept haben wir nichts gehört. Auch das sind Sie mit dieser Rede, die Aufbruch suggerieren sollte, einmal mehr schuldig geblieben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dabei würde es gar keinen Zauber eines Neuanfangs brauchen, denn die Beschäftigten sind doch bereit, ihren Anteil beizutragen. Auch die Unternehmen, vom kleinen Handwerksbetrieb bis hin zu den Industriebetrieben, haben sich doch längst auf den Weg gemacht. Da würde es nicht diesen Zauber eines Neuanfangs brauchen.

Es braucht aber endlich den politischen Willen der Landesregierung, die notwendigen Rahmenbedingungen für klimaneutrale Investitionen zu schaffen. Auch das haben Sie hier heute nicht geliefert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die grüne Landtagsfraktion hat ein Gutachten vorgelegt, wie Klimaneutralität in NRW sogar bis 2040 zu erreichen ist. Technisch ist das möglich. Das bedeutet aber entschiedenes Handeln, und das bedeutet eine enorme Kraftanstrengung, ja. Doch die Landesregierung hat bislang weder mit entschiedenem Handeln geglänzt noch die Kraft aufgebracht, einen sozial-ökologischen Aufbruch zu entfesseln. Das Land braucht eine Landesregierung, die verlässlich handelt und so Halt im notwendigen Umbruch gibt. Diese Landesregierung scheinen Sie nicht zu sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die nächste Landesregierung muss vor diesem Hintergrund eine Klimaregierung sein. Sie muss schon deswegen eine Klimaregierung sein, weil es beim Klimaschutz um die Menschen geht. Es geht um den Erhalt guter und zukunftsfester Arbeitsplätze und damit nicht zuletzt um die Frage des sozialen Zusammenhalts.

Das bedeutet, dass wir in erneuerbare Energien und technische Voraussetzungen investieren müssen, aber das allein ist nicht genug. Die Transformation muss vor allem die sozialen Aspekte in den Blick nehmen, um Sicherheit im Wandel zu schaffen. Wir wollen, dass wir durch gute Ausbildung, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten auch zukünftig sichere und gute Arbeitsplätze haben.

Doch anstatt Perspektiven zu eröffnen, ist die klimapolitische Bilanz dieser Landesregierung eher ein Desaster. Deren Kurs haben Sie seit 2017 mitgetragen und offensichtlich nicht entscheidend beeinflusst.

Nicht nur das: Eine weitere juristische und politische Großbaustelle hat Ministerpräsident Wüst von seinem Amtsvorgänger geerbt. Das ist die rechtswidrige Räumung des Hambacher Waldes. Die Landesregierung ist eben nicht als Vermittlerin aufgetreten, sondern hat ihre Rolle vielmehr als politischer Erfüllungsgehilfe von RWE interpretiert. Diese Landesregierung verantwortet damit den größten und teuersten Polizeieinsatz in der Geschichte NRWs, sie hat Polizistinnen und Polizisten in einen langen sinnlosen und gefährlichen Einsatz geschickt.

Das Verwaltungsgericht Köln hat vor einigen Wochen sehr deutlich gemacht, dass es der Landesregierung dabei nie um Brandschutz in den Baumhäusern ging, sondern einzig und allein um die Räumung des Hambacher Waldes. Diese Landesregierung hat geltendes Recht gebeugt, um Gründe für die Räumung zu konstruieren, und das verantwortet auch Ministerpräsident Wüst.

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch schlimmer: Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, dass nun die Bau‑ und Kommunalministerin den Kreis anweist, die Stadt Kerpen solle die Berufung vor dem OVG nicht zurückziehen. Diese Weisung übergeht im Übrigen einen demokratischen Beschluss des Rates der Stadt Kerpen. Das ist ein einmaliger Vorgang, der im Kabinett Laschet gestartet ist und den das Kabinett Wüst ganz selbstverständlich fortsetzt. Wenn das die Art und Weise ist, wie in dieser Landesregierung Kontinuitäten vonstattengehen, dann bin ich sicher, dass die Menschen sehr auf den Mai nächsten Jahres warten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Anstatt endlich einen Weg der Vermittlung zu suchen, heizt die Landesregierung den Konflikt mit solchen Entscheidungen immer weiter an. Herr Ministerpräsident, wir erwarten von Ihnen, dass Sie dazu klar Stellung beziehen und den juristischen Winkelzügen Ihrer Bauministerin endlich ein Ende machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben in dieser Regierungserklärung aber auch neue Nuancen herausgehört. Nun kündigt der neue Ministerpräsident an, die Landesregierung sei doch zum Ausstieg aus der Kohle bis 2030 bereit. Die Leitentscheidung der Landesregierung vom Beginn dieses Jahres spricht allerdings noch eine deutlich andere Sprache. Sie haben eine Chance verpasst, diesen Umstand selbst zu gestalten.

Herr Ministerpräsident, es darf nicht allein bei dieser Aussage bleiben, es müssen endlich auch Taten folgen. Die sind Sie bislang konsequent schuldig geblieben. Sie müssen nicht nur mit der Art, wie Sie reden, sondern auch mit den notwendigen Maßnahmen endlich auf die Höhe der Zeit kommen.

Das bedeutet konkret, dass die Landesregierung jetzt eine neue Leitentscheidung vorlegen muss, die den Bestand der Dörfer sichert. Herr Ministerpräsident, eine mögliche neue Leitentscheidung unter merkwürdigen Konditionen, die Sie hier vorgelegt haben, in Aussicht zu stellen, reicht nicht aus. Es ist Ihre Verantwortung, jetzt zu versuchen, eine neue Leitentscheidung für die Sicherheit in den Dörfern und für den Bestand der Dörfer vorzulegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das bedeutet im Übrigen auch, dass Sie die 1.000-m-Abstandsregelung zurücknehmen müssen, denn sonst sind die Ausbauziele, von denen Sie selbst gesprochen haben, nicht zu erreichen.

Sie haben selbst vom Abbau der Hemmnisse gesprochen. Aber, Herr Wüst, ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Das größte Hemmnis beim Ausbau der Windenergie in Nordrhein-Westfalen ist die 1.000-m-Abstandsregelung, die Ihre Landesregierung veranlasst hat.

(Beifall von den GRÜNEN und Thomas Kutschaty [SPD])

Nordrhein-Westfalen braucht mehr als Hochglanzbroschüren, wofür das Ministerium von Minister Pinkwart immer gut ist. Wir brauchen endlich konkretes Handeln, sonst ist der 1,5-Grad-Pfad nicht zu erreichen. Nur konkretes und wirklich ambitioniertes Handeln statt großspurigem Reden schafft Klarheit. Nur das schafft Vertrauen und Verlässlichkeit. Das braucht die Industrie, das braucht die Wirtschaft insgesamt, das brauchen aber auch die Menschen im Rheinischen Revier und in den Dörfern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Hochwasserkatastrophe in diesem Sommer hat uns vor Augen geführt, dass die Klimakrise und Extremwetterereignisse direkt vor unserer Haustür stattfinden. Mit großer Solidarität haben Menschen geholfen, sind Katastrophenschutz und Rettungskräfte bis an ihre Grenzen und weit darüber hinaus gegangen. Die Verwaltungen haben unter teils schwierigsten Bedingungen versucht zu helfen.

Nun ist der Wiederaufbau die zentrale Herausforderung. Die Auszahlung der Soforthilfen ist vergleichsweise zügig in die Gänge gekommen. Die Verteilung der Wiederaufbauhilfen hingegen läuft eher schleppend und noch dazu – das muss man leider so deutlich sagen – auf dem Rücken der Kommunen. Denn die ohnehin schwer getroffenen Städte und Gemeinden müssen nun massiv Zeit in die Antragstellung und in die Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern investieren, obwohl sie ohnehin Personalengpässe und mit Überlastung zu kämpfen haben.

Aber für die Bürgerinnen und Bürger ist nicht nur das Geld für den Wiederaufbau eine entscheidende Komponente, sondern sie brauchen auch Klarheit darüber, in welchen Gebieten wiederaufgebaut werden kann und wo unbürokratisch Ersatzflächen für Häuser, die bislang in Überschwemmungsgebieten standen, bereitgestellt werden können. Auch da – das muss man sagen – bräuchte es mehr Tempo, um wirklich Verlässlichkeit zu schaffen.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat bereits Karten erarbeitet und ist mit den betroffenen Kommunen und den Bürgerinnen und Bürgern in den Dialog getreten. In Nordrhein-Westfalen ist das bislang nicht passiert. Die Betroffenen werden so nicht verlässlich von der Landesregierung begleitet, sondern sie werden in ihrer Unsicherheit alleingelassen.

Aber nicht nur bei der Krisenbewältigung werden schnelle und effektive Lösungen von Ihnen erwartet, Herr Wüst, sondern auch bei der Krisenprävention gibt es dringende Aufgaben zu erledigen. Entgegen dem bisherigen Credo der Entfesselung und Deregulierung – leichte Ansätze waren auch vorhin schon wieder zu hören – sollte sich die Landesregierung endlich dem Prinzip von Resilienz und Vorsorge verschreiben.

Dazu muss endlich der Flächenversiegelung Einhalt geboten werden, und die vorgenommenen Änderungen im Landeswassergesetz müssen rückgängig gemacht werden. Darauf haben wir schon oftmals hingewiesen – passiert ist nichts. Das ist bei der Landesregierung ungehört verklungen.

Was bei dieser Landesregierung allerdings nicht ungehört verklingt, sind diejenigen, die immer mehr Ausnahmeregelungen für Risiko- und Überschwemmungsgebiete erteilt bekommen wollen.

Die Hochwasserkatastrophe und die Coronapandemie haben aber auch gezeigt, dass wir strukturelle Veränderungen beim Katastrophenschutz vollziehen müssen, um auf die unterschiedlichen Szenarien vorbereitet zu sein. Das betrifft die Hochwassersituation, aber auch Waldbrände oder die Möglichkeit langanhaltender Stromausfälle.

Wir brauchen beispielsweise analog zu den Brandschutzbedarfsplänen auch Katastrophenschutzbedarfspläne für die kreisfreien Städte und Kreise, die die jeweiligen Anforderungen für unterschiedliche Krisen beschreiben. Insbesondere für den Katastrophenschutz muss die Vorsorge doch das Leitprinzip unserer Politik sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Einen personellen Neuanfang gibt es in dieser Landesregierung. An dieser Stelle hätte ich Frau Brandes als neuer Verkehrsministerin gerne persönlich gratuliert, aber sie ist gerade nicht im Raum. So wünsche ich ihr in Abwesenheit alles Gute und eine glückliche Hand. Wir freuen uns auf die konstruktiv-kritische Auseinandersetzung. Denn man muss leider sagen, dass ihr Vorgänger ihr riesige Baustellen – im übertragenen und im wahrsten Sinne des Wortes – hinterlassen hat.

Nach viereinhalb Jahren steckt die Mobilitätswende weiter im Stau. Statt die Verkehrswende entschieden voranzutreiben – allen Inszenierungen mit Fahrradhelm und Liegerad zum Trotz –, muss man sagen, dass die Landesregierung es versäumt hat, im Bereich des Klimaschutzes zentrale Akzente zu setzen. Auch beim gerne radelnden und sich so inszenierenden ehemaligen Verkehrsminister und heutigen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst lag der Schwerpunkt auf dem Ausbau des Straßenverkehrs.

Im Übrigen – das hat Kollege Kutschaty schon gesagt – ist NRW trotzdem immer noch Stauland Nummer eins. Ich will nur sagen: Man muss ja nicht in jeder Statistik vorne liegen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da, wo es sich wirklich ausgesprochen gut machen würde, vorne zu liegen, auch im Sinne einer klimagerechten Mobilitätswende, setzt sich Nordrhein-Westfalen gerade nicht an die Spitze der Bewegung. Mit dem Entwurf zum Fahrrad‑ und Nahmobilitätsgesetz hat die Landesregierung zwar das erste dieser Art in einem Flächenland geschaffen; doch leider haben es die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen versäumt, wichtige Weichen hin zu einer klimafreundlichen Mobilität zu stellen.

Ihr Entwurf – das ist in der letzten Woche noch einmal sehr deutlich geworden, als „Aufbruch Fahrrad“ vor dem Landtag darauf hingewiesen hat, was es eigentlich bräuchte –, Herr Minister Wüst, jetzt Herr Ministerpräsident Wüst, ist ambitionslos und unkonkret.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf der grünen Landtagsfraktion dagegen nennt konkrete Ziele und Maßnahmen, um das angestrebte Ziel eines Radverkehrsanteils von 25 % tatsächlich zu erreichen. Auch das ist übrigens keine rein technische Frage, sondern vielmehr ein Beitrag zu einer sozial gerechten Mobilitätswende, die eben nicht nur durch die Windschutzscheibe plant oder die eigenen Erfolge im Rückspiegel sieht, wie auch immer man das sagen möchte, sondern es geht doch um die Frage sicherer, guter und bezahlbarer Verkehrswege für alle. Das muss eine moderne Mobilitätspolitik ermöglichen. Von Schwarz-Gelb haben wir dazu viel zu wenig Impulse wahrnehmen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir müssen feststellen, dass die Pandemie selbstverständlich nicht vorbei ist. Wir alle haben uns sicherlich gewünscht, nicht vor der gleichen Situation und Herausforderung zu stehen, wie es im vergangenen Jahr der Fall war. Ja, die Impfungen machen natürlich einen Unterschied. Trotzdem sehen wir uns aktuell mit steigenden Infektionszahlen, aber auch mit steigenden Hospitalisierungsraten und steigenden Belegungszahlen auf den Intensivstationen konfrontiert.

Bedauerlicherweise hält die Landesregierung an ihrem fahrlässigen Kurs des Auf-Sicht-Fahrens auch mit dem neuen Ministerpräsidenten fest. Angesichts des dynamischen Infektionsgeschehens sollte sie vielmehr endlich ein zielgerichtetes Schutzkonzept vorlegen. Kinder, alte Menschen und solche mit Vorerkrankungen müssen zuverlässig vor Infektionen geschützt werden.

Sie haben gesagt, Herr Ministerpräsident, es gehe jetzt um konzentrierte Wachsamkeit, entschlossenes und zielgerichtetes Handeln. Ja, aber bei dem, was Sie und Ihre Landesregierung hier in den letzten Tagen dazu vorgetragen haben, kann doch davon keine Rede sein, weder von „zielgerichtet“ noch von „wirklich wachsam“ noch von „entschlossenem Handeln“.

Entschlossen waren Sie nur dabei, in der Presse anzukündigen, dass es eine MPK bräuchte.

Was wir aber brauchen, ist ein Konzept dieser Landesregierung. Dazu fordern wir Sie auf. Kommen Sie jetzt mit einem Konzept, wie wir die Menschen in diesem Land effektiv schützen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn die Landesregierung hat es versäumt, Vorsorge zu treffen. Einmal mehr hat diese Landesregierung es versäumt, Vorsorge zu treffen und rechtzeitig eine Strategie für die Booster-Impfungen zu erarbeiten. Es ist lange klar gewesen, dass es die Booster-Impfungen braucht. Warum hat die Landesregierung keine Vorkehrungen dafür getroffen, wie sie jetzt schnell umzusetzen sind?

Es reicht nicht, allein auf die Hausärzte zu verweisen, um den Menschen zügig die Auffrischungsimpfungen anzubieten. Die Landesregierung hätte schon längst gemeinsam mit den Kommunen Maßnahmen erarbeiten müssen, um die Booster-Impfungen anzugehen, beispielsweise durch eine Kombination aus aufsuchenden Impfungen durch mobile Teams und dezentralen Impfstandorten als Ergänzung zu den Impfungen in Arztpraxen.

Es geht nicht nur um die Frage, ob man die Impfzentren wiedereröffnen sollte oder ob das nicht notwendig ist. Es geht um die Frage, wie wir den Impfstoff für die Auffrischungsimpfungen jetzt zu den Menschen bekommen. Diese Frage müssen Sie beantworten, und die muss auch Gesundheitsminister Laumann beantworten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ganz entscheidend bei der Organisation von Impfungen ist auch, wie die Impfungen für Kinder unter zwölf Jahren vorbereitet werden, sobald der Impfstoff durch die STIKO empfohlen wird. Auch das muss jetzt vorbereitet werden; denn wir erleben doch derzeit, dass viele Kinderarztpraxen bereits unter hoher Belastung arbeiten. Wenn jetzt auch noch – wenn der Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren zugelassen wird – die impfwilligen Eltern mit ihren Kindern dort vorstellig werden, dann können wir uns alle vorstellen, was das für eine stressige und belastende Situation wird.

Auch da gilt: Wenn Sie Kinder, Jugendliche und Familien in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen wollen, dann bedeutet dies, dass Sie die Eltern nicht mit der Organisation, wie ihre Kinder zu den Impfungen kommen sollen – so sie das für ihre Kinder wollen –, alleinlassen dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch dort besteht die Herausforderung, jetzt Vorbereitungen zu treffen und nicht wieder sehenden Auges in ein neues Chaos zu laufen.

Klar ist auch: Die kostenlosen Bürgertests abzuschaffen, war ein Fehler, auf den wir mehrfach hingewiesen haben. Im Herbst und im Winter halten sich die Menschen wieder vermehrt in Innenräumen auf, und klassische Erkältungskrankheiten nehmen zu. Das ist eher eine Binsenweisheit, aber in der derzeitigen Situation führt es dazu – und das ist auch gut –, dass auch Geimpfte sich bei leichten Symptomen testen lassen wollen, um eine Coronainfektion auszuschließen. Aber dafür braucht es eben eine Testinfrastruktur.

Mit dem Ende der kostenlosen Bürgertestests gab es auch einen Rückgang der Testinfrastruktur. Das haben wir prognostiziert, und das ist eine Situation, die uns jetzt auf die Füße fällt. Das bedeutet: Es müssen wieder kostenlose Bürgertests angeboten werden, und die Angebotspflicht von Tests am Arbeitsplatz muss durch eine Verpflichtung zur Testung am Arbeitsplatz ergänzt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vor allem müssen wir aber Sorge dafür tragen, dass nicht wieder Kinder und Jugendliche die Hauptleidtragenden sind und Schulträger nicht wieder mit den Herausforderungen der derzeitigen Situation alleingelassen werden.

Leider drängen sich erschreckende Parallelen zum letzten Herbst und Winter auf. Ab dieser Woche an den Schulen am Platz auf die Masken zu verzichten, ist aus unserer Sicht ein Signal zur Unzeit. Insbesondere angesichts steigender Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen wäre es doch ein vergleichsweise kleiner Eingriff gewesen, nach anderthalb Jahren schulischem Pandemie…

(Zuruf von Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung)

– Frau Ministerin, Sie regen sich auf. Sie können das sicherlich auch noch mal in der Aktuellen Stunde erläutern. Aber Sie sind für anderthalb Jahre schulisches Pandemiechaos verantwortlich. Jetzt wird es doch nicht besser dadurch, dass Sie zur Unzeit das Signal aussenden, wir würden uns in einer trügerischen Sicherheit befinden, wo doch insbesondere die Kinder unter zwölf Jahren überhaupt nicht geimpft werden können und die Maske eigentlich ihr einziger Schutz ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und wieder sehen sich die Schulträger …

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

– Da habe ich ja offensichtlich einen Punkt getroffen, wenn die Aufregung bei diesem Thema so groß ist.

(Lachen von Ralph Bombis [FDP])

Wieder sehen sich die Schulträger damit konfrontiert, dass ihre Kriseneinschätzung vor Ort nicht ernst genommen wird. Damit werden wir uns noch im Detail auseinandersetzen. Die Stadt Krefeld wollte bei den Masken im Unterricht bleiben, und wieder ist ihnen dies von der Landesregierung untersagt worden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Frechheit!)

Das alles haben wir so auch im letzten Jahr erlebt. Kriseneinschätzung und Kompetenz vor Ort werden von dieser Landesregierung in der Pandemiebekämpfung weder wertgeschätzt noch eingesetzt, sondern im Gegenteil sogar untergraben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Gleiches gilt auch für das Trauerspiel mit den Luftfiltern. Da kann es der Landesregierung meist gar nicht eigenverantwortlich genug sein. Jedenfalls beklagen sich die Kommunen weiterhin zu Recht darüber, dass es erstens ein wenig funktionales Förderprogramm ist und sie zweitens zu wenig Unterstützung vom Land bekommen.

Das zeigt sich auch beim Abruf der Fördermittel für das Lüftungsprogramm II. Denn bislang wurden nur Anträge in einem Volumen von etwa 6 Millionen Euro gestellt. Bewilligt wurden gerade einmal Mittel in Höhe von 2 Millionen Euro. Das entspricht dem unglaublichen Anteil von 2,3 % am Gesamtvolumen des Programms.

Jetzt kann man natürlich sagen – das werden Sie vermutlich auch tun –, dann ist es wohl nicht gewünscht, und dann sind es wohl die Kommunen und Schulträger, die das nicht können. Aber man könnte auch mal darüber nachdenken, ob man selber ein Stück Verantwortung dabei trägt und ob man die Kommunen und Schulträger nicht besser unterstützen müsste, und zwar im Sinne der Kinder und Jugendlichen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, vor allem die großen Fragen auf dem Weg zur plakatierten und plakativen weltbesten Bildung sind es, die noch im Hausaufgabenheft Ihrer Landesregierung stehen. Sie haben gar nicht mehr so viel Zeit, bis Sie die Hausaufgaben eingereicht haben müssen. Es muss endlich Schluss damit sein, dass die Schulpolitik dieses Landes vor allem von Ankündigungen und Versprechen geprägt ist, die am Ende keiner Lernstandserhebung standhalten.

Beim Thema „Digitalisierung“ kommt die Landesregierung nicht voran. Es gibt immer noch keine Standards für die digitale Ausstattung von Schulen, und es gibt keine Qualitätsstandards für das digitale Lernen. Insbesondere bei der Umsetzung des DigitalPakts hinkt Nordrhein-Westfalen weiterhin hinterher.

Hinsichtlich eines systematischen Förder- und Fortbildungsangebots für Lehrkräfte – denn es kommt nicht nur auf die Hardware an, sondern es geht auch um die Frage der pädagogischen Umsetzung – gilt Fehlanzeige. Wir erwarten sehr gespannt die von Ihnen angekündigte digitale Fortbildungsoffensive, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Chancengerechtigkeit von Kindern und Jugendlichen hat sich in der Coronakrise verschlechtert. Die Situation hat sich auch deshalb verschärft, weil die Landesregierung bei den wichtigen bildungspolitischen Herausforderungen vor allem mit großen Worten und Leuchtturmprojekten agiert hat – und das schon vor und unabhängig von der Coronakrise.

Die Coronakrise hat – der Begriff ist vielleicht schon etwas abgegriffen – nicht nur die sozialen Verwerfungen und die Ungerechtigkeiten deutlich gemacht, sondern sie hat auch die Unzulänglichkeiten dieser Landesregierung wie unter einem Brennglas hervortreten lassen.

Das gilt beispielsweise für den neuen Sozialindex. Vom Grundsatz her ist es gut und richtig, mit einem Sozialindex vorzugehen. Aber in der Ausführung sollten dann doch wieder die ohnehin zu knappen Ressourcen schlicht und ergreifend neu verteilt werden. Es gibt ein Hennenrennen um zu knappe Ressourcen für diejenigen, die am meisten brauchen.

Das gilt auch für die Talentschulen, wo mit 60 Schulen medienwirksam inszeniert wird, was doch eigentlich Standard für alle Kinder sein sollte. Alle Schulen in Nordrhein-Westfalen sollten doch Talentschulen sein. Zukunftschancen unabhängig von Herkunft, Elternhaus und Postleitzahl sollten sich doch nicht auf 60 medienwirksame Leuchttürme beschränken.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Henning Höne [FDP]: Es soll gar nicht dabei bleiben! Das wissen Sie ja auch!)

Was Sie mit Ihrer von sich selbst immer ausgiebig gelobten Bildungspolitik betreiben, ist doch schlicht bildungspolitischer Etikettenschwindel.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Herr Höne, jetzt sagen Sie mir doch nicht, dass es nur 60 Schulen in diesem Land gibt, die besondere Bedarfe haben, und der Rest sich in reichen Vororten befindet. Das ist doch Unsinn, was Sie hier erzählen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist einfach bildungspolitischer Etikettenschwindel, den Sie hier betreiben.

(Weiterer Zuruf von Henning Höne [FDP])

– Schreien Sie ruhig weiter! – Zusätzlich kommt doch noch dazu, dass Sie dieses System auf Verschleiß fahren. Gegenüber dem Haushalts- und Finanzausschuss musste das Schulministerium doch unlängst einräumen, dass noch immer 6.848 Stellen unbesetzt sind.

(Henning Höne [FDP]: Frau Löhrmann hat die Bedarfsprognose gemacht!)

Von den versprochenen Schulverwaltungsassistenzen kommt bei den Schulen kaum etwas an. Mehr als 80 % der Stellen sind unbesetzt. Herr Höne, ist das die weltbeste Bildung, von der Sie im Wahlkampf geredet haben?

(Beifall von den GRÜNEN – Henning Höne [FDP]: Das ist um Welten besser als bei Frau Löhrmann! So viel steht fest!)

– Das werden die Wählerinnen und Wähler am Ende entscheiden. Ich glaube aber nicht, dass das Chaos, was Sie in der Pandemie angerichtet haben, dass die Baustellen, die Sie hinterlassen, irgendjemanden dazu bringen werden, zu sagen, dass das auch nur ein kleiner Schritt auf dem Weg Richtung weltbeste Bildung gewesen sei, Herr Kollege.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von Christof Rasche [FDP], Henning Höne [FDP] und Ralph Bombis [FDP])

Dann noch der große Streitpunkt A13. Dieses Versprechen hat die Landesregierung auch mit dem aktuellen Haushaltsentwurf nicht eingelöst. Sie haben ja die Chance, mit einem Änderungsantrag da vielleicht noch nachzuarbeiten. Aber ganz ehrlich: Wertschätzung und Anerkennung sehen doch ganz gewiss anders aus, als Dinge zu versprechen, sie dann zu verschleppen und am Ende nicht einzuhalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, beim Thema „Wertschätzung“ ist die Landesregierung sich offensichtlich meist selbst am nächsten. Noch im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, den öffentlichen Dienst zu stärken und eine Attraktivitätsoffensive für den öffentlichen Dienst ins Leben zu rufen.

(Bodo Löttgen [CDU]: 4,5 Milliarden!)

– Das könnten Sie ja noch mal erläutern, Herr Löttgen. – Doch der Arbeitsprozess mit den Gewerkschaften – und das melden die Gewerkschaften doch geprägt von tiefer Enttäuschung zurück – ist gescheitert. Vorschläge seitens der Gewerkschaften und Verbände hat diese Landesregierung ignoriert. Von wertschätzender Kooperation auf Augenhöhe kann da doch keine Rede sein.

Das, sehr geehrter Herr Kollege Löttgen, aber auch sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ist nicht nur schlecht im Sinne des Vorhabens der Attraktivitätssteigerung, das ist vor allem ein ganz schlechtes Signal an die Menschen im öffentlichen Dienst.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dabei steht doch außer Frage, dass der öffentliche Dienst das Rückgrat eines funktionsfähigen Staates ist. Das haben wir doch gerade in der Coronakrise, aber auch bei der Bewältigung der Hochwasserkatastrophe einmal mehr gesehen. Es hat sich gezeigt, wie wichtig ein gut funktionierender und gut ausgestatteter öffentlicher Dienst ist. Derzeit sind allerdings 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst unbesetzt. Der öffentliche Dienst darf nicht zu einem Sparschwein des Finanzministers werden, weil diese Regierung es versäumt hat, den Worten zur Stärkung des öffentlichen Dienstes und zum Abbau des Fachkräftemangels auch tatsächlich Taten folgen zu lassen.

Auch beim Thema „Gleichstellung“ – mir persönlich ja ein absolutes Herzensanliegen – ist diese Landesregierung leider ein Totalausfall. Ministerin Scharrenbach hat zwar angekündigt, der Förderung der Gleichstellung Priorität einzuräumen – das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, wenn man mal die Verfassung dieses Landes liest –, und angekündigt, der Förderung der Gleichstellung auch im öffentlichen Dienst Priorität einzuräumen. Der öffentliche Dienst ist für Frauen ein attraktiver Arbeitgeber; allerdings sehen sie sich, je höher die Karriereleiter steigt, auch mit der Tatsache konfrontiert, dass der öffentliche Dienst ganz offensichtlich Frauen nicht so attraktiv findet.

Was haben wir politisch erlebt zur Steigerung der Gleichberechtigung auch im öffentlichen Dienst? – Die schwarz-gelbe Koalition hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen im Jahr 2017 der Quotenregelung im Dienstrecht den Garaus gemacht.

(Ralf Witzel [FDP]: Richtig! Um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen!)

– Ja, Herr Witzel, ich weiß. Das war Ihnen ein persönliches Herzensanliegen. Das ist aber eine schlechte Nachricht für den öffentlichen Dienst und eine schlechte Nachricht für die Gleichstellung in diesem Land.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Was eine gute Nachricht hätte sein können, nicht einfach nur etwas kaputtzumachen, sondern das, was man versprochen hat und wieder groß angekündigt hat, vielleicht auch mit Taten zu hinterlegen: Sie haben ein Gesetz für Chancengerechtigkeit und Vielfalt angekündigt. Es sollte ein Diversity-Management in der Landesverwaltung implementiert werden. Das waren alles tolle Schlagworte. Allerdings: Nach der Präsentation des Koalitionsvertrages hat man nie wieder etwas davon gehört.

Das ist schade, denn ein moderner öffentlicher Dienst braucht eigentlich eine Landesregierung, die die Herausforderungen angeht, die aber auch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärkt, sie auch will und auch beispielsweise die angekündigte Digitalisierung schneller vorantreibt. Wir müssen aber feststellen: Als Partner und Modernisierer des öffentlichen Dienstes hat diese Landesregierung versagt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie hat sich auch nicht als verlässlicher Partner der Kommunen erwiesen. Ein handlungsfähiger Staat braucht einen starken öffentlichen Dienst, aber vor allem beginnt ein handlungsfähiger Staat in den Kommunen. Altschulden, Coronakosten und Investitionsstaus stellen jedoch die Kommunen vor große Probleme, die sich immer weiter aufaddieren, weil diese Landesregierung die versprochene Lösung der Altschuldenproblematik schuldig geblieben ist.

Auch jetzt hat der Ministerpräsident wieder nur mit dem Finger nach Berlin gezeigt, anstatt selber Perspektiven aufzuzeigen, wie diese Landesregierung den Kommunen wirklich auch strukturell helfen will.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Denn im Rahmen der Haushaltsanhörung warnten die kommunalen Spitzenverbände eindringlich davor, was passiert, wenn die versprochenen kommunalen Kredithilfen nicht kommen. Dann stehen die Kommunen vor einer Situation, die ihre Handlungsfähigkeit zu gefährden droht.

Mit dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ und teils harten Sanierungskursen mithilfe des Landes wurde auf Betreiben der rot-grünen Landesregierung seinerzeit ein Konsolidierungskurs eingeschlagen, der angesichts des nun auslaufenden Stärkungspaktes – auch dafür haben Sie ja keine Anschlusslösung präsentiert – und der zusätzlichen Belastungen ohne zusätzliche Hilfen des Landes nun zunichte gemacht zu werden droht. Das ist eine desaströse kommunalpolitische Bilanz dieser Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

In eben dieser Haushaltsanhörung brachte es die DGB-Vorsitzende von Nordrhein-Westfalen Anja Weber auf den Punkt, denn sie hat es zusammengefasst:

„Wenn die Kommunen bislang ganz gut durch die Krise gekommen sind, dann hat das ganz viel mit der Entlastung vom Bund bei den Kosten der Unterkunft zu tun. Ansonsten wären wir hier im großen Drama.“

Das heißt, der Bund hat an seiner Stellschraube geliefert. Und das Land? – Tja. Worauf können die Kommunen da seitens dieser Landesregierung wohl noch hoffen? Auf Entlastung, Unterstützung? Ich appelliere jedenfalls ganz eindringlich an Sie, Herr Ministerpräsident: Lassen Sie die Kommunen nicht weiter Richtung Drama steuern. Verstecken Sie sich nicht weiter hinter notwendigen strukturellen Entlastungen des Bundes, sondern liefern Sie endlich eine Antwort auf die Altschuldenproblematik!

(Beifall von den GRÜNEN und Carina Gödecke [SPD])

Denn von der Handlungsfähigkeit unserer Kommunen hängt es doch nicht zuletzt ab, ob wir die Zukunftsaufgaben und Herausforderungen wie Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt gelöst bekommen.

Aber auch die akute Krisenbewältigung im Zusammenhang mit der Pandemie oder der Hochwasserkatastrophe hängt von starken Kommunen und einem starken öffentlichen Dienst ab. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie dort mehr tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren! „Weil Du zählst.“ heißt die neue Kampagne der CDU, die keine 24 Stunden nach der Wahl von Hendrik Wüst zum Ministerpräsidenten präsentiert wurde. Vielleicht ist das der neue Zauber, dass man nun Menschen duzt statt siezt. Aber wenn es sich darin erschöpft – nun ja, ich habe das gar nicht zu beurteilen und zu entscheiden.

„Weil Du zählst.“ ist eigentlich ein schöner Kampagnentitel. Der Ministerpräsident hat seinen Regierungsstil im Grunde genommen überschrieben mit: mehr Kommunikation wagen, auf die Menschen zugehen, aber auch auf die Opposition zugehen und tatsächlich im Gespräch sein. Davon war in dieser Regierungserklärung nicht ganz so viel zu merken. Aber wir nehmen das einmal als Grundannahme. Ein solcher neuer Regierungsstil, der mehr Kommunikation oder überhaupt Kommunikation wagt, wäre auch bitter nötig; denn nicht zuletzt in der Coronakrise haben wir doch gesehen, wie wichtig gute Kommunikation ist und wie wenig diese Landesregierung diese bislang praktiziert hat.

Gerade Kinder und Jugendliche haben sich in der Coronakrise nicht gesehen, haben sich nicht gehört und bei politischen Entscheidungen nicht berücksichtigt gefühlt. Sie haben nicht das Gefühl gehabt, dass auch sie zählen. Aber es hat Folgen, wenn junge Menschen das Gefühl haben, es würde nur über sie, nicht jedoch mit ihnen gesprochen, ihre Expertise als Expertinnen und Experten in eigener Sache und ihre Erfahrungen hätten überhaupt keinen Wert, nicht in der politischen Debatte und auch nicht für politische Entscheidungen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich in der jüngeren Generation ein Gefühl der politischen Ohnmacht ausbreitet; denn sie sind Gegenwart und Zukunft unserer Demokratie.

Unsere Demokratie lebt von Teilhabe. Sie lebt von Beteiligung, und sie lebt auch von Repräsentanz. Wenn wirklich alle zählen, dann hätte ich da eine Wunschliste hinsichtlich dessen, was wir machen könnten, um dieser Phrase auch wirklich Leben einzuhauchen. Warum senken wir nicht das Wahlalter auf 16 ab, damit die Perspektive junger Menschen tatsächlich zählt, damit sie auch zählbar wird im politischen Geschäft?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Warum sprechen wir in einem Einwanderungsland, in einem so vielfältigen Land wie Nordrhein-Westfalen dann nicht über ein kommunales Wahlrecht für alle Menschen, die hier leben?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Und warum sorgen wir nicht endlich gemeinsam für Parität in diesem Parlament? Dafür braucht es offensichtlich gesetzliche Leitplanken. Warum bringen wir das nicht gemeinsam auf den Weg?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nun muss man leider feststellen, dass den Worten „Weil Du zählst.“ im politischen Handeln der CDU oftmals nicht viel folgt; denn die Dinge, die ich gerade beschrieben habe, die die Vielfalt unseres Landes abbilden würden, die für eine neue Kommunikation stehen würden, auch für eine neue politische Kultur, sind bislang zumeist an der CDU gescheitert.

In der letzten Woche haben wir 25 Jahre Landesintegrationsrat hier im Haus gefeiert. Beim Jugend-Landtag kamen hier viele junge Menschen zusammen, um über die aktuellen politischen Themen zu diskutieren. Sie haben über Rassismus diskutiert. Sie haben über die Digitalisierung bei der Bildung diskutiert. Sie haben über das aktuelle Versammlungsgesetz diskutiert. Was allerdings dem Ganzen ein bisschen die Spitze bricht, ist die Tatsache, ob das, was diese jungen Menschen hier engagiert und detailliert diskutiert haben, überhaupt Eingang in die Politik dieses Hauses findet. Das hängt nicht davon ab, was sie hier diskutiert haben, sondern das hängt davon ab, in welcher Art und Weise dieses Hohe Haus die Dinge des Jugend-Landtags überhaupt zur Kenntnis nimmt.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

– Nein, Herr Kollege Hafke, für ein Jugendparlament bin ich an der Stelle nicht; denn Demokratie lebt davon, dass man sie auch lebt. Junge Menschen sollen Demokratie vor allem bei sich vor Ort, in den Schulen, in den unterschiedlichsten Partizipationsformen leben können. Wie soll ein Landesjugendparlament, das möglicherweise nur 199 Abgeordnete hätte, die vielen Millionen Kinder und Jugendlichen und ihre Interessen in Nordrhein-Westfalen ernsthaft abbilden?

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Vor allem war der größte Treppenwitz bei der Art und Weise, wie Sie Ihr Jugendparlament auf den Weg gebracht haben: Sie haben mit den Kindern und Jugendlichen gar nicht gesprochen. Sie haben auch nicht mit den Jugendverbänden gesprochen, sondern Sie haben einfach einen Antrag auf den Weg gebracht, der Beteiligung suggerieren soll, obwohl darin keine Beteiligung im Erarbeitungsprozess enthalten war.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist dann die Art und Weise, wie die CDU und auch die FDP alle mitnehmen möchten. Da ist das neue Motto: „Weil Du zählst.“, aber am Ende wird doch keiner gefragt. Das ist schade; denn im Grunde genommen wäre es an der Zeit, dass die Vielfalt unseres Landes nicht nur zu Gast in diesem Hohen Haus ist, sondern dass sie sich auch endlich in seinen Wahlberechtigten sowie in seinen Mitgliedern ausdrückt.

Das würde ich mir wünschen, auch weil der Ministerpräsident seine Rede eingeleitet hat mit den unterschiedlichen Menschen, die Nordrhein-Westfalen ausmachen, unter anderem der 17-jährigen Charlotte, von der Sie in Ihrer Rede gesprochen haben. Vielleicht war auch sie in der letzten Woche hier beim Jugend-Landtag. Nur wählen darf sie leider nicht. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass die Menschen, die Sie beschrieben haben, dass die Menschen, die die Vielfalt unseres Landes ausmachen, bei der Gestaltung unseres Landes wirklich mitreden können, also ein Wahlrecht haben und paritätisch in diesem Haus vertreten sind.

(Beifall von den GRÜNEN und Carina Gödecke [SPD])

Ihre Regierungserklärung war davon geprägt, Herr Ministerpräsident, dass Sie scheinbar von der eigenen Regierung und dem eigenen Regieren ganz verzaubert sind. Ihre Rede zum vermeintlichen Aufbruch war vielmehr eine verklärte Regierungsbilanz zum Ende einer Legislaturperiode, die wenig Zauber und noch weniger Aufbruch verbreitet hat. Die Frage ist, ob die Zeit dieser Regierung, auf die Sie so eine breite Rückschau gehalten haben, in eine Verlängerung geht oder ob Ihre Landesregierung doch nur eine Landesregierung des Übergangs mit wenig Zauber und wenig Perspektive sein wird.

Auf jeden Fall müssen wir heute feststellen – so viel ist mit dieser Regierungserklärung heute klar geworden, Herr Ministerpräsident –: Einen neuen Zauber, wie Sie das vielleicht suggerieren wollen, wird es mit einem neuen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst für Nordrhein-Westfalen nicht geben. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)