Arndt Klocke: „Wir wollen kein Gesetz, das unter der Latte durchspringt, die Aufbruch Fahrrad uns allen gelegt hat“

Der Grüne Gesetzentwurf

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Grundsätzlich gilt: Heute ist ein wichtiger Tag hier im Parlament, weil das größte Bundesland ein Fahrradgesetz bekommt. Die Lesung, die wir heute vor uns haben, ist ein wichtiger Schritt nach vorne.

Sie wissen aber auch – das ist bei der Rede des Kollegen Voussem so gar nicht angeklungen, der Kollege Reuter hat es eben ein bisschen freundlich durchblicken lassen –, dass es bei den Initiativen, die den Radvolksentscheid auf den Weg gebracht und über 200.000 Unterschriften gesammelt haben, eine große Unzufriedenheit über das, was Sie konkret vorgelegt haben, gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen ist es begrüßenswert, dass Sie Gespräche führen. Ich bin sicher, dass Sie diese höflich und freundlich geführt haben. Aber die Kolleginnen und Kollegen aus den Volksinitiativen sind ja nicht zum Kuchenessen und Kaffeetrinken hierhin gekommen, vielmehr wollen sie reale Veränderungen im Land.

Die freundlichen Gespräche haben also offensichtlich keine Frucht getragen. Der vorliegende Gesetzentwurf und der Änderungsantrag, den Sie heute vorgelegt haben, können nicht darüber hinwegtäuschen. Es ist eine kleine Nachjustierung, die man vornehmen kann.

Es gibt neun Forderungen, die Aufbruch Fahrrad fokussiert und herausgestellt hat, für die in wenigen Monaten über 200.000 geprüfte Unterschriften zustande gekommen und vorgelegt worden sind. Diese neun Forderungen finden sich in dem von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf an keiner Stelle wieder.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist einfach Fakt und nicht eine Behauptung des grünen Oppositionspolitikers.

Ich zitiere aus der Anhörung, die wir durchgeführt haben. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich Dr. Ute Symanski, Initiatorin von Aufbruch Fahrrad und RADKOMM:

„Trotz aller Mühe, Arbeit und Zeit, die darin stecken, erscheint uns der bisherige Gesetzentwurf“

der Landesregierung wirklich

„Symbolpolitik, weil er keinen Wumms hat; wir brauchen mehr.“

Weiter führt sie aus, keine der neun Forderungen sei wirklich im Gesetz verankert worden – weder die Jahreszahl noch die anderen Forderungen.

„Wir sehen einfach nicht, dass unsere sehr konkreten und mit Zahlen hinterlegten Forderungen in irgendeiner Form aufgenommen worden wären.“

Das sagte hier im Plenarsaal Ute Symanski, Initiatorin von Aufbruch Fahrrad. Klarer kann man es doch nicht formulieren.

Dem Volksentscheid haben wir uns ja angeschlossen. Im Dezember 2019 haben dem bei einer Abstimmung hier im Parlament alle demokratischen Fraktionen zugestimmt. Sie setzen es aber nicht um. Wenn dann diejenige befragt wird, die den Volksentscheid mit auf den Weg gebracht hat, und hier im Plenarsaal in der Anhörung sagt, dass keine der neun Forderungen im Gesetz zu finden sei, finde ich: Eine klarere Ohrfeige kann es für den Gesetzentwurf der Landesregierung wirklich nicht geben, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.

(Beifall von den GRÜNEN, Carsten Löcker [SPD] und André Stinka [SPD])

Annette Quaedvlieg vom ADFC, ebenfalls Mitinitiatorin des Volksentscheids, hat in der gleichen Anhörung gesagt:

Der Gesetzentwurf beantwortet insbesondere bei der Radinfrastruktur die entscheidende Frage nicht: Wann wird es unter welchen Bedingungen und mit welchen Normen und in welchem Zeitrahmen mehr Radverkehr in Nordrhein-Westfalen geben, und was wird unternommen, um den Radverkehr weiter zu fördern?

Das sagt Frau Quaedvlieg vom ADFC. Auch das ist eine klare Stellungnahme.

Ich finde, mit nur einem Satz zusammengefasst hat es – ich habe jetzt genug Zitate gebracht – Martin Tönnes, über viele Jahre Chefplaner beim Regionalverband Ruhr für den Radschnellweg RS1, auf den Punkt gebracht. Er sagte:

„In der Planungspraxis schreibt der Gesetzentwurf der Landesregierung vor, was schon Regierungshandeln ist – mehr nicht.“

So ist einfach der Sachverhalt. Sie haben ein Gesetz geschrieben, mit dem Sie das festschreiben, was Sie sowieso schon machen. Das kann man natürlich tun, aber das ist nicht das, was die Volksinitiative gefordert hat.

(Beifall von den GRÜNEN, Carsten Löcker [SPD] und André Stinka [SPD])

Eben ist von Uli Reuter erwähnt worden, was Sie jedes Jahr in den Haushalt stellen. Die Bemerkung fand ich mutig, weil ich schon in der letzten Verkehrsausschusssitzung auf die sehr konkreten Zahlen hingewiesen habe. Das alles will ich Ihnen jetzt nicht noch einmal vortragen, das habe ich beim letzten Mal schon gemacht.

In den Jahren 2018, 2019 und 2020 wurde weniger als die Hälfte dessen, was an Mitteln für den Radwegebau an Landesstraßen und die Nahmobilitätsförderung in den Haushalt eingestellt wurde, verausgabt. Es ist wunderbar, dass Sie da große Haushaltstitel einsetzen. Das sieht schön aus. Das ist wie ein verpacktes Geschenk zu Weihnachten. Wenn man es dann aber auspackt, ist nichts drin.

Die Leute interessieren sich doch dafür, was konkret an Radwegen in diesem Land gebaut wird, was neu in Betrieb genommen wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Die Leute interessieren sich nicht dafür, ob es nun 12 Millionen Euro, 18 Millionen Euro oder 21 Millionen Euro sind. Es kommt darauf an …

(Zurufe von Bodo Löttgen [CDU] und Ulrich Reuter [FDP] – Carsten Löcker [SPD]: Die Radwege bauen Sie doch gar nicht!)

– Na ja. Bodo Löttgen, jetzt bringe ich mal ein altes Kohl-Zitat: Es kommt darauf an, was hinten rauskommt. – Und hinten raus kommen zu wenig Radwege. Das ist in Nordrhein-Westfalen eine Tatsache.

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch einmal zurück zum Gesetzentwurf der Landesregierung: Ich möchte unsere Kritik an drei Punkten festmachen. Ich habe breit ausgeführt, was die Öffentlichkeit darüber denkt. Es war daher ein mutiger Satz von dem Kollegen Voussem, der im Ausschuss, glaube ich, sagte, dass ein Großteil der Anzuhörenden zugestimmt hat. Eben war es nur noch die Mehrheit.

Erster klarer Kritikpunkt: Es gibt im Gesetzentwurf der Landesregierung keine Definition, was zur Radinfrastruktur gehört, wie Radschnellwegeverbindungen definiert werden, was Radvorrangrouten sind und wie sie zu fördern sind.

Zweiter wichtiger Punkt: Es gibt keine konkreten Anforderungen für Radverkehrsanlagen, also dazu, wie sie geführt werden sollen, wie Überholvorgänge organisiert werden, über die zugelassene Breite etc.

Der dritte Punkt betrifft den Bedarfsplan. Da wird nur sehr allgemein über den Bau von neuen Radschnellwegeverbindungen geredet, aber nicht konkret.

Zum Abschluss an die SPD gerichtet: Ich war ja überrascht, dass ihr sagt, der Gesetzentwurf der Grünen geht nicht weit genug, also dass ihr uns mit dem Fahrrad noch überholt. Ich bin schwer beeindruckt. Aber es ist wie so oft in der Politik: Die Vernunft liegt in der Mitte. Wenn die SPD allerdings noch ein bisschen Rückenwind dazugibt, dann freut mich das durchaus.

(Zuruf von der SPD: Sie haben überhaupt keine Zahlen genannt!)

Wir haben in unserem Gesetzentwurf eine klare Verpflichtung für die Kommunen verankert, was die Umsetzung von Radwegeprojekten angeht. Wir wollen sie nicht nur verpflichten, sondern wir geben ihnen Personal und Geld, damit Jahr für Jahr gebaut werden kann.

Ferner wird es einen Radwegebedarfsplan geben. Analog zum Straßenbauplan wird es einen Landesradwegebedarfsplan geben. Für die Mitglieder des Verkehrsausschusses der nächsten Legislaturperiode werden alljährlich nicht nur alle Straßenprojekte aufgeführt, die in der Realisierung sind, sondern auch die Fahrradwege. Dann wird jedes Jahr konkret kontrolliert und nachgehalten, was real gebaut worden ist. Das ist doch ein vernünftiger Vorschlag.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es müsste doch eigentlich auch die Unterstützung der noch amtierenden Regierung bekommen, dass man jedes Jahr kontrollieren kann, was von dem Geld, das zur Verfügung gestellt wird, real verbaut wird.

Damit das Gesetz umgesetzt wird – noch einmal zurückkommend auf die Bemerkung von Uli Reuter zu den Gesprächen –, wollen wir einen Fachbeirat Radverkehr einrichten. Der Verkehrsausschuss des Landtages soll mit diesem Fachbeirat und mit dem Ministerium kontinuierlich sprechen und die entsprechenden Projekte durchgehen, also die Realisierung und die Umsetzung kontrollieren. Wir wollen nicht nur Kaffee-und-Kuchen-Gespräche mit Aufbruch Fahrrad oder mit RADKOMM haben, sondern wir wollen sie kontinuierlich an der Umsetzung des Gesetzes beteiligen.

Ich finde, das alles sind relevante Punkte, die für unseren Gesetzentwurf sprechen. Ich befürchte allerdings, dass gleich nur meine Fraktion zustimmen wird.

Ich kann Ihnen versprechen, dies wird ein wichtiges Thema im Landtagswahlkampf sein. Je nach Wahlausgang werden wir die Punkte, die wir hier festgelegt haben, in Koalitionsgesprächen zur Verbesserung des künftig zu beschließenden Gesetzes einbringen.

Wir wollen ein Fahrradgesetz mit Biss. Wir wollen kein Gesetz, das unter der Latte durchspringt, die Aufbruch Fahrrad uns allen gelegt hat. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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