Mehrdad Mostofizadeh: „Wenn wir in dem Tempo weiterimpfen, wie es bisher passiert ist, sind wir in 50 Wochen noch nicht fertig“

Zum Antrag der SPD-Fraktion auf eine Aktuelle Stunde zur schulischen Maskenpflicht

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich nenne einige Zahlen: Am 3. November 2020 lag die Inzidenz in Deutschland bei 124,2, am 3. November 2021 bei 146,6. Am 3. November 2020 lagen 2.388 Personen auf den Intensivstationen, in diesem Jahr sind es 2.226 Personen. In den sieben Tagen vor dem 3. November 2020 sind 563 Personen verstorben, in diesem Jahr sind es 668 Personen. – Das ist ein Tweet von „Quarks“ von gestern Abend.

(Zuruf von der FDP)

Ich meine, dass das deutlich macht, in welcher Situation wir uns im Moment befinden. Ich möchte die Argumente, die die Kolleginnen gebracht haben, einfach mal wörtlich nehmen.

Frau Kollegin Müller-Rech, Sie haben hier gesagt: Die Kinder infizieren sich zwar, aber es gibt keine schweren Verläufe. Dann frage ich mich schon, Frau Schulministerin Gebauer: Warum testen Sie die Kinder dann überhaupt? Warum machen Sie Quarantäneanordnungen, wenn alles nicht so schlimm ist?

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Warum machen Sie dann den ganzen Aufwand? Diese Form der Durchseuchungsstrategie, die Sie hier am Pult vorgetragen haben, ist doch nicht normal, Frau Kollegin Müller-Rech.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da ich die Ehre habe, im Unterausschuss Pandemie, in dem Begleitgremium, zu sitzen, kann ich Ihnen zwei Mitteilungen machen, die auch Frau Kollegin Schneider sicherlich nicht bestreiten wird. Es gibt zwei wesentliche Punkte, die wir dort festgestellt haben.

Ein wichtiger Punkt ist die Kommunikation, die sehr zentral in dieser Pandemie ist. Es ist nicht nur die einzelne Maßnahme. Das, was jetzt passiert, macht mir als Gesundheitspolitiker wirklich große Sorgen. Insbesondere befeuert von der FDP – das muss ich an der Stelle sehr deutlich sagen – wird hier eine Kommunikation an den Tag gelegt, deretwegen sich das Gesundheitsministerium offensichtlich sehr streiten muss: Die Pandemie läuft dem Ende zu. Es ist alles nicht mehr so schlimm. Wir haben keine saisonalen Effekte, die Infektionen in den Krankenhäusern sind nicht mehr so schlimm.

(Zuruf: Das ist Unsinn!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das Gegenteil ist wahr! Sie machen sich schuldig an denjenigen, die sich jetzt infizieren werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Ralph Bombis [FDP]: Jetzt reicht es aber! – Zurufe von Franziska Müller-Rech [FDP] und Gordan Dudas [SPD] – Weitere Zurufe von Ralph Bombis [FDP] – Unruhe – Glocke)

Ich sage an der Stelle sehr deutlich, so laut Sie auch schreien mögen: Wir werden in drei Wochen hier …

(Fortgesetzt Zurufe von Ralph Bombis [FDP] – Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Bombis, ich habe Sie im Begleitgremium noch gar nicht gesehen! – Weitere Zurufe von Franziska Müller-Rech [FDP])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Präsident hat eben schon daran erinnert, dass wir hier Spielregeln haben. Wir befinden uns in der Aktuellen Stunde …

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

– Sie werden doch jetzt nicht auch noch mich als sitzungsleitende Präsidentin anbrüllen wollen? Die Spielregeln bedeuten …

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)

– Ich wäre an Ihrer Stelle jetzt etwas vorsichtig, weil es hier wirklich Regeln gibt, die wir einhalten, und die besagen, dass wir in der Aktuellen Stunde, insbesondere in den Runden, in denen die Fraktionen noch Redezeit haben, sehr genau auf Wort und Widerwort bzw. die Auseinandersetzung mittels des Wortes achten.

In einer so wichtigen und kontrovers geführten Debatte, bei solch einer Fragestellung brüllen wir uns nicht an, als ob wir uns nicht benehmen könnten. Die Argumente dürfen ausgetauscht werden, auch hart ausgetauscht werden, gar keine Frage. Es dürfen auch unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen, aber bitte im Rahmen einer einigermaßen sachlich geführten, strukturierten Debatte.

Herr Kollege Mostofizadeh hat jetzt das Wort. Selbstverständlich bekommen Sie die Redezeit, die ich verbraucht habe, zusätzlich.

(Beifall von der SPD)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe davon aus, dass hier in nur wenigen Wochen aufgrund der steigenden Inzidenzen deutlich einschneidendere Coronaschutzmaßnahmen angeordnet werden müssen.

(Zuruf von der CDU: Ach, Gott!)

Das wird keine schöne Aufgabe für das Gesundheitsministerium sein. Auch dieses Parlament wird das beschließen müssen, denn wir wissen alle, dass es die pandemische Lage auf Bundesebene nicht mehr geben wird, und die in Nordrhein Westfalen …

(Zuruf von StS Nathanael Liminski [Chef der Staatskanzlei])

– Sie sind zwar gar nicht redeberechtigt, aber ich rufe es Ihnen trotzdem zu, Herr Staatssekretär. FDP und CDU haben die pandemische Lage in Nordrhein-Westfalen schon längst sehr klar für beendet erklärt, was die juristische Seite betrifft.

Nach vorne geblickt fehlt das Gesamtkonzept. Das hat Frau Gebauer gesagt, bzw. sie verweist darauf, dass sie an einem Gesamtkonzept arbeiten würde.

Ich sage Ihnen sehr deutlich, was fehlt:

Ich sehe keine Vorbereitung auf die Booster-Impfungen für Lehrerinnen und Lehrer, die Sie angesprochen haben. Ich sehe auch kein Konzept dafür, wie sie durchgeführt werden sollen. Das hätte schon vor zwei Monaten gemacht werden müssen. Das geht ganz klar an die Adresse dieser Landesregierung.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Es hätte auch eine Teststruktur in ganz Nordrhein-Westfalen aufrechterhalten werden müssen, damit am Arbeitsplatz, in der Uni und im öffentlichen Raum getestet werden kann,

(Helmut Seifen [AfD]: Kostenlos!)

und zwar – ganz wichtig und auch nach vorne gedacht – selbstverständlich kostenlos. Diese bricht aber gerade zusammen. Wir haben im Moment nicht mal mehr ein Fünfzigstel an Testungen im Vergleich dazu, wie es noch vor vier Monaten der Fall war.

Ein weiterer Schritt nach vorne betrifft das Thema „Booster-Impfungen“. Warum haben das Gesundheitsministerium und die Landesregierung nicht dafür gesorgt, dass wir jetzt auf einem Stand sind, von dem aus die vulnerablen Gruppen – also Ü70 und die Vorerkrankten – bereits in den nächsten zwei Wochen geimpft werden können? Wenn wir in dem Tempo weiterimpfen, wie es bisher passiert ist, sind wir in 50 Wochen noch nicht fertig.

Ich komme zurück auf die Maskenpflicht in den Schulen. Die Kinder sind tatsächlich wieder Opfer einer Gesamtproblematik. Das gestehe ich ausdrücklich zu. Ich kann Ihnen nur sagen: Allein heute Morgen haben sich mehrere unserer Mitarbeiterinnen abmelden müssen, weil von den Gesundheitsämtern Quarantäneanordnungen für Kontaktpersonen in Schulen ausgesprochen wurden.

Die Gesundheitsämter sind viel weiter, als es die Schulministerin hier suggeriert. Die Gesundheitsämter haben die schwierige Aufgabe, genau diese Fehler der Landesregierung ausbessern zu müssen und eigene Entscheidungen zu treffen.

Frau Kollegin Vogt, eines möchte ich Ihnen zurufen: Sie sind nicht dafür, dass Menschen, die 17 Jahre alt sind, in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland wählen können. Aber sechsjährige Kinder sollen darüber entscheiden, wie sie ihren Schulalltag gestalten? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Frau Kollegin.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich kann Ihnen zum Abschluss nur sagen: Liebe Landesregierung, legen Sie alsbald ein umfassendes Schutzkonzept für die Bevölkerung vor. Bauen Sie die Strukturen auf. Sorgen Sie für Impfungen, und sorgen Sie dafür, dass wir gut durch den Winter kommen; denn das ist unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)