Mehrdad Mostofizadeh: „Das zeigt absolute Hilflosigkeit und ist der Sache letztlich nicht angemessen“

Zum Aktuellen Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zu kommunalen Impfangeboten

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag der SPD gelesen haben, habe ich auch gedacht: Naja, ein relativ begrenztes Thema. Aber als ich mir dann die Antwort der Landesregierung, warum man kein Geld für die Impfbusse herausgeben darf, durchgelesen habe, habe ich mir gedacht … – Ich werde jetzt nicht zitieren, was ich mir gedacht habe, ich werde es mit „Unsinn“ vorsichtig umschreiben, was da als Begründung genannt wurde. Nach dieser Begründung, man würde Druck dadurch ausüben, dass man den Kommunen die Fahrtkosten für die Fahrt zum Impfzentrum erstattet, frage ich mich: Warum haben Sie so viel Druck ausgeübt, dass Sie ein Impfzentrum mit bezahlen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Warum üben Sie Druck aus, lieber Herr Minister, wenn es darum geht, Abfragen am Arbeitsplatz möglich zu machen? Warum haben Sie sich nicht dagegen gestellt, dass in Kolonne in den Krankenhäusern geimpft wird? Warum haben Sie sogar aktiv, was wir sehr begrüßt haben und weiterhin für richtig halten, in den Pflegeheimen das Impfen nach vorne gebracht? – Da wurde doch massiver Gruppendruck ausgeübt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese Begründung der Landesregierung ist gelinde gesagt an den Haaren herbeigezogen und zeugt davon, dass Sie es anscheinend an manchen Stellen nicht im Griff haben, Herr Minister Laumann.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Gestern hat die Kollegin Schneider hier ausgeführt, in Dänemark seien sie beim Impfen 8 bis 10 % weiter. Ich will noch einmal betonen, dass das die schwierigen 8 % sind.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das sage ich doch!)

Die einfachen waren die bis 50, 60 %. Jetzt sind wir in den schwierigen Bereichen angekommen. Deswegen gilt es, Konzepte zu erstellen und darüber nachzudenken, wie man es machen will. Natürlich kann man sich darüber unterhalten, ob das Land die Fahrtkosten erstatten soll. Aber die CDU macht wieder das Gleiche wie immer. Sie sagt nicht, was zu tun ist, sondern was schlecht ist.

Im Übrigen würde ich Ihnen empfehlen, und da richte ich mich unter anderem an den Kollegen Hovenjürgen als Generalsekretär: Diese Strategie hat im Bundestagswahlkampf nicht so ganz richtig verfangen, wenn wir uns die Umfragewerte Ihrer Partei an der Stelle ansehen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Insofern kann ich nur sagen: Ja, das Impfen ist jetzt ganz zentral.

Herr Minister, ich bin durchaus der Auffassung, dass wir ein Stückchen, wie Sie es genannt haben, „die Leute schubsen können“, dass wir durchaus ein wenig Druck ausüben können; denn es ist wahr, dass im Wesentlichen die Erwachsenen, die sich impfen lassen können, das größte Problem darstellen, weil sich die Kinder unter 12 nicht impfen lassen können. Wir haben da die höchsten Inzidenzen, und sie stecken sich nun mal auch bei Erwachsenen an.

Insofern kann ich nur sagen: Wir müssen tatsächlich alles dafür tun, dass die Menschen geimpft werden können. Die Konzepte liegen auf der Hand, die Konzepte heißen: Mehrsprachigkeit, vieles haben Sie uns selbst im Ausschuss auch dargelegt. Herr Hausmann, Ideenwettbewerbe wären doch durchaus ein Vorschlag, den Sie hier hätten machen können, Ideenwettbewerbe seitens des Landes hier auszuloben. Was ist denn Best Practice? Wo kann man voneinander lernen? Wie kann man in der kommunalen Familie das auch besser machen? Warum sagen Sie das denn nicht? Warum sagen Sie nicht einfach: bessere Konzepte!? – Nein, Sie stellen sich hin und sagen: Es übt Druck aus, wenn die Fahrtkosten für die Kommunen erstattet werden.

Das zeigt absolute Hilflosigkeit und ist der Sache letztlich nicht angemessen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will an der Stelle auch noch auf einen anderen Aspekt eingehen, wo ich so eine Parallele sehe, warum das nicht so richtig vorangeht. Wir haben Sie im Februar – also vor sieben Monaten – gefragt, wie es denn mit einem neuen Indikator im Rahmen der Pandemiebekämpfung aussieht. In Ihrer Antwort, datiert vom 19. Februar dieses Jahres, führen Sie breit aus, man schaue sich die Inzidenzen an, aber die Inzidenzen seien nicht allein notwendig, sondern man sehe sich auch die Krankenhausbelegung an, die Intensivbettenbelegung und verschiedene andere Funktionen. – Ich habe mir damals dazugeschrieben: Was heißt das jetzt?

Ich könnte das heute wieder tun. Was heißt das denn jetzt? Wo ist der Indikator, den diese Landesregierung zur Einführung von vernünftigen Schutzmaßnahmen vorschlägt? Warum sage ich das? Weil Impfen natürlich der eine Aspekt ist, der wichtig ist. Aber niedrigschwellige, möglichst niedrige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Menschen zur Verhinderung von dem, was Herr Wiehler gestern angekündigt hat, sind natürlich auch wichtig: zum Beispiel Maskentragen in Innenräumen für alle anzuordnen, Testungen auch für Geimpfte im Rahmen von Public-Health-Maßnahmen durchzuführen. Das sind ja alles Eingriffe, die so niedrigschwellig und so wenig belastend sind, dass man das doch ertragen kann. Das könnten Sie in ein Gesamtkonzept packen und dann auch sagen: Ja, wir meinen das nicht nur samstags, sondern wir meinen das an jedem Wochentag, und wir werden das hier konzeptionell auch durchführen.

Deswegen erwarte ich von der Landesregierung nicht nur eine Antwort auf die Frage, die die SPD hier gestellt hat, so wichtig und interessant sie auch sein mag, was die Fahrtkosten für die Schülerinnen und Schüler betrifft, sondern ich erwarte ein Gesamtkonzept, das ernst gemeint ist und das deutlich macht, dass Land und Kommunen Hand in Hand arbeiten, dass das Land und andere Partnerinnen und Partner, wie zum Beispiel die Wohlfahrtspflege, wie viele kommunale Akteurinnen und Akteure, wie viele Freiwillige, dort mit anpacken können. Das, Herr Kollege Hausmann, müsste uns beide doch verbinden. Sie haben doch eben auf die Ehrenamtlichen abgestellt. Dann geben Sie denen doch die Werkzeuge in die Hand,

(Wilhelm Hausmann [CDU]: Die haben doch Werkzeuge!)

unterstützen Sie die, machen Sie Ehrenamt tatkräftig und möglich, und hangeln Sie nicht an so albernen Geschichten herum, indem Sie sagen, es würde Druck ausüben, wenn man die Kosten für die Fahrt der Schülerinnen und Schüler zum Impfzentrum abdecken würde!

(Zuruf von Wilhelm Hausmann [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, wir brauchen Zug in dieser Frage, wir müssen vorankommen. Das Impfen muss vorangehen, wir müssen deutlich machen, dass wir alle der Meinung sind, soweit wir das demokratisch so sehen, dass das Impfen neben Schutzmaßnahmen, neben einem Gesamtkonzept eine der zentralen Säulen ist. Deswegen finde ich es unverständlich, wie Sie reagieren. Reagieren Sie mit guten Maßnahmen und Vorschlägen, dann werden Sie so eine Aktuelle Stunde nicht um die Ohren gehauen bekommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mich hat nicht der vorherige Wortbeitrag ans Pult getrieben, der steht für sich.

Ich möchte den Wortbeitrag von Herrn Minister Laumann aufgreifen. Ich teile nicht alle Aspekte, die Sie in Bezug auf Quarantäne und die Kostenübernahme genannt haben. Aber die Logik, die Sie angelegt haben, hat mir gefallen, also darüber nachzudenken, wer welches Risiko trägt, das mit den Grundrechtseinschränkungen abzuwägen und noch einmal systematisch durchzugehen. Das scheint mir nämlich ein bisschen verloren zu gehen.

Natürlich müssen wir an jeder Stelle abwägen, ob es noch gerechtfertigt ist, Masken zu tragen und Geimpfte und Ungeimpfte gleich zu behandeln. Auch ich bin der Meinung, dass man unvernünftig leben darf. Man darf rauchen, sich schlecht ernähren, verschiedene andere Dinge tun und wird trotzdem behandelt. Wenn das aber zum Beispiel dazu führt, dass andere in Mitleidenschaft gezogen werden, dann ist eine Grenze überschritten, an der die Liberalität in gewissem Maße aufhört. Darüber reden wir.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich tue mich schwer mit der Abfrage nach den Impfungen am Arbeitsplatz, tendiere aber dazu, sie zuzulassen. Sonst müssten wir schließlich alle Arbeitsstellen so ausstatten, als seien alle ungeimpft. Anders kann es vom Arbeitsschutz, von der Logik her nicht funktionieren.

Herr Minister, insofern lautet meine Bitte – dazu haben wir ja auch den Unterausschuss Pandemie –: Lassen Sie uns die Aspekte noch einmal systematisch durchgehen.

Ich habe die Pandemischen Leitlinien gestern kritisiert, weil ich finde, dass sie zu wenig Orientierung geben. Wir haben aber den Unterausschuss. Dort werden wir am 14.09. – der Vorsitzende hat dazu schon eingeladen – über den neuen Indikator diskutieren. Es gibt die Diskussion über die Frage nach den weiteren Grundrechtseingriffen, über 2G und 3G. Darüber muss wissenschaftlich fundiert und nicht ideologisch verbrämt gesprochen werden. Auch mitten im Bundestagswahlkampf ist das meine dringende Bitte.

In der Coronafrage gibt es in den Bundesländern noch ganz unterschiedliche Auffassungen über diese Punkte und mal hier, mal da Nuancen. Wir haben jetzt vor dem Winter aber ein paar entscheidende Weichen zu stellen.

Wir werden keine mit dem letzten Jahr vergleichbare Situation bekommen; das glaube auch ich nicht. Wir haben aber im Moment die Situation, dass insbesondere die kleinen Kinder extrem von dieser Pandemie betroffen sind. Meine These ist, dass das durchaus damit zusammenhängt, dass sich Erwachsene nicht impfen lassen und auch Abstandsregeln und andere Maßnahmen nicht einhalten. Vielleicht liege ich falsch. Ich glaube das aber nicht und denke vielmehr, dass das eine ganz wichtige These ist.

Deswegen lautet meine dringende Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam die richtigen, notwendigen, schnell ergreifbaren und wenig störenden Schutzmaßnahmen ergreifen und weniger aufgehetzt diskutieren. Das würde uns ein Stück weit nach vorne bringen.

In zwei Wochen ist der Bundestagswahlkampf vorbei. Dann kann es uns meines Erachtens gelingen, wichtige Maßnahmen zu ergreifen. Niemand hier im Haus ist schließlich der Meinung, dass Distanzunterricht klug ist, dass einschränkende Maßnahmen schön sind und dass die Tatsache, dass wir uns voneinander trennen müssen, schön ist. Manchmal ist das aber notwendig.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Ich habe noch einmal das Wort ergriffen, um darum zu bitten, dass wir das gemeinsam vernünftig diskutieren. Dann brauchen wir uns auch nicht mehr mit schrägen Ideologen auseinandersetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Christian Loose [AfD])