Matthi Bolte-Richter: „Warum ist denn bei der Partizipation noch nichts passiert?“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP für ein Landesjugendparlament

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich werde jetzt aus der demokratiepolitischen Perspektive auf diesen Antrag schauen, und der Blick zeigt in der Tat nicht so richtig viel.

Es geht objektiv nicht über das hinaus, was Sie schon in Ihrem Koalitionsvertrag geschrieben haben, und das ist nach vier Jahren doch eher wenig. Man muss Sie, liebe CDU, liebe FDP, wahrscheinlich mal wieder daran erinnern: Sie regieren in diesem Land, Sie haben eine Mehrheit in diesem Parlament; und wenn Sie sich tatsächlich um die Partizipation von jungen Menschen bemühen wollen, dann handeln Sie doch bitte und legen Sie uns nicht solche willensschwachen Appelle vor,

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

bei denen niemand weiß, was am Ende herauskommen soll, wer das machen soll, wer Geld bekommen und geben soll. Das ist ärgerlich. Es ist wirklich ärgerlich, dass bei solch einem wichtigen Thema so etwas passiert. Es passt aber leider in die Linie von Schwarz-Gelb, die im letzten Jahr einen Gesetzentwurf für die Absenkung des Wahlalters bei den Landtagswahlen abgelehnt haben, bei dem es um echte Beteiligung ging, wie Sie auch mitunter in der Pandemie am wenigsten die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt und andere Schwerpunkte gesetzt haben. Und dann kommt so ein Antrag. Warum ist denn bei der Partizipation noch nichts passiert?

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Warum hat da offenkundig noch niemand etwas getan? Die Antworten auf diese Fragen sind Sie uns heute schuldig geblieben.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Partizipation darf kein Märchen oder eine Erzählung von Erwachsenen sein. Auch junge Menschen wollen sich beteiligen. Sie beteiligen sich auch konkret. Das sehen wir bei Fridays for Future, bei den Demonstrationen zu Black Lives Matter und an vielen, vielen anderen Stellen, wo Jugendliche, junge Menschen zeigen, dass sie eben keine Statisten unserer Gesellschaft sind. Sie wollen mitentscheiden, sie wollen vor Ort, wo sie leben, mitgestalten.

Wie soll solche Beteiligung von Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen geschehen? Das ist die Frage, die wir hier gemeinsam diskutieren. Das Thema Partizipation von Kindern und Jugendlichen müssen wir viel breiter betrachten, als es Ihr Antrag und dieses Projekt tun. Wir sollten das Thema nicht so verengen, wie Sie es hier tun.

Wenn wir über Jugendbeteiligung sprechen, dann braucht es natürlich zuallererst die Absenkung des Wahlalters bei den Landtagswahlen auf 16 Jahre. Wir fragen Sie an dieser Stelle zum wiederholten Mal: Wieso stellen Sie sich so stark dagegen? Demokratie lebt von Beteiligung, und mehr Beteiligung ist nicht schädlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Neben der Absenkung des Wahlalters brauchen wir aber auch Beteiligungsformate vor Ort in den Kommunen. Es gibt bisher nicht überall in Nordrhein-Westfalen Jugendgremien; aber auch hier im Landtag können wir Beteiligungsformate etablieren und darüber diskutieren, wie sie aussehen. Beispielsweise hat der Bundestag eine jährliche Kinderfragestunde für Schülerinnen und Schüler aus der siebten und achten Jahrgangsstufe eingerichtet, in der Fragen an Ministerinnen und Minister gestellt werden können.

Aber letzten Endes geht es darum, dass wir einen Mix von guten Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche bekommen. Der Landesjugendring, der hier bereits mehrfach angesprochen worden ist, hat auch in seinen Stellungnahmen zu diesem Antrag vorgeschlagen, dass wir eine Jugendstrategie entwickeln, bei der es genau diese breite Betrachtung geben kann.

Aus unserer Sicht müssen dabei verschiedene Perspektiven für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt werden. Dabei geht es um Jugendliche mit Behinderung. Es geht um Jugendliche mit Migrationsgeschichte, Geflüchtete, LSBTI-Jugendliche oder auch Jugendliche, die von Armut betroffen sind. All diese Bevölkerungsgruppen – das wissen wir aus der Partizipationsforschung – sind mit den etablierten Formaten der Partizipation nur schwer zu erreichen.

Deshalb können wir natürlich über Formen eines Jugendparlamentes diskutieren – dazu wäre zum Beispiel die Diskussion im Fachausschuss möglich gewesen; die wollen Sie ja nicht –, aber auch dort muss man die Frage in den Mittelpunkt stellen: Wie schaffen wir eine Beteiligung, die inklusiv ist, die viele junge Menschen einbezieht und nicht nur – das ist eben das klassische Problem, das wir aus der Forschung kennen, was Jugendparlamente betrifft – politikaffine Jugendliche anzieht, die nur in den ganz klassisch institutionsorientierten Politikansätzen denken. Wir brauchen echte Partizipation, die lebensweltorientiert ist und geschützte Räume für Kinder und Jugendliche bietet, und wir müssen natürlich auch die existierenden Beteiligungsformate wie den Kinder- und Jugendrat NRW, der sich aus Vertreterinnen und Vertretern der kommunalen Jugendgremien zusammengesetzt, in den Blick nehmen.

All das müssten wir tun. All das braucht eine fachliche Debatte. Es ist bemerkenswert, dass Sie von den regierungstragenden Fraktionen einen Antrag zur Jugendbeteiligung einreichen, ohne die Vertreterinnen und Vertreter des Landesjugendrings zu beteiligen.

Da wären Sie gut beraten gewesen, sich mit denen auseinanderzusetzen.

Ihr Antrag verengt das Thema der politischen Partizipation. Er wird dem Thema nicht gerecht. Deswegen werden wir diesem Antrag nicht zustimmen können.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Dennis Maelzer [SPD])

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