Arndt Klocke: „Die Verkehrswende ist überhaupt noch nicht signifikant auf den Weg gebracht“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zu Fahrverboten

Arndt Klocke (GRÜNE): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Deppe, ich will in meine Rede einmal milde einsteigen. Ich habe vor einigen Tagen auf „WDR 5“ die Sendung des „Philosophischen Radios“ mit Herrn Wiebicke zum Thema „Realitäten“ gehört. In dieser Sendung führte eine Psychologin aus: Der gleiche Sachverhalt kann von unterschiedlichen Menschen völlig unterschiedlich bewertet werden, obwohl es die gleiche Realität ist.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Ich sage Ihnen jetzt einmal, wie wir Grüne diese Historie in den letzten Jahren hier erlebt haben. Sie haben die schamlosen Manipulationen der deutschen Automobilindustrie völlig herausgelassen, die zu diesen massiv hohen NOx-Werten geführt haben. Das haben Sie, Herr Deppe, und der Kollege von der FDP mit keinem Wort erwähnt.

In der Umweltministerkonferenz gab es 2011 ein Maßnahmenpaket zur Luftreinhaltung in den Städten. Dort wurde die grüne Plakette diskutiert, und deren Einführung hat dazu geführt, dass es uns gelungen ist, in den Städten eine massive Feinstaubabsenkung herbeizuführen.

2013, 2014 wurde immer diskutiert, warum wir in unseren Städten so hohe NOx-Werte haben. Ich werde Ihnen das beantworten: Die Pkw haben viel mehr ausgestoßen, als sie genehmigt bekamen, weil die deutsche Automobilindustrie und allen voran der große deutsche Automobilkonzern VW massiv manipuliert haben. Das hat dazu geführt, dass wir so hohe NOx-Werte in unseren Städten hatten, und nicht irgendwelcher Schlendrian in der rot-grünen Landesregierung!

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Das sollten Sie als Realität einmal zur Kenntnis nehmen!

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Jetzt zum Ablauf der Debatte: Ich war eben bass erschrocken, als der Kollege von der FDP sagte, dass wir im Sommer 2018 einen Antrag „Regierung Laschet muss Farbe bekennen“ gestellt hätten. Als Opposition einen solchen Antrag zu stellen, wäre geradezu unanständig.

Das ist sowieso eine Haltung, die Sie hier häufig aufgeführt haben. Der Ministerpräsident weiß, dass er hier die Mehrheit hat, aber er hat nicht das alleinige Sagen. Herr Laschet, Sie haben hier in einer Rede quasi wortwörtlich ausgeführt: Mit meiner Regierung wird es keine Fahrverbote geben,

(Armin Laschet, Ministerpräsident: So ist es!)

unabhängig davon, was die Gerichte entscheiden. – Daraufhin habe ich Ihnen vorgehalten, lieber Herr Ministerpräsident und Kanzlerkandidat: Sie sind Ministerpräsident von NRW, und Sie sind nicht der Kaiser von Aachen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist damals breit in der Presse wiedergegeben worden. Damals kannte ich Ihre hoheitliche Biografie allerdings nicht und wusste nicht, was die Ahnenforschung noch ergeben würde; das habe ich natürlich außen vor gelassen. Diese Haltung haben Sie an den Tag gelegt.

Herr Ministerpräsident, Sie haben in der Debatte hier auch ausgeführt, dass es sich bei der Deutschen Umwelthilfe um einen kriminellen Abmahnverein, finanziert von der ausländischen Automobilindustrie, handle. Das können wir in den Protokollen nachlesen. Das waren Ihre Worte!

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

Deswegen ist es bemerkenswert, dass sich die Umweltministerin mit diesem kriminellen Abmahnverein zusammengesetzt und 14 Agreements getroffen hat.

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

Warum setzt sich eine CDU-Umweltministerin mit einem kriminellen Abmahnverein zusammen, den die ausländische Automobilindustrie finanziert, die als einziges Ziel hat, die deutsche starke Automobilindustrie zu schwächen?

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Manchmal muss man auch mit Putin sprechen!)

Da fragt man sich, Frau Heinen-Esser: Wie konnten Sie einen solchen Fehler machen? Es war kein Fehler.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihnen gebührt, dass Sie diesen Prozess sehr moderat und sehr zielorientiert geführt haben und es keine Fahrverbote gibt. Daran haben Sie einen Anteil, und das gestehe ich Ihnen als Oppositionsabgeordneter definitiv zu. Ich habe immer gesagt – das kann man in allen Protokollen nachlesen –: Wir Grüne wollen keine Fahrverbote. Fahrverbote können nur das letzte Mittel sein, denn sie sind eine massive Freiheitseinschränkung für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn die Gerichte aber so entscheiden, und wenn die Werte so hoch bleiben, wird es jedoch dazu kommen.

Frau Ministerin, Sie haben das Angebot von Herrn Resch von der Umwelthilfe aufgegriffen und entsprechende Gespräche geführt. Das ist begrüßenswert. Allerdings hat das natürlich etwas – das sehe es ein Stück weit anders der Kollege Stinka von der FDP – mit gesetzlichen Rahmenbedingungen und mit gesetzlichem Handeln zu tun. Dennoch ist es ein Erfolg für Nordrhein-Westfalen, dass es keine Fahrverbote gibt,

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

und dazu haben die von der Umweltministerin geführten Gespräche beigetragen. Das ist völlig ohne Zweifel.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Jetzt haben wir aber nicht die Situation, dass alles irgendwie Tutti Frutti ist; das wäre der Sinn des Antrags. Bei dem Antrag konnte man sich fragen: Warum diskutieren wir das heute als Aktuelle Stunde? Eigentlich ist das ein Abfeierantrag für 17:20 Uhr und nicht etwas für eine Aktuelle Stunde.

Die Situation in den Städten erfordert weiterhin Handlungen. Die Verkehrswende ist überhaupt noch nicht signifikant auf den Weg gebracht. Wenn ich mir die Zahlen ansehe – heute Morgen gab es ein Interview mit Herrn Scheuer –, dann stelle ich fest, dass es 2020 durch Corona geradeso gelungen ist, den Anteil beim Ausstoß klimaschädlicher Gase, der über das Pariser Klimaschutzabkommen und über die Klimaschutzvereinbarung in Berlin festgelegt ist, zu erreichen. Das heißt, wenn wir alle jetzt wieder hochfahren, wird in unseren Städten wieder viel mehr CO2 emittiert werden, als es eigentlich zugelassen ist und als es für die Menschen, die dort leben, gesundheitlich verträglich ist.

Nach diesem Schritt „keine Fahrverbote“, der jetzt gegangen wurde, ist das eigentliche Ziel, das ansteht, eine breite Mobilitätswende. Davon spricht sogar der Kollege Voussem; er hat vor Kurzem in einer Rede dreimal das Wort „Mobilitätswende“ in den Mund genommen. Meine Güte, es ist also auch bei der CDU angekommen. Und wir diskutieren gleich auch noch über das Fahrradgesetz und dessen Inhalte.

Der eigentliche Schritt, der in den nächsten Jahren ansteht, ist eine Mobilitätswende in Stadt und Land, und das beinhaltet andere Antriebswege für unsere Pkw. Es gab das Programm der Bundesregierung „Eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen bis 2020“. 150.000 sind es geworden. Das heißt, Sie sind unter dieser Latte komplett durchgesprungen und haben dieses Ziel nicht einmal zur Hälfte erreicht.

Wie sieht es bei unseren Bussen mit der Umstellung auf Elektroantrieb etc. aus? Da macht das Ministerium einiges. Das ist auch durchaus unterstützenswert. Aber es ist noch viel zu tun. Der Schadstoffausstoß in unseren Städten ist viel zu hoch.

Wenn Sie so fair gewesen wären, Herr Kollege Deppe, wenigstens zu sagen, dass das ein Teilerfolg ist und jetzt eigentlich die richtige Arbeit kommt, dann hätten wir als Grüne gesagt: Das ist richtig. – Stattdessen stellen Sie sich hierhin, beschimpfen die heutige Opposition, die frühere Landesregierung, mit Argumenten, die einfach nicht stichhaltig sind, und feiern sich für etwas ab, was maximal ein Teilerfolg ist.

Meines Erachtens wäre es nicht notwendig gewesen, diese Aktuelle Stunde heute durchzuführen.

(Lachen von Dietmar Brockes [FDP])

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich habe an Ihrer Reaktion und an Ihrer Rede gemerkt: Sie können mit Lob nicht umgehen; denn sonst wären Sie anders darauf eingegangen.

(Lachen von Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz)

Dann halten Sie mir bzw. uns den Diesel vor. Dazu muss ich jetzt etwas sagen. Da ich in meinem Leben noch kein Auto besessen habe – wenn, dann nutze ich Carsharing –, beziehe ich mich einmal auf den Kollegen Priggen, der, glaube ich, auf diesem Gebiet – vielleicht auch bei der CDU – ein Stück weit geschätzt wird. Er hat sich bei VW einen Diesel gekauft in der Ansicht, dass dieser auch die Grenzwerte einhält, die der Verkäufer und der Prospekt angeben. Das hat VW durch Manipulation und Tricksereien verhindert.

Weil Sie, Frau Heinen-Esser, mit Lob ja nicht umgehen können, machen wir das jetzt eine Nummer schärfer. Ich weiß, warum Sie und auch Herr Deppe in der ganzen Debatte die Automobilindustrie mit keinem Wort angesprochen haben. Man kann das ja unterschiedlich bewerten. Aber bei der Debatte um Luftreinhaltung und NOx-Werte die Tricksereien der Automobilindustrie mit keinem Wort zu erwähnen, hat aus meiner Sicht bei der CDU einen Hintergrund.

(Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Nein!)

Schauen Sie sich einmal an, wer beim VDA an der Spitze steht, ob es Herr Wissmann war oder heute Ihre Parteikollegin aus Nordrhein-Westfalen, Frau Müller, ist. Sie sind eng mit der deutschen Automobilindustrie verbandelt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen erwähnen Sie das hier mit keinem Wort. Sonst wären Sie an irgendeiner Stelle darauf eingegangen. Denn ein Teil der Geschichte sind die Tricksereien, die dazu geführt haben, dass die NOx-Werte so hoch waren. Das sind keine Versäumnisse von Herrn Remmel oder sonst irgendetwas gewesen.

Sie haben die Umweltministerkonferenz 2016 angesprochen. Ich habe mir das gestern noch einmal vom Kollegen Remmel geben lassen, der damals noch im Amt war, und habe es mir wortwörtlich angeschaut. Umweltministerkonferenz: Immerhin acht Ministerinnen und Minister von den Grünen, aber auch einige aus Ihrer Partei haben vor dem Hintergrund der hohen NOx-Werte ein Maßnahmenpaket zur Luftreinhaltung verabschiedet.

Das heißt, dass die CDU diesem Maßnahmenpaket damals bei der Umweltministerkonferenz zugestimmt hat. Das wissen Sie auch genau. Und ein Punkt – als eines der letzten Mittel, wenn die Grenzwerte nicht eingehalten werden – waren Fahrverbote. Es gab über die Umweltministerkonferenz also auch eine Zustimmung der CDU. Das sollten Sie hier fairerweise auch erwähnen.

(Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Nein!)

Sie können mit Lob nicht umgehen und gehen stattdessen auf die alten Stanzen ein: Rot-Grün hat alles falsch gemacht, und wir machen alles gut. – Das ist ja sowieso eine Philosophie dieser Regierung. Es fing direkt am Anfang an. Ich erinnere mich an die großspurigen Reden von Herrn Schrumpf oder auch von Herrn Paul zur Wohnungspolitik: Es ist ja sieben Jahre alles schlecht gelaufen, jetzt kommen wir, und jetzt wird alles sofort ganz schnell besser. – Wenn alles sofort schnell besser geworden wäre, hätten wir nach vier Jahren Verkehrsminister Wüst nicht so viel Stau auf unseren Straßen. Dann wäre die Situation auf unseren Straßen eine andere.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vor allen Dingen haben Sie zwischen 2005 und 2010 auch fünf Jahre regiert. Da hat auch die CDU den Verkehrsminister gestellt. Außerdem stellt die CDU/CSU seit 2009 in Berlin den Verkehrsminister. Sie haben also einen klaren Anteil an der Situation hier in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Dieses alte Kastendenken „Wir machen alles richtig, und die anderen machen alles falsch; so lange, wie wir regieren, machen wir keine Fehler; wir haben alles immer richtig eingeschätzt“ finde ich so unfassbar langweilig, sehr geehrte Frau Heinen-Esser und sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und das wissen auch Leute, die nicht politisch beobachten.

Ich bin durchaus in der Lage, zu differenzieren. Deswegen haben wir Grüne im Verkehrsausschuss einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die von Minister Wüst kamen – Busverkehr, Elektrifizierung, Maßnahmenprogramm Radverkehr –, beim Haushalt zugestimmt, weil ich das für dieses Land politisch richtig finde. Da ist mir egal, ob ein CDUler, ein Grüner oder ein Sozialdemokrat Verkehrsminister ist. Es ist richtig.

Diese Differenzierung – die haben Sie doch intellektuell drauf; so gut kenne ich Sie – sollten Sie auch bei Ihren Reden nutzen und uns nicht immer den Eindruck vermitteln: Alles war schlecht, und wir machen immer alles richtig.

Zum Abschluss möchte noch ein Beispiel bringen, weil Sie das Thema angesprochen haben. Mein Kollege Mostofizadeh hat für mich einen Artikel aus der „WAZ“ hervorgezaubert, der vor einigen Wochen zum Thema „Luftwerte in Essen“ – ich unterstelle, dass die Presseberichterstattung in Essen wahrheitsgemäß ist – erschienen ist. Da führt die „WAZ“ aus, dass laut dem entsprechenden Referenten im Umweltamt die Ampelschaltung, die Sie gerade so gelobt haben, kaum Auswirkungen auf die Schadstoffe hatte. Was wirklich etwas gebracht hat, waren die Neueinrichtung der Fahrradstraßen in Essen und die Rückgänge durch Corona. Das, was Sie hier also loben, hat laut Presseberichterstattung, die ich mir gerade angeschaut habe, nicht viel gebracht.

Zusammengefasst kann ich festhalten, dass es viel zu tun gibt. Und wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre das, nicht immer alles nur schwarz-weiß, sondern konkret zu betrachten.

Wenn es 2022 einen Regierungswechsel geben sollte, dann würde ich Ihnen zugestehen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit auch nicht alles falsch gemacht haben. Was richtig war, waren die Verhandlungen mit der Deutschen Umwelthilfe, die Sie geführt haben. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

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