Johannes Remmel: „Die deutsch-polnische Versöhnungsgeschichte ist einzigartig“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zur NRW-polnischen Freundschaft

Johannes Remmel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Fast ist es etwas beschämend für mich, nicht in derselben Sprache fortfahren zu können. Ein bisschen Französisch und Englisch habe ich lernen können und dürfen. Aber es ist vielleicht bezeichnend für das Verhältnis in unseren Partnerschaften, dass die Sprache unserer östlichen Nachbarn nicht so sehr im Zentrum unserer gemeinsamen Sprachverständigung steht. Es tut mir leid, dass ich diese Sprache nicht beherrsche und darin nicht das eine oder andere sagen kann.

Ich brauche auch nicht zu wiederholen, was wir vier Fraktionen gemeinsam in diesem Antrag formuliert haben und die Kolleginnen und Kollegen bereits vorgetragen haben. Vielmehr möchte ich einige Aspekte hinzufügen.

30 Jahre Partnerschaft, 30 Jahre Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit sowie 20 Jahre Partnerschaft mit der Woiwodschaft Schlesien gilt es heute zu feiern – und das nicht nur mit einem Rückblick, sondern insbesondere mit einer großen Zukunftsperspektive, die wir auch ausfüllen müssen. Sonst würde der Antrag nämlich heute nicht gestellt werden.

Es ist unser Auftrag für die Zukunft, dies auf der Grundlage dessen, was erreicht worden ist, zu feiern, gut zu finden und zu unterstützen. Dazu gehört es aber auch, die große und gemeinsame Zukunft zu suchen und zu erringen.

Wir haben sehr viele Städtepartnerschaften, die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und das Deutsch-Polnische Jugendwerk gründen können; 3 Millionen Jugendliche sind zusammengebracht worden. Das ist angesichts der historischen Erfahrungen und der historischen Schuld Deutschlands tatsächlich ein Wunder der Freundschaft. Anders kann man das nicht bezeichnen.

Wenn wir nach vorne schauen, ergeben sich aus meiner Sicht aufgrund der Notwendigkeit der engen Abstimmung im europäischen Kontext viele Zukunftschancen. Gerade in Bezug auf den Strukturwandel und die Jahrhundertherausforderung des Klimaschutzes sind die Potenziale – insbesondere in Polen – für uns ökonomisch und ökologisch eine große Chance in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Das Ausbaupotenzial für erneuerbare Energien in Polen ist gewaltig. Die Potenziale für eine gemeinsame Wasserstoffstrategie entwickeln sich gerade erst. Die Polen sind da ein Stück weiter, und wir können an diese Entwicklung anknüpfen. Aus unserer Perspektive ist das – gerade wenn es um Chemieindustrie und synthetische Kraftstoffe geht – eine interessante ökonomische Partnerschaft, die ausgebaut werden sollte.

Die technologischen Prozesse und gemeinsamen Initiativen sind beschrieben worden. Meine Fraktion begrüßt – das unterstreiche ich ausdrücklich –, dass heute die gemeinsame Erklärung über die partnerschaftliche Zusammenarbeit erneut unterzeichnet und ausgeweitet worden ist. Wir begrüßen es, das Bestehende in die Zukunft mitzunehmen sowie zusätzliche Bereiche zu erfinden und miteinander zu leben.

Ich will aber auch kritische Fragen nicht hintenanstellen. Auch wenn dies landesspolitisch nicht an erster Stelle steht, gibt es nach wie vor – im Übrigen auch in meiner Fraktion und in meiner Partei – Diskussionsbedarf über die polnischen Ansprüche an eine Sicherheitspartnerschaft. Bei all den guten Entwicklungen bisher dürfen wir nicht vergessen, dass in Polen – zu Recht – ein großes Bedürfnis danach besteht, die Sicherheitsfrage zu klären.

Aber auch das ist eine Chance, weil Polen im Sinne von Demokratie und Freiheit als Brücke in die Ukraine sowie in die baltischen Staaten und nach Belarus wirken kann. Hier sollte unsere Freundschaft auch diese Perspektive der Sicherheitsanforderungen berücksichtigen. Auch wenn dies auf regionaler Ebene nicht das erste Thema ist, gehört es zum Gesamtverständnis dazu, diese Frage nicht auszuklammern.

Wir wünschen uns neuen Mut, um Fragen der gemeinsamen Geschichtspolitik noch mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Die Entwicklung eines Gedenkortes für die Opfer der deutschen Besatzung ist, wie ich finde, ein Meilenstein für die bilateralen Beziehungen. Doch damit darf es nicht enden. Die Debatte über die schwierige und traurige Vergangenheit darf nicht zu Ende sein. Wenn wir das Vertrauen in die Freundschaft weiter stärken wollen, darf es keine Sprachlosigkeit zu den geschichtlichen Perspektiven geben. Wir brauchen hier mehr Engagement.

Die deutsch-polnische Versöhnungsgeschichte ist einzigartig. Doch zur Versöhnung gehört auch, am Bewusstsein zu arbeiten, weiße Flecken aufzuarbeiten und ungesühnte Verbrechen anzugehen. Das haben die Generationen vor uns begonnen. Aber es ist Auftrag für uns heute und auch für zukünftige Generationen, daran weiterzuarbeiten.

In der Tat gilt es, dabei auch Themen anzusprechen, die für beide Seiten unangenehm sind, beispielsweise die Rechtsstaatlichkeit, aber auch – und das ist offensichtlich für uns unangenehm – die große polnische Zurückhaltung bei der Umsetzung von Nord Stream 2. Auch das gehört auf die Tagesordnung einer deutsch-polnischen Freundschaft. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Carina Gödecke [SPD])

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