Johannes Remmel: „Deshalb braucht es eine Neuvermessung von Nachhaltigkeit und Waldwirtschaft“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Verfügbarkeit vom Baustoff Holz

Johannes Remmel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzunehmen und auch die Spannung heraus­zunehmen: Wir werden dem Antrag zustimmen – aber nicht, weil wir davon überzeugt sind, dass Sie damit große Lösungen für die große Problemlage, die wir haben, bieten, sondern, weil man schlicht nicht gegen – wie soll ich sagen? – Trostpflaster sein kann.

Das ist nämlich das, was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich machen: ein Trostpflaster für ein Problem zu liefern, bei dem wir nicht nur einen Wundverband, Stützverbände und eine Reha-maßnahme bräuchten; wir bräuchten im Moment eigentlich ein komplett neues Wohnumfeld für die Patienten Holz und Wald. Das, was Sie hier liefern, ist in der Tat viel zu wenig – viel zu wenig.

Im Prinzip wird es auch dem Problem nicht gerecht; denn Sie wollen ja heute direkt abstim­men, also nach draußen, da, wo die Hütte brennt, sagen: Wir tun ja etwas. – Das ist der Impuls Ihrer Fraktion. Das ist aber viel zu wenig.

Die Zeitungen sind voll davon. In der „Siegener Zeitung“, Herr Ritter, werden Sie es heute gelesen haben; das ist ja auch Ihre Heimatzeitung. Da brennt der Baum. Ich weiß nicht, ob Sie es einmal gesehen haben. Da steht Lkw an Lkw auf Straßen, die gar nicht für Container-Lkw geschaffen sind.

Ich will Ihnen einmal die Zahlen vorlesen. 50 ha Fichtenkalamität werden aktuell abgefahren; 430 Lkw-Ladungen gehen da weg. Tag für Tag stehen dort sechs, sieben Lkw hintereinander – mit belgischen und niederländischen Kennzeichen. Ich weiß, wo es hingeht. Es geht nach Antwerpen und Rotterdam, um dann nach China und in die USA geliefert zu werden – nach China, weil die Russen dichtgemacht haben, und in die USA, weil Kanada dichtgemacht hat. Deutschland ist zurzeit der Hauptlieferant von Holz. Das ist gut für die aktuelle Situation der Waldbauern, aber schlecht für die Bauindustrie.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wie soll man den Menschen erklären, dass ihr Holzhaus angesichts dieser Situation plötzlich um das Doppelte teurer wird?

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Unser Holz, unsere Heimat wird weggefahren. Darauf haben Sie keine Antwort. Sie sagen nicht, wie das denn langfristig in eine Ordnung gebracht wird, sowohl bei den Waldbäuerinnen und Waldbauern …

– Ja, Herr Löttgen, hören Sie einmal genau zu. Auch in Ihrer Region

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU] – Glocke)

brennt bei den Waldbauern der Baum. Sie können zwar jetzt kurzfristig Geld erlösen. Aber das wird

(Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU] und Bodo Löttgen [CDU] – Weitere Zurufe von der CDU)

über die nächsten Jahre und Jahrzehnte diese Existenzen nicht sichern. Darauf haben Sie keine Antwort – bis heute nicht. Bis heute haben Sie keine Antwort auf diese Frage.

(Michael Hübner [SPD]: Hör doch auf zu schimpfen! – Bodo Löttgen [CDU]: Wo ist denn Ihre Antwort?)

– Ja, wir müssen darüber nachdenken …

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

– Herr Löttgen, wir haben eine nationale Erdölreserve. Aber eine nationale Holzreserve haben wir nicht.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Und die fangen wir jetzt an, anzulegen!)

Wenn der Baustoff Holz …

(Zurufe – Glocke des Präsidenten)

Wenn der Baustoff Holz aus der Klimakrise heraushelfen soll …

(Michael Hübner [SPD]: Er stimmt dir doch zu! Warum schimpfst du denn so?)

Herr Schellnhuber formuliert das im Übrigen mit dem schönen Satz: Holz kann uns aus der Klimakrise herausbauen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Es geht nicht um Holzhäuser!)

Das ist richtig. Aber welchen Anforderungen muss denn Holz sonst noch gerecht werden? Holz soll CO2 binden. Holz soll in der chemischen Industrie als stoffliche Grundlage dienen. Man muss doch irgendwann einmal eine Mengenberechnung machen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Holz muss auch nachwachsen, Kollege Remmel!)

Man muss doch berechnen, wie viel wir eigentlich brauchen und wie viel wir in Europa benö­tigen und nicht woandershin verkaufen können.

Deshalb ist es schon ein bisschen bigott, Herr Paul, wenn Sie an dieser Stelle, obwohl Sie ja sonst immer sagen, dass der Markt alles regelt, nach der öffentlichen Hand rufen. Das war heute schon bemerkenswert. Wenn der Markt in Schieflage kommt, soll plötzlich die öffentli­che Hand helfen. Wer war denn daran beteiligt, dass das Kartellverfahren gegen die staatliche Holzvermarktung angestrengt worden ist?

(Bodo Löttgen [CDU]: Ach, komm!)

– Ja, das kam doch gerade aus dieser Ecke.

(Rainer Deppe [CDU]: Sie sind doch selber schuld!)

Hätten Sie es nicht aufgelöst, hätten wir heute entsprechende Instrumente.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

An dieser Stelle sind Sie bigott, was diese Frage angeht, und haben keine Lösung.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Da redet der Brandstifter vom Streichholz!)

– Ja, ja, lassen Sie uns noch einmal darüber reden.

Vor 300 Jahren hat Carl von Carlowitz

(Zuruf von Andreas Keith [AfD] – Weitere Zurufe)

den Begriff der Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft eingeführt.

(Bodo Löttgen [CDU]: Gab es da schon den Borkenkäfer?)

Aber Carl von Carlowitz hat das nicht aus altruistischen Gründen getan, weil er die Ökologie befördern wollte, sondern, weil er den Mangel von Holz für den Bergbau fürchtete.

Dieselbe Situation haben wir heute wieder. Wir haben Holzmangel. Deshalb braucht es eine Neuvermessung von Nachhaltigkeit und Waldwirtschaft. Das ist politisch von Ihnen bisher nicht vorgelegt worden.

(Bodo Löttgen [CDU]: Wo ist denn Ihre Lösung?)

Stattdessen gibt es ein Trostpflaster. Das reicht nicht aus. Lassen Sie uns fachlich darüber diskutieren, aber nicht mit diesem Showantrag heute hier. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Johannes, das war es nicht heute!)

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