Horst Becker: „Wo ist das Tempo, das Sie versprochen haben?“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur "Entfesselungsoffensive"

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bisherige Debatte bringt mich zu dem Gedanken, dass Sie den Ministerpräsidenten nicht nur tragen, sondern dass Sie ihm auch immer ähnlicher werden. Wenn man diesen Antrag liest, wird deutlich: Sie leben ganz offensichtlich von der Kraft der Selbstsuggestion.

So sehr alle hier im Hause für die wirtschaftliche Erholung sind und entsprechende Impulse setzen wollen, stellt sich mir die Frage, ob es nicht zunächst sinnvoll wäre, die aktuellen Probleme zu lösen, bevor wir ein Jahrzehnt der Chancen ausrufen. Dazu würden sicherlich die Auseinandersetzung mit den aktuellen Öffnungsperspektiven für die Wirtschaft, die Frage der Außen‑ und Innenangebote und die Frage nach einem Unternehmerlohn gehören.

Wenn Sie sagen, Sie wollen alle Chancen für die Wirtschaft nutzen, stelle ich die Frage: Ist das in diesem Hause nicht insgesamt weitestgehend Konsens? Wie kommen Sie eigentlich zu der Auffassung, dass breite Chancen für die kleinen und mittleren Unternehmen von der Verhinderung einer Finanztransaktionssteuer, einer Vermögensteuer oder einer Vermögensabgabe abhängen? Wie kommen Sie eigentlich zu Ihrem Glauben, dass diese kleinen und mittleren Unternehmen nicht viel eher von solchen Programmen und Konjunkturprogrammen leben als von Ihrer Ideologie gegen solche Steuern?

Was meinen Sie eigentlich mit pauschalen Aussagen wie „Die aktuell bestehenden Vorgaben bremsen Investitionen, da Betriebe in ihren Möglichkeiten eingeschränkt und verunsichert werden“? – An dieser Stelle frage ich mich: Regiert die CDU nicht seit 2005 im Bund? Regiert sie hier in NRW nicht seit vier Jahren? Hat nicht auch die FDP mal vier Jahre mit den Herren Brüderle und Rösler im Bund regiert? Ist es in dieser Zeit nicht sogar so gewesen, dass Sie eher dadurch aufgefallen sind, dass Sie zum Beispiel der Solarindustrie mit dem sogenannten Solardeckel Fesseln angelegt haben, die bis heute eine Menge Arbeitsplätze und Fortschritt bei klimagerechter Energie gekostet haben?

(Beifall von den GRÜNEN)

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass es in den letzten Jahren zwar massenhaft Überschriften gab und angeblich 59 Veränderungen stattgefunden haben, davon aber nicht viel übrig bleibt, wenn man dahinter schaut? Sie haben zum Beispiel gefordert, Handwerk und Mittelstand zu entlasten. Ende 2019 haben Sie nach über zwei Jahren aber nichts anderes gemacht, als weitestgehend Forderungen der Enquetekommission für Mittelstand und Handwerk abzuschreiben.

Davon ist unter anderem die große Leistung übrig geblieben, dass das Gewerbe-Service-Portal.NRW nun Wirtschafts-Service-Portal.NRW heißt. Dort kann man seit Februar tatsächlich eine Makler‑ und Bauträgererlaubnis beantragen. Ist das die große Digitalisierung? – Auch wenn Sie gerade Wartungsarbeiten durchführen, wird es in den nächsten Tagen nicht viel mehr werden.

Ein anderes Beispiel ist das sogenannte Entfesselungspaket V. Was ist denn aus dem großen Sprung der Solarwirtschaft geworden? – Bislang sehe ich faktisch nichts bis auf ein paar Solaranlagen auf Landesgebäuden. Wo ist das Tempo, das Sie versprochen haben? Wo entfesseln Sie die Wirtschaft wirklich, beispielsweise bei der Windkraft?

Nein, das ist alles nicht der Fall. Und bei den weiteren Textbausteinen handelt es sich um Versatzbaukästen:

„Die nordrhein-westfälischen Betriebe sind mit zahlreichen Regelungen konfrontiert, die Belastungen herbeiführen und sich negativ auf die jeweilige Geschäftstätigkeit auswirken.“

Sie sagen aber nicht, welche das sind. Sie sagen auch nicht, welche beseitigt werden sollen. Sie richten sich nur an die Zukunft. Sie richten sich faktisch an eine spätere Bundesregierung.

Sie haben im Handlungsteil keine einzige der Forderungen, die im allgemeinen Teil beschrieben werden, konkretisiert und umgesetzt. Stattdessen arbeiten Sie sich zum Beispiel am Kreislaufwirtschaftsgesetz und an einem Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft ab, das wir dem Grunde nach für richtig halten, das aber im Bundesrat im Wirtschaftsausschuss und auch im Justizausschuss faktisch längst gescheitert ist. Entsprechende Vorlagen, die von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen wesentlich forciert worden sind, kennen Sie.

Sie wollen Minijobs stärken, haben sich aber vor einiger Zeit noch gegen die Grundrente gewandt. Sie sagen nichts zu dem Widerspruch, dass Sie durch die Stärkung der Minijobs die Sozialversicherung schwächen usw.

Kollege Sundermann hat schon darauf hingewiesen, dass Sie ein Belastungsmoratorium und tatsächlich eine Beschleunigungskommission fordern. Immer wenn man nicht weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis, der bei Ihnen Kommission heißt. So arbeiten Sie sich vorwärts, immer näher bis zur nächsten Wahl.

Beim aufmerksamen Lesen des Antrags drängt sich mir der Eindruck auf: Sie wissen, dass Sie der nächsten Bundesregierung nicht angehören, und stellen an sie wohlfeile Forderungen. Deswegen lehnen wir den Antrag ab.

(Beifall von den GRÜNEN)

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