Mehrdad Mostofizadeh: „Wir wollen klare und gleiche Bedingungen für alle Beschäftigten in der Pflege in Deutschland und auch darüber hinaus“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zur "Tarifflucht"

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich vielem anschließen, was Peter Preuß gesagt hat, und natürlich insbesondere auch dem, was Kollegin Kapteinat gesagt hat, was das Thema „Tarifbindung“ betrifft. Und ich meine echte Tarifbindung und nicht nur tariforientierte Betriebe, die ja eine neue Kategorie von Betrieben in Deutschland sein sollen.

An dieser Stelle möchte ich allerdings einige Punkte wiederholen und verstärken.

Tarifgebundene Betriebe führen nicht nur zu besseren Entgelten, sondern auch zu besseren Arbeitsbedingungen, zu mehr Urlaubstagen und vor allem – was mir ganz besonders wichtig ist – zu mehr Aufstiegs-, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Sie führen auch zu Innovationen, zum Beispiel zu ganz anderen Arbeitszeitmodellen oder auch zu besseren Umweltbedingungen und zu vielen anderen Punkten, die in Betrieben mit Tarifbindung im Schnitt deutlich stärker ausgeprägt sind als in anderen Betrieben.

Wenn Herr Kollege Preuß ein so klares Bekenntnis zu den Tarifbetrieben ablegt, aber gleichzeitig darauf hinweist, dass es auch in Ordnung ist, wenn man darauf verzichtet und sich nicht organisiert, möchte ich schon auf die Verantwortung und die Möglichkeiten des Staates an der Stelle hinweisen.

Einen Punkt hat Frau Kollegin Kapteinat bereits angesprochen, nämlich die Frage, ob man als Besitzer oder Eigentümer eines Unternehmens agiert oder das nicht tut und sich da heraushält. Man kann sich aber auch zum Beispiel als Auftraggeber engagieren.

Wir hatten hier in Nordrhein-Westfalen ein relativ schlagkräftiges Tariftreue- und Vergabegesetz. Wir haben auch im Bund als Bundestagsfraktion entsprechende Anträge eingebracht. Das Land könnte beispielsweise als Auftraggeber sehr wohl insbesondere an jene Unternehmen Aufträge herausgeben, die eine Tarifbindung haben und darauf Wert legen, und diese Unternehmen – in Anführungsstrichen – „bevorzugen“. Sie tragen nämlich auch dazu bei, dass mehr Geld in die Staatskasse kommt, dass es mehr Fairness im Wettbewerb gibt und dass wir über gleiche Bedingungen reden.

Sie legen sehr viel Wert darauf, sich da europäisch zu einigen, anstatt im eigenen Land die gleichen Bedingungen herzustellen. Da wird sonntags so geredet und montags anders gehandelt. Das finde ich nicht ganz nachvollziehbar, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Wir könnten hier noch weitere Standards ansprechen. Bei uns spielen ja das Thema „Menschenrechte“ und die Frage der Gleichstellung von Mann und Frau eine Rolle. Auch diese Punkte sind im Übrigen in tarifgebundenen Betrieben in der Regel deutlich höher verankert als in anderen Betrieben.

Herr Kollege Preuß, weshalb sollen wir dann aus unserem Herzen eine Mördergrube machen? Warum sollen wir unseren politischen Standpunkt nicht auch in politisches Handeln umsetzen? Ich finde, wir könnten das sehr klar adressieren. Mir waren die Bezüge des Vorsitzenden in der Schärfe nicht bekannt, Frau Kollegin Kapteinat. Wenn es eine derartige Schieflage gibt, können wir hier im Landtag auch sagen: Nein, wir halten das, was ihr da bei der TSP macht, für falsch. Es ist nicht in Ordnung, wie ihr eure Beschäftigten hängen lasst.

Dann sagen wir das hier im Landtag auch. Dann wird das auch sehr klar – natürlich kurz vor dem 1. Mai – adressiert. Denn Nordrhein-Westfalen tut gut daran, die Tarifbindung und die Tariftreue als Bundesland nicht nur als Monstranz, sondern als wichtige DNA unseres Bundeslandes weiterzuschreiben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das geht sehr handfest.

Wenn wir uns die Entwicklung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen ansehen – Nordrhein-Westfalen ist ein Land mit einer Struktur, die von sehr vielen Großbetrieben geprägt ist, was nicht immer von Vorteil ist –, können wir feststellen, dass wir schon immer eine hohe Tarifbindung hatten. Auch wir Grünen streiten uns als kommunale Arbeitgeber immer mal wieder mit den Interessenvertretern; es gehört auch dazu, dass man nicht immer eine Meinung ist. Starke Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben allerdings auch in der Pandemie – Herr Minister, das wird nicht zu bestreiten sein – dazu geführt, dass sich Beschäftigte mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zusammengesetzt und gute Arbeitsschutzkonzepte ausgearbeitet haben. So werden die Frage von Testungen und der Arbeitsschutz in den Betrieben deutlich besser dort aufgegriffen, wo es starke Betriebsrätinnen und Betriebsräte gibt, als in solchen Unternehmen, in denen man nur auf Zuruf mit dem Chef oder der Chefin redet. Im Schnitt ist zum Beispiel die Inzidenzzahl – darauf weist der DGB zu Recht immer wieder hin – bei Ford in Köln deutlich niedriger als in anderen Betrieben. Und das ist gut so.

Deswegen sind wir, so schwierig das auch in der einzelnen Auseinandersetzung sein mag, klare Freundinnen und Freunde der Tarifbindung und von entsprechenden Aufträgen. Das muss in politisches Handeln umgesetzt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Staat hat auch Möglichkeiten, dies zu tun. Wir sind nicht handlungsunfähig. Selbst bei der klaren Anerkennung dessen, was Kollege Preuß gesagt hat, können wir beim Betriebsübergang die Tarifgebundenheit deutlich stärken. Wir können es belohnen, wenn das Handwerk die Tarifgebundenheit stärken will, und wir können im Rahmen von Umstrukturierungen bei Tarifverträgen tätig werden. Das können wir alles tun.

Aber es gab lange einen Mainstream, dagegen zu sein. Die Entwicklung – das wird der Arbeitsminister sicherlich bestätigen – ist so, dass die Tarifgebundenheit in Deutschland deutlich abgenommen hat. Allein in den letzten 15 Jahren ist es dazu gekommen, dass 30 bis 40 % der Betriebe, die früher tarifgebunden waren, nicht mehr tarifgebunden sind.

Deswegen – und das sage ich nicht, weil in wenigen Tagen der 1. Mai ist, sondern, weil es einfach richtig ist – wollen wir hohe Standards bei der Tarifbindung. Daher war es für mich vor wenigen Wochen auch wirklich niederschmetternd – ich komme schließlich aus dem Bereich –, dass es keine Einigung über den Branchentarifvertrag in der Pflege gab.

Folgendes möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal sehr deutlich sagen: So schwierig die Refinanzierung für Einzelne sein kann, treten wir sehr klar für gleiche Bedingungen in Deutschland ein. 10 % Tarifbindung in der Pflege sind viel zu wenig. Wir wollen klare und gleiche Bedingungen für alle Beschäftigten in der Pflege in Deutschland und auch darüber hinaus. Deswegen ist es richtig, dass wir sehr intensiv über diesen Punkt reden.

Was bei der TSP abläuft, finde ich schlichtweg lächerlich und nicht in Ordnung. Das ist keine moderne Unternehmensführung. Man sollte sich sehr schnell einigen, auf die Beschäftigten zugehen und mit ihnen gemeinsam einen Tarifvertrag aushandeln. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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