Stefan Engstfeld: „Das alles sollte uns das Wohl unserer Kinder und unserer Jugendlichen wert sein“

Zum Entwurf der GRÜNEN im Landtag für ein Landesrichter- und Staatsanwältegesetz

Der Gesetzentwurf

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aufgedeckten Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche insbesondere in Lügde, Bergisch Gladbach und Münster haben in ihrer Art und ihrem Ausmaß die gesamte Bevölkerung in Deutschland und Nordrhein-Westfalen erschüttert.

Mehr als 13.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch wurden 2019 den Ermittlungsbehörden gemeldet; das sind durchschnittlich mehr als 35 Fälle pro Tag. Hinzu kommen mehr als 1.000 Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und Jugendlichen und mehr als 12.000 angezeigte Fälle von Abbildungen sexueller Gewalt an Kindern. Das sind nur die bekannten Zahlen; das Dunkelfeld schätzen Fachleute um ein Vielfaches größer.

Diese erschreckenden Zahlen und diese Lage im Land erfordern Handeln auf allen Ebenen. Zum besseren Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexualisierter und sonstiger Gewalt sowie zur Verstärkung der Berücksichtigung des Kindeswohls in Verfahren, die Auswirkungen auf das Leben der Kinder haben können oder in denen Kinder betroffen sind, ist ein Gesamtkonzept auch in den Bereich Strafverfolgung und Prävention erforderlich.

Zur Stärkung der Prävention in der Rechtspflege sind für Richterinnen und Richter der Familien- und Jugendgerichte sowie die Jugendstaatsanwältinnen und -staatsanwälte neben den juristischen Kenntnissen weitere spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich. Das gilt ebenfalls für Staatsanwältinnen und -anwälte, die regelmäßig in Verfahren vor Jugendgerichten tätig sind.

Aus unserer Sicht sind für die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes im Hinblick auf das Kindeswohl, den Kinderschutz und die körperliche Unversehrtheit der Kinder weitere spezielle Fähigkeiten erforderlich.

Ganz konkret brauchen wir neben den juristischen Kenntnissen in der Gesprächs- und Verhandlungsführung insbesondere mit Minderjährigen, der Entwicklungspsychologie, der Erwachsenen-, Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Pädagogik und des Jugendhilfesystems sowie der UN-Kinderrechtskonvention.

Diese speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten werden derzeit weder im Rahmen des juristischen Studiums noch des juristischen Vorbereitungsdienstes vermittelt.

Die Einführung der allgemeinen Fortbildungspflicht in § 13 Abs. 1 Landesrichter- und Staatsanwältegesetz NRW für alle Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in NRW schreibt keine spezifischen Bereiche zur Fortbildung fest. Sie reicht deswegen aus unserer Sicht nicht aus, um die Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten an den Jugend- und Familiengerichten sicherzustellen.

Dementsprechend bleibt Handlungsbedarf hinsichtlich der Einführung einer konkreten Fortbildungspflicht für Richterinnen und Richter der Familien- und Jugendgerichte sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die regelmäßig im Verfahren vor den Jugendgerichten tätig sind. Unser Gesetzentwurf macht einen guten Vorschlag dazu.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine Fortbildungspflicht soll unter Wahrung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Justiz und insbesondere der verfassungsrechtlichen Garantie der richterlichen Unabhängigkeit erfolgen. Der Inhalt und die Gestaltung der einzelnen Fortbildungsangebote sollen wie bislang durch entsprechende Angebote der Justizakademie NRW bzw. sonstige staatlich finanzierte Angebote – wie eben betont unter Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit – erfolgen.

Daher ist auch eine Verpflichtung des Dienstherrn notwendig, eine sachangemessene Fortbildung tatsächlich zu ermöglichen. Diese muss aus unserer Sicht gesetzlich festgeschrieben werden. Deswegen sieht unser Gesetzentwurf ein Recht der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in allen Bereichen auf kostenfreie, dezentralisierte und familiengerechte Fortbildung sowie auf Entlastung, respektive Freistellung von der Erfüllung der Aufgaben des Berufsalltags entsprechend der Ausbildungszeit vor.

In diesem Zusammenhang sollen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auch die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeit und ihr Handeln im Arbeitskontext im Rahmen geeigneter Supervisions- und Interventionsangebote zu reflektieren.

Ich glaube, das alles sollte uns das Wohl unserer Kinder und unserer Jugendlichen wert sein. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

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