Josefine Paul: „Die Landesregierung darf nicht länger der hausgemachte Engpass in dieser schwierigen Situation sein“

Sonderplenum zur MPK auf Antrag von SPD-Fraktion und GRÜNEN im Landtag

Portrait Josefine Paul

Der Grüne Entschließungsantrag

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die Kanz­lerin morgen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zusammenkommt, geht es einmal mehr um die Frage, wie es weitergehen soll.

Eine Verlängerung der Maßnahmen über den 15. Februar hinaus ist auch nach den Mahnun­gen aus der Wissenschaft dringend geboten. Auch wenn sich die Inzidenzwerte in eine posi­tive Richtung entwickeln, ist das leider noch kein Grund zu wirklicher Entwarnung. Die Lage ist insbesondere angesichts der Virusmutationen weiterhin ernst.

Ein Blick in andere Länder führt uns eindringlich vor Augen, wie fragil die Lage tatsächlich ist. Zu frühe Öffnungen können zu einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen führen. Eine dritte Welle dürfen wir nicht riskieren. Deshalb ist es an dieser Stelle zu früh, über Lockerun­gen zum 15. Februar zu sprechen.

Gleichzeitig macht sich bei den Menschen aber auch eine gewisse Pandemiemüdigkeit breit. Die Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen ist bei den Menschen zwar weiterhin hoch. Aber ihre Geduld wird durch die mangelnden Perspektiven und den Rhythmus von einer MPK zur nächsten auf eine harte Probe gestellt. Das können wir sicherlich alle nachvollziehen. Auch wir alle wünschen uns doch mehr Normalität zurück.

Für viele Menschen ist diese Zeit aber eben auch eine Zeit existenzieller Sorgen. Viele ban­gen um ihre Existenz, weil sie nicht wissen, wie es mit ihrem Geschäft, ihrem Café, ihrem Laden weitergehen soll. Menschen bangen um ihre Jobs. Menschen bangen um ihre Zu­kunftspläne. Familien, gerade Alleinerziehende, kommen an ihre Belastungsgrenzen.

Die MPK hat schwierige Abwägungen zu treffen: einerseits die Gewährleistung des Gesund­heitsschutzes und die Eindämmung der Pandemie, andererseits die sozialen und wirtschaft­lichen Folgen der aktuell notwendigen Maßnahmen.

Diese MPK muss gut erklären, warum sie die Maßnahmen trifft. Denn das Wichtigste ist, dass wir die Menschen mitnehmen und dass wir ihnen Mut machen, dass irgendwann auch dieser lange, harte Winter zu Ende sein wird.

Daher hätten wir erwartet, dass die Landesregierung von sich aus eine Unterrichtung vor der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin anmeldet. Denn der zentrale Ort für Transparenz und für die Diskussion über Maßnahmen ist das Par­lament.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Es war doch der Ministerpräsident selbst, der bei der Sondersitzung Anfang Januar deutlich gemacht hat, dass er Debatten vor der MPK durchaus für sinnvoll hält. Aber anscheinend – dieser Verdacht drängt sich mir ein Stück weit auf – ging es ihm dabei weniger um Transpa­renz und die wirkliche Einbeziehung des Parlaments, sondern mehr darum, an dieser Stelle die SPD-Fraktion vorzuführen.

Was ist aber nun die Linie der Landesregierung für die anstehenden Gespräche? Wir konnten lesen, dass der stellvertretende Ministerpräsident in der letzten Woche ein Papier zu einem Stufenplan in die Diskussion eingebracht hat. Von dem Koalitionspartner oder gar dem Minis­terpräsidenten selbst haben wir dazu bislang kaum etwas gehört. So beeilte sich der stellver­tretende Ministerpräsident ja auch, das ganz schnell als einen persönlichen Debattenbeitrag zu kennzeichnen.

Mir drängt sich nach wie vor der Verdacht auf, dass die Debatten über die Linie der Landes­regierung in der Pandemie einmal mehr nicht innerhalb der Koalition geführt werden, sondern weiterhin durch mediale Alleingänge befeuert werden sollen. Es passt zur schwarz-gelben Chaoskommunikation, dass gleichzeitig der Gesundheitsminister Laumann die Pläne seines Kabinettskollegen presseöffentlich ablehnt und dafür plädiert, weiter auf Sicht zu fahren.

Wir erwarten von Ihnen, Herr Ministerpräsident, dass Sie heute Licht ins Dunkel bringen, was Ihre Linie und die Linie dieser Landesregierung für die morgigen Beratungen ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin hat in ihrer letzten Sitzung beschlossen, dass bis zur nächsten MPK, also morgen, ein Konzept für eine sichere und gerechte Öffnungsstrategie erarbeitet werden soll.

Für uns ist klar, dass sich eine Strategie nicht an einem bestimmten Datum orientieren kann und darf.

Ein Stufenplan muss Szenarien für verantwortungsvolle Öffnungen, gleichzeitig aber auch für notwendige Verschärfungen enthalten. Sich nur auf eine Öffnungsstrategie zu versteifen, wäre genauso kurzsichtig und der aktuellen Lage nicht angemessen wie ein Beharren darauf, dass es derzeit eigentlich keine Perspektivplanung geben kann, Herr Ministerpräsident. Sie haben das in der letzten Sitzung noch so artikuliert. Wir erwarten, dass diese Landesregierung jetzt ihrer Verantwortung gerecht wird und Perspektiven aufzeigt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es muss einen klaren Handlungsrahmen geben. Es muss ein klarer Handlungsrahmen erar­beitet werden, der vorgibt, was unter welchen Umständen möglich ist, wann aber auch Maß­nahmen verschärft werden müssen. Das schafft klare und verlässliche Perspektiven für die Menschen, auch wenn die Aussicht auf weitere harte Wochen in diesem Winter uns allen natürlich Sorgen macht und für uns alle selbstverständlich ein harter Einschnitt ist. Aber wir brauchen diese klaren Perspektiven, weil wir auch die Zuversicht brauchen, dass wir als Ge­sellschaft gemeinsam und solidarisch diese Krise meistern werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Impfungen sind das Nadelöhr der Pandemiebekämpfung. Derzeit mangelt es vor allem an Impfstoff. Hier muss mehr getan werden, um Produkti­onskapazitäten zu erhöhen und mehr Produktionsstandorte zu schaffen.

Aber leider mussten viele Menschen in den letzten Wochen auch die Erfahrung machen, dass bereits die Terminvergabe einem verkorkten Flaschenhals ähnelte. Hier muss dringend nach­gebessert werden. Die Anmeldung muss endlich barrierefreier ausgestaltet werden. Ehe­paare müssen genauso gemeinsam einen Termin bekommen können, wie reservierte Impf­zeiten festgelegt werden müssen, damit Gruppentermine organisiert werden können. Denn es ist doch auch wichtig, dass die Menschen überhaupt zu den Zentren hinkommen. Das ist aber für viele über 80-Jährige gleich das nächste Hindernis. Das heißt: Hier muss nachgear­beitet werden, damit die Menschen und die Impfungen tatsächlich zusammenkommen.

(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])

Da reicht es nicht aus, dass sich die Landesregierung selbst einen passablen Start attestiert und ansonsten einmal mehr die Verantwortung auf die Kommunen abschiebt.

Der Gesundheitsminister ist hier in der Verantwortung, gemeinsam mit den Akteuren die Impf­strategie zu erweitern. Dabei geht es darum, zum einen die Terminvergabe zu verbessern und zum anderen ein Konzept vorzustellen, dass neben den Impfungen in Impfzentren auch aufsuchende und dezentrale Impfungen möglich sind. Die Landesregierung darf nicht länger der hausgemachte Engpass in dieser schwierigen Situation sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Systematische Testungen sind – das ist angesprochen worden – insbesondere für diejenigen Menschen wichtig, die mit anderen Menschen in Kontakt sind und bei denen das nicht nur unvermeidlich ist, sondern es geradezu geboten ist, dass man in Kontakt mit Menschen kommt. Wir brauchen flächendeckende Tests für Erzieherinnen und Erzieher, für Lehrerinnen und Lehrer sowie für Menschen in Pflegeeinrichtungen.

Wir brauchen aber auch eine Teststrategie für Kinder. In Köln hat es dazu gerade einen ersten Durchlauf mit Gurgeltests gegeben. Auch hier existieren also Möglichkeiten der Erweiterung, die dringend auszubauen und zu nutzen sind.

Studien zeigen, dass die aktuelle Situation für Kinder und Jugendliche besonders hart ist. Ihre psychischen, emotionalen und sozialen Belastungen sind hoch. Gleichzeitig erleben viele junge Menschen aber auch ein Ohnmachtsgefühl, weil sie wahrnehmen, dass ihre Bedürf­nisse nicht gesehen werden und sie selbst auch gar nicht gehört werden.

Umso wichtiger ist es, dass die Schulministerin endlich klare Konzepte und Schutzstrategien vorlegt, wie Bildung und Infektionsschutz in Einklang gebracht werden können. Durch das monatelange Beharren auf reinem Präsenzunterricht und die Verweigerung alternativer Kon­zepte sind wichtige Wochen in der Planung verstrichen, Frau Ministerin Gebauer.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schulen und Schulträger brauchen Planungssicherheit. Da müssen Sie Ihre Hausaufgaben machen, damit wir endlich zu Wechselmodellen, kleinen und festen Lerngruppen, versetztem Unterrichtsbeginn, aber auch zusätzlichen Räumen sowie Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern kommen, wenn das Infektionsgeschehen Präsenzunterricht wieder zulässt.

„Perspektiven erarbeiten“ heißt aber auch, dass die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten nicht nur Szenarien mit Bedingungen, zu denen längerfristig Öffnungen möglich sind, vorbereiten muss. Vielmehr müssen Maßnahmen und Einschränkungen im wirt­schaftlichen Bereich doch auch mit unbürokratischen, passgenauen und vor allem bei den Betroffenen ankommenden Hilfen flankiert werden. Für viele Unternehmen, Soloselbststän­dige etc. – nicht zuletzt in Nordrhein-Westfalen – ist es bereits fünf nach zwölf. Es ist also dringend geboten, Unterstützung zu leisten. Das bedeutet, dass die Beantragung der Hilfen unbürokratisch möglich sein muss. Es ist doch eine Farce, wenn man dabei schon wieder im Digitalisierungschaos stecken bleibt.

Es ist gut und richtig, dass bei der Neustarthilfe für Soloselbstständige nachjustiert worden ist. Diese Neustarthilfe muss aber auch einen Neustart der Bundes- und Landesregierung markieren, damit die Hilfen endlich wirklich schnell, unbürokratisch und existenzsichernd aus­gestaltet werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Sie müssen morgen bei der Ministerpräsidentenkonferenz dazu bei­tragen, dass es endlich einen Rahmen gibt. Wir hätten erwartet, dass Sie einen eigenen Vor­schlag vorlegen, welchen Rahmen es geben kann. Viel wichtiger ist aber, dass Sie auch Ihrer Verantwortung in Nordrhein-Westfalen gerecht werden und es innerhalb der Landesregierung endlich ein abgestimmtes Konzept für einen Kurs gibt, der medizinische Vorsicht und Verant­wortung mit klugen und evidenzbasierten Plänen für einen Umgang mit der Pandemie verbin­det. Wir erwarten, dass mehr einheitliches Regierungshandeln und weniger ein Streit, der zwischen den Koalitionspartnern offensichtlich öffentlich ausgetragen wird, zutage tritt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister­präsident Laschet, wir fragen uns nach Ihrem Redebeitrag nach wie vor, was die Linie der NRW-Koalition in der Debatte morgen sein wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Natürlich ist es richtig, dass man sich auf einen möglichst abgestimmten Rahmenplan aller Bundesländer einigen muss. Ich erwarte von der Regierung des bevölkerungsreichsten Bun­deslandes aber schon, dass sie mit einem eigenen Plan, einer eigenen Initiative in die Ver­handlungen geht.

Mich wundert sehr, wenn der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei FDP erklärt, er werde gespannt vor dem Fernseher sitzen, um zu sehen, was da morgen passiere. Ich er­warte von dieser Landesregierung ein einheitliches Bild und nicht, dass ein Teil gespannt vorm Fernseher sitzt und der andere noch überlegt, was er morgen einbringt. Was ist die Linie? Ist es die Linie der Privatperson Joachim Stamp, die einen Stufenplan vorgelegt hat, oder ist es doch eher das Fahren auf Sicht von Herrn Laumann sowie das, was Sie hier be­schrieben haben? Herr Kollege Löttgen hat die Nachteile ja relativ deutlich skizziert. Das in­terpretiere ich so, dass er einem Stufenplan eher ablehnend gegenübersteht. Was ist die Linie der nordrhein-westfälischen Landesregierung für die MPK?

Herr Ministerpräsident, Sie haben darauf verwiesen, hier sei gar nicht über die Schulpolitik gesprochen worden. Über die Schulpolitik reden wir seit einem Jahr. Seit einem Jahr reden wir darüber, was passieren müsste, und darüber, was nicht passiert, weil die Schulministerin scheibchenweise zu jedem Konzept gedrängt werden muss. Man muss ihr jedes Konzept abtrotzen. Die Schulträger und die Schulen brauchen endlich Planungssicherheit. Dafür muss diese Landesregierung auch in Eigenverantwortung sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

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