Mehrdad Mostofizadeh: „Es würde uns allen guttun, ein bisschen aufeinander zu hören“

Antrag der SPD-Fraktion zu den coronabedingten Belastungen in Kliniken

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte angesichts der Debatte von vorhin noch einmal in Erinnerung rufen, an welchem Tag wir hier heute reden und welche Situation wir haben: Wir haben derzeit in Deutschland täglich fast immer 500 Tote zu verzeichnen, und das seit etlichen Tagen.

Diese Zahlen werden auch nicht runtergehen, weil diejenigen, die das betrifft, jetzt schon infiziert sind. Denn eine Frist von vier Wochen kann man in aller Regel mindestens annehmen, bis es zu diesem tödlichen Verlauf kommt.

Deswegen wird es so sein, liebe Kolleginnen und Kollegen – so bitter das ist –, dass bis Ende Januar nächsten Jahres, also in etwa sechs Wochen, rund 40.000 Menschen an und mit dem Coronavirus verstorben sein werden – 10.000 mehr als in mehreren Jahrzehnten in Deutschland an Aids verstorben sind.

In einer solchen Situation ein derartiges Schauspiel abzuziehen, wie es vorhin passiert ist, finde ich, ehrlich gesagt, unwürdig. Da kann ich mich meiner Fraktionsvorsitzenden Frau Paul nur anschließen.

(Beifall von den GRÜNEN)

In einer solchen Situation müssen wir auch sehr genau abwägen, wie wir zu den einzelnen Vorschlägen und Initiativen stehen.

Ehrlich gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, hätte ich mir gewünscht, dass wir diesen Sachverhalt zunächst im Ausschuss diskutieren. Trotzdem machen wir es jetzt hier im Plenum.

Der Sachverhalt – in Teilen würde ich Ihnen recht geben – ist insofern problematisch, als sich der Minister ja mehrfach im Ausschuss zur Prognose bezüglich der Krankenhausbetten geäußert hat und dort die Prognose abgegeben hat: Na ja, die Lage ist angespannt, aber wir werden das schon hinkriegen. – Diese Form von Prognose finde ich unzureichend, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Deswegen finde ich es auch unzureichend, dass man erst jetzt reagiert hat. Das Land Berlin hat es vorgemacht: Man hat bereits im April ein anderes System, ein Ampelsystem, vorgeschlagen und implementiert, was dazu führt, dass auch in Vorphasen bereits Reaktionen der Krankenhäuser stattfinden.

Ich habe mich vor Ort mal kundig gemacht. In Essen stimmt man auf Essener Ebene miteinander ab, wie die Krankenhauszahlen sind, lässt sich das zeigen und reagiert dann kurzfristig. Das kann man so machen.

Wir hätten uns allerdings gewünscht – das spreche ich an der Stelle auch noch einmal sehr klar an –, dass wir auf Landesebene die Struktur eines Krisenstabes hätten, der klar durchkommuniziert, auch sehr klar reagiert und sehr klar diese Fragen anspricht. Der müsste das nicht selber operationalisieren, sondern dafür sorgen, dass landesweit die gleichen Reaktionsmechanismen in allen Krankenhäusern vorliegen.

Wir haben ja das sogenannte Kleeblattsystem für Deutschland. Das sieht allerdings vor, dass sich Nordrhein-Westfalen zunächst einmal in allen wichtigen Fällen selbst zu helfen hat, weil wir mit rund 18 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern eben das größte Bundesland sind.

Da kann ich den Ausführungen von Herrn Jansen in dem Artikel, den ich gelesen habe, nicht so ganz zustimmen. Natürlich werden auch Menschen in Krankenhäusern in anderen Ländern behandelt. Wir haben es immer ausdrücklich unterstützt, dass wir in Nordrhein-Westfalen Menschen aus den Niederlanden, aus Belgien und anderen angrenzenden Staaten versorgt haben. Deswegen, Herr Minister, hätte ich mir schon gewünscht, dass an der Stelle früher eine klarere Systematik eingesetzt hätte.

In dem Zusammenhang an die Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie heute eine Fehleinschätzung bezüglich der Maßnahmen eingeräumt haben. Ich finde es ehrenwert, dass Herr Kollege Rasche das gemacht hat. Frau Schneider hatte ja noch letzte Woche Mittwoch um 17 Uhr darauf gedrängt, dass man das Böllerverbot nicht macht, und ich könnte noch andere Punkte ansprechen. Das nehme ich ausdrücklich zur Kenntnis. Aber dann lassen Sie uns an den Mechanismen, an denen wir hier arbeiten können, auch ehrlich und gemeinsam arbeiten.

Damit komme ich zu einem entscheidenden Punkt. Auch das ist erst eine Woche her, obwohl es mir so vorkommt, als wäre es Monate her. Noch vor einer Woche habe ich Ihnen, Herr Minister, ein Stück weit vorgeworfen – dabei möchte ich auch bleiben –, dass Sie auf Druck der FDP verhindert haben, dass die Maßnahmen, die in Lippe besprochen worden sind, vorher hätten greifen können, dass die Maßnahmen, die in Solingen vorbereitet worden sind, hätten ausprobiert werden können, dass die Maßnahmen, die in vielen Städten laufen, längst hätten angewandt werden können und man Erkenntnisse daraus hätte gewinnen können.

Zurück zur Ausgangsfrage, zum DIVI-Register und den Krankenhausbetten – das hat der Ministerpräsident heute in seiner Einbringungsrede deutlich gemacht, Herr Preuß hebt auch ein Stück weit darauf ab –: Herr Minister Laumann, Sie haben im Ausschuss gesagt, wir hätten im Frühjahr unmittelbar durch die Verschiebung elektiver Eingriffe reagieren können. Das wird sich so nicht wiederholen lassen, weil wir schlichtweg das Personal nicht haben, weil die Menschen in Quarantäne sind, selbst angespannt sind oder sogar infiziert sind und in Krankenhäusern liegen. Es wird niemanden hier im Saal geben, der nicht von Fällen aus dem eigenen Bekanntenkreis in dem Zusammenhang berichten kann.

Deswegen – jetzt ist dieses System implementiert – kann ich Sie nur mit Nachdruck bitten, Herr Minister, diese Form von Ampel oder dieses Frühwarnsystem so durchzuziehen, dass es nicht zu Krisenlagen kommt, solange man es steuern kann. Das will ich ausdrücklich dazusagen: solange man es mit menschenmöglichen Mitteln steuern kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Ende kommen. Ich möchte hier keine Noten verteilen und auch nicht stressen, aber es würde uns allen guttun, ein bisschen aufeinander zu hören.

Ich komme zu einem versöhnlichen Abschluss kurz vor Weihnachten:

Ihre neue Coronaschutzverordnung, was die Pflegeheime anbetrifft, möchte ich ausdrücklich anerkennen. Viele Anregungen, die ich und andere aus der Opposition gegeben haben, sind aufgenommen worden.

Auch die aus meiner Sicht missverständliche Verordnung auf Bundesebene bezüglich der Testungen in den Pflegeheimen ist klargestellt worden: Natürlich sorgen die Pflegeheime oder eben Dritte mit dafür, dass Menschen getestet ins Pflegeheim gehen. Außerdem gibt es Mindestzeiten, was die Besuchsmöglichkeiten in Pflegeheimen anbetrifft.

Das verbinde ich mit einem Appell, weil es auch dort immer wieder unterschiedliche Herangehensweisen in den Kommunen gibt: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Pflegeheime und die häusliche Pflege zu den größten Schutzmechanismen unserer Gesellschaft werden, dass wir mit FFP2-Masken reingehen, weil wir nicht besser wissen, was wir sonst tun können, dass wir die Menschen tatsächlich schützen und dass auch das Pflegepersonal – das möchte ich an der Stelle sehr deutlich sagen – immer wieder auf seine und ihre Verantwortung hingewiesen wird.

Ich weiß, wie schwierig das ist. Ich habe selbst lange genug dort gearbeitet, und die Kolleginnen und Kollegen kommen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen.

Herr Minister, wenn Sie das tun könnten, wäre es schön, wenn Sie dazu heute eine Aussage machen würden.

Wir werden über das Thema „Impfen“ ja noch sprechen können. Die aufsuchende Impfung, ein ganz wichtiger, prägender Faktor zum Schutz der häuslichen Pflege, wird eine große Aufgabe sein. Wir müssen wir uns etwas einfallen lassen, damit wir da auch abgesehen von dem BioNTech-Impfstoff vorankommen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)