Monika Düker: „Ich möchte keinen Rechtsstaat, der aus Probierbehörden besteht.“

Zwischenbericht des PUA Fall Amri

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Monika Düker (GRÜNE): Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In der Sitzung des sogenannten GTAZ, des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums, am 2. November stellte man gemeinsam Folgendes fest – ich zitiere aus der Chronik, die auch veröffentlicht wurde –:
„Auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar.“
Das war sechs Wochen vor der Tat. Die Menschen fragen sich zu Recht: Warum wurde noch am 2. November eine solche Fehleinschätzung vorgenommen? – Es war im Nachhinein ein fataler Fehler, Amri so zu unterschätzen. Genau der Frage gehen wir im Untersuchungsausschuss nach – auch alle meine Vorredner haben sie gestellt –: Warum konnte das passieren?
Herr Sieveke, um die Geschichtsklitterung, die Sie hier betreiben, nicht im Raum stehen zu lassen: Wir haben uns zum Einsetzungsbeschluss enthalten, weil die CDU-Fraktion es einfach abgelehnt hat – wo ist er? –,
(Daniel Sieveke [CDU], der auf dem Platz von Lutz Lienenkämper [CDU] sitzt, winkt.)
die meisten unserer Änderungsanträge, die den Blickwinkel erweitern, in den Einsetzungsbeschluss aufzunehmen. Zum Beispiel haben Sie die Erwähnung des Landes Berlin in der Zuständigkeit – nur in der Sachverhaltsdarstellung, noch nicht mal im Untersuchungsauftrag – abgelehnt. Außerdem enthielt Ihr Einsetzungsbeschluss massive Vorverurteilungen und Spekulationen. Daher die Enthaltung.
Das hat nichts damit zu tun – das haben wir im Ausschuss und im Plenum mehrfach deutlich gemacht –, dass ich für meine Fraktion sagen kann, dass wir uns sehr ernsthaft und sehr wohl konstruktiv an der Aufklärung beteiligen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Zur Überschrift „Scheinheiligkeit“: Herr Sieveke, Sie machen uns hier den Vorwurf einer vorgezogenen Beweiswürdigung allein aus der Tatsache heraus, dass wir einen Zwischenbericht beschlossen haben, der heute vorgelegt wird. Ihre Rede, Herr Sieveke, war eine Aneinanderreihung von Schuldzuweisungen. Sie sind es, der hier permanent Schlussstriche zieht und sagt, wer schuld ist, und das auch noch während laufender Zeugenvernehmungen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Hier bitte redlich bleiben.
Über die These, dass eine reine Zusammenfassung der Zeugenbefragung per se eine Wertung darstellt, kann man auf der ganz abstrakt-juristischen Ebene wahrscheinlich tagelang in juristischen Seminaren streiten. Aber wenn man das zu Ende denken, diese Frage bejahen und sagen würde, ja, das ist per se schon einen Wertung, würde doch die Rechtsgrundlage für einen Zwischenbericht nach § 24 Abs. 5 Untersuchungsausschussgesetz faktisch ins Leere laufen. Politisch gesprochen hat sich Gesetzgeber doch etwas dabei gedacht. Dort heißt es:
„Der Landtag kann vom Untersuchungsausschuss jederzeit bei Vorliegen eines allgemeinen öffentlichen Interesses oder wenn ein Schlußbericht vor Ablauf der Wahlperiode nicht erstellt werden kann,“
– jetzt kommt es –
„einen Zwischenbericht über den Stand der Untersuchungen verlangen.“
Der Gesetzgeber hat sich doch irgendetwas dabei gedacht. Er hat sicher nicht gewollt, dass ein solcher Zwischenbericht bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses – das haben wir doch nun einmal – aus einer Zeugen- und Terminliste, vielleicht noch einem Aktenverzeichnis und dem Einsetzungsbeschluss besteht. Das öffentliche Interesse besteht doch darin, auch inhaltlich über die Arbeit des PUA informiert zu werden. Das möchten wir ausdrücklich. Ja, das möchten wir in der letzten Sitzung dieser Legislaturperiode dieses Landtags tun. Genau das macht der Zwischenbericht jetzt. Genau das hat der Landtag beschlossen.
Herr Sieveke, nach Abschluss der Untersuchung werden natürlich auch alle Protokolle veröffentlicht. Wir werden heute noch einmal in den Untersuchungsausschuss einbringen und ausdrücklich durch einen Antrag bekräftigen. Sie wissen genauso gut wie alle anderen, die schon Untersuchungsausschussarbeit geleistet haben, dass solch eine Veröffentlichung immer nach Abschluss der Untersuchung erfolgt, weil dieser Vorlauf benötigt wird, um Persönlichkeitsrechte und Datenschutzaspekte zu würdigen. Selbstverständlich wird die Öffentlichkeit all diese Protokolle bekommen. Sie verschwinden eben nicht, wie Sie es darstellen, in irgendwelchen geheimen Stahlschränken des Landtages.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nenne zwei Beispiele, an denen deutlich wird, dass der immer wieder in den Raum gestellte Vorwurf eben nicht zutrifft. Gleich spricht Herr Dr. Stamp und wird sagen: Tricksen, Täuschen, Vertuschen. – Mögliche Widersprüche und unterschiedliche Einschätzungen werden sehr wohl transparent dargestellt und dokumentiert, aber nicht – wie Sie es permanent tun, Herr Sieveke – abschließend bewertet.
Erstens. Der Generalbundesanwalt hat gesagt, es wurde keine förmliche Anfrage zur Freigabe von Informationen zur Durchsetzung einer Abschiebungsanordnung nach § 58a gestellt. Der vermeintliche Widerspruch liegt darin, dass der Zeuge Kretschmer – den Sie das im Übrigen gar nicht gefragt haben, aber das sei dahingestellt – danach gesagt hat, nach seinen Aktenkenntnissen habe sich die Siko sehr wohl entschieden, diese Freigabe zu beantragen. Das hat er sich nicht ausgedacht, sondern das weiß er aus Akten. Er geht davon aus, dass sie es auch gemacht hat.
Das steht erst einmal im Raum. Das haben wir dokumentiert. Diesen Fragen werden wir selbstverständlich weiter nachgehen.
Zweitens. Wo da die Wertung ist, frage ich Sie. Sie sind während der Zeugenbefragung hinausgegangen und haben gesagt: Dieses Gutachten ist diskreditiert, weil der Generalbundesanwalt das gesagt hat. Dieser hat recht und jener hat unrecht. Ich, Sieveke, ziehe einen Schlussstrich und fälle einen Schuldspruch. – Sie haben Vorfestlegungen gemacht, nicht wir.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben uns konstruktiv an der Zeugenbefragung beteiligt, statt draußen in den Kameras Schuldsprüche zu veröffentlichen.
Der aus meiner Sicht nächste Beleg dafür, warum wir sehr transparent widersprüchliche Rechtseinschätzungen dokumentiert haben, ist § 62 Sicherungshaft, besser bekannt als Abschiebungshaft. Auch hierzu haben wir zwei unterschiedliche Einschätzungen. Ich möchte hier nicht rechtlich in der Tiefe würdigen, mit welchen Begründungen sie vorgetragen wurden. Dafür reicht die Zeit nicht. Aber nach intensiven Befragungen sagen das Landesinnenministerium und der Gutachter, dass Abschiebungshaft hier nicht hätte beantragt werden können, weil die Voraussetzungen schlicht und einfach nicht vorlagen.
Ich meine, eine Behörde darf das dann auch nicht tun. Herr Dr. Stamp meint ja, wir bräuchten solche Probierbehörden, wie der Zeuge Freier sie genannt hat. Ich möchte ausdrücklich nicht, dass Behörden, die ganz klar zu der Auffassung kommen, es gibt keine Rechtsgrundlage für einen Fall, es trotzdem einmal versuchen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Nein, hier hat eine Behörde entschieden. Ich möchte keinen Rechtsstaat, der aus Probierbehörden besteht. Aber wir haben vielleicht unterschiedliche Rechtsstaatsauffassungen, Herr Dr. Stamp.
Das Landesinnenministerium sagt: Wir sahen die Rechtsgrundlage nicht. Also gab es diesen Antrag auch nicht. – Der Bundesinnenminister sagt das Gegenteil. Ja, genau das steht auch in dem Bericht. Er sagt, man hätte eine Abschiebung beantragen können, weil man Amri hätte zurechnen können, dass er sich nicht selbst an seiner Abschiebung beteiligt. Deswegen entsteht aufgrund dieser Kausalität erst gar nicht diese Dreimonatsfrist. Der Bundesinnenminister bezieht sich ausdrücklich auf diesen Kausalitätsgrundsatz.
Ich möchte das nicht vertiefen. Zwei Rechtsauffassungen wurden genannt. Wir schreiben sie in den Bericht. Herr Dr. Stamp, wir sind nicht an der Stelle, jetzt zu sagen: Dieser hat recht und jener hat unrecht. – Herr Sieveke, ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie hinausgehen und sagen: Okay, wir haben die eine Rechtsauffassung gehört. Abschiebungshaft hätte beantragt werden können. Punkt. Der Innenminister ist schuld. – Nein, an dieser Stelle sind wir nicht.
Deswegen wird noch einmal ausdrücklich an diesen zwei Beispielen belegt: Wir geben hier einen Zwischenbericht – nicht mehr und nicht weniger –, der transparent deutlich macht, an welcher Stelle der Untersuchung wir sind. Da gibt es Widersprüche. Da gibt es unterschiedliche Bewertungen. Diese dokumentieren wir hier, damit die Öffentlichkeit informiert wird; denn sie hat ein Recht darauf, über unsere Arbeit informiert zu werden.
Die Legislaturperiode endet für mich und für uns nicht am 14. Mai, sondern am 31. Mai. Bis dahin werden wir objektiv, transparent und konstruktiv den Auftrag weiterverfolgen, an der Aufarbeitung dieses Anschlags mitzuwirken. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 

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