Matthi Bolte: „Ich hätte mir gewünscht, mehr die eigentlichen Fragen der sexualisierten Gewalt in den Blick zu nehmen“

Abschlussbericht des PUA Silvesternacht

###NEWS_VIDEO_1###
Matthi Bolte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht – ich glaube, das ist in allen Redebeiträgen deutlich geworden – haben uns alle in diesem Haus tief betroffen gemacht. Sie haben das Vertrauen der Öffentlichkeit und insbesondere der Opfer der Übergriffe in die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates erschüttert. Sie haben die Debatte über die Zuwanderung in eine falsche Richtung abgelenkt und gerade die Geflüchteten, die bei uns im Nordrhein-Westfalen Schutz vor Verfolgung und Not suchen, oftmals einem Generalverdacht – zum Teil auch aus den Reihen dieses Hauses – ausgesetzt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Fraktionen dieses Hauses haben den Ausschuss einmütig eingesetzt. Wir haben viele Erkenntnisse gemeinsam zutage gefördert, aber es war dennoch nicht möglich, zu gemeinsamen Bewertungen und Schlussfolgerungen zu kommen. Dass dies nicht möglich war, bedauere ich ausdrücklich.
Der Untersuchungsausschuss hat sich vordringlich mit der Eskalation der Ereignisse in der Silvesternacht 2015/16 beschäftigt. Wir haben dabei herausgearbeitet, dass es basierend auf dem Kenntnisstand vom 9. Dezember 2015, als der Einsatzbefehl verfasst wurde, mit der entsprechenden Lagebewertung sachgerecht war, mehr Polizei zur Verfügung zu stellen, wie es dann auch geschehen ist. Insofern kann man da noch von einer lagegemäßen Einsatzplanung sprechen.
In der Nacht selbst wurden dann aber massive Fehler begangen, die wir im Ausschuss einmütig herausgearbeitet haben. Kommunikationswege wurden, sofern sie überhaupt vorhanden oder bekannt waren, nicht genutzt. Bei allen beteiligten Behörden gab es Defizite in der Führung des Einsatzes. Die Situation wurde zu spät erkannt, notwendige Konsequenzen wurden nicht gezogen. Es fehlte an Vorfeldaufklärung. Es fehlte an frühzeitigem Einschreiten, und es hätten Kräfte nachgefordert werden müssen.
Das schlimmste Versäumnis aller beteiligten Behörden – die Untersuchung hat ergeben: aller beteiligten Behörden – lautet: Man hatte Sexualdelikte für diese Nacht schlichtweg nicht auf dem Zettel. – Dieses Versäumnis darf sich niemals wiederholen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Der Ausschuss hatte auch weitere Sachkomplexe zu bearbeiten. Es zeigte sich: Die Personalentwicklung bei der Polizei ist positiv. Rot-Grün hat so viele Polizistinnen und Polizisten eingestellt wie keine Regierung zuvor. Dadurch schaffen wir mehr Präsenz und Ansprechbarkeit. Das schafft echte Sicherheit und nicht die Pseudosicherheit durch mehr Überwachung.
In NRW gibt es keine No-go-Areas. Es gibt keine Gebiete, in denen die Polizei nicht mehr für Sicherheit sorgen würde. Die CDU hat lange gesucht, aber doch keine gefunden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Alle Zeugen haben gesagt: Ja, bei uns gibt es Brennpunkte. Ja, bei uns gibt es Kriminalität. Aber sie haben auch ganz klar gesagt: Wir gehen überall hinein. – Denn das ist die Aufgabe der Polizei in unserem Land. Dafür haben wir sie, und dafür rüsten wir sie aus. Dafür bilden wir sie aus, dafür statten wir sie aus.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben festgestellt, dass wir die Gewalt gegen Polizeibeamte weiter im Auge behalten und Situationen analysieren müssen, in denen es zu Eskalationen gekommen ist. Wir werden das nüchtern, sachlich und erfolgsorientiert tun.
Nordrhein-Westfalen ist ein sicheres Land. Das galt vor der Kölner Silvesternacht, und das gilt nach der Kölner Silvesternacht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, dass der Ausschuss Handlungsempfehlungen entwickelt hat, die die notwendigen Konsequenzen benennen. Alle beteiligten Behörden bei Großlagen müssen besser kooperieren. Das gilt in der Vorbereitung und in der Nachbereitung. Es reicht nicht, sinnvolle Maßnahmen zu thematisieren, sie müssen auch umgesetzt werden. Denn da wurden Chancen vertan, um die Ereignisse der Silvesternacht zu verhindern oder zumindest ihre Auswirkungen möglicherweise abzumildern. Das haben wir einmütig festgestellt.
(Marc Lürbke [FDP]: Befristete Stellen bei der Kölner Polizei!)
Die Dynamik einer Einsatzlage muss genauer beobachtet werden. Wenn im Einsatz gehäuft Delikte oder Muster auftreten, muss man das nicht nur zur Kenntnis nehmen, wie es geschehen ist, sondern man muss aktiv handeln. Wir benötigen ausreichendes und für Führungsaufgaben qualifiziertes Personal bei den kommunalen Ordnungsbehörden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen, wie von der Landesregierung zugesagt, in den kommenden Jahren die hohen Einstellungszahlen halten und mit einer Weiterentwicklung der BKV auch dafür sorgen, dass die Polizei da ankommt, wo sie wirklich gebraucht wird. Wir werden die sozialraumorientierte Polizeiarbeit ausbauen; denn gerade hier gilt: Ansprechbare Polizisten vor Ort helfen mehr als jede Haudraufrhetorik, wie sie hier in den letzten Jahren von CDU und FDP präsentiert wurde.
(Beifall von den GRÜNEN)
Einen wichtigen Teil der Handlungsempfehlungen nehmen bei uns Maßnahmen zur Verhinderung sexualisierter Gewalt ein. Wir wollen eine Dunkelfeldstudie zu Sexualstraftaten auflegen, und wir wollen deren Berücksichtigung bei der Polizeiarbeit. Wir wollen, dass Sexualstraftaten als solche erkannt werden und Defizite bei der deliktischen Einordnung beseitigt werden. Wir wollen die operativen Kräfte für den Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt sensibilisieren. Taten müssen erkannt und Opfer ernst genommen werden.
Wir stehen zum Ausbau der Netzwerke mit Angeboten der freien Frauenhilfestrukturen. Ich muss an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass wir die unter Schwarz-Gelb vorgenommenen Kürzungen in diesem Bereich umgehend korrigiert haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wenn wir auf die Ausschussarbeit zurückblicken, dann sehen wir ein großes Versäumnis. Dieses große Versäumnis der Ausschussarbeit ist, dass wir zu oft die eigentliche Frage aus dem Blick verloren haben. Diese Frage lautet nicht: „Wer hat wann was gesagt?“ oder: Wer hat wann telefoniert? Die Frage, die der Ausschuss zu klären hatte, war: Wie verhindern wir in Zukunft sexualisierte Gewalt gegen Frauen? – Die Opposition hat diese Frage so gut wie nie gestellt. Das zeigt, Ihnen ging es nicht um die Betroffenen der Silvesternacht.
(Marc Lürbke [FDP]: Unverschämtheit!)
Das halte ich für beschämend. Dass der Vorsitzende in seiner Berichterstattung nicht einen Satz zu diesem Thema verloren hat, dass die FDP es in der letzten Sommerpause, in der es genau um dieses Thema ging, teilweise nicht einmal nötig hatte, teilzunehmen, illustriert ihr Desinteresse in ganz dramatischer Weise.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist eine Missachtung der betroffenen Frauen. Das ist der eigentliche Skandal dieses Ausschusses.
Auch wenn eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen die Ausschussarbeit retrospektiv als positiv bewertet hat, möchte ich doch daran erinnern, dass sie schwierig war. Sie war geprägt vom Wahlkampf und von Indiskretionen. Ich hätte mir gewünscht, mehr die eigentlichen Fragen der sexualisierten Gewalt in den Blick zu nehmen. Das wäre der Ausschuss den betroffenen Frauen schuldig gewesen. Aber das hat die Opposition an vielen Stellen verhindert.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich abschließend appellieren: Nutzen wir als Parlament nach der Wahl die Gelegenheit, uns intensiv in der gebotenen Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit mit der Prävention zur Verhinderung sexualisierter Gewalt auseinanderzusetzen. Köln war in dieser Form ein singuläres Ereignis. Aber das, was dort erkennbar wurde, geschieht tausendfach fast immer im unmittelbaren Umfeld der Opfer, und zwar nicht nur in Nordrhein-Westfalen, oft im Verborgenen und ohne dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Dabei darf es nicht länger bleiben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 

Mehr zum Thema

Innenpolitik