Dr. Ruth Seidl: „Es iegt in unserer Verantwortung, diese Freiheit zu verteidigen und denjenigen beizustehen, denen sie verwehrt wird“

Antrag von SPD, GRÜNEN und Piraten zur Wissenschaftsfreiheit

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Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben weltweit ein Erstarken nationalistischer autoritärer und fremdenfeindlicher politischer Bewegungen. Immer länger scheint die Liste der Länder zu werden, in denen Journalistinnen und Journalisten, Andersgläubige und Andersdenkende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entlassen, verfolgt, drangsaliert, eingekerkert oder sogar getötet werden.
Dabei geraten auch die Hochschulen als Orte kritischen Denkens zunehmend unter Druck. Weltweit und auch in Europa schrumpfen die Budgets für Wissenschaft. Vielerorts sind Strömungen auf dem Vormarsch, die ihre Identität in Wissenschaftsfeindlichkeit und Wissenschaftsdiffamierung suchen.
Wissenschaftliche Faktenlagen wie der Klimawandel oder Ergebnisse der Genderforschung werden diskreditiert oder gar geleugnet. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen. Deutschland und die EU stehen in der Pflicht, sich mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie mit der Zivilgesellschaft solidarisch zu zeigen.
Für uns in Deutschland ist die grundgesetzlich verbriefte Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut. Art. 13 der Grundrechtecharta garantiert diese in der Europäischen Union. Wissenschaftsfreiheit ist die Grundbedingung für erfolgreiche Forschung und Lehre, für Kooperationen im eigenen Land und über dessen Grenzen hinaus. Deshalb liegt es in unserer Verantwortung, diese Freiheit zu verteidigen und denjenigen beizustehen, denen sie verwehrt wird.
Mit der Strategie zur Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung hat die Bundesregierung die Grundlage für eine stärker vernetzte internationale Zusammenarbeit gelegt. Sie hat aber versäumt, darin die Wissenschaftsfreiheit zum Markenkern zu machen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit, insbesondere mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse in der Türkei und den USA, erwarten wir, dass der Bund konkrete Maßnahmen für den weltweiten Schutz der Wissenschaftsfreiheit aufzeigt.
Insbesondere die Lage in der Türkei ist dramatisch. Wenn Teile der Opposition verhaftet sowie die Presse- und Wissenschaftsfreiheit de facto außer Kraft gesetzt werden, sind das tiefe Eingriffe in die Freiheitsrechte. Die Zahl der in der Türkei entlassenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt mittlerweile bei über 5.000. Friedliche Proteste von Akademikerinnen und Akademikern an der Universität Ankara werden von der türkischen Polizei mit Tränengas und mit Gummigeschossen gewaltsam aufgelöst.
Viele der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen auf eine Zuflucht in Deutschland. Wir sollten sie mit offenen Armen empfangen, damit sie ihre Forschungen zumindest zeitweise bei uns fortsetzen können.
Internationalisierung heißt aber auch Austausch, Kooperation und Vielfalt. Deutschland gehört mit Großbritannien, Frankreich, Kanada und der Schweiz zu der Gruppe von Ländern, die nach den USA zu den wichtigsten Knotenpunkten internationaler Wissenschaftlermobilität zählen. Sie gehören sowohl zu den wichtigsten Gast- als auch zu den wichtigsten Herkunftsländern international mobiler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Vor diesem Hintergrund verheißt die aktuelle Lage in den USA nichts Gutes. Nachdem Donald Trumps Erlass für ein Einreiseverbot von der Justiz gestoppt wurde, hat er nun ein neues Dekret erlassen, das eigentlich heute in Kraft treten sollte und das erfreulicherweise erneut gerichtlich einkassiert wurde. Trumps Populismus schadet der internationalen Verständigung, dem Austausch über Kontinente hinweg und nicht zuletzt den USA selbst. Schon der erste Erlass führte dazu, dass sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Europa wandten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten von Brexit, Abschottung à la Trump und Verhaftungen à la Erdogan ist es umso mehr unsere Aufgabe, die Kooperation und den Austausch von Studierenden, Lehrenden und Forschenden weiter auszubauen. Dazu gehören die Ausweitung der Austausch- und Stipendienprogramme, aber auch bessere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten für Forschende aus Entwicklungs-, Schwellen- und Krisenländern.
Deshalb wollen wir die Landesregierung mit unserem Antrag auffordern, zusammen mit dem Bund und den anderen Ländern ein deutliches Signal für eine freie und international kooperierende Wissenschaft zu setzen – sowohl auf europäischer als auch auf darüber hinausgehender internationaler Ebene. Wir wollen mit den Hochschulen und außerhochschulischen Einrichtungen dafür werben, dass sich international tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei uns niederlassen, um frei und erfolgreich forschen und lehren zu können. Wir wollen prüfen, welche Unterstützung unsere Hochschulen brauchen, um geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, und wie man die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihren Aufenthalt bei uns verbessern kann.
(Beifall von Dietmar Bell [SPD])
Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen für eine freie Wissenschaft, für Demokratie und Meinungsfreiheit setzen und dafür einstehen, dass wissenschaftliche Fakten als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind.
Stimmen Sie in diesem Sinne alle zusammen unserem Antrag zu.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Torsten Sommer [PIRATEN])