Dagmar Hanses: „Vollzugsöffnende Maßnahmen sind sinnvoll und helfen bei der Wiedereingliederung“

Aktuelle Stunde auf Antrag der CDU zu entflohenen Häftlingen

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Dagmar Hanses (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe ja häufiger das Vergnügen, nach Herrn Wedel zu sprechen, aber selten hat es mir so viel Vergnügen bereitet wie heute.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Vielen Dank für diesen sehr sachlichen und fundierten Beitrag!
Bei der Beantragung dieser Aktuellen Stunde der CDU habe ich mir die Frage gestellt: Wenn das wirklich die größte Sorge der CDU in dieser Woche ist, mache ich mir eher Sorgen um die CDU und nicht um den offenen Strafvollzug.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Sie suggerieren in der Beantragung dieser Aktuellen Stunde, von vollzugsöffnenden Maßnahmen im offenen Vollzug – die auch nicht in jedem Fall gelingen – gehe eine Gefahr für die Bevölkerung aus. Glauben Sie das wirklich? Wir glauben es jedenfalls nicht.
Aus guten Gründen war der offene Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen über alle Parteigrenzen hinweg in der Vergangenheit ein herausragendes Markenzeichen des nordrhein-westfälischen Strafvollzugs. Er wurde gewürdigt, geschätzt und ausgebaut. Denn mit seiner Öffnung nach außen beugt er den schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs vor, fördert die Selbstständigkeit und die Eigenverantwortlichkeit der Gefangenen und erleichtert ihnen den Übergang in die Freiheit.
Der offene Vollzug ist keine bloße Vergünstigung für beanstandungsfreies Verhalten, sondern vielmehr eine wichtige Behandlungsmaßnahme. Er dient dem Einüben von Verhaltensweisen in Freiheit, insbesondere durch Selbstkontrolle und realitätsnahes Durchstehen von Versuchssituationen.
In Anstalten des offenen Vollzugs, die den Verhältnissen in Freiheit angeglichen sind, können sich Unselbstständigkeit und Subkultur in geringerem Maße entwickeln als in den Anstalten des geschlossenen Vollzugs, in denen die Gitter und die Sicherheitsvorkehrungen höher sind. Der offene Vollzug ist ein tragender Eckpfeiler des nordrhein-westfälischen Resozialisierungsprogramms.
Auch im Vergleich der Haftraumkapazitäten mit denen in anderen Bundesländern zeigt sich, dass wir führend sind. Wir haben acht eigenständige Einrichtungen des offenen Vollzugs, viele Bundesländer keine oder eine. Auch da hinkt der Vergleich natürlich. Acht eigenständige Anstalten machen mehr als die Hälfte der Anstalten in der Bundesrepublik insgesamt aus.
Mit Blick auf die wertvolle Resozialisierungsarbeit, die im offenen Vollzug von den Beschäftigten geleistet wird, denen wir an dieser Stelle noch einmal herzlich für ihre Arbeit danken möchten, sind Entweichungen in der Höhe, wie sie hier in Rede stehen, als unvermeidbare Begleiterscheinung hinzunehmen. Positive Statistiken über das, was alles gelingt – Gefangene gehen jeden Tag ihrer Arbeit nach, holen Schulabschlüsse nach, führen durch Substitution und Behandlungsmaßnahmen ein Leben ohne Sucht –, werden leider nicht geführt.
Was bedeutet es denn für die Bürgerinnen und Bürger, wenn ein Straftäter, eine Straftäterin morgen wieder die Nachbarin, der Nachbar, der Arbeitskollege ist? Was wollen die Bürgerinnen denn, wenn diese Nachbarn, Arbeitskollegen wiederkommen? Wollen sie, dass sie den Alltag eingeübt haben, oder wollen sie, dass sie im schlimmsten Fall 23 Stunden am Tag weggesperrt sind? Sie wollen, dass diese Menschen im aktivierenden Behandlungsvollzug gearbeitet haben, von Fachleuten begleitet wurden und künftig ein Leben ohne Straftaten führen können.
Ich bin mir sicher, dass der aktivierende Behandlungsvollzug die Rückfallquote deutlich senkt. Deshalb gibt es dazu keine Alternative.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Was heißt eigentlich „Entweichung im offenen Vollzug“? Ja, da geht jemand durch die Tür – Herr Wedel hat es auch schon gesagt – und kommt mal zu spät von der Arbeit zurück in die Einrichtung. Ja, Gefangene kommen mal zu spät von einem Arztbesuch, von einer Familienfeier wegen eines Staus, Nachlässigkeit oder der verspäteten Bahn zurück in die Einrichtung. Auch das wird in der Statistik gezählt. Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, dass das eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Ersatzfreiheitstrafen, die vorwiegend im offenen Vollzug umgesetzt werden, betreffen aktuell 500 Menschen. 500 Menschen sitzen in unseren Gefängnissen, weil sie Geldstrafen nicht bezahlen konnten. Diese Menschen sind kein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung.
Wenn Sie als Anlass für diese Aktuelle Stunde einen Pressebericht nehmen, dann möchte ich auch noch einen Artikel anführen, nämlich aus „Die Glocke“ vom 16. Februar, in der die Einrichtungsleiterin der größten offenen Vollzugseinrichtung in Europa, der JVA Senne, Frau Höltkemeyer-Schwick, die wir alle kennen und schätzen, erklärt: „Die Nichtrückkehrerquote liegt bei 0,2 Prozent.“ Da sehen Sie eine Gefahr? Sie sagt sehr deutlich: „Es gibt keine bessere Möglichkeit“ als den offenen Vollzug. Es heißt dort weiter,
„dass sie den offenen Vollzug für das Nonplusultra hält, um Inhaftierte in die Gesellschaft wiedereinzugliedern. … Entsprechend ist die Integration der Gefangenen in den allgemeinen Arbeitsmarkt … ein besonderes Anliegen.“
Deshalb bitte ich die CDU, zu dem gemeinsamen Bekenntnis zum offenen Vollzug zurückzukehren; denn die vollzugsöffnenden Maßnahmen sind sinnvoll und helfen bei der Wiedereingliederung. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

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