Aufklärung und Konsequenzen aus dem Fall Anis Amri

Kommunalinfo

Liebe Freundinnen und Freunde,
am 19. Dezember 2016 ist Realität geworden, was wir spätestens seit den Terroranschlägen der letzten beiden Jahre in Westeuropa befürchtet haben: Ein islamistischer Anschlag auf eine größere Menschenmenge in Deutschland. Wir trauern um die zwölf getöteten Menschen und fühlen mit den Verletzten und Angehörigen der Opfer des Anschlags auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz.

Aufarbeitung des Behördenhandelns

Ob und wie man das schreckliche Attentat hätte verhindern können, ist eine Frage, die sich die Bürger*innen unseres Landes stellen. Auch wir GRÜNE haben viele Fragen zum Behördenhandeln im Fall Anis Amri. Diesen Fragen gehen wir in den Sitzungen des Innenausschusses im Landtag NRW weiter nach. Offenbar hat es Anfang November 2016 im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) eine Fehleinschätzung über die von Amri ausgehende Gefahr gegeben. Im GTAZ sind die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern vertreten, um sich im Bereich des Islamismus auszutauschen. Amri war insgesamt sieben Mal Thema im GTAZ. Kurz vor der Sitzung im November 2016 hatten noch ausländische Sicherheitsbehörden über seine Gefährlichkeit informiert, was aus unserer Sicht mit zu einer anderen Bewertung hätte führen müssen.
Insbesondere zu der Frage, ob Amri durch die NRW-Behörden in Abschiebehaft hätte genommen werden können, gibt es unterschiedliche Bewertungen. Im Spiegel-Interview behauptet Bundesinnenminister de Maizière, dass dafür genügend Anhaltspunkte vorgelegen hätten. Dem widerspricht das NRW-Innenministerium und auch wir sind nach Kenntnis der vorliegenden Informationen skeptisch, ob die aktuelle Rechtslage eine Haftanordnung ermöglicht hätte, insbesondere vor dem Hintergrund einer sehr restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Denn in der Zeit vor dem Attentat im Dezember war nach unseren Informationen nicht ersichtlich, ob und wann die für eine Abschiebung nötigen Passersatzpapiere durch Tunesien ausgestellt worden wären. Eine solche belastbare Prognose wäre aber Voraussetzung für einen Haftantrag durch die Ausländerbehörde gewesen. Hierauf gehen die Kritiker*innen und auch der Bundesinnenminister nicht ein.
Allerdings sind auch noch viele Fragen offen: Wurde Amri vom Landesamt für Verfassungsschutz Berlin und/oder vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Rahmen der für sie möglichen Vorfeldmaßnahmen beobachtet, als es für eine polizeiliche Beobachtung keine Anhaltspunkte mehr gab? Auch die Frage an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, was die Einstellungsgründe für das durch sie eingeleitete Strafverfahren waren, ist noch nicht geklärt. Zuvor hatte das LKA NRW die Einleitung eines Verfahrens wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Strafgesetzbuch) gegen Amri angeregt, was der Generalbundesanwalt prüfte und dann an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin abgab.
An der Aufarbeitung dieser Fragen werden wir im Landtag NRW weiter arbeiten. Darüber hinaus hat die rot-grüne Landesregierung mit Prof. Dr. Bernhard Kretschmer einen Gutachter beauftragt, der das Behördenhandeln der NRW-Sicherheitsbehörden aufarbeiten soll und dafür Zugang zu allen Akten bekommt. Das Gutachten soll bis Ende März 2017 vorgelegt werden. Gerne hätten wir gemeinsam mit den Oppositionsfraktionen dieses Gutachten in Auftrag gegeben – dazu waren die anderen Fraktionen jedoch nicht bereit.

Konsequenzen aus dem Fall Anis Amri

Für uns GRÜNE im Landtag NRW ist klar: Wenn neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung von Terrorismus erforderlich, wirksam und rechtsstaatlich verhältnismäßig sind, unterstützen wir diese. Wir wollen echte Verbesserungen im Bereich der Inneren Sicherheit, keine Symbolpolitik. Die CDU hat ihre Wunschliste der Gesetzesverschärfungen längst vorgelegt und fordert von der Einführung der Schleierfahndung bis hin zur Ausweitung der Videobeobachtung einen Katalog altbekannter Maßnahmen, unabhängig davon, ob es etwas mit Terrorbekämpfung zu tun hat, oder nicht.
Gemeinsam mit der SPD-Landtagsfraktion NRW haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt:
·         Die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden müssen weiterhin personell gut ausgestattet werden, damit die personalintensive Beobachtung von Gefährdern gewährleistet bleibt. Rot-Grün hat die Einstellungszahlen bei der Polizei kontinuierlich und in diesem Jahr auf ein Rekordhoch von 2.000 Neueinstellungen erhöht sowie mehr Personal beim Verfassungsschutz und in der Justiz eingestellt.
·         Gefährder müssen stärker in den Blick genommen und die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden auf diesen Personenkreis fokussiert werden. Dazu bedarf es einer rechtlichen Definition des Begriffs »Gefährder«, der bisher ein reiner Behördenbegriff für Personen ist, die eine verfassungsfeindliche Ideologie vertreten und von denen eine hohe Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
·         Das Instrument der Fußfessel werden wir auf seine Wirksamkeit und verfassungsrechtliche Umsetzung prüfen. Bislang kann die Fußfessel nur bei bestimmten verurteilten Straftäter*innen (insbesondere bei Sexualstraftätern) nach Verbüßung der Haft angewandt werden. Der Bund will diese Regelung auf verurteilte Islamisten ausweiten. Zudem soll die Fußfessel zukünftig auch bei Gefährder angewandt werden, also bei Personen, die noch keine Straftat begangen haben, aber von denen eine hohe Gefahr ausgeht. Dafür bedarf es zum einen eine Änderung des BKA-Gesetzes und zum anderen eine Änderung der Landespolizeigesetze. Die Aufnahme der Fußfessel für Gefährder in das Landespolizeigesetz NRW hängt für uns GRÜNE von der Einhaltung der verfassungsrechtlich hohen Hürden ab. Zudem darf die Fußfessel aus unserer Sicht nur ein milderes Mittel bereits bestehender polizeilicher Maßnahmen sein und nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Die Innenminister erarbeiten derzeit einen Vorschlag für die Umsetzung der Fußfessel in den Landespolizeigesetzen – diesen Vorschlag werden wir prüfen.
·         Die gesetzlich erforderlichen Haftgründe für die Anordnung von Abschiebungshaft lagen bei Amri vor. Er konnte jedoch nicht in Abschiebungshaft genommen werden, weil nicht absehbar war, dass er in den nächsten drei Monaten hätte abgeschoben werden können. Die Abschiebungshaft darf auch aus unserer Sicht bei Gefährdern trotz vorliegender Haftgründe nicht mehr daran scheitern, dass sie nicht innerhalb der nächsten drei Monate in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden können. Bei dieser kleinen Gruppe der ausreispflichten Gefährdern sollte die drei-Monatsfrist gestrichen werden, um die Anordnung der Abschiebungshaft zu erleichtern.
Darüber hinaus wollen CDU und SPD auf Bundesebene einen eigenen Haftgrund »Gefährder« in das Aufenthaltsgesetz einführen. Das wäre eine Vermischung von Strafrecht und Aufenthaltsrecht, die nicht notwendig und nach unserer Beurteilung darüber hinaus verfassungsrechtlich höchst bedenklich ist. Wir wollen aber überprüfen, inwieweit bestehende Haftgründe derzeit verhindern, dass ausreisepflichtige Gefährder in Abschiebungshaft genommen werden können.
·         Wir setzen auf präventive Maßnahmen, um den weiterhin anhaltenden Zulauf zur salafistischen Szene zu stoppen. Die Landesregierung erarbeitet derzeit aufgrund eines rot-grünen Antrags aus März 2015 ein ganzheitliches Handlungskonzept zur Bekämpfung des gewaltbereiten verfassungsfeindlichen Salafismus. Dieses Konzept wird in den nächsten Wochen öffentlich vorgestellt. Uns ist wichtig, dass sowohl mit repressiven wie auch mit präventiven Mitteln gegen diese menschenverachtende Ideologie und gewaltbereite Szene vorgegangen wird. Das geht selbstverständlich nur gemeinsam mit der demokratischen Zivilgesellschaft. 

Save the Date: Grüner Sicherheitskongress am Samstag, den 1. April 2017

Wir möchten gerne mit Euch und Gästen u.a. aus der Wissenschaft, den Polizeigewerkschaften und von zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Bestandsaufnahme der öffentlichen Sicherheit in Deutschland und in NRW vornehmen und über Grüne Antworten auf die aktuellen Debatten in der Innenpolitik diskutieren. Am Samstag, den 1. April werden wir deshalb einen Grünen Sicherheitskongress veranstalten, der voraussichtlich in Düsseldorf oder in Köln stattfinden wird.
Wir würden uns sehr über Euer Kommen freuen. Eine Einladung mit allen Details wird bald folgen. Bitte merkt Euch den Termin vor.
Bei Nachfragen könnt Ihr Euch gerne an uns wenden.
Herzliche Grüße
Eure Grünen Mitglieder im Innenausschuss des Landtags NRW
Verena Schäffer MdL, Sprecherin für Innenpolitik
Monika Düker MdL, Mitglied des Innenausschusses
Matthi Bolte MdL, Sprecher für Datenschutz und Netzpolitik

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