Dr. Ruth Seidl: „Wissenschaft, die nachhaltig und langfristig denkt, ist unser Markenzeichen“

Unterrichtung der Landesregierung zum Forschungsland NRW

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Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Freimuth, ich muss zunächst mit Blick auf Ihre Anmerkungen zur Zivilklausel feststellen, dass Ethik in der Forschungspolitik bei der FDP offensichtlich überhaupt keine Rolle spielt. Dabei ist die im Grundgesetz verankerte Forschungsfreiheit kein Freibrief für unkritische Arbeit.
Dies wird an den Hochschulen auch viel diskutiert, denn hinter der Zivilklausel steckt doch ein Anliegen, dem man alle Sympathie entgegenbringen muss, nämlich, dass man sich dessen bewusst werden muss, dass Forschung relevant ist, risikobehaftet sein kann und dass sich in der Forschung nicht einfach nur für Dinge eingesetzt wird, die gesellschaftlich erwünscht sind. Darüber wird an den Hochschulen eine Debatte geführt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Die Sensibilisierung in Bezug auf die Frage, was man mit Forschungsergebnissen machen kann, die Notwendigkeit, dass sich Forscherinnen und Forscher damit auseinandersetzen, und die Diskussion an den Hochschulen darüber, dass eine Gesellschaft in die Lage versetzt wird, über den Umgang damit zu entscheiden – alle diese Fragen sind hochlegitim. Ich finde es notwendig, sie zu stellen.
Wir haben deshalb im NRW-Hochschulgesetz diese Zivilklausel verankert, die im Übrigen keineswegs Verbotscharakter hat, wie Sie immer suggerieren. Niemand und schon gar nicht der Staat darf einem Wissenschaftler vorschreiben, woran er forschen darf und woran nicht. In Deutschland besteht aber doch ein Grundkonsens über eine friedliche Ausrichtung der Gesellschaft. Dieses Ziel ist an vielen Stellen des Grundgesetzes verankert. Aus dieser Friedensfinalität des Grundgesetzes und dem herrschenden gesellschaftlichen Meinungsbild haben wir unsere Forderung nach einer allgemeinen Zivilklausel im Hochschulgesetz abgeleitet.
(Beifall von den GRÜNEN)
In der Tat haben kurz nach der Verabschiedung des Hochschulgesetzes über 30 Hochschulen diese Klausel in ihren Grundordnungen verankert. Das ist ein Zeichen, dass sie das für richtig halten.
Wenn Sie sich wirklich seriös mit den Fakten auseinandersetzen wollten, hätten Sie auch einmal die aktuellen Zahlen nennen sollen. Dann würden Sie vielleicht konstatieren, dass Nordrhein-Westfalen tatsächlich eine der führenden Wissenschaftsregionen in Europa – profiliert durch Spitzenleistungen in der Forschung – und gleichzeitig Studienort für mehr als eine Dreiviertelmillion Studierende ist. Letzteres ist schon mehrfach erwähnt worden. Das sind so viele Studierende wie in Bayern und Baden-Württemberg zusammen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir sind überzeugt, dass auch die immensen Investitionen – das kann man wirklich sagen –, die wir in den vergangenen Jahren in Bildung und Forschung getätigt haben, die Grundlage für eine erfolgreiche und nachhaltige Entwicklung des Landes bilden. Im Wissenschaftsetat 2017 sind Forschungs- und Innovationsförderung mit über 703 Millionen € veranschlagt. Die Grundfinanzierung der Hochschulen beträgt noch einmal knapp 3,6 Milliarden € zusätzlich.
Ein wesentlicher Teil der Forschungsausgaben fließt direkt an die Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Daneben haben wir auch Programme aufgelegt, die eine Kooperation mit Unternehmen ermöglichen. Hier wird vor allem gezielt auf Innovationen im Bereich der großen gesellschaftlichen Herausforderungen und im Bereich der nordrhein-westfälischen Leitmärkte gesetzt.
Thematisch fokussieren wir uns dabei auf die Stärken Nordrhein-Westfalens und auf Innovationen im besten Sinne, und zwar in folgenden Bereichen: neue Werkstoffe, Energie- und Umweltwirtschaft, Anlagen- und Maschinenbau, Mobilität und Logistik, Medien- und Kreativwirtschaft, Digitalisierung sowie Gesundheit und Lebenswissenschaften.
Bei der programmorientierten Forschung – quasi der dritten Säule neben Grundlagenforschung und angewandter Forschung – greifen wissenschaftspolitische Initiativen und die laufenden Forschungsaktivitäten der Hochschulen ineinander. Natürlich können diese selber forschen und werden in ihrer Freiheit nicht eingeschränkt; vielfach sind die nordrhein-westfälischen Hochschulen sogar selbst Impulsgeber der umsetzungs- und problemlösungsorientierten Forschung, eben genau auf diesen Feldern der neuen Technologien und der großen gesellschaftlichen Herausforderungen.
(Beifall von den GRÜNEN und Gabriele Hammelrath [SPD])
Der Vorwurf einer vermeintlichen Einschränkung von Technologieoffenheit bzw. einer staatlichen Regulierung von Wissenschaft und Forschung, den Sie immer wieder gerne bemühen oder anprangern, liebe Kolleginnen und Kollegen, läuft damit eindeutig ins Leere.
(Beifall von den GRÜNEN)
Grundlagenforschung, anwendungsorientierte Forschung und programmorientierte Forschung stehen nicht in Konkurrenz zueinander.
Frau Freimuth und Herr Berger, Sie haben auch das Thema „Forschung und Entwicklung“ angesprochen. Die Diskussion um die vermeintliche rote Laterne NRWs in Sachen Forschung und Entwicklung ist keine neue Diskussion, denn sie wird jedes Jahr aufs Neue geführt. Dadurch wird sie aber nicht richtiger. Das Gesamtbild ist einfach differenzierter und zeigt bei Lichte betrachtet: NRW steht bei den staatlichen Ausgaben für FuE gut da; nur die unterdurchschnittlichen Ausgaben der Wirtschaft verhageln die Statistik.
In keinem anderen Bundesland sind die staatlichen Investitionen in FuE in absoluten Zahlen höher als in Nordrhein-Westfalen. In NRW tragen überdies Land und Hochschulen 43 % der Ausgaben für Forschung und Entwicklung; in den meisten anderen Flächenstaaten sind die öffentlichen FuE-Investitionen deutlich geringer. In Bayern betragen sie 22 % – also die Hälfte –, in Baden-Württemberg 19 %, in Hessen 23 % und in Niedersachsen 31 %.
Die Zukunft Nordrhein-Westfalens liegt in der Ressource „Wissen“. Nur über die fortwährende Entwicklung von Innovationen werden Produkte und Dienstleistungen aus NRW auf den nationalen und internationalen Märkten bestehen. Aus unserer Sicht muss der Fokus dabei vor allem auf einer auf Nachhaltigkeit basierenden Wirtschaft liegen. Forschung und Entwicklung kommt in diesem Prozess eine Schüsselfunktion zu. Wir fördern deshalb die Zusammenarbeit und den Technologie- und Wissenstransfer zwischen Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Anspruch unserer Innovationspolitik ist es, Wertschöpfung und Nachhaltigkeit miteinander zu verknüpfen.
Neben der Sicherung von Arbeitsplätzen müssen auch mittelbare Effekte wie die Auswirkungen auf Klima und Umwelt und gesellschaftliche Folgen für Teilhabe und Gerechtigkeit eine Rolle spielen. Nachhaltige Wissenschaft bedeutet nicht einfach eine ökologischere Ausrichtung in Forschung und Lehre, sondern das bedeutet stets, das Ökonomische mit dem Sozialen und dem Ökologischen zusammen zu denken, langfristig zu denken und transdisziplinär zu forschen.
Deshalb ist es richtig, Forschungsprogramme wie Fortschritt NRW aufzulegen und die Entwicklung von Lösungen auf den Feldern der großen gesellschaftlichen Herausforderungen auch finanziell zu unterstützen. Zu diesen Herausforderungen zählen etwa der Klimawandel, die Gewährleistung einer sicheren, umweltfreundlichen, effizienten und bezahlbaren Energieversorgung, die Ermöglichung intelligenter, umweltfreundlicher und integrierter Mobilität, die Förderung von Gesundheit und Wohlergehen im demografischen Wandel, der Umgang mit Migrationsphänomenen sowie die Sorge für sozialen Zusammenhalt, Teilhabe und Sicherheit im gesellschaftlichen Wandel.
Eine alle Lebensbereiche überspannende Herausforderung ist in der Tat auch die Gestaltung der Digitalisierung. Ich sage Ihnen, diese Forschungsfelder werden künftig eine noch wichtigere Rolle spielen, und zwar nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch im Bund und bei der EU-Förderung; denn wir brauchen mehr transformatives Wissen, mehr Erfindergeist und mehr Forschungsförderungen für den sozialen und ökologischen Wandel. Nur auf diese Weise werden wir NRW zum Pionierland für nachhaltige Innovationen weiterentwickeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, vermutlich wird es Ihnen heute nicht gelingen, unsere hervorragend aufgestellte Forschungs- und Wissenschaftslandschaft schlechtzureden. Die nordrhein-westfälischen Hochschulen haben ihre Forschungsleistung kontinuierlich ausgebaut, und sie belegen in der Forschung bundesweit eine Spitzenposition.
Sehr erfolgreich hat NRW auch in der zweiten Programmphase der Exzellenzinitiative abgeschlossen – wir haben das schon gehört –, mit fünf Graduiertenschulen, zehn Exzellenzclustern und zwei Exzellenzuniversitäten in Köln und in Aachen. Im Zeitraum von 2011 bis 2013 entfielen 20 % der Summe aller DFG-Bewilligungen für Hochschulen auf Nordrhein-Westfalen, und, Frau Freimuth, bei den Sonderforschungsbereichen waren es 23 %. Wir liegen also immer im Rahmen des Königsteiner Schlüssels oder darüber – das sollten Sie einfach mal zur Kenntnis nehmen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)
An der Projektförderung des BMBF für Hochschulen partizipierten die NRW-Hochschulen im Jahr 2014 mit 213 Millionen € von rund 1 Milliarde €, also mit 21 %. Beim Programm „Forschung an Fachhochschulen“ des BMBF flossen von 2006 bis 2014 insgesamt 72 Millionen € von 286 Millionen € Gesamtförderung nach Nordrhein-Westfalen; das sind gut 25 %. 12 der 51 Trägerinnen und Träger des Leibniz-Preises der Jahre 2011 bis 2015 waren zum Zeitpunkt der Preisverleihung an nordrhein-westfälischen Hochschulen tätig; das sind 24 %. Insofern habe ich Ihre Zahlen eben überhaupt nicht verstanden, und ich weiß auch nicht, auf welcher Grundlage Sie sie sich erarbeitet haben.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich komme noch einmal auf das Personal zu sprechen. Auch hier liegen wir im Rahmen des Königsteiner Schlüssels. Immerhin sind 20 % des an den Universitäten in Deutschland hauptberuflich tätigen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an nordrhein-westfälischen Universitäten beschäftigt; für die Fachhochschulen beträgt der entsprechende Wert 25 %.
Die Forschungslandkarte der HRK, der Hochschulrektorenkonferenz, vermittelt einen Eindruck von der Dichte und Vielfalt der Forschungsschwerpunkte der nordrhein-westfälischen Hochschulen. Zum Selbstverständnis unserer Hochschullandschaft gehört es, Forschung in der gesamten Breite der Fächer zu betreiben. Dazu gehören auch die sogenannten Kleinen Fächer, die wir im Rahmen der Landeshochschulentwicklung sichern.
Lassen Sie mich noch auf einen weiteren forschungspolitischen Erfolg hinweisen. Beim Spitzencluster-Wettbewerb des BMBF konnten sich zwei Cluster aus NRW behaupten, zum einen „Intelligente Technische Systeme OWL“, bekannt unter der Abkürzung „it’s OWL“, und zum anderen das „EffizienzCluster LogistikRuhr“. Die Landescluster bilden den Rahmen für die Kooperationen von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und öffentlicher Hand entlang von Wertschöpfungsketten und zukunftsträchtigen Branchen sowie Technologiefeldern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, kein anderes Bundesland investiert so viel in Wissenschaft und Forschung wie Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen besitzt mit 39 außeruniversitären Forschungseinrichtungen 24,3 % der insgesamt 160 Einrichtungen in Deutschland.
19,6 % der Bundesmittel und 21,4 % der Landesmittel entfallen auf NRW. Das sind interessante Zahlen, die zeigen, dass das Land für Einrichtungen und Programme der gemeinsamen Forschungsfinanzierung weniger Mittel von Bund und Ländern erhält, als es selbst an Beiträgen leistet. Nordrhein-Westfalen finanziert also die Einrichtungen und Programme in anderen Ländern mit. Es hat einen sogenannten negativen Transfersaldo von sage und schreibe 92,2 Millionen € jährlich.
Das zeigt: Wir hier in Nordrhein-Westfalen haben unsere Hausaufgaben gemacht. SPD und Grüne fördern nicht nur gute Lehre und Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen, wir sorgen auch für gute Forschungsbedingungen.
CDU und FDP wollen die Forschungsförderung durch „Fortschritt NRW“ und andere Förderprogramme wieder abschaffen, wie eben gesagt. Da sage ich Ihnen:
Nicht mit uns! Gute Wissenschaft, die an den Lösungen für die drängenden Probleme, die Herausforderungen der Gesellschaft arbeitet, eine Wissenschaft, die innovativ und transdisziplinär ist, die nachhaltig und langfristig denkt, eine solche Wissenschaft ist unser Markenzeichen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)