Gewalt gegen Frauen aus der Tabuzone in die Öffentlichkeit holen

Drei Fragen an Josefine Paul zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen

Portrait Josefine Paul

1. Gewalt gegen Frauen ist immer noch alltäglich. Erst vor wenigen Tagen zeigte eine Studie von BKA und Bundesfamilienministerium, dass häusliche Gewalt weiter zunimmt. Demnach werden über 100.000 Frauen pro Jahr in Deutschland Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Was kann Politik tun, um gegenzusteuern?
Josefine Paul: „Gewalt gegen Frauen und Mädchen passiert zum aller größten Teil im sozialen Nahfeld, das heißt durch Partner, Ex-Partner, Verwandte, Freunde und Bekannte. Das macht es für die Betroffenen oftmals noch schwieriger, mit dem Erlebten umzugehen und die Täter möglicherweise auch anzuzeigen. Die Zahlen machen aber einmal mehr deutlich, dass wir häusliche Gewalt, aber auch Gewalt gegen Frauen und Mädchen generell aus der Tabuzone und in die Mitte der öffentlichen Debatten holen müssen. Wir müssen Frauen und Mädchen stärken und ermutigen, erlittene Gewalt nicht hinzunehmen, sondern sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Die gestiegene Anzeigebereitschaft nach den schrecklichen Ereignissen der Silvesternacht in Köln und anderen Städten hat gezeigt, dass das Dunkelfeld sich dann erhellt, wenn Frauen und Mädchen das Gefühl haben, dass sie und ihre Gewalterfahrungen ernst genommen werden.“
2. Die Frauenrechtsbewegung Terre des Femmes stellt ihre Aktionen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen unter das Motto „Tür auf!“. Damit wollen sie darauf aufmerksam machen, dass die Frauenhäuser mehr Geld zur Verfügung gestellt bekommen sollten, damit diese mehr Plätze einrichten können. Wie ist die Lage in Nordrhein-Westfalen?
Josefine Paul: „In NRW gibt es 62 landesgeförderte Frauenhäuser. Sie leisten eine unverzichtbare Arbeit, indem sie Frauen schützen und unterstützen, die von Gewalt betroffenen sind. Wir haben in den letzten Jahren versucht, die finanzielle und personelle Lage der Frauenhäuser systematisch zu verbessern. So haben wir als eine der ersten Maßnahmen nach der Regierungsübernahme 2010 die zweite Fachkraftstelle in den Frauenhäusern wieder eingeführt. Wir wollen aber auch mit den Frauenhäusern gemeinsam die inhaltliche Weiterentwicklung vorantreiben. Deshalb haben wir Gelder für Modellprojekte im Bereich "Second-Stage" zur Verfügung gestellt. Mit diesen neuen Ansätzen wollen wir die Frauen bei der schwierigen Phase des Auszugs aus dem Frauenhaus unterstützen und sie befähigen, selbstbestimmt und vor allem gewaltfrei zu leben. Das soll auch freien Kapazitäten in den Frauenhäusern als akuter Kriseneinrichtung beitragen. Grundsätzlich gilt, dass wir weiter eine bundesweit einheitliche Finanzierung der Frauenhäuser fordern, damit alle Frauen überall Zuflucht vor Gewalt finden können.“ 
3. Das Land NRW hat den Aktionsplan „NRW schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt“ erstellt – was kann dieser zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen leisten?
Josefine Paul: „NRW hat eine sehr gute und professionelle Frauenhilfeinfrastruktur. Die Frauen in den Einrichtungen und Initiativen sind wichtige Partnerinnen für uns. So war es auch bei der Erarbeitung des Landesaktionsplans, der unter Beteiligung der Frauenhilfeinfrastruktur, aber auch mit der Beteiligung unterschiedlicher Häuser erarbeitet wurde. Darin hat das Land alle Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen zusammengefasst, wie beispielweise Projekte, die präventiv die Entstehung von Gewalt verhindern, zur Selbststärkung junger Mädchen beitragen oder das Umfeld sensibilisieren, die Folgen von Gewalt besser zu erkennen.
Auch werden die Frauen und Mädchen in den Blick genommen, die vor Krieg zu uns geflüchtet sind. Viele von ihnen sind traumatisiert, da sie sowohl in ihren Herkunftsländern, als auch auf der Flucht oftmals geschlechterbezogener Gewalt ausgesetzt waren. Um sie zu unterstützen, bezuschusst das Emanzipationsministerium mit 1,75 Millionen Euro Projekte zur Beratung und Unterstützung von traumatisierten weiblichen Flüchtlingen. Dazu gehören auch Schulungen für Haupt- und Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe, denn auch für sie ist der Umgang mit traumatisierten Frauen besonders herausfordernd.
Wichtig ist, dass wir Gewalt gegen Frauen nicht als ein  "Frauenthema", sondern als eine gesamtgesellschaftliche, aber auch gesamtpolitische Verantwortung verstehen. Das Land hat seit 2010 die Haushaltsmittel für die Bereiche Gewaltprävention, berufliche Gleichstellung und LSBTTI verdoppelt. Von insgesamt 30 Millionen Euro in diesem Haushaltsbereich gehen allein 22 Millionen Euro in die Bekämpfung von und den Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Mädchen.“