Mario Krüger: „Mehr als 500 Millionen Euro legen wir als Landesgesetzgeber dazu“

Gemeindefinanzierungsgesetz 2017 - 1. Lesung

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Mario Krüger (GRÜNE): Meine Damen, meine Herren! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Herr Präsident! Ich möchte heute anders an die Frage, wie wir mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz umgehen, herangehen als in früheren Jahren.
In früheren Jahren haben wir deutlich gemacht, was wir alles Gutes getan haben, haben im Zusammenhang aufgerechnet, wie sich denn in den schwarz-gelben Regierungszeiten das Land zulasten der Kommunen bereichert hat und welche Änderungen wir in diesem Zusammenhang vorgenommen haben. Das erspare ich Ihnen heute.
Aber eines, Herr Höne, will ich Ihnen deutlich sagen: Wenn Sie sagen, dass dieses Spitzenergebnis der verteilbaren Verbundmasse das Ergebnis der sprudelnden Steuereinnahmen sei, dann ist das nur eine Antwort. Es gibt aber noch eine andere Antwort, die Sie auch hätten geben können.
(Henning Höne [FDP]: Die richtige Antwort!)
Wir hatten 2009 eine verteilbare Verbundmasse von 7,9 Milliarden €. Heute liegen wir bei 10,5 Milliarden € oder – anders formuliert – bei einem Plus von 2,6 Milliarden €. Etwa 2 Milliarden € davon sind den sprudelnden Steuereinnahmen zugestanden, aber mehr als 500 Millionen € legen wir als Landesgesetzgeber dazu, und zwar zum einen durch die Herausnahme der Befrachtungen in Höhe von rund 166 Millionen €, die Sie seinerzeit eingeführt haben, und zum anderen durch die Einbeziehung der Grunderwerbsteuer; das haben Sie seinerzeit nicht getan.
(Henning Höne [FDP]: Das gucken Sie noch einmal nach! Das stimmt nicht!)
Das sollten Sie in diesem Zusammenhang auch erwähnen.
Des Weiteren haben Sie von fiktiven Hebesätzen gesprochen. Liebe Zuhörer, fiktiv heißt, man würfelt irgendwie. Es wird aber nicht gewürfelt, sondern es handelt sich um die mittleren Hebesätze aller NRW-Kommunen abzüglich 5 %. Warum machen wir das? Warum halten wir an fiktiven bzw. mittleren Hebesätzen abzüglich 5 % fest? Weil wir natürlich wissen, dass die Kommunen einen gewissen Gestaltungsspielraum bezogen auf die Höhe ihrer Einnahmen haben.
Folgendes sollten wir allerdings nicht tun: Wir sollten nicht in Abhängigkeit zu den jeweils genutzten Gestaltungsspielräumen entsprechend in das Gemeindefinanzierungsgesetz nachfinanzieren; denn das würde der Willkür Tür und Tor öffnen.
Frau Thönnissen, ich weiß nicht, ob Sie das Urteil des Verfassungsgerichtes Münster aus Mai richtig gelesen oder verstanden haben. Der Landesverfassungshof hat zum wiederholten Male anerkannt, dass die Art und Weise, wie wir mit der Gemeindefinanzierung umgehen, sprich die Art und Weise, wie wir die Kommunen an den Steuereinnahmen des Landes beteiligen, völlig in Ordnung ist. Wir kommen unserer Verpflichtung im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Landeshaushaltes nach, und wir können uns auch im Vergleich zu anderen Bundesländern messen lassen.
Herr Höne, Sie sind noch relativ neu im Kommunalausschuss. Ich empfehle Ihnen – das gilt auch für Sie, Frau Thönnissen –, sich einmal eine Studie des Landesrechnungshofes Mecklenburg-Vorpommern anzuschauen, die in diesem Zusammenhang die verschiedenen Ausgleichssysteme der einzelnen Bundesländer beleuchtet hat. Diese ist relativ einfach zu lesen. Da sehen Sie, welche Verbundsätze zugrunde gelegt werden, welche Verbundgrundlagen zugrunde gelegt werden und wie hoch die Kommunalisierungsgrade sind. Wenn Sie das gelesen und auch verstanden haben, dann werden Sie erkennen, dass wir uns bezogen auf die Frage der kommunalen Finanzen durchaus sehen lassen können.
(Henning Höne [FDP]: Der grüne Oberlehrer wieder!)
Wir haben neben Hessen und Niedersachsen mit 23 % den höchsten Verbundsatz.
(Henning Höne [FDP]: Warum haben wie denn die höchste Kommunalverschuldung?)
– Das hat etwas mit der Entwicklung der sozialen Lasten zu tun; ohne Zweifel. Bezogen auf die Sachaufwendungen betrug die Steigerungsrate in den letzten Jahren etwa 1 %.
(Christof Rasche [FDP]: Vor allem im ländlichen Raum!)
Die Personalaufwüchse bzw. Steigerungsraten im Personalaufwand betrugen etwa 2%. Dafür haben wir einen relativ starken Anstieg der sozialen Aufwendungen, nämlich im Schnitt zwischen 4,5 und 5 %, teilweise auch über 5 %, zu verzeichnen. Das macht auch die Entwicklung des Soziallastenansatzes aus, der in diesem GFG mit – jetzt muss ich einmal nachschauen – 16 und ein paar Zerquetschten festgeschrieben wird.
Wenn Sie, Frau Thönnissen, das Urteil richtig gelesen haben, dann werden Sie festgestellt haben, dass der Landesverfassungshof dazu – ich beziehe mich hier auf die Ziffer 105 – Folgendes ausgeführt hat:
„Die Beschwerdeführerinnen machen zu Recht systematische ‚Übernivellierungen‘ wegen der Art der Finanzierung der Soziallasten im kreisangehörigen Raum geltend. Dies wird der Gesetzgeber zukünftig zu berücksichtigen haben. Die systematischen Verzerrungen beruhen darauf, dass der Soziallastenansatz auf Gemeindeebene ‚verortet‘ wird, obwohl die Kosten für die Sozialleistungen im kreisangehörigen Raum zu einem großen Teil von den Kreisen getragen werden, und die Soziallasten der Kreise über die Kreisumlage von den kreisangehörigen Gemeinden refinanziert werden.“
Was heißt das? Das heißt, wir haben den Aufwand bei den Kreisen und die Einbeziehung dieser Aufwendungen bei den kreisangehörigen Gemeinden. Und wenn wir entsprechende Veränderungen vornehmen – und das wird das Gutachten zeigen –, dann werden sich diese Veränderungen im kreisangehörigen Raum darstellen. Solange im kreisangehörigen Raum bzw. innerhalb eines Kreises der Aufwand im Bereich der Sozialleisten gleich hoch ist, werden die Veränderungen minimal sein. Problematisch wird es aber in den Kreisen werden, die einerseits strukturschwache Gemeinden und andererseits strukturstarke Gemeinden haben. Ein Beispiel hierfür ist der Kreis Mettmann. Velbert und Monheim werden davon profitieren, Heiligenhaus und Mettmann mit Sicherheit nicht.
Insofern gibt es mehrere Möglichkeiten, wie man herangeht. Eine der Möglichkeiten ist, in einem gewissen Umfang den Mehrwert, der aus einem gestiegenen Soziallastenansatz resultiert, sozusagen zulasten der jeweils betroffenen kreisangehörigen Gemeinden abzuschöpfen und in Richtung der Schlüsselzuweisungen für die Kreise zu schieben. Eine andere Möglichkeit wäre, das Kreisumlagegesetz entsprechend zu ändern und eine Situation herzustellen, in der diese Übernivellierung abgeschöpft wird, mit der Konsequenz, dass natürlich strukturschwache Gemeinden im kreisangehörigen Raum entsprechende Nachteile hinzunehmen haben. Das ist die Hauptaussage, die in der Urteilsbegründung getroffen ist. Darauf hat der Landesgesetzgeber zu achten, und dem werden wir auch im Rahmen der künftigen Gemeindefinanzierungsgesetze nachkommen.
Dass dies Zeit braucht, ist völlig normal. Daher erfolgt auch das Einfrieren auf Grundlage der Daten der Haupt- und Nebenansätze des Jahres 2016 für 2017, obwohl ich immer ein Verfechter davon gewesen bin, laufend zu aktualisieren. Wenn sich nämlich der Aufwand verändert, dann muss dieser im Gemeindefinanzierungsgesetz auch entsprechend dargestellt werden. Das wird eine spannende Diskussion werden, und da bin ich mal gespannt, inwieweit denn die Beschwerdeführer, die diese Verfassungsklage angestrengt haben, mit dem abschließenden Ergebnis hinterher zufrieden sein werden.
Ich bin auch gespannt, inwieweit der Städte- und Gemeindebund, der diese Klage massiv vorangetrieben hat, hier im Sinne aller kreisangehörigen Gemeinden gut beraten war.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Aber das wird eine Angelegenheit sein, mit der sich der künftige Landtag zu beschäftigen hat. Wir wissen, wie die Vorlaufzeiten sind. Das Gutachten wird möglicherweise erst im Sommer vorliegen, und ich glaube, da werden manchen bezogen auf die Frage: „Was ist in dem Zusammenhang angestoßen worden?“ die Augen aufgehen.
(Beifall von Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE])
Was wir nicht machen können, ist, auf Dauer den Soziallastenansatz abzusenken. In der Fragestunde gestern hat Minister Jäger dem Kollegen Schemmer noch einmal deutlich gemacht, nach welchen Kriterien das Gemeindefinanzierungsgesetz aufgebaut und ist weshalb so verfahren werden muss, wie verfahren wird. Das heißt, wir haben normierte Aufwendungen einerseits …
(Christian Dahm [SPD]: Das war aber nicht erfolgreich!)
– Weiß ich. Es stellt sich im Alter eine gewisse Sturheit ein – ich merke das langsam auch selbst –, und dann ist man nicht bereit, auf irgendwelche Argumente einzugehen. Insofern sei ihm das zugestanden an dem Punkt.
Nur, wenn wir entsprechende Aufwandszuwächse im Bereich der Sozialleistungen bzw. Sozialaufwendungen haben, dann wird man das zukünftig im Soziallastenansatz auch entsprechend darstellen können. Diese Wechselwirkung zwischen Hauptansatzstaffel einerseits und Soziallasten andererseits führt dazu, dass wir die Vor- und Nachteile in den jeweiligen Gebietskörperschaften natürlich entsprechend vorfinden.
Hauptansatzstaffel bzw. Einwohnerveredelung. Herr Höne, ich empfehle Ihnen, sich einmal anzuschauen – auch diese Studie aus Mecklenburg-Vorpommern –, in welchem Umfang das Thema „Einwohnerveredelung“ oder Hauptansatzstaffel aufgegriffen wird. Fast alle Flächenbundesländer greifen darauf zurück. Auch die Gutachten haben in der Vergangenheit bestätigt, dass es ein guter Verteilmaßstab ist. Denn es gibt sehr wohl einen Zusammenhang zwischen der Größe von Städten einerseits und den Aufwendungen andererseits.
(Henning Höne [FDP]: Ist der denn linear, Herr Krüger?)
Und daran werden wir auch festhalten. Das heißt, wenn wir Veränderungen vornehmen in Anlehnung an den …
(Henning Höne [FDP]: Die Frage ist, ob das linear ist!)
– Es geht einfach darum, inwieweit man das Ganze gerecht organisiert, nicht darum, ob man jemanden in diesem Zusammenhang bevorzugt oder benachteiligt. Es geht darum, inwieweit man auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Untersuchung einen Verteilmechanismus findet, der einer externen Prüfung standhält.
Die Verteilmechanismen, die wir in diesem Zusammenhang der Gemeindefinanzierung zugrunde gelegt haben, wurden bisher in allen Verfassungsklagen bestätigt, so auch in der zum GFG 2012. Nur, die Hinweise, die zum Thema „Soziallastenansatz im kreisangehörigen Raum“ gemacht wurden, werden entsprechende Konsequenzen haben. Das haben ich Ihnen heute entsprechend vortragen wollen, damit keiner im Nachgang aus allen Wolken fällt, wenn das ganze Verfahren nicht das Ergebnis findet, das man sich vorher gewünscht hat. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)