Mehrdad Mostofizadeh: „Wir brauchen handlungsfähige Kreistage, Stadträte und sonstige kommunale Gremien“

Gesetzentwurf zur Stärkung der kommunalen Vertretungen

Mehrdad Mostofizadeh

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Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer pluralen und vielstimmigen Gesellschaft, und darüber bin ich sehr froh. Denn für uns Demokratinnen und Demokraten sind unterschiedliche Werte, unterschiedliche Interessen nicht nur etwas Alltägliches, sondern auch etwas Positives.
Ja, für uns ist klar: Vielfalt und Pluralität sind wesentliche Grundlagen unserer Demokratie. Aber gerade weil wir diese Vielfalt so schätzen, ist ein kluger und vernünftiger Umgang mit ihr so wichtig. Darum brauchen wir handlungsfähige demokratische Institutionen; wir brauchen handlungsfähige Kreistage, Stadträte und sonstige kommunale Gremien.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)
Vielfalt darf eben nicht identisch sein mit Zersplitterung, Gleichgültigkeit oder gar Fragmentierung. Sie darf Politik eben nicht handlungsunfähig machen.
Wenn wir heute eine Änderung des Wahlrechts diskutieren, dann wollen wir genau diese Vorkommnisse angehen. Dafür haben wir in diesem Parlament – Gott sei Dank – einen großen Konsens. Aber nicht alle wollen diesem Konsens folgen. Sie sagen, wir würden die Vielfalt mit unserem Vorschlag einschränken.
Ich jedoch sage Ihnen: Nein, das Gegenteil ist der Fall! Wir wollen, dass eine plurale Wirklichkeit in den Kommunen nicht bloß präsent ist, sondern auch politisch handlungsfähig und wirksam wird und damit erst zur Geltung kommt.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)
Aus meiner Sicht ist es ein Fehler, die bloß numerische Vielfalt mit einer handlungsfähigen demokratischen Institution zu verwechseln. Ob da nun viele bunte Farben unverbindlich im Rat unterwegs sind – sie stehen eben nicht für einen echten und streitbaren Dialog, der die Gesellschaft wirklich voranbringt. Ich meine einen Dialog, der die Argumente, die auszutauschen sind, aufzeigt, und die Fakten, die zu diskutieren sind, offenlegt bei den Menschen, die sich ein eigenes Bild über den besten Weg machen möchten, wo Politik nicht simuliert wird und wo der Wählerwille tatsächlich repräsentativ in den Gremien abgebildet wird.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich sage dies nicht mit erhobenem Zeigefinger. Wir Grünen haben in den 80er-Jahren einen langen Weg der Selbstfindung, der Klärung von Prozessen zurückgelegt. Wir hatten eine bunte Vielfalt, und jetzt – das nehme ich für uns in Anspruch – haben wir die Prozesse geklärt und für programmatische Klarheit sowie für Handlungsfähigkeit in unserer Partei gesorgt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich möchte Ihnen auch noch einmal, weil das immer so abgetan wird, das Bild eines Kommunalpolitikers beschreiben, was der Kollege Nettelstroth hier schon angesprochen hat. Ich habe das auch in den Ausschussberatungen schon einmal gesagt: Es ist nicht jedem zuzumuten, morgens um 5 Uhr aufzustehen, dann eine Schicht als Altenpfleger zu fahren, mittags die Vorbesprechung im Rat zu machen, nachmittags die Kinder von der Kita abzuholen, um dann wieder in die Fraktionssitzung zurückzukehren und bis in die Nacht Ratssitzung zu machen. Das ist kein normales, menschenwürdiges Bild von Kommunalpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)
Wenn Sie einen solchen Tagesablauf sehen, dann muss man sich nicht wundern, wenn Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, die jung oder in der Ausstiegsphase sind, dieses kommunale Ehrenamt für unattraktiv halten. Deswegen müssen wir da gegensteuern, weil es um die Menschen geht, die das Rückgrat – der Kollege Körfges hat es gesagt – unserer kommunalen Demokratie bilden. Und darum es geht es heute bei der Verfassungsänderung, die wir Ihnen vorschlagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu einem weiteren Aspekt, der eben auch schon einmal angesprochen worden ist. Wir haben faktisch eine Zwei-Klassen-Situation in den Stadträten. Da gibt es die Einzelvertreterinnen und Einzelvertreter, die sich dann in technischen Fraktionen zusammenschließen, aber die politische Basis, das, was da repräsentiert werden soll, wird eben nicht abgebildet. Ratspolitik wird dann wieder nur simuliert.
Ich will auf einen weiteren Aspekt hinweisen: Demokratiepolitik, die rein numerisch auf Vielfalt guckt, steht übrigens auch in einem ganz praktischen Gegensatz zur direktdemokratischen Auseinandersetzung; denn direktdemokratische Elemente in der Gemeindeordnung – wir haben dafür, glaube ich, eine Menge getan – führen gerade nicht zu mehr Zerstückelung, sondern zu einer Zuspitzung von Fragestellungen, zu politischer Entscheidbarkeit und dann eben auch zu einer massiven Mobilisierung von Bürgerinnen und Bürgern, die zu diesen Abstimmungen hingehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Zerstückelung in den Räten erschwert hingegen Mehrheitsbildung. In den meisten Räten – das ist eben auch mehrfach gesagt worden – ist die Große Koalition, die, wie ich finde, unschöne Kopie des unschönen Spiels, das sich gerade in Berlin abspielt. Es führt, wenn viele Einzelvertreter da sind, nicht zu mehr Demokratie, sondern zu weniger Demokratie und zu weniger Transparenz in den Räten und Kreistagen.
(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)
Und wir haben ein anderes Ratsmodell als beispielsweise das in Baden-Württemberg. Unsere Räte haben umfassende Entscheidungsmöglichkeiten. Ich will nicht zuletzt auf das Recht der Allzuständigkeit hinweisen. Wir haben umfangreiche Zuständigkeiten und relativ geringe Dotierung. Wenn unsere Räte handlungsunfähig werden, dann schadet das den NRW-Kommunen unmittelbar und sehr nachhaltig.
Ich will auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der Folge von schwierigen Mehrheitsbildungen ist. Die Verwaltung und auch die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister bzw. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister werden weiter handeln. Sie weiter Satzungen erlassen, werden Entscheidungen treffen, und die gewählten Ratsvertreterinnen und Ratsvertreter und sonstigen Gremienvertreterinnen gucken sich das dann an, können keine Entscheidung mehr treffen. Das ist nicht unser Demokratiemodell. Wir wollen, dass diejenigen, die konkret gewählt worden sind, auch die Politik in den Räten und Kreistagen dieses Landes auch entscheiden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will noch einmal auf die 2,5 % zurückkommen. Professor Bogomil hat diese Ausarbeitung gemacht. Er kommt zu 2,8 %. Deswegen macht auch dieser moderate Vorschlag deutlich, dass wir uns sehr genau angeguckt haben, an welcher Schwelle wir den Eingriff betreiben. Und diese 2,5 % sind deutlich moderater als das, was uns von den Sachverständigen vorgeschlagen worden ist.
Wir machen diesen Vorschlag, weil wir glauben: Vielfalt sollte nicht mit Fragmentierung verwechselt werdend. Der Vorschlag soll der Zersplitterung entgegenwirken, und die Kommunalpolitik soll tatsächlich wieder handlungsfähig gemacht werden.
Wir wollen mit dem heutigen Vorschlag dafür sorgen, dass es wieder gute und transparente Politik in gut funktionierenden und demokratischen Institutionen gibt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sorgt für mehr Zusammenhalt, und deswegen machen wir Ihnen diesen Vorschlag. Ich bitte um eine breite Unterstützung, damit Verfassung heute und in dritter Lesung morgen geändert werden kann. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den SPD, der CDU und den GRÜNEN)

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