Horst Becker: „In Wahrheit geht es der FDP um Standards, die abgesenkt werden sollen“

Große Anfrage der FDP zur Regelungsdichte in NRW

###NEWS_VIDEO_1###
Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die Überschrift der Großen Anfrage, die die FDP gestellt hat, aufmerksam lesen, dann kommen wir alle eigentlich schnell hinter die Intention dieser FDP-Anfrage und auch des heutigen Entschließungsantrages. Es geht – das kann man sehr schnell lesen – um das alte, neoliberale Mantra der FDP: weniger Regeln, mehr Freiheit, dadurch blühende Unternehmen, öffentliche Haushalte, bei denen die Steuereinnahmen sprudeln, schlanker Staat. Alles wird gut, und demnächst wahrscheinlich sogar das Wetter.
(Zuruf von der FDP: So ist es! – Beifall von den GRÜNEN)
Für diese Saga hat die FDP keine Mühen und Kosten gescheut: die Mühen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien nämlich und die Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
– Und welchen Erkenntnisgewinn ziehen wir heute daraus, Herr Witzel?
(Dietmar Brockes [FDP]: Das sagt der Richtige!)
Nun, wir haben immerhin den Erkenntnisgewinn, dass die FDP zwar von der sozialen Marktwirtschaft spricht, die Spielregeln für Markt und Wettbewerb vorgibt, Ordnungsrahmen und soziale Marktwirtschaft also schaffen will – das ist vernünftig –, aber was verstehen Sie darunter? Wenn wir einen Blick auf die Seite 5 Ihrer Anfrage richten, klärt sich das auf. Ich zitiere:
„Notwendig ist eine Abkehr von der Praxis der lückenlosen hoheitlichen Prüfungen und Genehmigungen nahezu aller Lebenssachverhalte. Geeignete Instrumente für eine fortschrittliche und bürgerfreundliche Herangehensweise sind exemplarisch verlängerte Prüfintervalle, Stichprobenprüfungen, freiwillige Selbstbeschränkungen oder Zertifizierungen von Wirtschaftsverbänden, die Ermöglichung privatrechtlicher Gestaltung von Vereinbarungen … oder der weitgehende Verzicht auf eine verpflichtende Genehmigungserteilung.“
Was heißt dieses Instrumentarium, was heißt dieser Instrumentenkasten in der Praxis?
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Wenn wir uns einen aktuellen Fall anschauen, dann können wir das exemplarisch betrachten und auch nachvollziehen. Ich erinnere an Dieselgate, das Tricksen und Fälschen bei Abgas- und Verbrauchswerten – ein Musterbeispiel für nicht lückenlose Prüfungen, für nicht funktionierende Selbstbeschränkungen, für nicht funktionierende Regelvereinbarungen, also für Ihr ganzes Sammelsurium, was Sie immer wieder aus der neoliberalen Mottenkiste vortragen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wer zahlt den Preis für das, was Sie da fordern? Den Preis zahlen in solchen Fällen die Verbraucherinnen und Verbraucher, den zahlen auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – in der Regel nicht die Manager –, den zahlen auch die Aktionäre. Aber es kommt schlimmer: Den Preis zahlen wir auch alle, den zahlt die gesamte Volkswirtschaft wegen Steuerausfällen und übrigens auch dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, die Ihnen doch so am Herzen liegt.
Mit Blick auf diese Wettbewerbsfähigkeit verweise ich auf die Frage der Diesel-Autos. Man hätte längst bessere Autos bauen können, wenn man sich nicht aufs Pfuschen und Tricksen verständigt hätte.
(Ralf Witzel [FDP]: Wer ist denn dann zuständig?)
Man verschläft die Zukunft wie bei der Energiewirtschaft, wo man auch jahrelang die Wirklichkeit nicht wahrnehmen und sich nicht auf die neuen Prozesse einstellen wollte,
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
auch bei den Elektrofahrzeugen, bei denen unsere Industrie droht, abgehängt zu werden, weil sie nicht auf Batterieforschung setzt und weil sie, obwohl das vom Bund gefördert wird, jetzt die Batterieforschung an vielen Stellen eingestellt hat.
Das ist der Verlust von Zukunftsfähigkeit. Das hat etwas mit mangelndem Rahmen, mangelnder Durchsetzung und mangelndem Gestaltungswillen auch der Volkswirtschaften zu tun, die sich auf diese Kumpanei eingelassen haben.
(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Mehr Bürokratie!)
Sie kritisieren aber nicht nur das, was ich gerade beschrieben habe, sondern Sie kritisieren in Ihrem Mantra Bürokratie im Arbeits-, Sozial und natürlich auch Umweltrecht.
Was heißt das bei Ihnen? Das heißt im Zweifelsfall bei Ihnen: Sie wollen keinen Mindestlohn. Sie wollen weniger Rechte von Personalräten, wie Sie das zwischen 2005 und 2010 auch praktiziert haben. Und Sie wollen natürlich kein Umweltrecht. Das ist für Sie Gedöns, genauso wie die Regelungen zu Rauchverboten oder zum Nichtraucherschutz. Das ist für Sie alles egal.
Um die Mär vom Bürokratieaufbau etwas zu durchbrechen, will ich darauf hinweisen, dass Sie noch nicht einmal davor zurückschrecken, für Ihre Mär zur Durchsetzung Ihrer Ideologie neue Bürokratien aufzubauen.
(Dietmar Brockes [FDP]: Wir reden nicht nur von Bürokratie!)
Sie wollen einen Bürokratiekosten-TÜV. Sie wollen eine Bürokratiekostenfolgeabschätzung. Schon dieses Wortungetüm macht deutlich, welche Bürokratie dahintersteckt.
(Lachen von den GRÜNEN – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE] – Zurufe von der FDP)
Sie wollen ein Verwaltungsbenchmarking für alle Verwaltungsebenen vom Land bis hinunter zu den Kommunen haben. Sie wollen alle Gesetze befristen, um dann für den Fall ihrer Verlängerung jedes Mal eine umfangreiche Begründung – –
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
– Herr Witzel, stellen Sie doch eine Zwischenfrage. Lärmen Sie doch nicht so dumm herum.
(Heiterkeit Beifall von den GRÜNEN)
Also: Sie wollen alle Gesetze befristen und dann für den Fall ihrer Verlängerung wieder eine umfangreiche Begründung, das gesamte Gesetzesverfahren und – gut zuhören – alle Sozialleistungen auf den Prüfstand zu stellen. Das wollen Sie. Das ist Bürokratie. Das ist ideologisch motivierte Bürokratie.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, die Redezeit.
Horst Becker (GRÜNE): Ich komme zum Schluss. – In Wahrheit geht es Ihnen nicht um die Bürokratie selbst, sondern um Standards, die abgesenkt werden sollen, Standards übrigens, die Sie bei Ihrer Klientel gern erhalten bei den freien Berufen, für die die Schutzwälle nicht hoch genug sein können.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Was Sie mit dem Entschließungsantrag vorliegen, ist der alte gelbe ideologische Ansatz. Der Magenta-Lack beginnt zu bröckeln.
(Lachen von Ralf Witzel [FDP])
Heraus kommt die alte FDP von Witzel und Papke aus den Jahren 2005 bis 2010.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)