Dr. Ruth Seidl: „Wir sehen uns in der Verantwortung, dort einzugreifen, wo die Selbststeuerung der Hochschulen an ihre Grenzen kommt“

Antrag der CDU zu digitalen Bibliotheksbeständen

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Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Thönnissen, weil Sie eben so schön gesagt haben, Ihr Antrag sei bei den Experten in der Anhörung so gut angekommen, möchte ich nur ein Zitat an den Anfang setzen. Da sagte Herr Werner Reinhardt, der Leiter der Universitätsbibliothek Siegen – Zitat –:
„Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich mich zunächst einmal gefreut, dass im Landtag darüber geredet wird, was da passiert, war dann aber ein bisschen verblüfft, dass 20 Jahre Arbeit, die schon im Land geleistet worden ist, irgendwo nicht auftauchten, nämlich der organisatorische Teil, der angesprochen worden ist, der auch von Baden-Württemberg quasi abgeguckt werden sollte. Derr wurde bei uns entwickelt.“
Ich könnte noch eine Reihe ähnlicher Zitate anfügen, was aber hier zu lang würde, weil der Antrag bei den Expertinnen und Experten in der Anhörung nicht besonders gut angekommen und bewertet worden ist.
Liebe Frau Thönnissen, die CDU und Sie reklamieren in Ihrem Antrag auch ein erfolgreiches Hochschulfreiheitsgesetz, fordern uns, die Landesregierung, gleichzeitig auf, dass wir dafür sorgen sollen, die Hochschulen mögen sich gemeinsam koordinieren. Was denn nun? Wenn Ihrer Meinung nach das HFG so erfolgreich war, warum sollte dann der Staat jetzt die Probleme lösen, die nach Ihrer Logik gemeinsame Aufgabe autonomer Hochschulen sind?
Wir sehen uns tatsächlich in der Verantwortung, dort einzugreifen, wo die Selbststeuerung der Hochschulen an ihre Grenzen kommt. Zunächst sollten wir einmal, um es mit Ihren Worten zu sagen, in die Fähigkeiten der Hochschulen vertrauen und uns vor allem ansehen, was es im Bereich der konsortialen Erwerbung elektronischer Ressourcen bereits gibt.
Erstens. Das Land fördert längst eine Einrichtung, die die Konsortialfunktion ausübt, das Hochschulbibliothekszentrum NRW. Dort wird seit 1999 der gemeinschaftliche Erwerb von Datenbanken, von E-Books und Journals für Hochschulen und Bibliotheken organisiert. Für einige elektronische Inhalte ist das HBZ überregionaler und sogar bundesweit exklusiver Konsortialführer.
Darüber hinaus findet eine Kooperation mit Konsortien in Österreich und der Schweiz sowie mit Konsortien aus Staaten von allen Kontinenten statt. Das HBZ übernimmt auch organisatorisch und technisch die Bereitstellung vieler der erworbenen Produkte und bietet Veranstaltungen dazu an.
Zweitens. Während Sie in Ihrem Antrag das Beispiel E-Science aus Baden-Württemberg als vorbildhaft herausgreifen, beschränken Sie sich in Ihren Forderungen auf das Thema „Lizenzierungen“. Zum Baden-Württemberger Konzept gehören aber auch ganz wesentlich die Themen „Digitalisierung von Materialien und Arbeitsprozessen“ sowie „Open Access“ und „Open Data“. Insbesondere zu letzten beiden Punkten haben Sie sich in der Vergangenheit aber wiederholt einer fortschrittlichen Lösung verweigert.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, was Dr. Anne Lipp von DFG bei der Anhörung im Wissenschaftsausschuss gesagt hat – ich zitiere –:
„Angenommen, die Annahme, die in einer Publikation der Max-Planck-Gesellschaft formuliert wurde, dass eine flächendeckende Umstellung auf das Open-Access-Modell kostenneutral zu erreichen ist, stimmt, dann würde das bedeuten, dass die heute für die Informationsversorgung aufgewandten Kosten in einem Open-Exzess-Modell sehr viel effektiver eingesetzt werden könnten.“
Zitat Ende.
„Meine Annahme wäre sogar, dass heute mehr Kosten in den Subskriptionsbereich fließen als in einen Open-Access-Bereich“,
sagt sie dann weiter an anderer Stelle.
Wenn es also um die Gesamtherausforderung der Digitalisierung im Wissenschaftsbereich geht, dann kneifen Sie. Und auch hier leistet das HBZ NRW schon wichtige Arbeit. Mit DigiLink wird die Verwaltung von Internetressourcen und Datenbanken ermöglicht und mit DigiBib eine technische Plattform für alle Bibliotheksdienstleistungen angeboten. Auch um die Organisation des vom Land geförderten Programms „Digital Peer Publishing“ der Open-Access-Initiative zum Aufbau qualitätsgesicherter elektronischer Fachzeitschriften kümmert sich die Einrichtung.
Insofern kann man sagen: Das HBZ NRW ist nicht nur einer der wesentlichen Konsortialführer im deutschsprachigen Raum, sondern befasst sich auch mit dem gesamten Komplex der Digitalisierung im Wissenschaftsbereich.
Schließlich finde ich es bemerkenswert, dass die CDU plötzlich Ungerechtigkeiten im Mehrwertsteuersystem entdeckt. Die Ungleichbehandlung von elektronischer und gedruckter Literatur wurde ja nun vom Bundestag mit Blick auf die europäische Mehrwertsteuersystemrichtlinie angegangen. Aber wann will sich die Partei, die seit zehn Jahren die Bundeskanzlerin stellt, eigentlich um die übrigen Ungerechtigkeiten kümmern? Falls es Ihnen hier an konkreten Beispielen fehlt, kann ich Ihnen gerne auf die Sprünge helfen: Rennpferde und Skilifte 7 %, Mineralwasser und Babywindeln 19 %. Das ist die absurde Realität.
Vor diesem Hintergrund und weil Sie mit Ihren Ansichten zur Digitalisierung nicht auf dem aktuellen Stand sind, werden wir Ihren Antrag heute ablehnen. Aber vielen Dank für die Debatte.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)