Dr. Ruth Seidl: „Wir brauchen keinen Schnellschuss, wir brauchen eine wohlüberlegte Reform“

Antrag der Piraten zur Hochschulfreiheit

###NEWS_VIDEO_1###
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausnahmsweise muss ich in der heutigen Debatte Herrn Haardt einmal ausdrücklich zustimmen, was in unseren Auseinandersetzungen nicht immer der Fall ist.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Aber das, was die Piratenfraktion mit ihrem Antrag hier vorgelegt hat, ist vollkommen an den Haaren herbeigezogen
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
und in gewisser Weise auch wirklich konstruiert, insbesondere das, was die Hochschulräte angeht.
Fakt ist doch – das ist auch mehrfach gesagt worden –, dass das Bundesverfassungsgericht am 17. Februar 2016 festgestellt hat, dass sowohl im Hochschulgesetz von 2006 wie auch im Hochschulgesetz von 2014 die Regelungen zur Akkreditierung von Studiengängen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Das betrifft aber nicht nur NRW, sondern auch die Akkreditierungsregeln in den Hochschulgesetzen der anderen Bundesländer sowie das Gesetz über eine Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland.
Damit steht das gesamte Akkreditierungssystem in Deutschland auf dem Prüfstand. Das war sicher eine Überraschung für alle Bundesländer. Denn die Akkreditierung ist ein wesentlicher Baustein des Bologna-Prozesses, und es wurde möglicherweise versäumt, ein Modell aus dem angloamerikanischen Raum angemessen an das deutsche Rechtsverständnis deutschlandweit anzupassen.
Das Bundesverfassungsgericht legt erneut dar, dass in Deutschland der Staat eine größere Rolle einnehmen muss, um die Wissenschaftsfreiheit zu garantieren. Dass ein Richterspruch logischerweise nicht umgesetzt werden kann, bevor er überhaupt stattgefunden hat, müsste aber selbst den Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion bekannt sein. Denn als das Hochschulgesetz 2014 die Regelungen zur Akkreditierung von Studiengängen überarbeitet hat, konnte der Gesetzgeber – vor mehr als anderthalb Jahren – noch nicht auf die vielen Details, die jetzt hier vorliegen, der aktuellen Entscheidung eingehen.
Während in Nordrhein-Westfalen also ursprünglich eine Regelung des Hochschulfreiheitsgesetzes beklagt wurde, hat der Gesetzgeber mit dem Hochschulzukunftsgesetz auf bestehende und sich abzeichnende rechtliche Anforderungen bereits reagiert. Das haben die Piraten offensichtlich an dieser Stelle nicht verstanden. Aber Tatsache ist, dass auch Nordrhein-Westfalen im Verbund mit den anderen Ländern jetzt hier nachbessern muss.
Das Bundesverfassungsgericht sagt nun Folgendes: Wesentliche Entscheidungen zur Akkreditierung von Studiengängen darf der Gesetzgeber nicht anderen Akteuren überlassen. Er muss in den Hochschulen auch für die Qualitätssicherung ein Gesamtgefüge schaffen, in dem Entscheidungsbefugnisse und Mitwirkungsrechte, Einflussnahme, Information und Kontrolle so ausgestaltet sind, dass Gefahren für die Freiheit der Lehre vermieden werden. Hierfür wird dem Gesetzgeber bis zum 1. Januar 2018 Zeit gegeben, neue Regeln in Kraft treten zu lassen, was die Piraten ja selbst in ihrem Antrag erwähnen. Denn es sind schließlich länderübergreifende Abstimmungsprozesse notwendig, da alle Bundesländer nun ihr Akkreditierungswesen neu gestalten müssen.
Genau aus diesem Grund zeugt Ihre Forderung, Herr Paul, unverzüglich eine Gesetzesnovelle vorzulegen, eigentlich von Unkenntnis. Ich meine, es ist auch transportiert worden, dass das nicht nur NRW angeht und man hier keine Schnellschüsse machen kann. Wir brauchen keinen Schnellschuss, wir brauchen eine wohlüberlegte Reform.
Was aber gar nicht geht – auch das ist eben schon angeklungen –, Herr Paul, ist der zweite Teil Ihres Antrags, die Verknüpfung dieses Urteils mit der Rolle der Hochschulräte. Es ist schon eine sehr eigenwillige Interpretation, hier eine Parallele zu ziehen.
(Beifall von Angela Freimuth [FDP])
Der Landtag hat 2014 nach einem langen Beratungsprozess – wir haben viel darüber diskutiert – die Governance an den Hochschulen neu aufgestellt, und mit dem Hochschulzukunftsgesetz wurden Studierende, Mittelbau, Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer in ihren Mitwirkungsrechten, also auch in der Wissenschaftsfreiheit, deutlich gestärkt. Das erfüllt noch bis heute alle Anforderungen der grundgesetzlich gesicherten Wissenschaftsfreiheit. Im Gegensatz zu den Akkreditierungsagenturen sind die Hochschulräte im Übrigen feste Bestandteile der Hochschulen selbst.
Also, liebe Piratenfraktion, Sie sind nun schon richtig lange im Landtag vertreten und müssten das eigentlich alles wissen. Ihr Antrag ist nicht nur von der Tonalität her an einigen Stellen irritierend, er zieht auch sachlich falsche Rückschlüsse, und er schafft vermeintliche Zusammenhänge da, wo keine sind. Deswegen – das sage ich jetzt schon mal – können wir in der Sache keineswegs zustimmen.
Wir werden den Antrag in den Ausschuss überweisen. Das ist klar. Aber eine ernsthafte Debatte macht aus unserer Sicht erst dann Sinn, wenn die länderübergreifende Abstimmung in die Konkretisierung geht. Erst dann kann man über die gemeinsamen Facts auch wirklich vernünftig diskutieren. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)