Dr. Birgit Beisheim: „Migrantische Unternehmen eröffnen neue wirtschaftliche Potenziale“

Antrag von SPD und GRÜNEN zur kulturellen Vielfalt als Wirtschaftsfaktor

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Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich den Beginn meiner Rede dazu nutzen, die Leistungen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu würdigen, die in den letzten 50 Jahren für Nordrhein-Westfalen erbracht worden sind. Deshalb beinhaltet der vorliegende Antrag zu Recht eine Wertschätzung den Menschen gegenüber, die durch ihr Engagement, durch ihre Arbeitsleistung einen unersetzlichen Beitrag für Wohlstand und Wachstum in unserem Land geleistet haben.
Wie schon von Frau Müller-Witt dargestellt, diskutieren wir in diesem Hohen Haus sehr häufig das Thema „Fachkräftemangel“ – meistens auf der Arbeitnehmerseite. Wir wissen aber auch, dass uns auf der Arbeitgeberseite die Talente langsam ausgehen. Die Politik ist daher weiterhin gefordert, positive Impulse zu schaffen. Denn eine sinkende Anzahl von Gründungen und eine nachlassende Zahl an Übernahmen können die heimische Wirtschaft langfristig schwächen.
Deshalb ist die Förderung der migrantischen Ökonomie ein wichtiges Wirtschaftsthema. Wir können es uns nicht länger leisten, Potenziale, die sich anbieten, ungenutzt liegen zu lassen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Kollegin Müller-Witt hat es bereits ausgeführt: Migrantische Unternehmen eröffnen neue wirtschaftliche Potenziale und setzen auf dem Ausbildungsmarkt und auf dem Arbeitsmarkt neue Impulse frei. Die hiesigen Unternehmen profitieren zudem von der interkulturellen Kompetenz der Zugewanderten, indem sie beispielsweise neue Märkte im Ausland erschließen. Zudem weisen migrantische Unternehmen überdurchschnittlich höhere Auslandsumsätze auf als heimische Unternehmen. Das schafft Wachstumsimpulse, trägt aber auch dazu bei, die notwendige Internationalisierung des Mittelstandes in Nordrhein-Westfalen voranzubringen.
Es gibt sicherlich unterschiedliche Gründe, warum Migrantinnen und Migranten sich öfter selbstständig machen. Es ist schon darauf hingewiesen worden, die Gründungsneigung von Migrantinnen und Migranten, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, ist höher ausgeprägt als die der restlichen Bevölkerung. Ein Grund für den hohen Migrantenanteil an allen Gründungen ist, dass viele von ihnen aus Ländern stammen, in denen die berufliche Selbstständigkeit als berufliche Option selbstverständlicher ist als hier bei uns. Oftmals gibt es viele Vorbilder im familiären Umfeld, die Anreize schaffen, sich auf eigene Füße zu stellen.
Ein weiterer wichtiger Grund, der nicht verschwiegen werden darf, ist die grundlegende Diskriminierung, die Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt insgesamt erfahren. Die Gründung eines eigenen Unternehmens mit allen Chancen, aber auch allen Risiken, ist für viele die einzige wirkliche Alternative, um beruflich durchzustarten.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen Anfang der Woche die „Wuppertaler Nachrichten“ lesen konnte. Wohl in der Beilage gab es eine Reportage über eine junge Frau, deren Lebensweg skizziert wurde:
Die junge Frau ist im Alter von 14 Jahren mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland geflohen. Sie konnte, als sie zu uns kam, kein Wort Deutsch. Sie ging in die Hauptschule, arbeitete sich hoch, machte Abitur und nutzte die Durchlässigkeit unseres Schulsystems. Sie studierte Wirtschaftsmathematik, bewarb sich im Bereich des öffentlichen Dienstes und wechselte dann in den Bankenbereich. Aber nirgendwo hat sie das erfahren, was wir so gerne mit „Aufstiegsversprechen“ betiteln. Das heißt, für sie persönlich gab es keine Aufstiegsmöglichkeiten, sodass sie sich für den Weg in die Selbstständigkeit entschied.
Dieses Beispiel ist kein Einzelfall und zeigt, dass wir noch viel zu tun haben, insbesondere was das Einlösen von Aufstiegsversprechen betrifft, gerade Menschen gegenüber, die alles dafür getan haben. Nicht selten ist die Gründung eines eigenen Unternehmens der einzige Ausweg in eine sichere Zukunft. Aber diese junge Frau gründete eben nicht aus Existenznot. Ihr Weg in die Selbstständigkeit hat viel mit mangelnder Anerkennung zu tun. Die Selbstständigkeit bringt ihr die gesellschaftliche Anerkennung, die sie sich erhofft hat. Ganz allgemein bietet der Weg in die Selbstständigkeit die Möglichkeit, quasi auf der Überholspur in die Mitte unserer Gesellschaft zu gelangen.
Frau Müller-Witt hat bereits darauf hingewiesen: Selbstständigkeit ist für Migranten und Migrantinnen normaler als für Deutsche. In Deutschland sinkt das Interesse an Gründungen aus unterschiedlichen Gründen. Auch darüber haben wir bereits diskutiert. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte besitzen nachgewiesenermaßen häufiger den notwendigen Mut, dieses Risiko auf sich zu nehmen.
Das sollten wir fördern – gerade in den Regionen unseres Landes, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, insbesondere im Ruhrgebiet. Denn mittlerweile ist es eine Binsen-weisheit, dass nicht nur in Krisenzeiten, sondern ganz allgemein ein breit aufgestellter Mittel-stand und eine gesunde industrielle Basis wichtige Faktoren für die Zukunftsfähigkeit eines Wirtschaftsstandorts darstellen. Es ist Fakt, dass der Mittelstand trotz aller Anstrengungen gerade in der Metropole Ruhr hinterherhinkt.
Der vorliegende Antrag soll daher das vorhandene Potenzial der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nutzen helfen und die bestehenden Gründungshemmnisse abbauen. Denn trotz ihrer starken wirtschaftlichen Bedeutung sind die Existenzgründungen von Menschen mit Migrationshintergrund mit spezifischen Chancen und Hemmnissen verbunden. Auf diese spezifischen Fragestellungen muss mit passgenauen Beratungs- und Förderangeboten geantwortet werden, die auch die unterschiedlichen genderspezifischen Aspekte beinhalten.
Frauen und Männer gründen unterschiedlich – ein sehr einfacher Satz, der auch für Gründungen von Migrantinnen und Migranten gilt. Auf diese Fragen, die Frau Müller-Witt bereits skizziert hat, wollen wir zukünftig eine bessere Antwort geben, damit die Impulse, die von Unternehmerinnen mit ausländischen Wurzeln für unseren Wirtschaftsstandort ausgehen, künftig noch besser genutzt werden können.
Ich freue mich diesmal von Herzen auf die Diskussion im Ausschuss. Denn ich weiß, wir wer-den eine konstruktive Debatte darüber haben, wie wir die bereits vorhandenen Instrumente verändern und verbessern können, damit es gelingt, den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen weiter voranzubringen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)