Stefan Engstfeld: „Es ist heute nicht möglich, über die Beziehungen zu Polen zu sprechen, ohne die aktuellen Entwicklungen in Polen selbst zu thematisieren“

Antrag der CDU zum deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag

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Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages jährt sich im nächsten Jahr zum 25. Mal. Am 17. Juni 1991 setzten die Außenminister Polens und Deutschlands in Bonn ihre Unterschrift unter den Nachbarschaftsvertrag, nachdem einige Monate zuvor, am 14. November 1990, beide Regierungen den Grenzvertrag unterzeichnet hatten.
Damit erkannte Deutschland die Oder-Neiße-Grenze als westliche Grenze Polens endgültig an. Das war sicherlich ein Meilenstein für die Entwicklung der historisch belasteten Beziehungen zwischen beiden Nationen. Das war ein Meilenstein auf dem Weg der Versöhnung vor dem Hintergrund der deutschen Kriegsschuld.
Die CDU-Fraktion hat das anstehende Jubiläum nun zum Anlass genommen, einen Antrag einzubringen, der einen Einzelaspekt intensiver beleuchtet: die Würdigung des Beitrags der Vertriebenen und Aussiedler sowie ihrer Institutionen bei der deutsch-polnischen Versöhnungspolitik.
Wir, also die SPD-Fraktion und meine Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, haben deswegen einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht, der wesentlich umfassender die deutsch-polnischen bzw. die nordrhein-westfälisch-polnischen Beziehungen in den Blick nimmt.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Ich finde es sehr angemessen, anlässlich des 25. Jubiläums des Nachbarschaftsvertrages eine umfängliche Analyse der Beziehungen vorzunehmen und nicht nur einen Einzelaspekt zu betrachten. Zudem ist es aus unserer Sicht heute nicht möglich, über die Beziehungen zu Polen zu sprechen, ohne die aktuellen Entwicklungen in Polen selbst zu thematisieren. Liebe CDU-Fraktion, das fehlt in Ihrem Antrag leider völlig.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Meine Damen und Herren, heute, im Jahr 2016, sind die deutsch-polnischen Beziehungen von Freundschaft und Partnerschaft, von Anerkennung und Austausch sowie von der Begegnung zwischen den Menschen geprägt. Die Republik Polen und die Bundesrepublik Deutschland sind enge Freunde und Partner innerhalb eines friedlichen, freien und geeinten Europas. Die Beziehungen zwischen Nordrhein-Westfalen und Polen sind gut.
Weil das so ist, betrachten viele Menschen bei uns die aktuellen Entwicklungen bei unseren polnischen Freundinnen und Freunden mit großer Sorge. Nach dem Sieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit – PiS –, die seit Mitte November 2015 mit absoluter Mehrheit in Polen regiert, werden dort in atemberaubendem Tempo Gesetze beschlossen, bei denen es laut PiS um die Reparatur des Staates geht.
Das Verfassungsgericht muss jetzt nach einer seit Ende letzten Jahres geltenden Reform seine Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit statt wie bislang mit einfacher Mehrheit treffen. Das neue Mediengesetz erlaubt der Regierung die Besetzung von Führungsposten bei öffentlich-rechtlichen Medien. Die nationalkonservative PiS argumentiert, unter der bisherigen liberalkonservativen Regierung seien Medien parteiisch gewesen. Nun gelte es, Korrekturen zu schaffen und neue inhaltliche Akzente zu setzen, etwa im Programm die nationale Identität zu stärken. Dagegen wehren sich Politikerinnen und Politik aus ganz Europa.
Am Wochenende sind wieder Tausende von Polen auf die Straße gegangen, um gegen das Gesetz zur Verfassungsgerichtsbarkeit zu demonstrieren; denn die Gegner dieser Entscheidung befürchten – nicht ganz zu Unrecht, glaube ich – eine Aufhebung der Gewaltenteilung und eine Gleichschaltung der Medien.
In Bezug auf das Verfassungsgericht wird befürchtet, dass eine so breite Zweidrittelmehrheit selten zustande kommen wird und das Gericht deswegen seine Rolle als Kontrollinstanz der Regierung verlieren könnte.
In Bezug auf das Mediengesetz wird befürchtet, die Regierung habe nun zu starken Einfluss auf die Programmgestaltung und auf die Programmmacherinnen und -macher. Zudem wird politischer Druck auf die bei den Sender arbeitenden Journalistinnen befürchtet.
Wir alle haben – der Kollege Neumann hat es auch schon erwähnt – letzte Woche die Stellungnahme der Venedig-Kommission zur polnischen Justizreform vernommen. Dass die Venedig-Kommission attestiert, eine Schwächung des Verfassungsgerichts könnte das demokratische System des Landes gefährden, wodurch Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ins Wanken geraten könnten, ist in der Tat nicht nur ernst zu nehmen, sondern auch besorgniserregend.
Ich appelliere an die polnische Regierung, die Kritik der Venedig-Kommission ernst zu nehmen, sie anzunehmen und den Empfehlungen der Kommission zu folgen. Sie hatte ja extra um eine Bewertung gebeten. Das alles fordern wir auch in unserem Antrag.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, die grüne Landtagsfraktion wird sich wie bisher aktiv in die deutsch-polnische Zusammenarbeit einbringen. Das Bekenntnis zu den gemeinsamen europäischen Werten wie Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie Unabhängigkeit von Justiz und Medien ist für unser Engagement wie auch für die Zusammenarbeit zwischen Nordrhein-Westfalen und Polen die Grundlage – auch und gerade im Jubiläumsjahr der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages.
Auch wir – ich komme zum Schluss – stimmen der Überweisung an die Ausschüsse zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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