Monika Düker: „Wer sind denn dann die anderen Menschen ohne Bleibeperspektive?“

Antrag der CDU zu Asylbewerbern

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Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der CDU sieht vor, den Aktionsplan Westbalkan auf alle Asylbewerber ohne Bleibeperspektive auszudehnen. Übersetzt heißt das konkret: Sie wollen alle, die aus diesen Ländern kommen – wer auch immer das ist –, bis zum Abschluss ihrer Verfahren in den Landeseinrichtungen belassen und zusätzlich diejenigen, die schon in den Kommunen sind, dorthin zurückverlegen.
In diesem Zusammenhang stellen sich für mich ein paar Fragen. Die erste Frage lautet: Welche Menschen gehören eigentlich zu dieser Chiffre „ohne Bleibeperspektive“? Bei den sicheren Herkunftsstaaten ist das noch klar. Das sind zum Beispiel die Menschen aus den Balkanstaaten. Dafür haben wir aber schon eine entsprechende Regelung. In diesem Fall bräuchten Sie den Antrag nicht zu stellen, weil wir diese 1.700 Plätze haben, mit denen genau so verfahren wird.
Aber wer sind denn dann die anderen Menschen ohne Bleibeperspektive? Wenn wir uns die Schutzquoten anschauen, erkennen wir, Frau Scharrenbach, dass diese Frage nicht ganz so einfach zu beantworten ist. Im Jahr 2015 betrug die Gesamtschutzquote 60 %. Im Übrigen betrug die Gesamtschutzquote im Jahre 2005 noch etwas mehr als 6 %.
Betrachtet man die Herkunftsländer Syrien, Irak und Eritrea – die Dublin-Verfahren blende ich aus –, liegt die bereinigte Schutzquote bei nahezu 100 %. Bei den Menschen aus Afghanistan sieht das schon etwas anders aus. Gemäß einer neuen Statistik zu den abgelehnten Asylanträgen – diese empfehle ich als Lektüre; sie liegt dem Bundestag vor – wurden 30,8 % der im Jahr 2014 abgelehnten Asylanträge in 2015 mit einem festen Aufenthaltstitel beschieden. Das heißt: Wir haben sogar eine Schutzquote für diejenigen, deren Asylanträge abgelehnt werden.
Da hört es mit der Chiffre der Bleibeperspektive schon auf. Sie lassen somit die Frage vollkommen offen – das bleibt völlig diffus –, ob der Afghane nun mit dabei ist oder nicht. Wollen Sie die Schutzquote bei 50 % oder bei 60 % ansetzen? Damit ist die erste Frage nicht geklärt. Es bleibt völlig diffus, wohin Sie wollen.
Zweitens ist es nach § 49 Abs. 1 des Asylgesetzes rechtlich gar nicht möglich, diese Menschen ohne die Rücknahmebereitschaft des Herkunftslandes – Herr Kollege Körfges hat bereits darauf hingewiesen –in den Landeseinrichtungen zu belassen. Sichere Herkunftsstaaten und Bleibeperspektive hin oder her: Wenn die Länder sie nicht zurücknehmen, müssen Sie sie verteilen, auch wenn Sie das hier im Antrag so nett beschreiben.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE] und Hans-Willi Körfges [SPD])
Sie können geltendes Recht nicht einfach übergehen.
Meine dritte Anmerkung bezieht sich auf die Rücküberführung aus den Kommunen. Wir wissen, dass es ziemlich viele BüMA-Fälle gibt. Das ist die sogenannte Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender. Sie erhalten Menschen in den Kommunen, die noch keine Asylanträge gestellt haben. Das ist ein Riesenproblem. Diese Menschen – wieder: ohne Bleibeperspektive; wer ist das? – wollen Sie wieder zurück in die Landeseinrichtungen schicken.
In diesem Zusammenhang möchte ich ein weiteres Argument anführen, das man in dieser Hysterie heutzutage gar nicht mehr anführen kann, nämlich ein humanitäres.Ich kenne solche Fälle. Bei Geflüchteten aus dem Iran gibt es zum Beispiel sehr lange Bearbeitungszeiten. Das sind genau die, die keine Anerkennungsquote von 100 % haben. Das sind lange, komplizierte Verfahren. Ich hatte neulich einen Fall, der trotz BüMA zwei Jahre dauerte. Das ist eine Familie. Das ist in der Tat alles nicht gut. Aber die Kinder gehen zur Schule; sie sind zwei Jahre in der Kommune; das Asylverfahren läuft.
Geflüchtete aus dem Iran haben Ihrer Ansicht nach keine sichere Bleibeperspektive, weil die Schutzquote nicht bei 100 % liegt. Wollen Sie diese Familie nach zwei Jahren aus der Gemeinde, in die sie fast schon integriert ist und in der die Kinder zur Schule gehen, holen? Wollen Sie die Kinder aus der Schule herausholen und die Familie in einer Landeseinrichtung einsperren und dort kasernieren? Danke schön! Diese Politik wollen wir nicht. Davon halte ich auch nichts. Humanitäre Aspekte müssen hier Geltung haben.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Zur Mär der sicheren Herkunftsstaaten mit den schnelleren Verfahren – ich habe das hier wiederholt vorgetragen –: Schnellere Verfahren bekommen Sie, wenn die Akte oben auf dem Stapel liegt. Sie bekommen sie aber nicht, wenn Sie die Geflüchteten als Geflüchtete aus einem sicheren Herkunftsstaat einstufen.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Denn die verkürzten Fristen, die Sie hier beschreiben und vortragen, treten in dem Moment ein, in dem ein Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird. Und das traf zumindest für alle Balkanländer schon zu, bevor sie zu sicheren Herkunftsstaaten tituliert wurden. Das heißt: Sie können sowieso kürzere Fristen bekommen. Soweit ich weiß, werden Anträge von Geflüchteten aus Maghreb-Staaten jetzt schon oben auf den Stapel gelegt und prioritär behandelt.
Ich denke, dass hier mal wieder Schein- und Symbolpolitik gemacht wird, die zu nichts führt. Deswegen bitte ich Sie zum wiederholten Male, das zu lassen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, bevor Sie zum Abschluss kommen?
Monika Düker (GRÜNE): Gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Scharrenbach hat eine Frage.
Ina Scharrenbach (CDU): Frau Düker, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. – Nach all dem, was Sie jetzt ausgeführt haben, auch zu Ihrer Haltung zu den sicheren Herkunftsstaaten, möchte ich Sie fragen: Unterstützen Sie eigentlich den Aktionsplan Westbalkan der Landesregierung?
Monika Düker (GRÜNE): Ja.
(Ina Scharrenbach [CDU]: Oh!)
Ich komme zum Schluss. Das Ziel aller Verfahren ist es, zu kürzeren Bearbeitungszeiten zu kommen. Ich finde es unerträglich, dass immer nur die Anträge von Geflüchteten ohne Bleibeperspektive ganz schnell bearbeitet werden, damit wir sie ganz schnell wieder loswerden. Das ist ja alles richtig. Aber wo bleiben denn die Geflüchteten mit einer Bleibeperspektive? Auch für sie ist es aus integrationspolitischer Sicht notwendig, dass sie nicht jahrelang auf eine Bescheidung ihrer Anträge warten müssen. Schließlich haben sie auch ein Recht darauf, dass ihr Antrag bearbeitet und beschieden wird.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Das heißt: Für die Lösung des Problems brauchen wir nicht Ihre aufgeblasene Scheinpolitik, sondern für die Lösung des Problems brauchen wir geordnete Verfahren, damit diese Anträge schnell bearbeitet werden. Alle Menschen, ob sie bleiben können oder ob sie nicht bleiben können, müssen schnell wissen, was mit ihnen passiert, um die einen hier zu integrieren und für die anderen Angebote zu schaffen und Rückkehrbrücken in ihre Herkunftsländer zu bauen. Denn wenn man sie baut, gehen die meisten auch freiwillig. Und das ist das, wofür wir Ihren Antrag bestimmt nicht brauchen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)

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