Manuela Grochowiak-Schmieding: „Dazu gehört auch, dass die europäische Freizügigkeit sozial flankiert wird“

Antrag der CDU zu Sozialhilfe für EU-Ausländer

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Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da haben Sie, liebe Kollegen von der CDU – die FDP hat sich Ihrem Antrag auch noch angeschlossen – viele Buchstaben zu Papier gebracht. Sie schaffen es tatsächlich, in einem unterschwelligen Tenor – das haben Sie mit Ihren Redebeiträgen auch noch einmal unterstrichen – den Eindruck zu vermitteln, unser Land würde von EU-Ausländern überschwemmt werden
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das stimmt doch nicht! Wo steht das denn hier drin?)
– ich erkläre es Ihnen gleich; hören Sie einfach zu –, die es hauptsächlich auf Leistungen aus unserem Sozialsystem abgesehen haben, ohne natürlich eine Gegenleistung zu erbringen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ich habe die Schnauze voll! Das hat doch schon System!)
Ich möchte das einmal ein wenig relativieren. Im Jahr 2014 sind rund 1,46 Millionen Personen nach Deutschland eingewandert, davon rund 630.000 EU-Bürgerinnen und -Bürger. Im gleichen Zeitraum sind 914.000 Personen ausgewandert, und davon hatten 766.000 einen ausländischen Pass. Der tatsächliche sogenannte Wanderungsüberschuss beträgt also 550.000 Personen, und darunter waren etwa 312.000 Bürger aus der Europäischen Union, nämlich aus Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Italien, Spanien und Polen.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sollten wir eigentlich über den Zuzug von Menschen froh sein und ihm eher positiv begegnen; denn auch in 2014 sind mehr Menschen in unserem Land gestorben als geboren wurden.
Ihr Hinweis – ich zitiere –, das Bevölkerungswachstum durch EU-Binnenwanderung habe sich trotz der hohen Flüchtlingszahlen nicht abgeschwächt, dient doch wohl eher der Verwirrung – das muss ich ganz ehrlich sagen –, als dass er einen Sinn ergibt.
In Ihrer Auflistung von Gerichtsurteilen – ich möchte beispielhaft nur auf eines dieser Urteile eingehen –, verweisen Sie darauf, dass Deutschland nach dem Urteil des EuGH von 2014 Sozialleistungen unter bestimmten Umständen verweigern dürfe. Mehr sagen Sie nicht. Sie vergessen dabei, zu erwähnen, dass hier kein allgemein gültiges Verfahren befürwortet wird, sondern dass der EuGH grundsätzlich auch die Einzelprüfung verlangt. Ich halte das in dem Zusammenhang durchaus für erwähnenswert.
Bei Ihrer Analyse zu der Frage, wer von den EU-Bürgerinnen und -Bürgern Leistungen nach dem SGB II erhält, beschränken Sie Ihre Aussagen nur noch auf Menschen aus Bulgarien und Rumänien. Das Gleiche machen Sie, wenn Sie vom Anspruch auf Sozialhilfe und den daraus resultierenden Folgekosten für die Kommunen sprechen. Das – das muss ich ganz ehrlich sagen – ist billige Stimmungsmache. Oder wollen Sie tatsächlich insbesondere und ausschließlich Angehörige dieser Nationen vom Sozialrecht in Deutschland ausschließen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
Der Antrag ist durchzogen von Unterstellungen. Sie behaupten zum Beispiel, dass Menschen zu uns kommen, die gar nicht arbeiten wollen oder die in unser Sozialsystem einwandern wollen. Das ist alles in allem recht dubios.
Ihre indirekte Forderung, das Land solle die Sozialhilfekosten der Kommunen tragen, kann nur abgelehnt werden. Ich verweise allerdings auf die Maßnahmen des Landes zur Unterstützung der von Neuzuwanderung insbesondere aus Südosteuropa betroffenen Kommunen. Hierfür stellt das Land bereits erhebliche Mittel zur Förderung von Maßnahmen im Gesundheits-, Schul- und Sozialbereich zur Verfügung. Das blenden Sie offenbar sehr gerne aus.
Schließlich wollen Sie den Landtag beschließen lassen, dass er zur Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern innerhalb der EU steht. Ganz ehrlich: Dafür bedarf es keines Beschlusses, das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Denn gerade in Zeiten wie diesen brauchen wir mehr und nicht weniger soziales Europa. Dazu gehört auch, dass die europäische Freizügigkeit sozial flankiert wird. Wenn Menschen monatelang ohne Grundsicherung Arbeit suchen müssen, ist das nicht nur sozialpolitisch äußerst problematisch, sondern es hebelt auch die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union geradezu aus, und das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie eben gesagt haben.
Überlegenswert wäre, dass auch Arbeitsuchende aus der EU nach einem Aufenthalt von drei Monaten Grundsicherung nach dem SGB II beantragen können. Nur so können auch diese Personen alle Integrationsinstrumente wie Beratung, Vermittlung sowie berufliche und sprachliche Qualifizierung in Anspruch nehmen – Maßnahmen, die allgemein als Basis für eine erfolgreiche und langfristige Integration in den Arbeitsmarkt und damit auch in die Gesellschaft gewertet werden.
Tatsächlich dürfen die bereits heute überlasteten Kommunen – hier gebe ich Ihnen recht –, die die Sozialhilfeleistungen nach SGB XII zu tragen haben, nicht noch mehr belastet werden. Die Unionsbürger nach einem Jahr sozusagen den Kommunen zuzuschieben, ist daher kontraproduktiv. Besser wäre es, wenn die Bundesregierung eine tragfähige Lösung im Rahmen des SGB II finden würde. Das würde sowohl den Menschen, die sich innerhalb der EU bewegen, als auch den Kommunen helfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, derart konstruktive Anträge bzw. Ansätze lassen Sie in Ihrem Antrag vermissen. Im Gegenteil: Ihr Antrag wirkt eher destruktiv und vor allen Dingen diskriminierend, und wir werden ihn deshalb ablehnen.
(Bündnis 90/Die Grünen – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Quatsch!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. Vor Ende Ihrer Redezeit hatte Herr Kollege Kerkhoff den Wunsch geäußert, Ihnen eine Frage stellen zu dürfen. Würden Sie den Wunsch erfüllen?
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Ja, bitte.
Matthias Kerkhoff (CDU): Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich wollte erst bis zum Ende zuhören. Sie haben im Gegensatz zu dem Kollegen Garbrecht sehr sachlich vorgetragen und haben sich solche Unverschämtheiten, wie wir sie eben erlebt haben, verkniffen. Dennoch möchte ich Sie fragen: Sehen Sie denn nach dem Urteil keinen Korrekturbedarf in der Gesetzgebung und Gesetzanwendung? Schließlich sind die Probleme, die auf die Städte und Gemeinden zukommen, von ihnen auch entsprechend beschrieben worden.
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Kerkhoff, vielen Dank für die Frage. Ich denke, dazu habe ich eben bereits Ausführungen gemacht. Ich halte es schon für notwendig oder richtig, unsere Kommunen nicht noch mehr mit Sozialhilfeleistungen zu überfrachten, habe aber den Vorschlag unterbreitet, den meine Partei auch auf Bundesebene verfolgt, diesen Menschen, die zu uns kommen, die Möglichkeit zu geben, im Rahmen des SGB II Integrations- und Unterstützungsmaßnahmen zu beanspruchen. Ich glaube, das wäre der richtige Weg. Sie per se von unseren Sozialleistungen auszuschließen, nur, weil sie aus Bulgarien und Rumänien kommen, ist schlichtweg diskriminierend, und das werden wir auf keinen Fall befürworten. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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