Matthi Bolte: „Wir wollen das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherstellen“

Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen Silvesternacht in Köln

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Matthi Bolte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vergangene Jahr hat das Bild Deutschlands in der Welt verändert. Die Welt hat ein Land mit einem freundlichen Gesicht gesehen, ein Land, das über einer Million Menschen Schutz geboten hat vor Verfolgung, Gewalt und Not und in dem sich Tausende für Flüchtlinge engagierten, um ihnen bei der Ankunft und dem Start in ein neues Leben zur Seite zu stehen.
Zum Jahreswechsel haben wir aber auch schlimme Übergriffe gesehen, brutale Angriffe auf Frauen vor und im Kölner Hauptbahnhof und auch in anderen Städten – Vorfälle, die sich niemals wiederholen dürfen.
Wir Grüne fühlen mit den betroffenen Frauen aus der Silvesternacht. Wir sind betroffen darüber, dass es in einem Rechtsstaat in jener Nacht nicht möglich war, Menschen zu schützen. Wir sind betroffen über die Fehler, die gemacht wurden, und auch über ein Agieren, das den Vertretern des Rechtsstaats sogar den Vorwurf der Vertuschung eingebracht hat.
Daraus resultiert nun ein klarer und, wie ich glaube, gemeinsamer politischer Auftrag. Wir wollen und werden die Vorfälle in Köln und anderen Städten aufklären. Wir werden das ohne Vorbehalt tun, ohne einem Vorwurf oder einer Frage aus dem Weg zu gehen. Deshalb ist es gut, dass wir diesen Untersuchungsausschuss gemeinsam einsetzen.
Wir wollen das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherstellen. Wir wollen die innere Sicherheit stärken, die Opfer der Übergriffe unterstützen
(Michele Marsching [PIRATEN]: So nicht!)
und für konsequente Strafverfolgung sorgen.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: So aber nicht!)
Wir werden aber auch Herausforderungen im Zusammenhang mit der Einwanderung von Flüchtlingen thematisieren – ruhig und besonnen, ohne das Geschäft der Rechtspopulisten zu betreiben und Ressentiments zu schüren.
Denn wir wollen – und das muss die Perspektive dieser Debatte sein – Probleme lösen. Wir wollen kein Gegeneinander der Kulturen. Wir wollen kein „Wir gegen die“. Denn Gewalt und Hetze gegen Geflüchtete gibt es nicht erst in den letzten vier Wochen und nicht erst seit den Ereignissen der Silvesternacht. Allein im letzten Jahr mussten wir eine Verachtfachung dieser Straftaten erleben.
Meine Damen und Herren, den Frauen, die in der Silvesternacht Opfer von Gewalt geworden sind, sagen wir ganz klar: Wir werden Polizei und Justiz in ihrem Einsatz unterstützen, die Täter aus der Silvesternacht zu überführen und zu bestrafen. Wir werden aber auch weiter reichende Schlussfolgerungen ziehen.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wodurch?)
Wir werden den alltäglichen Sexismus thematisieren – egal, ob er von deutschen oder nichtdeutschen Männern ausgeht.
 (Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wodurch denn?)
Wir werden diesen Alltagssexismus aktiv bekämpfen, ohne dadurch die konkreten Taten von Köln zu relativieren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Durch den Untersuchungsausschuss oder wodurch?)
Denn was in Köln sichtbar geworden ist, geschieht vieltausendfach,
(Dietmar Schulz [PIRATEN] schüttelt den Kopf.)
auch wenn Sie den Kopf schütteln, Herr Schulz. Das geschieht vieltausendfach oft im Verborgenen und ohne dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: Die Aufklärung der Vorkommnisse der Silvesternacht sind wir nicht allein den betroffenen Frauen schuldig. Wir sind sie auch den Hunderttausenden Menschen schuldig, die friedlich und in bester Absicht zu uns gekommen sind – auf der Flucht vor Gewalt, vielfach auch vor sexualisierter Gewalt. Diese Menschen dürfen jetzt nicht einem Generalverdacht ausgesetzt werden, wie es die Rechtspopulisten und die Neonazis jetzt tun. Das dürfen wir nicht zulassen, denn sonst machen wir die Menschen, die bei uns Schutz suchen, zum zweiten Mal zu Opfern. Das darf nicht geschehen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])
Wir werden uns in diesem Untersuchungsausschuss auch mit sehr konkreten Fragestellungen auseinandersetzen müssen. Einige haben die Vorredner schon angesprochen. Wir werden lückenlos aufklären, warum weder durch das PP Köln noch durch die Bundespolizei zusätzliche Kräfte der Landespolizei angefordert wurden, obwohl sie aufseiten der Landespolizei doch in großer Zahl zur Verfügung standen.
Wir werden neben den organisatorischen Fehlern der Kölner Polizei auch die Fehler der Bundespolizei thematisieren, denn wir lassen uns nicht von einem Bundesinnenminister belehren, dessen Politik zu Personalmangel bei der Bundespolizei geführt hat. Es ist gut, dass wir diesen Themenkomplex gemeinsam aufnehmen konnten.
(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])
Wir werden klären, warum neben den Sicherheitsbehörden des Landes auch die des Bundes, insbesondere das Bundeskriminalamt, vor der Silvesternacht keine vollständige Einschätzung des neuen Kriminalitätsphänomens hatten. Wir erwarten an dieser Stelle auch von der Opposition, dass endlich nicht nur Behauptungen, sondern Belege zur Frage der von Ihnen so bezeichneten No-go-Areas vorgelegt werden.
(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Die Opposition soll jetzt im Untersuchungsausschuss Belege vorlegen?)
Wir werden natürlich auch untersuchen, wie es zu der verfehlten Kommunikation nach dem Einsatz kommen konnte; denn diese verfehlte Kommunikation hat viel zum Vertrauensverlust beigetragen.
Meine Damen und Herren, dieser Untersuchungsausschuss bietet aber auch Chancen, nach vorne gerichtet über Konsequenzen zu diskutieren.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Oh, jetzt!)
Zunächst geht es um Konsequenzen für die Organisationskultur der Polizei. Wir wurden in den letzten Wochen stets seitens der CDU mit wilden Behauptungen konfrontiert, wonach man innerhalb der Polizei angeblich aus vorauseilendem Gehorsam etwas nicht sagen oder nicht tun oder nicht denken dürfte. Sie sind bis heute jeden Beleg, aber auch jeden Vorschlag schuldig geblieben.
Wir Grünen wollen eine Polizei, die den Bürgerinnen und Bürgern offen gegenübertritt, die Vertrauen ausstrahlt und neue Kriminalitätsphänomene nach innen und außen offen anspricht und sie professionell und rechtsstaatlich angeht. Dazu gehört neben dieser Organisationskultur auch eine Fehlerkultur.
(Beifall von den GRÜNEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Die haben wir doch angeblich schon!)
Für uns Grünen ist außerdem klar: Wir benötigen eine neue Debatte über eine bessere Prävention sexualisierter Gewalt. Sexuelle Gewalt gibt es in allen Schichten und in allen Altersgruppen. Wir werden unseren Kampf verstärken, dieser Gewalt wirksam vorzubeugen. Dazu gehört, wirksame Schutzkonzepte für alle Einrichtungen zu entwickeln. Dazu gehört aber auch, das Thema zu endtabuisieren und Mädchen und Frauen zu ermutigen, Taten anzuzeigen.
Wir werden uns auch anschauen, ob das Strafrecht den Behörden überhaupt genügend Möglichkeiten an die Hand gibt, um Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu verfolgen und zu bestrafen.
Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuss, den wir heute gemeinsam beschließen, fällt in eine aufgeheizte Diskussion, die teilweise unsachlich, blindwütig und völlig enthemmt geführt wird. Ich kann nur an alle appellieren: Helfen Sie durch die Aufklärung mit, dass wir in der Debatte zu Maß und Mitte zurückfinden! Wir wollen gemachte Fehler der Polizeiführung aufklären, den Rechtsstaat stärken und Vertrauen in die Polizei zurückgewinnen.
Ich hoffe, dass zumindest die vier antragstellenden Fraktionen bereit sind, diese Arbeit zu leisten. Auf diese Arbeit freue ich mich. Ich will mit der Hoffnung schließen, dass wir die sachliche Tonlage dieses Tages gemeinsam beibehalten. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)