Reiner Priggen: „Die Braunkohle ist der Energieträger, der das größte Opfer von denjenigen verlangt, die auf diesen Flächen wohnen“

Aktuelle Stunde der FDP zur Zukunft der Braunkohle

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Reiner Priggen (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Auch von meiner Seite persönlich und für meine Fraktion Herrn Kufen, Herrn Abruszat, Herrn Breuer und Thomas Eiskirch alles Gute für die neue Tätigkeit. Das wird eine anstrengende Herausforderung. Das wird noch einmal ganz anders als im Landtag. Man kann Ihnen dabei nur Erfolg wünschen für die Bürgerinnen und Bürger in den Städten, in denen Sie das machen. Dafür jedenfalls auch von uns aus alles Gute!
(Beifall von allen Fraktionen)
Dann muss ich aber etwas zu dem eigentlichen Kernpunkt der Debatte sagen:
Herr Brockes, Sie haben angefangen und das Wort „erbärmlich“ in den Mund genommen. Ich mache jetzt im Landtag 15 Jahre politische Arbeit auch in Bezug auf dieses Thema. Eine schlechtere Rede als die, die Sie zu dem Thema gehalten haben, kann man nicht halten. Das Adjektiv fällt völlig auf Sie zurück!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das hat nichts mit dem zu tun, was wir da an notwendiger Arbeit geleistet haben.
Herr Kollege Ellerbrock, Sie sind erfahren. Sie verfügen über Fachkunde in der Landesplanung. Sie wissen doch, dass man so nicht an ein solches Problem herangehen kann. Wie können Sie es zulassen, dass aus Ihrer Fraktion heraus in einer derartigen Art mit einer solchen Fragestellung umgegangen wird? Ich verstehe es nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will Ihnen einmal ganz klar sagen, um was es eigentlich geht: Es geht doch darum, dass wir wegen der Braunkohle weit mehr als 40.000 Menschen umgesiedelt haben. Die Braunkohle ist der Energieträger, der das größte Opfer von denjenigen verlangt, die auf diesen Flächen wohnen. Die müssen ihre Heimat aufgeben. Deren Häuser werden abgerissen. Sie müssen umziehen. Das verlangen wir. Und wenn man das von diesen Menschen verlangt, dann muss man sehr gute Argumente haben, warum sie dieses Opfer bringen sollen. Es waren in den letzten 50 Jahren über 40.000 Menschen betroffen!
Diese Regierung hat bei den letzten beiden Umsiedlungsabschnitten, die bei den Tagebauen anstanden – in Garzweiler beim dritten Abschnitt, in Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Beverath – vor der Frage gestanden: Lassen wir diese Menschen gehen oder nicht? Der Umsiedlungsprozess bei der Braunkohle fängt mehr als 20 Jahre vor dem Weggang der Ortschaften an. Die Entscheidung für Garzweiler ist 1994/95 getroffen worden. Da wussten die Menschen: Irgendwann ist es vorbei. Ab da geht in diesen Dörfern das Sterben auf Raten los, weil klar ist, dass man keine Perspektive hat.
Der Prozess kam näher. Dann bot in diesem Fall die Kommune Erkelenz denjenigen, die umgesiedelt werden müssen, Standorte an. Die Menschen suchen sich den Umsiedlungsstandort aus. Sie fahren herum, und man einigt sich. Auf der Strecke bis zur Umsiedlung gehen 35 bis 40 % der Leute voraus. Es geht doch nicht gleich das ganze Dorf mit. Das ändert sich alles.
Wenn es dann wirklich soweit ist, fordern die Umsiedler Klarheit. Denn laut Regularien dürfen die Häuser nicht vom Bergbautreibenden aufgekauft werden. Von daher können die betroffenen Menschen die neuen Grundstücke nicht kaufen, bevor nicht feststeht, dass sie den Umsiedlerstatus erhalten. Denn diejenigen, die zusammen gehen wollen, sollen dann auch möglichst geschlossen gehen.
Die Entscheidung hatten wir für den dritten Abschnitt zu treffen. Da sind Menschen aus allen Positionen, die es gibt, zu uns gekommen mit der Frage: „Muss das denn wirklich noch sein? Hat sich die Energiewelt nicht total geändert? Müssen wir das Opfer noch bringen?“ Andere sind gekommen und haben gesagt: „Lasst uns endlich gehen. Wir haben seit zehn Jahren abgeschlossen, wir wollen an den neuen Standort. Wir haben uns entschieden. Fällt eine Entscheidung.“
Wir wussten, dass die gleiche Frage beziehungsweise der gleiche Prozess zwei Jahre später für Holzweiler ansteht. Der Prozess ist es auch, der die Menschen mürbemacht.
Wir haben dann nicht aus Willkür oder Daffke, sondern in einem vernünftigen Diskurs – so, wie man das macht, wenn man Verantwortung trägt – entschieden: Wenn das so ist, dann müssen wir das auch zusammen betrachten, weil wir den Menschen diesen Prozess sonst nicht zumuten können.
Jetzt möchte ich hier einmal einen erleben, der mir sagt: Die energiepolitischen Bedingungen haben sich von 1995 bis 2015 nicht grundlegend weiterentwickelt beziehungsweise verändert. – Das kann doch allen Ernstes kein Mensch behaupten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Zur Arbeit gehört Folgendes dazu: Wenn ich von Menschen dieses Opfer verlange und es begründe, dann muss ich die Grundannahmen überprüfen und anschließend abwägen.
Wir sind daraufhin zu dem Ergebnis gekommen: Wir lassen den einen Abschnitt der Umsiedlung planungsgemäß laufen. – Darauf hat auch die Kommune gedrängt, weil sie Klarheit haben wollte. – Wir haben gesagt: Ein Teil der Menschen muss gehen, und die anderen können gehen. Wir gucken uns aber auch den vierten Abschnitt an und schauen darauf, ob die ganze Tonnage noch gebraucht wird. – Wir haben dann entschieden: Aufgrund der veränderten Bedingungen brauchen wir weniger Tonnage. Das ist die Erforderlichkeit, die Notwendigkeit.
Es hat Unterrichtungen und Aktuelle Stunden dazu gegeben. Liebe Leute, ich bin 15 Jahre hier. Einen Mangel an Diskussionsgelegenheiten zu Garzweiler und einen Mangel an Möglichkeiten, von den Entscheidungen des Kabinetts zu erfahren, hat es nie gegeben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Natürlich hat doch der frühere Chef der Staatskanzlei – Entschuldigung, das ist er ja immer noch; ich freue mich natürlich auf dessen erste Rede gleich, er soll ja auch Lampenfieber haben, wenn er einmal hier nach vorne geht – …
(Heiterkeit von allen Fraktionen)
… den Termin in Erkelenz dem Bürgermeister langfristig zugesagt, da dieser auf Klarheit gedrängt hatte. Das ist doch kein Komplott oder keine Verschwörung Abgeordneten gegenüber, dass diese das nicht hätten erfahren sollen. Es bedurfte auch keines Kollegen aus der CDU – der Bürgermeister von Erkelenz ist da offen; er ist Ihrer Couleur – und auch nicht des Chefs der Staatskanzlei, um damit da hingehen zu dürfen. – Das alles ist möglich, und wir haben es immer diskutieren können.
In der Koalition beziehungsweise in der Regierung mussten wir dann abwägen, was das für Holzweiler heißt, einen Ort, der über 20 Jahre lang wusste, dass er nach 2030 wegkommt? Von daher sind in Holzweiler natürlich bestimmte Entwicklungen nicht vollzogen worden. Bekommt er eine bestimmte Räumlichkeit, damit dort auch noch Ansiedlung und Wohnungsbau beziehungsweise eine gewisse Entwicklung möglich ist? Oder wird er rundum „abgeschält“, wie das einige wollen? Die FDP wollte ihn weghaben. Andere wollen ihm maximal 100 Meter oder weniger geben. Von daher ist es auch vernünftig – das ist kein Kuhhandel –, zu sagen: Dieser Ort braucht auch ein gewisses Gelände.
Es gab ein Riesenmirakel in Bezug auf eine bestimmte Landstraße. Es ist ja immer wieder toll, zu lernen, dass sich die Opposition mangels eigener Themen an irgendetwas – in diesem Fall war es die L 219 – festklammert. Wenn man nur ein bisschen Ahnung hat, weiß man, dass vom Ort Holzweiler aus zu den Nachbarorten Beziehungen bestehen. Die verlieren mit Borschemich, Immerath und anderen Ortsteilen Hinterland. Deren Grundschule befindet sich aber in Kückhoven. Und natürlich ist es für die, die aus dem Hauptort nach Kückhoven kommen, wichtig, dass sie nicht Riesenumleitungen fahren müssen bzw. dass die notwendigen Flächen vorhanden sind. Das bringt ja auch ein Gefühl dafür, dass man noch einen Ort hat.
Wenn das alles so ist, dann ist es vernünftig, genau diese Beziehungen zu erhalten. Und das ist auch in der Leitentscheidung so hinterlegt worden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie sprechen, weil Sie es nicht anders wollen, vom „Kuhhandel“. Ich dagegen sage: Wenn man in der Verantwortung steht, ist man in der Verantwortung für alle, die davon betroffen sind, Entscheidungen zu treffen.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Reiner Priggen (GRÜNE): Diejenigen, die 800 m Abstand wollen, und auch die, die fragen, ob das überhaupt noch sein muss, bekommen nicht alles, was sie wollen. Die Bürgermeister haben sich an die Ministerpräsidentin gewandt mit der Forderung nach 500 m Abstand.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Reiner Priggen (GRÜNE): Das Unternehmen hat 100 m zugestanden. Insofern sind 400 m, Frau Präsidentin, ein vernünftiger Kompromiss. – Von mir aus hätten wir auch eine Stunde darüber reden können; aber herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Heiterkeit von allen Fraktionen)