Schutz vor Gewalt und Recht auf Unversehrtheit für Menschen mit Behinderung umfassend gewährleisten

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

I. Menschenrecht auf Unversehrtheit der Person wahren!

Menschen mit Behinderung sind auch heute noch – in Zeiten der Inklusion – wesentlich häufiger Opfer (sexueller) Gewalt, Misshandlung oder Vernachlässigung als Menschen ohne Beeinträchtigungen. Auch in Deutschland sehen sich immer noch viele Menschen mit Behinderungen in vielen Lebensbereichen Diskriminierungen, Übergriffe und Gewalt ausgesetzt. Zwangslagen, Einschränkungen der persönlichen Freiheit und der Selbstbestimmung sowie die damit verbundenen Bedrohungen für die davon betroffenen Menschen sind vielschichtig. Auch eine erniedrigende Behandlung stellt eine subtile Form von Gewalt dar.
Gewalt hat massive gesundheitliche Folgen. Diese reichen von körperlichen Verletzungen, somatischen und psychosomatischen Beschwerden, psychischen Störungen und Erkrankungen bis zum Tod. „Von besonderer Bedeutung ist der wechselseitige Zusammenhang von (sexueller) Gewalt und gesundheitlicher Beeinträchtigung/Behinderung im Leben von Mädchen und Frauen mit Behinderungen. Sie haben nicht nur ein höheres Risiko, Opfer von Gewalt zu werden; auch umgekehrt tragen (frühere) Gewalterfahrungen im Leben der Mädchen und Frauen maßgeblich zu späteren gesundheitlichen und psychischen Beeinträchtigungen und Behinderungen bei. Auch Frauen, deren Behinderungen erst im Erwachsenenleben auftreten, sind bereits in Kindheit und Jugend einem erheblichen Ausmaß von körperlichen und vor allem psychischen Übergriffen durch Eltern und anderen Personen ausgesetzt.“ (Entschließung der 22.Landesgesundheitskonferenz NRW 2013)
Im öffentlichen Bild wird Gewalt gegen über Menschen mit Behinderungen zumeist auf Gewalt gegen Frauen fokussiert. Durch Untersuchungen zu Gewalt gegen Männer mit Behinderungen konnte allerdings nachgewiesen werden, „dass auch Männer von Gewalt betroffen sind.“ Allerdings zeige sich, dass Männer andere Gewaltformen und Gewalt an anderen Orten bzw. in anderen Opfer-Täter-Kontexten ausgesetzt sind. So seien Männer deutlich häufiger von körperlicher Gewalt an öffentlichen Orten  betroffen, während Frauen häufiger Opfer von (schwerer) Gewalt in Paarbeziehungen und generell von sexueller Gewalt würden. (vgl. Studie Lebenssituation und Belastung von Männern mit Behinderungen, BMAS 2013).
Ebenso seien bei Gewaltübergriffen im Zusammenhang mit Assistenz, Betreuung, Pflege oder gesundheitlicher Versorgung  Männern mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Haushalten wesentlich weniger betroffen als Frauen.

UN-Behindertenrechtskonvention fordert deutlich den Schutz vor Gewalt und Missbrauch

Die UN-Behindertenrechtskonvention enthält deutliche Anforderungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Vernachlässigung, Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung, grausamer oder unmenschlicher Behandlung sowie zum Recht auf Unversehrtheit der Person. Dabei sind Frauen und Mädchen mit Behinderungen sowohl innerhalb als auch außerhalb ihres häuslichen Umfelds oft in stärkerem Maße durch Gewalt, Verletzung oder Missbrauch, Nichtbeachtung oder Vernachlässigung, Misshandlung oder Ausbeutung gefährdet.
Die Konvention verpflichtet zum Abbau von Diskriminierungen und zur Förderung und Gewährleistung von Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und hebt hier insbesondere die Mehrfachdiskriminierungen und Gewaltbetroffenheit von Mädchen und Frauen mit Behinderungen ab. Sie verpflichtet die Vertragssaaten geeignete Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch, einschließlich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte, zu schützen (Art.16). Zudem müssen geeignete Maßnahmen zur Sicherung der vollen Entfaltung, der Förderung und der Stärkung der Autonomie (des Empowerments) von Frauen ergriffen werden.
Auch das „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (Istanbul-Konvention) verweist auf die besondere Situation von Frauen mit Behinderung (Art. 4). Häufig ist diese Gruppe von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Sie werden dadurch nicht nur häufiger Opfer von Gewalt, oftmals erleben sie auch durch Justiz, Strafverfolgungsbehörden oder Beratungsstellen Diskriminierung. Um dem entgegenzuwirken, sind die Unterzeichnerstaaten aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen,  den Schutz der Rechte von Opfern, sowie Hilfe ohne Diskriminierung aufgrund „der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität, des Alters, des Gesundheitszustandes, einer Behinderung, des Familienstands, des Migranten- oder Flüchtlingsstatus oder des sonstigen Status sicherzustellen“ (Art. 4).
Deutschland hat die Istanbul-Konvention am 11. Mai 2011 unterzeichnet. Die Ratifizierung durch den Bundestag steht bislang allerdings aus.

II. Situation von Menschen mit Behinderungen, die von Gewalt betroffen sind

Die repräsentative Studie "Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland" der Universität Bielefeld von 2012 hat erstmals belegt, dass Frauen mit Behinderungen körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt besonders stark ausgesetzt sind und vielfältige Formen von Diskriminierung und Gewalt erleiden müssen. Erstmals konnten repräsentative Daten zu Lebenssituation, Belastungen, Diskriminierungen und Gewalterfahrungen von Frauen mit Behinderungen erfasst werden. Demnach haben Frauen mit Behinderungen ein stark erhöhtes Risiko Opfer von Gewalt zu werden. Von sexueller Gewalt im Erwachsenenleben waren die Frauen der Befragung etwa zwei- bis dreimal häufiger betroffen als andere Frauen. Auch Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend tragen maßgeblich zu späteren gesundheitlichen und psychischen Belastungen im Lebensverlauf bei. 81-89% der Frauen gaben bei der Befragung an, „direkte diskriminierende Handlungen durch Personen und Institutionen“ erlebt zu haben und waren somit „vielfältigen Formen von Diskriminierung und struktureller Gewalt ausgesetzt“. Schließlich war „ein Problem für viele der Befragten der oft schwierige Zugang zu Beratungsstellen und Frauenhäusern“. Dem Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation des Landtags NRW wurden die wesentlichen Aspekte dieser Studie am 5. Juni 2013 vorstellte (Prof. Dr. Julia Zinsmeister).

Schutz in Einrichtungen verbessern

Ein großer Teil der Menschen mit Behinderungen leben oftmals ihr gesamtes Leben in Einrichtungen oder nutzen Dienste der Behindertenhilfe. Häufig ist es Menschen mit Behinderungen nur begrenzt möglich, ihren Lebensalltag selbst zu bestimmen, ihre Privatsphäre zu wahren oder Grenzen zu setzen. Die o.g. Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Leben in Einrichtungen „weitaus stärker von Teilhabeeinschränkung und sozialer Ausgrenzung geprägt ist, als bei Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen, die in Haushalten leben.“
Durch das Gewaltschutzgesetz sind Menschen mit Behinderungen in vielen Lebenslagen nicht ausreichend geschützt. So greift das Gesetz nur im privaten Raum, nicht aber in Einrichtungen der Behindertenhilfe, wenn die gewaltausübende Person in der gleichen Einrichtung lebt. Betroffenenorganisationen und Verbände fordern daher eine entsprechende Überarbeitung des Gewaltschutzgesetzes.

III. Präventionsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt

Die 22. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen, -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder (GFMK) hat im Juni 2012 in Nürnberg einen Beschluss zu Präventionsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt in Behinderteneinrichtungen gefasst. Hierin wird gefordert den Schutz von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen deutlich zu verbessern, den Zugang zu Unterstützungseinrichtungen zu ermöglichen und wirksame Maßnahmen zu erarbeiten, um der Gewalt entschieden und konsequent entgegen zu wirken. Hierzu wird auch ein gemeinsames Handlungskonzept der verschiedenen Fachministerkonferenzen eingefordert.

Hilfe und Unterstützung

Um behinderte Mädchen und Frauen besser zu schützen wurde bundesweit gemeinsam mit dem Verein "Weibernetz", der Interessenvertretung von Frauen mit Behinderungen und mit "Mensch zuerst" das bundesweite Projekt von "Frauenbeauftragten" ins Leben gerufen. Die Frauenbeauftragten haben selbst Beeinträchtigungen und haben gelernt, Mitbewohnerinnen oder Kolleginnen in Werkstätten oder Wohnheimen zur Seite zu stehen und ihnen als Ansprechpartnerin zu dienen, wenn diese Gewalt erlebt haben oder fürchten.
Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe hatten 1. Januar 2014 das Projekt „Suse – sicher und selbstbestimmt“ gestartet. In den kommenden drei Jahren sollen zunächst in fünf Regionen inklusive Kompetenz-Netzwerke gegen Gewalt initiiert werden, u.a. auch in Nordrhein-Westfalen (Meschede, Hochsauerlandkreis). Das Projekt soll viele Akteure zusammenbringen wie betroffene Frauen, Beraterinnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Wohnheimen und Werkstätten der Behindertenhilfe, Ärztinnen und Ärzte sowie Therapeutinnen und Therapeuten.

Empowerment stärken

Den verschiedensten Formen alltäglicher Gewalt – von Nichternstnehmen über beleidigende Äußerungen bis hin zu Belästigung, Bedrohung und Vergewaltigung – soll nicht mehr mit Gefühlen wie Angst und Hilflosigkeit begegnet werden. Selbsthilfeinitiativen und Träger sowie die Landesregierung NRW haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, mit einem Angebot an Übungen zur Stärkung des Selbstbewusstseins Mädchen und Frauen mit Behinderung bei der Selbstbehauptung und Selbstverteidigung zu unterstützen. Seit vielen Jahren schon bestehen in NRW entsprechende Angebote.

Initiativen in Nordrhein-Westfalen

Mit dem Antrag „Auf dem Weg in ein inklusives NRW“ (Drucksache 15/2361) der Fraktionen der SPD und Bündnis90/Die GRÜNEN hatte der Landtag bereits 2011 dargelegt, dass „der mehrfachen Diskriminierung von Frauen und Mädchen mit Behinderung konsequent entgegengewirkt werden muss“ und beschlossen, „umfassende Maßnahmen gegen die Diskriminierung und Gewalt an Frauen und Mädchen mit Behinderung vorzusehen“ und „bei der Aufstellung des Aktionsplans die Geschlechterperspektive einzubeziehen“.
Mit dem Aktionsplan „NRW inklusiv“ hat es sich die Landregierung zur Aufgabe gemacht, eine Verbesserung des Zugangs zu Schutz- und Hilfemaßnahmen im Kontext häuslicher und sexualisierter Gewalt durch Anpassung an die besonderen Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen zu erwirken.
Zugleich hat auch die Landesgesundheitskonferenz 2013 sich dafür ausgesprochen, dass das in NRW bestehende Hilfeangebot für von (sexueller) Gewalt betroffenen Mädchen und Frauen mit Behinderungen in ausreichendem Maße zugänglich gemacht wird, sich die Einrichtungen bei der Weiterentwicklung der Strukturen an den entsprechenden Empfehlungen zur Gewaltprävention orientieren und die Ärztevertretungen die Informationen für diese Zielgruppe weiter verbessern sollen.
Bisher sind in NRW bereits eine Reihe von Initiativen und Maßnahmen seitens der Landesregierung ergriffen worden:
Das Netzwerk-Büro Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronischer Erkrankungen NRW (Münster)  bietet Beratung für Betroffene, befördert eine Sensibilisierung der Einrichtungsträger für die Belange von Frauen und Mädchen mit Beeinträchtigungen und trägt dazu bei, dass frauen- und behindertengerechte Aspekte in Projekten und Programmen verankert werden.
Ebenso haben die beiden Kompetenzzentren Selbstbestimmtes Leben (KsL) in Köln und Dortmund die Thematik „Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen“ aufgegriffen. SPD und GRÜNE haben mit ihrem Antrag (Drs. 16/5482) und dem entsprechenden Landtagsbeschluss im April 2014 auf einen Ausbau der Kompetenzzentren hingewirkt mit dem Ziel, zukünftig in jedem Regierungsbezirk mindestens ein entsprechendes Angebot vorzuhalten. Dabei sollen die besonderen Belange von Frauen und Mädchen mit Behinderungen noch stärker berücksichtigt werden und hierbei auch die Thematik Frauen und Mädchen mit Gewalterfahrungen.
Die Landesregierung fördert die Arbeit der Kompetenzzentren (KsL) und des Netzwerkes und beteiligt sich zudem an der Förderung des bundesweite Projektes von "Gleichstellungsbeauftragte in Einrichtungen“.
Im Landesaktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, der derzeit von der Landesregierung erarbeitet wird, soll als Zielsetzung für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen mit Behinderung eine Verbesserung des Zugangs zu Schutz- und Hilfemaßnahmen verankert werden.
In das am 16. Oktober 2014 in Kraft getretene GEPA, das das neue Alten- und Pflege- sowie Wohn- und Teilhabegesetz umfasst, wurde zur Problematik Gewalt in Einrichtungen eine entsprechende Vorschrift aufgenommen (§8 Abs.1 WTG). Die Leistungsanbieterinnen und -anbieter werden damit verpflichtet, „geeignete Maßnahmen zum Schutz vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch zu treffen“ einschließlich der geschlechtsspezifischen Aspekte.
Träger und Akteure der Jugendhilfe und Jugendarbeit haben sich bereits vor in Kraft treten des Bundeskinderschutzgesetzes auf den Weg gemacht, jeweils ein eigenes Konzept zu erstellen, bei dem der Kinder- und Jugendschutz bei der Ausbildung und Fortbildung fester Bestandteil ist. Neben der Prüfung bei Einstellungen geht es um die Sensibilisierung der hauptberuflich und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen für die Themen sexuelle Gewalt und Kinderschutz, das Erlernen einer präventiven Haltung, zum Umgang mit Krisenfällen und zum Thema sexuelle ildung. Die beiden Landesjugendämter in NRW haben hierzu Orientierungshilfen herausgegeben, die auch präventive Schutzkonzepte betreffen.
Sexueller Missbrauch und sexuelle Gewalt ist auch Thema der schulischen Sexualerziehung in NRW (§ 33 SchulG). Diese verfolgt u.a. das Ziel „Autonomie und Handlungskompetenz von Mädchen und Jungen zu steigern, ihre Abwehrmöglichkeiten gegenüber sexuellen Missbrauch und sexueller Gewalt zu entwickeln sowie ihre Persönlichkeit und ihr Selbstwertgefühl zu stärken.“
Zur Verbesserung der Datenlage bezüglich „Menschen mit Behinderung als Opfer von Gewalt“ wird seit 2008 in der polizeiliche Kriminalstatistik NRW Auskunft darüber gegeben‚ ob das Opfer eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung vor der Gewalttat hatte. Inwieweit allerdings eine Behinderung Auslöser für die Gewalttat war, kann nur in einigen Fällen erfasst werden. Zudem ist die geschlechterspezifische Datenlage in Bezug auf Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderung noch lückenhaft und damit zur Entwicklung von Projekten und Maßnahmen bisher nur bedingt geeignet.
Eine Reihe von Maßnahmen und Unterstützungsleistungen wurden bereits umgesetzt bzw. aufgebaut. Allerdings ist das in Nordrhein-Westfalen bestehende Hilfeangebot für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen mit Behinderungen derzeit noch nicht gänzlich zugänglich und kann deshalb auch nur eingeschränkt von den betroffenen Frauen und Mädchen genutzt werden. Erklärtes Ziel im Aktionsplan ist es deshalb, „eine Verbesserung des Zugangs zu Schutz- und Hilfemaßnahmen im Kontext häuslicher und sexualisierter Gewalt durch Anpassung an die besonderen Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen zu erwirken.“

IV. Der Landtag stellt fest:

Menschen mit Behinderung haben das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Dieses Selbstbestimmungsrecht einzuschränken oder zu unterbinden wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde.
Das Bewusstsein und die Sensibilisierung für Übergriffe gegen Menschen mit Behinderungen muss gestärkt werden, sowohl bei den Betroffenen selbst als auch bei Angehörigen, Pflegerinnen und Pflegern, Betreuungspersonen, Ärztinnen und Ärzten und Strafverfolgungsbehörden als auch in der Gesellschaft insgesamt.
Um langfristig eine Veränderung in den Einstellungen und dem Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderung zu erzielen, muss die Auseinandersetzung mit behinderungs- und gewaltspezifischen Themenfeldern zum „mainstream“ gemacht und darf nicht in Sonderdisziplinen abgedrängt werden.
Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention streben wir die inklusive Ausrichtung aller Maßnahmen und Hilfsangebote an. Insbesondere bedarf es weiterer Verbesserungen bei der Zugänglichkeit von Informationen über Hilfsangebote, dem Abbau von Zugangsbarrieren bei Hilfe- und Beratungseinrichtungen im Kontext von häuslicher und sexualisierter Gewalt sowie zielgruppenspezifischer Angebote, die u.a. das Konzept des „peer counceling“ (Betroffene beraten Betroffene) einbeziehen.
Präventionsprogramme brauchen für ihre nachhaltige Umsetzung auch eine lokale Verortung und insbesondere eine Partizipation der Betroffenen. Von großer Bedeutung ist die enge Kooperation zwischen Ärztinnen und Ärzten, Selbsthilfeorganisationen, ggfs. Angehörigen und Einrichtungen und Dienste bezüglich der Umsetzung der Präventions- und Hilfekonzepte.
Die Behinderten-Selbsthilfe hat in den letzten Jahren u.a. mit dem Netzwerk-Büro Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronischer Erkrankungen sowie den beiden Kompetenzzentren Selbstbestimmtes Leben (KsL) eine Beratungsstruktur von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung aufgebaut – ganz im Sinne des „peer-counseling“, die sich auch der Stärkung von mehr Eigenständigkeit und Selbstbestimmung widmen. Für die Gruppe psychisch kranker Menschen hat sich insbesondere der Landesverband der Psychiatrieerfahrenen einen Namen gemacht.
Über die Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und gegen Diskriminierung von Frauen und Mädchen, der Umsetzung des Rechts auf Unversehrtheit der Person sowie der sexuellen Identität und Selbstbestimmung hinaus bedarf es auch der Förderung und der Stärkung der Autonomie (des Empowerments). Selbsthilfeinitiativen und Träger haben bereits eine Vielzahl von Angeboten zur Stärkung des Selbstbewusstseins von Mädchen und Frauen mit Behinderung und zur Selbstbehauptung und Selbstverteidigung initiiert. Auch dies gilt es weiterhin zu unterstützen.
Zur Stärkung der Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit kann auch das selbständige Wohnen mit  ambulanter Unterstützung und/oder das Persönliche Budget und die selbstbestimmte Assistenz beitragen. Dieses gilt es weiter auszubauen.
Es bedarf der weiteren Verbesserung der Zugänglichkeit der Hilfe- und Unterstützungsangebote. Hierzu gehören eine barrierefreie Information mit den geeigneten Kommunikationsmitteln, der Abbau von Zugangsbarrieren bei Hilfe- und Beratungseinrichtungen im Kontext häuslicher und sexualisierter Gewalt für Frauen und Mädchen mit Behinderungen.

V. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

den Schutz von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen vor Gewalt und Missbrauch weiter zu verbessern und hierbei den Zugang zu Unterstützungsangeboten zu ermöglichen und wirksame Maßnahmen zu erarbeiten (unter Einbeziehung der unter IV. aufgeführten Punkte), um der Gewalt noch entschiedener und konsequenter entgegen zu wirken;
die im Aktionsplan „NRW inklusiv“ vorgesehenen Maßnahmen und Handlungskonzepte zur Thematik „Menschen mit Behinderungen als Opfer von Gewalt“ zeitnah zusammen mit den entsprechenden Initiativen und Trägern umzusetzen. Dies betrifft insbesondere Themenbereiche wie „Schutz vor Gewalt und Recht auf Unversehrtheit der Person“, „mehrfache Diskriminierung von Frauen und Mädchen“ sowie „sexuelle Identität und Selbstbestimmung“.
gemeinsam mit den Beteiligten dafür zu sorgen, dass die Beschlüsse der 22. Landesgesundheitskonferenz umgesetzt werden, insbesondere
dass das in NRW bestehende Hilfeangebot für von (sexueller) Gewalt betroffenen Mädchen und Frauen mit Behinderungen in ausreichendem Maße zugänglich gemacht wird,
sich die Einrichtungen bei der Weiterentwicklung von Strukturen und Abläufen an den bereits vorliegenden Empfehlungen zur Gewaltprävention bei Mädchen und Frauen mit Behinderungen orientieren und
die Ärztevertretungen weiterhin Maßnahmen zur Verbesserung der Information über (sexuelle) Gewalt bei Mädchen und Frauen mit Behinderungen initiieren, um bestehende Unsicherheiten zu beseitigen;
sich dafür einzusetzen, dass Präventionsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt in allen Behinderteneinrichtungen ergriffen und umgesetzt werden;
bei der Erarbeitung des „Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ in besonderer Weise die Situation und die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen mit Behinderung in den Blick zu nehmen. Insbesondere in Bezug auf den barrierefreien Zugang zu Schutz- und Hilfsmaßnahmen für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen;
sich auf Bundesebene für eine schnelle Ratifizierung des „Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“ einzusetzen;
Unterstützungsangebote auch für von Gewalt betroffene Männer mit Behinderungen entwickelt werden;
darauf hinzuwirken, dass die Trauma-Ambulanzen zur Akutversorgung für Menschen, die von Gewalttaten traumatisiert wurden, weiter auf die Belange von Menschen mit Behinderung ausgerichtet werden;
dass Informationen über Hilfen bei Gewalt und sexuellem Missbrauch auch in leichter Sprache wie auch in anderen geeigneten zielgruppenspezifischen Kommunikationsformen bereitgestellt werden;
zu prüfen, inwieweit die Institution der Frauenbeauftragten wie im Modellprojekt in Einrichtungen ausgeweitet und gestärkt werden können;
einen Rechtsanspruch auf gleichgeschlechtliche und kultursensible Pflege zu prüfen;
die Einrichtung einer unabhängige Beschwerdestelle zu prüfen.

VI. Die Landesregierung wird gebeten,

sich drüber hinaus für eine Überarbeitung des Gewaltschutzgesetzes im Hinblick auf die Situation in stationären Einrichtungen einzusetzen und hierzu eine Bundesratsinitiative zu ergreifen.