Maßnahmen zur Stärkung der kommunalen Demokratie

Kommunalinfo

Liebe Freundinnen und Freunde,
heute haben die Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen beschlossen, einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) auf den Weg zu bringen. Er sieht die Einführung einer Sperrklausel in Höhe von 2,5 Prozent vor.
Wir stärken die Rolle und die Funktionsfähigkeit der kommunalen Gremien gegenüber den hauptamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie Landrätinnen und Landräten. Der Gesetzentwurf ist auch eine Reaktion auf die Kritik an der Zersplitterung der Stadträte und Kreistage. Neben der Einführung der Sperrklausel setzen wir Grüne uns unter anderem für eine deutliche Anhebung der Aufwandsentschädigungen, die Vereinheitlichung der Verdienstausfallgrenzen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt ein. Durch die unterschiedlichen Größen der kommunalen Gremien gibt es zudem bereits unterschiedlich hohe „faktische Sperrklauseln“. Eine einheitliche Regelung führt nun zu einer Gleichstellung.
Um den Prozess transparent zu machen, möchte ich Euch mit diesem Kommunalinfo gerne über den Werdegang dieses Gesetzentwurfs zur Stärkung der kommunalen Demokratie informieren und die einzelnen beschlossenen Maßnahmen näher vorstellen.
Ausgangspunkt der Arbeit unserer Fraktion zum Thema „Stärkung der kommunalen Demokratie“ war ein Fraktionsbeschluss, mit dem wir uns das umfassende Maßnahmenpaket des LPR-Beschlusses vom 8. März 2015 zur Prüfung vorgenommen haben. Unsere Fraktion hat in den letzten Monaten alle Forderungen systematisch geprüft, Handlungsoptionen überlegt und mit dem Koalitionspartner erarbeitet. Aufgrund eigenen Engagements, gemeinsamen mit der SPD-Fraktion, durch Gutachtenvergabe und Zuarbeit/Beratung durch das Ministerium für Inneres und Kommunales (MIK) können wir nun ein umfassendes Paket aus einer Verfassungsänderung sowie einfach- und untergesetzlichen Maßnahmen als Resultat vorlegen.

Einführung einer niedrigschwelligen Sperrklausel von 2,5 Prozent – Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz)

Mit dem heute von den drei größten Fraktionen des Landtages beschlossenen Gesetzentwurf wollen wir in NRW durch Verfassungsänderung die Wiedereinführung einer Sperrklausel von 2,5 Prozent bei Kommunalwahlen umsetzen.
Im Laufe der umfangreichen Auseinandersetzung mit den diversen, geforderten Maßnahmen zur Stärkung der kommunalen Demokratie sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass die einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Maßnahmen allein nicht ausreichen, um die kommunalen Vertretungen als Rückgrat der Demokratie umfassend zu stärken. Um hohe Rechtssicherheit zu gewährleisten, wurden zum Themenkomplex „Wiedereinführung einer Sperrklausel“ von der SPD- und unserer Fraktion mehrere Gutachten bei namhaften Juristen in Auftrag gegeben. Es gab zudem diverse Gesprächsrunden. Unter anderem hat die  Partei am 30. Januar 2015 ein Fachgespräch in Essen veranstaltet. Inzwischen liegen uns juristische Einschätzungen von Prof. Papier, Prof. Roth, Prof. Michael, Prof. Morlok und Prof. Gusy vor, sowie die politikwissenschaftliche Expertise von Prof. Bogumil.
Diese Expertenmeinungen bestätigen, dass die Arbeit in den kommunalen Vertretungen seit Jahren einer Belastungsprobe ausgesetzt ist. Die Fragmentierung zahlreicher Stadträte und Kreistage hat die wirksame Aufgabenerfüllung der Kommunalvertretungen jedenfalls unter den Bedingungen in NRW erschwert. Die Funktion der Selbstverwaltung durch Bürgerinnen und Bürger, welche das Fundament der Ehrenamtlichkeit in den Kommunen betrifft, ist erheblich tangiert. Zu einer steigenden Arbeitsbelastung treten subjektives Gefühl und objektive Diagnose der Überforderung ehrenamtlicher Ratsmitglieder. Die Gleichheit des demokratischen Zugangs zur Mitwirkung an der Entscheidungsfindung selbst ist erheblich gestört. Einzelvertreter und Kleinstgruppen sind schlechter informiert, weniger kompromiss- und mehrheitsfähig als Fraktionen und daher von Mehrheits- und Koalitionsbildungen nahezu ausgeschlossen. Sie wirken so überwiegend als Neinsager und Blockadefaktoren. Die ihnen eingeräumten verbesserten Mitwirkungschancen durch sperrklauselfreien Zugang zu den Vertretungen kontrastieren die nahezu vollständige Chancenlosigkeit, Benachteiligung und ggf. Ausschluss von Mehrheitsbildungen in den Vertretungen. Die Herstellung des gleichen Zugangs begünstigt die Ungleichheit der Mitwirkung in diesen Räten – bei gleichzeitiger Gefährdung des Ehrenamtes andererseits.
Um den sich aus der fortschreitenden Zersplitterung der Kommunalvertretungen ergebenden abstrakten und konkreten Gefährdungen der Funktionsfähigkeit der Räte und Kreistage Einhalt zu gebieten und um darüber hinaus zu verhindern, dass kleine und kleinste Gruppierungen die Rolle von Mehrheitsbeschaffern oder -verhinderern einnehmen, die ihnen einen gemessen an ihrem Wahlerfolg weit überproportionalen Einfluss verschaffen, bedarf es nach Auffassung der Fraktionen von SPD, CDU und den GRÜNEN  der Einführung einer angemessenen Sperrklausel bei Kommunalwahlen. Die Höhe der Sperrklausel von 2,5 Prozent basiert auf den eingeholten wissenschaftlichen Expertisen und liegt im Ergebnis sogar noch unterhalb des im LPR-Beschluss gesetzten Höchstrahmens von 3 Prozent. Dabei soll, um etwaige Unklarheiten zu vermeiden und die Entscheidung angesichts ihrer Bedeutung auch nicht dem einfachen Gesetzgeber und etwaigen einfachen Mehrheiten im Landtag zu überlassen, nicht nur eine verfassungsrechtliche Ermächtigung des einfachen Gesetzgebers geschaffen werden, eine Sperrklausel von 2,5 Prozent durch einfaches Gesetz einzuführen. Vielmehr soll die 2,5-Prozent-Sperrklausel unmittelbar durch die Verfassung selbst statuiert werden. Um die verfassungsändernde Mehrheit zu erreichen, bedarf es neben den Regierungsfraktionen der Unterstützung durch die CDU-Fraktion. Eine landesweit einheitliche Sperrklausel von 2,5 Prozent soll zukünftig dafür Sorge tragen, dass die durch die verschiedenen Gremiengrößen bedingten Unterschiede der „faktischen Sperrklauseln“ eingeebnet werden. Insofern führt die Einführung einer Sperrklausel zu einer höheren Chancengleichheit der Wählerinnen und Wähler und hat somit verfassungsorientierte Gleichstellungswirkung.
Dieser Gesetzentwurf soll nun in das nächste Plenum in der kommenden Woche eingebracht werden. Hintergrund für die jetzt zügige Einbringung des Gesetzentwurfs ist die Tatsache, dass die Sperrklausel sicher beklagt werden wird und rechtzeitig vor den Kommunalwahlen 2020 eine solche gerichtliche Überprüfung abgeschlossen sein soll.
Neben diesem Gesetzentwurf sind in den vergangenen Wochen flankierend weitere Maßnahmen vereinbart worden, die ich Euch gerne vorstellen möchte. Nur ein umfangreiches Maßnahmenpaket kann die kommunale Demokratie umfassend stärken. Die umfangreichen Arbeiten unserer Fraktion haben jedoch auch ergeben, dass nicht alle diskutieren Instrumente geeignet erscheinen, das gewünschte Ziel zu fördern. Zur Transparenz findet Ihr jedoch alle diskutierten Maßnahmen in der nachfolgenden Auflistung.

Allgemeine Maßnahmen

Sorgfältige, umfassende und transparente Analyse und Auswertung der Arbeit der kommunalen Vertretungen im Hinblick auf ihre Funktionsunfähigkeit
Prof. Jörg Bogumil hat bereits 2009 in einer breit angelegten Studie die Auswirkungen der Abschaffung der kommunalen 5-Prozent-Sperrklausel auf das kommunalpolitische Entscheidungssystem in NRW untersucht. Diese Studie hat er im Auftrag der SPD dieses Jahr fortgesetzt. Fazit seines Gutachtens: In vielen Kommunen NRWs sei die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen erheblich gestört. Es zeige sich eine erhebliche Zersplitterung und Fragmentierung, insbesondere in den Großstädten. Die befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte hielten dauerhafte Ratsmehrheiten für wichtig für die Funktionsfähigkeit der kommunalen Organe, wobei gleichzeitig die Mehrheit der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nicht mehr über eine eigene Ratsmehrheit verfüge. Bereits bei durchschnittlicher Fragmentierung steige der Aufwand für die Ratsarbeit, die Mehrheitsfindung werde aufwändiger und konfliktreicher. Kleinstfraktionen, Ratsgruppen und fraktionslose Mitglieder seien häufig nicht koalitionsfähig, nicht mehrheitsfähig sowie inhaltlich überfordert. Alle befragten Landrätinnen und Landräte sowie 91 Prozent der befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister befürworten die Wiedereinführung einer Sperrklausel, überwiegend in Höhe von 3 Prozent. Aufgrund dieser Ergebnisse halten die Autoren um Prof. Bogumil eine kommunale Sperrklausel von 3 Prozent für zwingend erforderlich.

Einfach und untergesetzliche Maßnahmen

Bei der Untersuchung und Diskussion der Thematik mit der SPD wurde das besondere Augenmerk auf einfach- und untergesetzliche Maßnahmen gelegt, die die Situation in den Kommunalvertretungen optimieren könnten. Die Arbeitsgruppe „Kommunales Ehrenamt“ spielte eine zentrale Rolle bei der Behandlung dieser Themenbereiche.

Maßnahmen zur Erhöhung der Wahlbeteiligung

2014 gab es eine Zusammenlegung der Kommunalwahl mit der Europawahl. Auch 2020 ist wieder eine verbundene Kommunalwahl vorgesehen, da die Amtszeiten der Räte und die der Hauptverwaltungsbeamten (BürgermeisterInnen bzw. LandrätInnen) parallel enden, nachdem die Wahlperiode dafür durch die rot-grüne Landesregierung in einem komplizierten Prozess einmalig um ein Jahr verlängert wurde.
Eine weitere Zusammenlegung der Kommunalwahl mit einer anderen Wahl ist aktuell nicht realistisch, da im Falle der Bundestagswahl der Wahlrhythmus ein anderer ist und darüber hinaus die nächsten Europa- und Landtagswahlen in anderen Jahren stattfinden als die nächste Kommunalwahl, so dass für eine Angleichung die Wahlperiode der Kommunalgremien nochmals einmalig um mehrere Jahre verkürzt oder verlängert werden müsste.

Wahl

Wahlperiode

Letzte Wahl

Voraussichtliche Wahltermine

Kommunalwahl

5 Jahre

2014

2020

2025

2030

2035

Direktwahl von (Ober-)Bürger-meistern und Landräten

5 Jahre

2015

2020

2025

2030

2035

Landtagswahl

5 Jahre

2012

2017

2022

2027

2032

Bundestagswahl

4 Jahre

2013

2017

2021

2025

2029

Europawahl

5 Jahre

2014

2019

2024

2029

2034

Steigerung der Attraktivität der Kommunalpolitik

Dieser Themenbereich wurde umfangreich in der AG Kommunales Ehrenamt bearbeitet. Der dort erarbeitete Abschlussbericht wird bald ins Plenum eingebracht. Empfehlungen der Ehrenamtskommission sind unter anderem: Prüfung der Ausweitung des Nachteilsausgleichs, Erhöhung der Höchstsätze bei Verdienstausfall, Initiative zur Anhebung der Steuerfreibeträge, Anpassung der Mindestausstattung für Fraktionen an die heutigen Bedürfnisse, einmalige deutliche Erhöhung der Aufwandsentschädigung, Einführung einer zusätzlichen Aufwandsentschädigung für Ausschussvorsitzende sowie die Möglichkeit für Fraktionen pro volle acht Mitglieder einen stellvertretenden. Fraktionsvorsitzenden zu wählen, der die doppelte Aufwandsentschädigung erhält. Die Ergebnisse der Ehrenamtskommission werden schrittweise in den nächsten Monaten umgesetzt. So wird zunächst ein neuer Ministeriumserlass zur Fraktionsmindestausstattung in Kraft treten und zu Beginn des nächsten Jahres wird die Entschädigungsverordnung verändert. 

Änderung des mathematischen Sitzzuteilungsverfahrens

Die Sitzzuteilungsverfahren sind seit Jahrzehnten entweder umstritten oder in fachlicher Weiterentwicklung.  Ein „perfektes“ Sitzzuteilungsverfahren existiert nicht, alle Verfahren haben Vor- und Nachteile. Nach eigenen Berechnungen und Recherchen würde eine Änderung des jetzigen Sitzzuteilungsverfahrens keine Besserung bringen.

Mögliche Neufestlegung von Mindestgrößen oder Nachweispflicht einer gemeinsamen inhaltlichen Basis bei der Fraktionsbildung

Die AG Kommunales Ehrenamt hat beschlossen, dass die Anforderungen an die Fraktionsbildung erhöht werden sollen. Bei bis zu 50 Rats-/Kreistagsmitgliedern sollen zwei Mitglieder für die Fraktionsbildung ausreichen, bei 51 bis 74 Mandatsträgern drei Mitglieder, bei 75 bis 90 vier Mitglieder und bei über 90 fünf Mitglieder. Nach aktueller Rechtslage wird bei Gemeinderäten danach entschieden, ob es sich um einen Rat einer kreisangehörigen Gemeinde handelt (dann sind mindestens zwei Mitglieder für eine Fraktion nötig) oder einen Rat einer kreisfreien Stadt (dann sind mindestens drei Mitglieder für eine Fraktion nötig). Bei Kreistagen muss aktuell eine Fraktion ab 59 Kreistagsmitgliedern aus mindestens drei, ansonsten nur aus zwei Kreistagsmitgliedern bestehen.

Stärkung der ehrenamtlichen Arbeit in den Kommunalvertretungen sowie Verwaltungen anhalten, ihre Arbeitsweise auf zumutbare Zeiten auszurichten

Die Vereinbarkeit von kommunalem Ehrenamt und Familie und Beruf war Thema in der AG Kommunales Ehrenamt. So empfiehlt die Kommission, die Dienstausfallgrenzen landesweit zu vereinheitlichen und den Höchstbetrag für tatsächlich nachgewiesenen Dienstausfall auf 80 Euro pro Stunde festzusetzen. Was die Sitzungszeiten angeht, so ist unserer Einschätzung nach die örtliche Situation unterschiedlich. Eine Verschiebung der Sitzungen in den Feierabend ist zweifelhaft, da die für Erholung und Familie zur Verfügung stehende Freizeit so sehr stark reduziert wird. In Großstädten mit dem Zwang zum semiprofessionellen Vorgehen wäre es zudem kaum machbar, aufgrund ihrer Komplexität und ihres Umfanges die Sitzung komplett in den Feierabend zu legen. Dazu führt die Fraktion gerne weitere Workshops bzw. Abfragen durch.

Einführung von Kumulieren und Panaschieren

Die SPD hat sich in den gemeinsamen Gesprächen klar gegen die Einführung von Kumulieren und Panaschieren ausgesprochen. Auch in den Koalitionsverhandlungen konnten wir uns bei diesem Punkt nicht durchsetzen, so dass eine entsprechende Regelung in dieser Legislaturperiode nicht realistisch ist.

Einführung einer Ersatzstimme

Eine Ersatzstimme wird im deutschsprachigen Raum derzeit bei keiner Wahl angewendet. Zudem war diese Thematik auch für das zuständige Ministerium und den Koalitionspartner neu. Einer ersten Einschätzung durch das Fachministerium zufolge führt eine Einführung jedoch möglicherweise zu Problemen in Bezug auf die Erfolgswertgleichheit der Stimmen, so dass eine Umsetzung problematisch wäre.  

Darüber hinausgehende Vereinbarung der Fraktionsvorsitzenden von GRÜNEN und SPD

Gemeinsam mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Norbert Römer habe ich außerdem bereits vor der Sommerpause vereinbart, dass zusätzlich zu den oben bereits skizzierten, folgende weitere, einfachgesetzliche Maßnahmen zügig umgesetzt werden sollen: Erhöhung der Zahl der Ratsmitglieder, um die der Rat optional verkleinert werden kann, auf bis zu zehn; höhere Mindestgrößen bei Fraktionen; Schaffung einer Möglichkeit, optional Kreisbeigeordnete einzuführen. Das MIK wird zu diesen Punkten in den nächsten Wochen einen Gesetzentwurf erarbeiten, über den wir Euch auf dem Laufenden halten werden.
Wir sind der festen Überzeugung, dass wir mit dem skizzierten Maßnahmenpaket dem Anliegen, die kommunale Demokratie zu stärken, umfassend Rechnung tragen und sie aus diesem Prozess gestärkt hervorgehen wird.
Für Fragen stehen Euch unser wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform, Simon Rock (simon.rock@landtag.nrw.de), und unsere Justiziarin Dorothé Meyer (dorothe.meyer@landtag.nrw.de) gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Mehrdad Mostofizadeh

Mehr zum Thema

Innenpolitik, Kommunales