Verteilnetze fit für die Zukunft machen: Investitionen ermöglichen, Energiewende gestalten – Zur Novelle der Anreizregulierungsverordnung

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU und der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen

I. Sachverhalt

Das Stromnetz ist das Rückgrat des Stromsystems. Ohne Netz kann der produzierte Strom nicht zum Abnehmer gelangen. Dabei kommt besonders dem Verteilnetz als unterster Ebene im Stromnetz eine besondere Rolle zu. Denn nur durch ein gut ausgebautes und funktionierendes Verteilnetz können alle Haushalte und Unternehmen auch Strom erhalten.
Die Energiewende und vor allem ihre dezentrale Ausrichtung stellen auch die Verteilnetze vor neue Herausforderungen: Bisher leiteten sie lediglich Strom von höheren Netzebenen zum Endverbraucher durch. Seitdem eine Vielzahl von Haushalten und auch Unternehmen sich jedoch entschieden haben, die Dächer ihrer Gebäude zur Stromgewinnung durch Photovoltaik-Anlagen zu nutzen, wird auch auf Verteilnetzebene direkt Strom eingespeist. Hierfür wurde das Netz jedoch ursprünglich nicht ausgelegt, weshalb nun in einigen Fällen Veränderungen sowie Um- und Ausbauten im Verteilnetz erforderlich werden. Hinzu kommt, dass die Steuerung des Netzes komplexer wird und moderne Technik, z.B. für intelligente Netze, zum Einsatz kommt bzw. kommen soll.
Die Versorgung mit Strom ist Teil der Daseinsvorsorge und obliegt somit den Kommunen. Diese vergeben für den Betrieb der Verteilnetze in der Regel Konzessionen an Unternehmen, die basierend darauf die Netze für die Kommunen betreiben. In den letzten Jahren gibt es eine Vielzahl von Bestrebungen, die Verteilnetze in kommunaler Hand, z.B. bei den Stadtwerken oder aber bei einer kommunalen Tochter, zu belassen bzw. zurückzuführen, und so die Daseinsvorsorge wieder als Kommune selbst abzudecken. Deshalb gibt es im Bereich der Verteilnetze inzwischen wieder sehr viele kleinere (kommunale) Unternehmen, die sich um den Betrieb der Verteilnetze kümmern.

Anreizregulierung

Da es sich bei Netzen um natürliche Monopole handelt, hat der Bundesgesetzgeber eine Regulierung der Netzentgelte vorgenommen. Die Ausgestaltung der Regulierung wird in der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) festgelegt. Diese wird aktuell durch die Bundesregierung novelliert und wird dem Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt.
Für Nordrhein-Westfalen – dem Energieland Nr. 1 in Deutschland – mit seiner dichten Siedlungsstruktur und seiner großen Anzahl an Stadtwerken ist es wichtig, dass sich auch die Verteilnetzebene den neuen Gegebenheiten der Energiewende anpasst und Investitionen getätigt werden. Deshalb sollte sich die nordrhein-westfälische Landesregierung auf Bundesebene weiterhin aktiv in die Diskussion der folgenden Aspekte einbringen:

1. Investitionen für den Aus- und Umbau der Verteilnetze

Derzeit gilt beim Ausgleich der Investitionen der Regulierungszeitraum von mehreren Jahren. Dies bedeutet, dass Investitionen erst mit Ablauf dieser Zeitspanne ausgeglichen werden. Ausnahmen gibt es für spezielle Investitionen, z.B. wenn neue Gebiete an das Netz angeschlossen werden sollen. Diese Investitionen kann der Verteilnetzbetreiber über den sogenannten Erweiterungsfaktor geltend machen und einen zeitnahen, pauschalen Zuschuss auf die zulässigen Erlöse erhalten.
Zum Gelingen der Energiewende ist jedoch insgesamt eine funktionierende Infrastruktur besonders auch auf Verteilnetzebene entscheidend. Der zeitliche Verzug bei der Anerkennung der Kapitalkosten für die meisten Investitionen stellt besonders für kleinere Unternehmen eine immer größer werdende Herausforderung dar, u.a. weil sie aufgrund des Zeitverzugs und der daraus resultierenden mangelnden Planungssicherheit Probleme haben, Kapital auf dem Kapitalmarkt zu akquirieren.
Hinzu kommt, dass das aktuelle Anreizregime Kosten für Investitionen in intelligente Lösungen, wie sie jedoch im Zusammenhang mit der Energiewende sinnvoll wären, nicht berücksichtigt. Investitionen in intelligente Technologien, z.B. intelligente Netze, werden aktuell so innerhalb des Regulierungssystems gewertet, dass die zusätzlichen Kosten als ineffizienter Einsatz von Mitteln zu erhöhten Kosten führen und somit eine Verschlechterung des Effizienzwertes ergeben, was wiederum Einfluss auf die Erlösobergrenze hat. Dies führt zu erschwerten Bedingungen für Verteilnetzbetreiber, die innovativ sein wollen.
Der derzeitige Novellierungsvorschlag der Bundesregierung sieht ein Festhalten am Erweiterungsfaktor sowie dessen bessere Ausgestaltung vor. Zudem soll es für von der Energiewende besonders betroffene Versorgungsnetzbetreiber einen pauschalisierten Ausgleich geben. Die Betroffenheit soll durch objektive und sachgerechte Kriterien ermittelt werden. Dabei ist der Einsatz von intelligenten Technologien in der Novelle bisher nicht berücksichtigt.

2. Effizienzermittlung

Aktuell gibt es keine Rechenmethode, mit der alle Aspekte der Effizienz verlässlich abgebildet werden können, sodass kein einzelnes Rechenverfahren die vier aktuell zum Einsatz kommenden Methoden ablösen könnte. Aus Mangel an einer verlässlichen Rechenmethode wird aktuell auf vier Methoden zurückgegriffen, mit denen die Effizienz der Arbeitsweise in Bezug auf die Kosten für jedes Unternehmen ermittelt wird. Bisher sieht die Anreizregulierungsverordnung vor, dass für jedes Unternehmen alle vier Rechenmethoden verwendet werden und am Ende der für das Unternehmen günstigste Wert gilt. Diese Regelung wird „Best-of-4“ genannt.
Der Vorschlag der Bundesregierung sieht nun vor, dass aus den vier ermittelten Werten der Mittelwert gebildet wird und dieser als Effizienzwert für den jeweiligen Netzbetreiber zur Anwendung kommt. Dies hätte jedoch zur Folge, dass die Effizienzvorgaben für alle Netzbetreiber insgesamt deutlich verschärft würden. Besonders für Unternehmen, die höhere Investitionen tätigen wollen oder müssen, könnten geringere Erlöse Hürden darstellen.

3. Vereinfachtes Verfahren

Da es unter den Verteilnetzbetreibern auch eine Vielzahl von kleinen Unternehmen gibt, wurde das Vereinfachte Verfahren geschaffen, das es ihnen ermöglicht, zum einen den administrativen Aufwand geringer zu halten und zum anderen mit Pauschalbeträgen zu arbeiten. Aktuell gilt diese Sonderregelung für Gasnetzbetreiber mit bis zu 15.000 angeschlossenen Kunden und für Stromnetzbetreiber mit bis zu 30.000 angeschlossenen Kunden. In Nordrhein-Westfalen fallen derzeit ca. 210 Netzbetreiber in die Zuständigkeit der Landesregulierungsbehörde. Davon nutzen zurzeit ca. 70 Unternehmen im Strombereich und ca. 60 Unternehmen im Gasbereich das sogenannte Vereinfachte Verfahren.
Der Vorschlag der Bundesregierung sieht nun vor, die Schwellenwerte zu halbieren und auf jeweils 15.000 Abnehmer für Strom bzw. 7.500 Abnehmer für Gas zu senken. Dies würde bedeuten, dass eine Vielzahl der bisher unter diese Sonderregelung fallenden Unternehmen nun einen höheren administrativen Aufwand hätte,. Hinzu käme ein höherer administrativer Aufwand bei den Landesregulierungsbehörden, da die Landesregulierungsbehörde neben den Unternehmen im Vereinfachten Verfahren auch für Unternehmen mit bis zu 100.000 Abnehmern im Regelverfahren zuständig ist. Netzbetreiber mit mehr als 100.000 Abnehmern fallen in die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur.

4. Sektoraler Produktivitätsfaktor

Auf Grund der Monopolstellung von Netzen wurde ein sektoraler Produktivitätsfaktor eingeführt. Dabei wurde angenommen, dass der sektorspezifische Produktivitätsfortschritt der Energie- bzw. Netzwirtschaft über dem gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt liegt. Es wird angezweifelt, dass diese Annahme noch gegeben ist, da der Netzaus- und -umbau kapitalintensiv ist und zudem im Netzbetrieb geringere Möglichkeiten für technischen Fortschritt bestehen.

5. Berechnung der Netzkosten

Die betriebswirtschaftliche Berechnung der wirklichen Netzkosten stellt weiterhin eine große Herausforderung dar. Dies hat zur Folge, dass u.a. die Ermittlung der Gewerbesteuer fehlerhaft sein kann.

II. Beschluss

Die Landesregierung wird aufgefordert:

1. zu prüfen,

welche Möglichkeiten es gibt, die Investitionen in die Netzinfrastruktur zeitnaher als bisher auszugleichen, ohne dass ein wesentlicher Mehraufwand für Unternehmen und Behörde entstehen würde, und ob in diesem Zusammenhang das Investitionskostendifferenz-Modell eine zielführende Alternative zur bisher vorgesehenen Regelung darstellt,
ob der Best-of-4-Ansatz beibehalten werden soll, bis ein Rechenverfahren entwickelt wurde, nach denen die Effizienz verlässlich ermittelt werden kann,
wie viele zusätzliche Stellen für den administrativen Mehraufwand bei der Landesregulierungsbehörde geschaffen werden müssten, sollte der Schwellenwert des Vereinfachten Verfahrens, wie aktuell vorgesehen, abgesenkt werden, und in wieweit diese Personalkosten durch eine Anhebung der Verwaltungsgebühren gegenfinanziert werden können,
ob der sektorale Produktivitätsfaktor in seiner aktuellen Form bzw. grundsätzlich noch angemessen ist.

2. sich auf Bundesebene und im Bundesrat basierend auf diesen Prüfergebnissen für eine Novelle der Anreizregulierungsverordnung einzusetzen, die folgende Aspekte berücksichtigt:

Es sollen die Investitionsanreize für den Um- und Ausbau der Verteilnetze unter dem Aspekt der Energiewende und des Einsatzes von modernen Technologien verbessert werden. Auch soll die Regulierung dahingehend überarbeitet werden, dass sie zu einer Abschwächung des Zeitverzuges zwischen Investition und Kapitalrückflüssen beiträgt.
Bei der Festlegung des zukünftigen Rechenverfahrens für den Effizienzwert zum Ersatz für die Best-of-4-Methode sollen die Interessen der unterschiedlichen Endabnehmerinnen und Endabnehmer berücksichtigt werden.
Die Absenkung des Schwellenwertes beim Vereinfachten Verfahren soll nur unter der Maßgabe unterstützt werden, dass durch den bürokratischen Mehraufwand ein positiver Effekt u.a. für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu erwarten ist.
Der sektorale Produktivitätsfaktor soll entsprechend der aktuellen Gegebenheiten anpasst werden, sofern er noch für erforderlich erachtet wird.

3. sich dafür einzusetzen,

dass gemeinsam mit den anderen Bundesländern und dem Bund ein neues wissenschaftliches Rechenverfahren für die verlässliche Effizienzermittlung als Ersatz für die Best-of-4-Methode entwickelt wird,
dass die betriebswirtschaftliche Berechnung der Netzkosten überarbeitet wird und
dass es bei allen Bemühungen um einen Interessenausgleich zwischen Netzbetreibern und Endabnehmerinnen und Endabnehmern bei dem Grundsatz bleibt, dass die Netzregulierung den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugutekommen muss.