1 Thema, 2 Expertinnen: „Jugendliche brauchen Freiräume“

Dagmar Hanses und FSJ-P‘lerin Amelie Roßmaier im Gespräch:

Dagmar: Heute ist der Tag der Jugend. Diesen haben die Vereinten Nationen unter anderem mit dem Ziel eingeführt, dass Jugendliche sich einmischen. Du bist eine unserer FSJ-P´lerinnen und begleitest uns jetzt schon seit fast einem Jahr. Als du dich beworben hast, ging es dir da auch darum, dich einzumischen?
Amelie: Ich wollte vor allem erst einmal lernen, mich einzumischen. Beim FSJ gibt man ja nicht nur etwas, sondern man bekommt auch vieles zurück. Und hier bekomme ich ganz viele Eindrücke von einer  vorher unbekannten Welt. Früher habe ich mich zum Beispiel oft gefragt, warum es Monate dauert, bis ein Gesetz verabschiedet wird. Jetzt verstehe ich es. Jetzt sehe ich die ganzen Leute, die an dem Antrag beteiligt sind. Die Menschen, die hier arbeiten, sind sehr verschieden. Wie war das denn bei dir? Wann bist du in die Politik gegangen und warum?
Dagmar: Ich habe als 18-Jährige angefangen, Grüne Politik zu machen. Es ging um die Einrichtung eines Frauenhauses und die Grüne Position gefiel mir. Vorher habe ich mich eher in der Pfarrgemeinde oder in Verbänden engagiert, aber seitdem immer bei den Grünen: Zunächst 17 Jahre ehrenamtlich, im Stadtrat, im Jugendhilfeausschuss und als Gründungsmitglied der Grünen Jugend, jetzt seit fünf Jahren hauptamtlich im Landtag. Den zeige ich auch immer wieder jungen BesucherInnen. Aber so einen intensiven Einblick wie du bekommen ja nur wenige. Wie müsste man es anlegen, wenn wir Jugendliche insgesamt mehr beteiligen wollen?
Amelie: Ich denke, zum einen werden Jugendliche oft nicht ernstgenommen, wenn sie sich einbringen. Oft wissen sie aber auch einfach nicht, wie sie überhaupt aktiv werden können. Da ist es wichtig, mehr auf die Jugendlichen zuzugehen und ihnen zu zeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, wahrgenommen zu werden.
Dagmar: Oft schaffen es nur diejenigen, die sich auch sonst gut äußern können, ihre Forderungen zu uns zu tragen. Verbände erreichen häufig nur einen Teil der Jugendlichen. Wir müssen die Möglichkeiten, sich zu äußern, zu allen Jugendlichen transportieren. Das ist noch schwierig. Positiv festzuhalten ist aber, dass immer mehr Jugendliche sich  zum Beispiel in Freiwilligendiensten engagieren. Viele Einrichtungen und Träger haben deshalb zusätzliche Plätze geschaffen. Die Jugend ist viel besser als ihr Ruf; Jugendliche sind sehr aktiv und interessiert. Auch bei uns möchten sich viele durch den Girls’Day, Praktika und Besuche im Landtag informieren und beteiligen
Amelie: Das stimmt, viele engagieren sich. Aber eigentlich will man sich ja nicht nur formal in Verbänden engagieren, sondern sich einfach mal ausprobieren, merken, was einem Spaß macht. Dafür braucht man aber zum einen mehr freie Zeit und zum anderen den geeigneten Ort.
Dagmar: Absolut. Deshalb unterstützen wir das „Bündnis für Freiräume in NRW“. Ich selbst erlebe auch eine Verdrängung von Jugendlichen aus dem öffentlichen Raum. In den Innenstädten sind die Plätze immer weniger geworden Es ist das gute Recht von Jugendlichen, sich den öffentlichen Raum wieder zu erobern. Auch zeitlich müssen junge Menschen wieder Freiräume erlangen: Durch Bachelor- und Masterstudiengänge und eine sehr leistungsorientierte Schulzeit ist es heute schwieriger, freie Zeit zu haben. Deine Zeit hier geht nun auch  bald zu Ende, wie geht es für dich danach weiter?
Amelie: Ich werde Psychologie in Heidelberg studieren. Und dann mal sehen, ob ich mich bei der Grünen Jugend oder in der Hochschulpolitik engagiere und die Regierung zu konsequenter Bildungspolitik antreibe. Was hast du denn bis zur Landtagswahl 2017 noch vor?
Dagmar: Ich möchte unbedingt in der Verfassungskommission das Wahlalter ab 16 Jahren bei Landtagswahlen umsetzen. Die Chancen sind so gut wie nie. Es ist gerade sehr spannend, weil wir in die Verhandlungsphase mit den anderen Fraktionen gehen und uns noch ein paar Stimmen aus der Opposition zur nötigen Zweidrittel-Mehrheit fehlen. Das ist das große Ziel.
Amelie: Da bin ich dabei. Ich finde es komisch, fast ein Jahr in der Politik gearbeitet zu haben und trotzdem – wären jetzt Wahlen – nicht wählen zu dürfen. Bei der Kommunalwahl  im letzten Jahr durfte ich wählen, bei der zeitgleichen Europawahl nicht.
Dagmar: Also aktives Wahlalter ab 16 Jahren für alle Wahlen, nicht nur kommunal, sondern auch in Land, Bund und Europa – dafür kämpfen wir weiter.