Sigrid Beer: „Wir wollen individuelle Chancen ermöglichen und möglichst keine Brüche produzieren“

Antrag zur sonderpädagogischen Förderung an Berufskollegs

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn aus dem „Boten von Bethel“ vom Mai 2014 zitieren. Dort hat Pastor Bernhard Wolf Folgendes ausgeführt:
„Mit Pauschallösungen und Gesetzen, die uns bei der schulischen und beruflichen Förderung immer wieder an formale Grenzen bringen, kommen wir nicht weiter. Es geht um den Einzelnen und was für ihn das Beste ist. Der Einzelne – das ist ebenso der junge Mensch mit schwersten Behinderungen wie auch derjenige, dem man seinen Förderbedarf nicht ansieht.
Das ist eigentlich das Leitmotiv der gemeinsamen Beratungen gewesen, um diesen Antrag nach der Anhörung weiterzuentwickeln und zu einer gemeinsamen Vorlage zu kommen. Das hat uns motiviert, diesen Dingen nachzugehen. Denn in der Tat gibt es Schnittstellen – Kollegin Vogt hat schon darauf hingewiesen –, an denen immer wieder Brüche entstehen, wo nicht alles passgenau zusammengeht und häufig – den Eindruck haben wir – doppelte Arbeit gemacht wird.
Vor allen Dingen geht es aber darum, auch nicht mehr schulpflichtigen jungen Erwachsenen eine Chance zu eröffnen. Häufig wird durch die Arbeitsverwaltung ein Reha-Status festgestellt. Diese jungen Menschen werden dann einem Bildungsträger anempfohlen und zugewiesen. Dort gibt es berufsvorbereitende, eingliedernde Maßnahmen. Die Träger solcher Berufsbildungswerke bieten oftmals auch eine Internatsunterbringung an, die ebenfalls von der Arbeitsverwaltung refinanziert wird.
Die berufsbildende schulische Ausbildung erfolgt zumeist indirekt an geschlossenen Förderberufskollegs. Sowohl die Berufsbildungswerke wie die Berufsförderkollegs haben eine ganz spezielle Expertise, die auch im Prozess der Inklusion, die wir in diesem Bereich angehen, wichtig ist.
Eine Aufnahme an Berufsförderkollegs ist allerdings an die förmliche Feststellung eines sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs nach dem sogenannten AO-SF-Verfahren gebunden. Das wiederum ist ein Verfahren innerhalb von Schulpflicht. Da kommen wir an Stellen, wo es schwierig wird und wo wir Wege finden müssen.
Die Lösung – das sagt auch Bethel deutlich – liegt eben nicht darin, die Schulpflichtgrenze insgesamt neu zu bestimmen. Vielmehr ist es systematisch richtig, die Frage zu stellen, was die Agentur an zusätzlicher Unterstützung in Sachen Ausbildung bieten muss, wo das KJHG und auch das SGB VIII im Einzelfall auch für Volljährige Unterstützung leisten können; auch das ist möglich. Es geht darum, diese Stränge endlich zusammenzuführen, damit die Unter-stützung beim Einzelnen wirksam werden kann.
Deswegen wäre es sehr sinnig, im neuen Teilhabegesetz auf Bundesebene diese sinnvolle Bündelung und die Leistung wie geplant zusammenzuführen und umzusetzen. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will dazu noch einmal das Beispiel Bethel zitieren. Wir haben ja eine Möglichkeit: die Bündelschule. Neben der Expertise des Förderberufskollegs weisen wir auch noch einmal darauf hin, dass die Schulen sich weiterentwickeln können mit diesem Zweig der – in Anführungszeichen – „allgemeinen Berufsschule“. Diesen Weg ist Bethel erfolgreich gegangen, und im „Boten von Bethel“ wird dazu Folgendes ausgeführt:
„Neben dem bisherigen Förderberufskolleg gibt es jetzt hier als zweite Säule ein allge-meines Berufskolleg. So können auch die Schüler weiter gefördert werden, die keinen sonderpädagogischen Förderbedarf, aber doch einen besonderen Unterstützungsbedarf haben. Das ist übrigens ein Viertel der 500 Schülerinnen und Schüler. Uns ist es wichtig, dass wir auch diese Schülerinnen weiter in Bethel aufnehmen können.“
Das ist wichtig. Dort wird das Ganze zusammengeführt, und dann ist es möglich, jungen Menschen über diese Form von Berufsausbildungen neue Chancen zu eröffnen. Dieser Weg wird in Nordrhein-Westfalen beschritten. Uns liegt sehr daran, diese guten Beispiele noch einmal zu kommunizieren, um das weiter in die Landschaft zu tragen, damit wir überall eine Erweiterung und Breite hinbekommen.
Wir müssen an den Schnittstellen miteinander arbeiten. Wir wollen individuelle Chancen ermöglichen und möglichst keine Brüche produzieren. Jetzt müssen die Ebenen zusammenspielen. Das heißt, das Bundesteilhabegesetz muss uns da ein Stückchen voranbringen. Wir haben das alles, glaube ich, ziemlich pragmatisch auf den Weg gebracht und nochmals thematisiert.
Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit. Frau Vogt hat schon darauf hingewiesen, dass wir das Ganze eigentlich noch etwas weiter gedacht hatten. Wir haben bis in die letzten Minuten der Fraktionssitzung noch daran gearbeitet. Ich bin froh, Ihnen dieses gemeinsame Ergebnis heute zur Abstimmung vorlegen zu können.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

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