Die Landwirtschaft muss wieder im Einklang mit der Natur wirtschaften

Zum Tag der biologischen Vielfalt meint Norwich Rüße:

Portrait Norwich Rüße

Es ist Frühling und die Natur zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Alles erscheint in noch zarten, hellen Grüntönen, die Obstbäume blühen und das Getreide beginnt jetzt mit dem Ährenschieben. Heile Welt? Mitnichten – denn auch in diesem Jahr wird es wieder Arten geben, deren Bestand weiter rückläufig ist. Dabei ist das Problem der Artenvielfalt schon lange bekannt. Lange glaubten wir allerdings, dass es nur wenige Arten betrifft, die besonders unter den veränderten Umweltbedingungen zu leiden haben.
Das klassische Beispiel dafür ist der Seeadler, dessen Bestand insbesondere durch Vergiftungen vor allem durch bleihaltige Jagdmunition stark rückläufig ist. Beispiele in Deutschland sind Rebhuhn, Fischotter und Nerz. Aufgrund zahlreicher Studien wissen wir inzwischen, dass das Artensterben längst auch „Allerweltsarten“ betrifft, wie die Feldlerche, das Braunkehlchen, den Kiebitz und den Feldhasen. So sind die Bestände des Kiebitz‘ – eines typischen Vogels der landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft – in den letzten 25 Jahren um drei Viertel kleiner geworden.
Auch die Insektenwelt ist mittlerweile stark betroffen. Die Bestände der Wildbienenarten und anderen Insekten sind zum Teil stark rückläufig. Messungen an Insektenfallen haben ergeben, dass in den letzten drei Jahrzehnten die Insektenbestände um 70 bis 80 Prozent zurückgegangen sind.
Es geht also nicht länger darum, dass nur für einzelne Arten das Ökosystem keinen Platz mehr bietet – das gesamte Ökosystem ist beschädigt. Und in diesem System bedeutet das Fehlen einer vielfältigen Blühlandschaft als Nahrungsgrundlage der Insektenwelt, dass damit auch den Vögeln die Nahrungsgrundlage fehlt.
Was aber verändert die Kulturlandschaft so negativ? Hauptakteur ist die Landwirtschaft. Sie hat in der Vergangenheit unsere Regionen so gestaltet, dass es überhaupt zu dieser Fülle an Arten gekommen ist. Seit dem Mittelalter bis in die fünfziger Jahre haben Bauerinnen und Bauern unter anderem durch Fruchtfolgen, Heckenpflege und Weidehaltung für viele Tiere attraktive Lebensräume geschaffen.
Diese enorme Leistung einer naturnahen Bewirtschaftung wurde in den letzten drei Jahrzehnten wieder „rückabgewickelt“. Maximale Erträge unter Einsatz aller möglichen Produktionsmittel wie Pestiziden und Düngern haben die Lebensräume negativ beeinflusst. Dabei sind die Bauerinnen und Bauern zu einem erheblichen Teil von Agrarpolitik und Agrarwissenschaft auch in diese Richtung permanenter Ökonomisierung und gleichzeitiger Missachtung ökologischer Bedürfnisse gedrängt worden.
Diese Entwicklung gilt es umzukehren. Nur eine Landwirtschaft, die im Einklang mit der Natur wirtschaftet, ist eine moderne und nachhaltige Landwirtschaft. Und nur mit einer solchen Landwirtschaft kann es gelingen, wieder zu mehr Artenvielfalt zurückzukehren. Die Landwirtschaft ist der Schlüssel zur Artenvielfalt, sie war es lange im positiven Sinne – sie ist es nun, im Zeitalter einer industrialisierten Landwirtschaft, im negativen Sinne. Wenn wir auch in Zukunft Kiebitze und Feldhasen sehen wollen, müssen wir dafür sorgen, dass die Landwirtschaft wieder zu einer Produktionsweise zurückfindet, die der Natur ihren Raum lässt.