Mario Krüger: „Bezogen auf die chronische Finanznot der Kommunen wird der Gesetzentwurf nicht weiterhelfen“

Gesetzentwurf der CDU zum Bürokratieabbau

Mario Krüger (GRÜNE): Guten Morgen, meine Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Frau Thönnissen, wo sitzen Sie eigentlich?
(Zuruf von der CDU)
– Ah, jetzt sehe ich Sie. Danke. – Man soll ja etwas zurückhaltend sein, insbesondere wenn man zum ersten Mal an solch einem Pult steht. Ich kann aber die Verwunderung von Herrn Hübner auch nur teilen. Ich habe mich, als ich vorhin Ihren Beitrag gehört habe, allen Ernstes gefragt, zu welchem Punkt Sie eigentlich reden.
Sie haben als Beispiel die Verschuldung der Kommunen angeführt. Ohne Zweifel ist diese Verschuldung nicht gut. Oder anders formuliert: Sie ist besorgniserregend. Da gibt es Handlungsbedarf. Auch wir kennen in diesem Zusammenhang die entsprechenden Mehraufwendungen, die im Laufe der Jahre – beispielsweise im Bereich der sozialen Aufwendungen – angewachsen sind. Ob Sie das aber mit einem Bürokratieabbaugesetz werden regeln können, bezweifle ich doch stark.
Es gibt aber etwas, das viel mehr gefragt ist und an dem man arbeiten sollte. Da sind Sie als Partei auch gefordert. Beispielsweise ist es in diesem Zusammenhang erforderlich, beim Gesetz zur Sicherung der Eingliederung von Behinderten tätig zu werden. Allein im Bereich der beiden Landschaftsverbände haben wir mittlerweile im Haushaltsjahr 2015 Aufwendungen in Höhe von insgesamt 4,5 Milliarden € im Haushaltsjahr 2015. Wenn man sich die letzten fünf oder sechs Jahre ansieht, haben wir Kostenanstiege von 200 bis 250 Millionen € pro Jahr.
Ich nenne ein anderes Beispiel aus der Sozial- bzw. Flüchtlingspolitik, die Sie gerade auch angeführt haben: das Thema „Gesundheitskarte“. Ich habe mir einmal vor Ort in Dortmund zeigen lassen, wie das ausgeht. Beim einzelnen Flüchtling, der akut erkrankt, wird erst einmal danach geschaut: Ist gerade ein Dolmetscher vor Ort? Dieser muss dann gerufen werden, marschiert dann sozusagen mit dem Flüchtling zur Sozialverwaltung, dann bekommen sie einen Berechtigungsschein, und erst dann ist man in der Lage, einen praktizierenden Arzt aufzusuchen. Das ist völlig überbürokratisiert. Was wir eigentlich brauchen, ist eine Gesundheitskarte.
(Beifall von Torsten Sommer [PIRATEN])
Wann kommt Bundesgesundheitsminister Gröhe damit herüber? – Es ist ein offener Prozess mit der Konsequenz, dass die Kommunen versuchen, das sozusagen in Eigenregie zu regeln. In diesem Zusammenhang sind Sie eigentlich gefordert.
Zu den Kosten der Unterkunft: Es ist doch nicht hinnehmbar, dass bezogen auf die Frage, in welchem Umfang die Kommunen eine entsprechende Erstattung vom Bund erhalten, Baden-Württemberg zum Beispiel wesentlich besser gestellt ist als Nordrhein-Westfalen. Schauen wir uns die Kostenentwicklung an und vergleichen einmal den Kreis Unna. Dieser hatte in den letzten vier Jahren Kosten der Unterkunft in Höhe von mehr als 300 Millionen €, aber auch Kosten im Bereich ambulanter und stationärer Pflege – im Gegensatz zum Kreis Gütersloh.
Da sehen wird, wo wir anpacken müssen. Insofern möchte ich meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, wie Sie dort eingestiegen sind bzw. mit welcher Argumentation Sie den hier vorgelegten Gesetzesentwurf zum Bürokratieabbaugesetz begründet haben.
Wir sind uns einig, Frau Thönnissen: Vermeidbare Bürokratieregularienstandards führen zu entsprechenden Mehraufwendungen in den Kommunen, sind den Betroffenen oftmals überhaupt nicht zu vermitteln und führen auch nicht unbedingt zu einer verbesserten Aufgabenerledigung.
Wir haben gerade ein nettes Beispiel zum Thema „Flaggen“ angeführt. In Dortmund werden auch Flaggen aufgehängt, unter anderem schwarz-gelbe. Dazu gibt es auch keine kommunale Satzung.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Am Samstag!)
Wenn Borussia Dortmund spielt, dann hängt die Flagge. Wenn gewonnen worden ist, bleibt sie oben, und wenn nicht, wird sie auf Halbmast gesetzt, und zwar ohne kommunale Satzung.
(Zuruf von Kai Abruszat [FDP])
Das ist auch kein Thema, das uns erst heute erreicht hat. Ich habe mir im Rahmen der Vorbereitung einmal angesehen, wann das diskutiert worden ist, und bin unter anderem im Zusammenhang mit diversen Initiativen fündig geworden, die dazu bereits im Jahr 2000 ergriffen worden sind. Selbst Rot-Grün hat für sich im Koalitionsvertrag an verschiedenen Punkten, beispielsweise zu Themen wie Mittelstandspolitik, Pflegewohngeld und Kulturförderung, den Anspruch erhoben, Bürokratie entsprechend abzubauen.
Aber, Frau Thönnissen, Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass wir bereits jetzt diverse Regelungen haben. – Immer noch Schwarz-Gelb und die Fahne?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja, klar!)
Aber am Samstag wird sie ganz oben hängen, und zwar über die gesamte Spielzeit und darüber hinaus, und dann feiern wir.
(Minister Ralf Jäger: Herr Kollege, am 30. Mai!)
– Genau, dann treffen wir uns möglicherweise auf dem Borsigplatz. Die Straßen sind dann entsprechend abgesperrt. Das wir ein schöner Umzug werden, und wenn dann erst einmal das Berliner Spiel ansteht, haben wir noch einen Grund mehr zu feiern.
(Zuruf von der SPD)
Ich bin aber bei diversen Regelungen und beim Bürokratieabbaugesetz. Bereits jetzt finden regelmäßige Evaluationsverfahren und Dienstbesprechungen zwischen den Beteiligten statt. Selbstverständlich werden die Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände bereits heute intensiv bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen, Verordnungen oder Erlassen eingebunden. Darüber hinaus erinnere ich an das Konnexitätsausführungsgesetz, in das die kommunalen Spitzenverbände im Detail eingebunden werden. Es ist eine hervorragende Plattform zur Diskussion von Standards, und – Frau Thönnissen, das kann ich Ihnen sagen – dies wird auch regelmäßig genutzt.
Darüber hinaus haben wir in § 129 Gemeindeordnung bereits jetzt eine Experimentierklausel. Im Rahmen dieser kann das Innen- bzw. Kommunalministerium bereits jetzt zeitlich begrenzte Ausnahmen von organisatorischen Regelungen des Gesetzes und der dazu erlassenen Verordnungen zulassen. In welchem Umfang dies genutzt wird, ist eine andere Frage.
Wir wollen uns diesem Prozess überhaupt nicht verwehren. Wir gehen offen an dieses Thema heran und werden Ihre Initiative auch entsprechend aufgreifen. Darüber hinaus werden wir auch mit den Beteiligten, sprich der kommunalen Familie, erörtern, inwieweit Ihr Vorschlag, der im Wesentlichen nur den kommunalen Spitzenverbänden die Möglichkeit einräumen will, entsprechende Vorschläge zu erarbeiten, sachgerecht ist und weiterhilft.
Aber bezogen auf die chronische Finanznot der Kommunen wird der Gesetzentwurf nicht weiterhelfen. Da ist vielmehr der Bund gefordert, und da sind Sie als Partei gefordert. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)