Karin Schmitt-Promny: „Handschrift und Medienkompetenz müssen in der Grundschule erworben werden“

Antrag von CDU und FDP zu Handschrift für Grundschulkinder

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerne würde ich Ihnen diese Rede in Schreibschrift vorstellen. Das ist hier technisch nicht möglich, aber vielleicht ist es auch besser so; denn meine Handschrift würden Sie nur schwer lesen können.
Gut, was verbinden wir nicht alles mit der Schreibschrift? Wir haben es schon gehört: Die Verbindung von Hand und Hirn, wer gut schreibt, prägt sich Geschriebenes besser ein, wer eine flüssige Handschrift hat, soll Rechtschreibung und Grammatik besser beherrschen, Notizen mit der Hand sollen das Lernen erleichtern.
Nun ist, wie auch der Antrag von CDU und FDP zeigt, eine heftige, teils sehr emotionale Auseinandersetzung um die traditionelle Schreibschrift ausgebrochen. So schreibt Parvin Sadigh Anfang April in der „ZEIT“: „Irgendwie scheinen Kinder oder zumindest die abendländische Kultur in existenzieller Gefahr zu sein, wenn sie nicht mehr mit Schnörkeln und Schlaufen schreiben.“
Meine Damen und Herren, lohnt sich eigentlich diese Auseinandersetzung? Wir sind uns doch fraktionsübergreifend einig, dass die Vermittlung von Schreibfertigkeiten eine wichtige Aufgabe von Grundschulen ist. Wir alle wollen das Scheiben mit der Hand, die Handschrift als Kulturtechnik, erhalten und fördern.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Dies soll neben und nicht als Konkurrenz zum Umgang mit digitalen Medien geschehen. Handschrift und Medienkompetenz müssen in der Grundschule erworben werden.
Demzufolge geht es unseres Erachtens darum, wie Schülerinnen und Schüler bestmöglich beim Erlernen von Schreiben und Schreibschrift unterstützt werden können. Was Kinder brauchen, ist genügend Zeit und Übung, um in flüssiger Bewegung zu schreiben. Sie sollen über ein schwungvolles Schreiben zur Verbindung von Buchstaben kommen. Schreibschrift will geübt sein, Schwung und Verbindung von Buchstaben liegen in der Handbewegung. Der wesentliche Satz – Herr Kollege vor Feuß hat ihn schon genannt – lautet, dass nicht die Verbundenheit der Linie auf dem Papier entscheidend ist, sondern die flüssige Bewegung der Hand.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Genau hier tun sich heutzutage die Schwierigkeiten vieler Kinder auf; auch das hat Kollege Feuß benannt. Wer nicht in Feinmotorik geübt ist, lernt auch schwerer Schreiben. Feinmotorik zu entwickeln oder zu verbessern, beginnt schon bei den sehr kleinen Kindern, im Elternhaus und in der Kita: Fingerspiele, viel Bewegung, Freude am körperlichen Agieren – das fordern Wissenschaft und Praxis.
Ziel des Schreibunterrichts ist es, dass Kinder gut, flüssig und lesbar Schreiben lernen. Sie können ihre Schrift weiterentwickeln, sodass sie zu einer persönlichen Handschrift gelangen. Diese Aufgabe, meine Damen und Herren von der Opposition, hört auch nicht mit dem Ende der Grundschule auf. Nein, sie muss in der Sekundarstufe I auch fortgesetzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, im Gegensatz zu Ihnen geht es uns nicht um eine verbundene Handschrift als Normierung des Schreibens. Es geht nicht um ein Steuerungssystem. Es geht nicht um ein Lernen in Stufen. Uns geht es um den Prozess des individuellen Erlernens von Schreiben und Schrift. Handschrift soll sich entwickeln, und dazu ist die gebundene Schrift nicht das Wesentliche, sondern das schwungvolle Schreiben.
Statt Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen, verlangen Sie wieder einmal von der Landesregierung, eine bestimmte Lernleistung von Kindern sicherzustellen. Die rein statistische Datenerhebung, die der Antrag von CDU und FDP verlangt, ist unserer Meinung nach der völlig falsche Ansatz. 
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Ellerbrock von der FDP würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Karin Schmitt-Promny (GRÜNE): Ja.
Holger Ellerbrock (FDP): Frau Kollegin, Sie wandten sich eben gegen eine Normierung der Schreibschrift. Wie soll das denn passieren mit Nichtnormierung? Das ist eine Datenübermittlung mit Hilfe von Symbolen. Wenn die nicht normiert sind, verstehen wir sie nicht. Wenn ich Ihnen etwas in chinesischen Schriftzeichen schreibe, wird das schwierig werden. Wie soll das geschehen?
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Karin Schmitt-Promny (GRÜNE): Sie wissen, dass Buchstaben Zeichen für den Sinn eines Gegenstandes bilden, wenn Sie schon mit Zeichentheorie zu tun gehabt haben. Wir haben auch bestimmte Zeichen, die die Schülerinnen und Schüler mit der Blockschrift lernen. Jetzt geht es aber darum, aus der Blockschrift eine Schreibschrift mit der Perspektive einer individuellen Handschrift zu entwickeln.
Dabei geht es dann wiederum darum, nicht zu sagen, die gebundene Schrift sei eine Norm, die ein Kind wieder neu lernen muss, sondern es geht darum, die Entwicklung als Prozess zu begreifen, in dem sich aus dem Üben, aus dem schwungvollen Schreiben heraus eine Schreibschrift entwickelt, die dann in der Weiterentwicklung – und deshalb hört sie nicht am Ende des vierten Schuljahrs auf – zur Handschrift des Erwachsenen wird. Ist das so verständlich?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vielleicht können wir es noch bilateral fortsetzen.
Ich möchte zum Schluss kommen. Nicht eine quantitative Erfassung des Schreibvermögens der Schülerinnen und Schüler ist angesagt – und wer sollte diese auch bewerten?
Sinnvoll sind unseres Erachtens wissenschaftliche Studien zum Schreib-Lern-Prozess und zur Wirksamkeit pädagogisch-didaktischer Methoden zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern. Wir würden es begrüßen, wenn sich eine Hochschule zu einer Forschung dieser Art entscheiden könnte, wobei wir auch darauf hinweisen möchten – das vielleicht als letzter Satz –, dass die Schreibschrift nicht erst heute mir Ihrem Antrag Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung zu werden beginnt; denn dazu gibt es schon eine ganze Reihe von Aufsätzen und Arbeiten. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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