Andrea Asch: „Das gelingende Aufwachsen von Kindern – gesund, behütet und sicher – ist eine Aufgabe, bei der die ganze Gesellschaft gefordert ist“

Antrag von SPD und GRÜNEN zur Verbesserung des Kinderschutzes

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Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat von Olof Palme beginnen:
„Weil unsere Kinder unsere einzige reale Verbindung zur Zukunft sind und weil sie die Schwächsten sind, gehören sie an die erste Stelle der Gesellschaft.“
(Marcel Hafke [FDP]: Also stimmen Sie zu?)
Ja, das gelingende Aufwachsen von Kindern – gesund, behütet und sicher – ist eine Aufgabe, bei der die ganze Gesellschaft gefordert ist, um tatsächlich Kindern und ihren Eltern die größtmögliche Unterstützung zu geben.
Wir wissen: Eltern sind heute oftmals verunsichert. Sie sind oftmals überfordert. Für einige Familien – für zu viele – sind die Lebensbedingungen in Deutschland nicht so, wie es sich für eine reiche Gesellschaft wie unsere gehört und wie es selbstverständlich sein sollte.
Deshalb ist es zwischen Wissenschaftlerinnen, Praktikerinnen und auch einem Großteil der Politik Konsens, dass wir beim präventiven Kinderschutz einen systemübergreifenden Ansatz verfolgen sollten und dass vernetztes Handeln der verschiedenen Hilfsangebote der unterschiedlichen Ebenen notwendig ist, um Familien – das ist das Ziel – von Anfang an zu stärken und präventiven Kinderschutz zu ermöglichen und gelingen zu lassen.
Genau das haben wir in unseren rot-grünen Koalitionsvertrag aufgenommen. Wir haben eine deutliche Zielvorstellung zum präventiven Kinderschutz benannt.
Mit dem heutigen Antrag geben wir den Rahmen vor, auf dessen Grundlage die Landesregierung ein Präventionsgesetz und ein Gesetz über frühe Hilfen entwickeln soll. Wir wollen, dass Familien und Kinder durch den Aufbau von Unterstützungs- und präventiven Maßnahmen gestärkt werden. Wir tun das auch, meine Damen und Herren, aber nicht nur, um spätere teure Interventionen zu vermeiden.
Eingebunden und vernetzt werden muss – das hat die Kollegin Hack schon ausgeführt; Sie können es in diesem sehr umfangreichen Antrag auch noch einmal nachlesen – der Gesundheitsbereich. Das ist etwas ganz Wichtiges. Er bleibt leider noch zu oft außen vor und steht neben den anderen Hilfesystemen wie der Kinder- und Jugendhilfe, den Kitas, den Familienzentren und den Schulen bis hin zum Übergang zum Beruf. Wie wir alle wissen, ist es in der kommunalen Praxis oftmals noch so, dass die Dienste nebeneinanderher arbeiten und nicht optimal ineinandergreifen.
Hier wollen wir auf Grundlage des Beispiels – Frau Scharrenbach, das ist das Beispiel; Sie wissen, das sind Modellprojekte – „Kein Kind zurücklassen“ vorgehen. Anhand der Auswertung dieser Modelle wollen wir das Ganze verstetigen und in eine gesetzliche Grundlage überführen, damit verbindliche Kooperationsformen in den Kommunen hergestellt werden, die auch tatsächlich tragfähig sind.
Nun hat die CDU ein sehr kleines Segment, das innerhalb des Kinderschutzes möglicherweise geregelt werden könnte, formuliert. Wir haben das in unseren Antrag aufgenommen, und zwar deshalb, weil wir es in den zwei Anhörungen ja schon sehr intensiv diskutiert haben. In diesen zwei Anhörungen ist es zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen der Sachverständigen gekommen. Die kommunalen Spitzenverbände, der Kinderschutzbund, die gesamte Freie Wohlfahrtspflege, haben sich sehr kritisch bis ablehnend gegenüber dem Gesetzentwurf von Ihrer Seite verhalten.
(Marcel Hafke [FDP]: Aber nicht zum Gesetzentwurf!)
Wir meinen nun, dass es, wenn sich so unterschiedliche Einschätzungen gegenüberstehen, angemessen und auch fair ist, das gründlich zu prüfen.
(Marcel Hafke [FDP]: Mehr als 20 Jahre!)
Genau diesen Passus, Herr Hafke, haben wir in den Antrag aufgenommen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir haben es auch deswegen gemacht, weil wir noch einmal ein eindeutiges Signal an Sie senden wollen, dass wir dieses Thema „Kinderschutz“ hier nicht im politischen Streit verhandeln, sondern dass wir – wie es in der Vergangenheit war – gemeinsam, fraktionsübergreifend, parteiübergreifend zu einem Konsens darüber kommen, wie gelingender Kinderschutz in Nordrhein-Westfalen auszusehen hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte deshalb bitten, dass wir angesichts dieses Themas heute die scharfen Töne lassen, die das in der Vergangenheit etwas überlagert haben. Wir möchten Sie sehr herzlich einladen, sich bei diesem Antrag, den wir heute vorlegen, mitgestaltend einzubringen – wir sind offen; das Angebot steht –, dass wir gemeinsam diesen Bereich im Sinne eines besseren Schutzes für Kinder und im Sinne der Kinder in Nordrhein-Westfalen gestalten. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. Frau Kollegin Asch, ich konnte Sie nicht schnell genug fragen, ob Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Tenhumberg zulassen.
Andrea Asch (GRÜNE): Ja, Herr Tenhumberg, Bernhard, gerne.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Vielen Dank. – Frau Asch, Sie hatten in Ihrer heutigen Rede davon gesprochen, dass eine unterschiedliche Einschätzung vorliegen würde. Darf ich davon ausgehen, dass Sie nicht der Meinung sind, dass bei Verdacht auf Kindesmissbrauch ein Arzt einen ärztlichen Kollegen um einen weiteren Rat fragen darf? Ist das die unterschiedliche Einschätzung zwischen Ihrer und unserer Fraktion?
Andrea Asch (GRÜNE): Lieber Herr Kollege Tenhumberg, wir haben das in der Tat schon sehr intensiv diskutiert. Wir – Rot-Grün – beziehen uns auf die Sachverständigen. Wir hatten zwei Anhörungen.
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
Ich verweise darauf, dass zum einen die Sachverständigen gesagt haben, dass eine Wiederholung dessen …
(Marcel Hafke [FDP]): Frage!)
– Ich antworte gerade. Ich begründe gerade unsere Haltung gegenüber Ihrem Gesetzentwurf. Diese Möglichkeit müssen Sie mir schon einräumen, Herr Hafke. Wenn Sie die Geduld hätten, zuzuhören!
Die Sachverständigen haben zum einen gesagt, dass eine Änderung des Heilberufsgesetzes, wie Sie es fordern, keine absolute Klarheit schafft und keine Änderung der gegenwärtigen Rechtslage bringen würde. Denn dieses Problem ist bereits in der ärztlichen Berufsordnung angesprochen. Das ist der erste Punkt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn Sie die Anhörungsunterlagen noch einmal gründlich studieren, dann geht das eindeutig daraus hervor.
Ich zitiere eine weitere Stellungnahme. Die Freie Wohlfahrtspflege hat im ersten Satz ihrer Stellungnahme vom 15. Mai – die Anhörung haben wir am 22. Mai durchgeführt – ganz klar formuliert:
„Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW“
– und das sind die Sozialverbände, die die Basisarbeit vor Ort machen –
„lehnt den vorgeschlagenen Gesetzentwurf … entschieden ab.“
Das sind sehr klare Aussagen. Sie können es nachlesen. Ich bitte Sie, das ist jetzt nicht aus der Luft gegriffen.
Das bedeutet: Wir haben widerstreitende fachliche Meinungen.
(Zuruf von Christof Rasche [FDP])
Die gehen sogar so weit – das wissen Sie auch –, dass die Freie Wohlfahrtspflege bzw. sogar die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung anzweifeln, ob Ihre Gesetzesvorlage mehr Kinderschutz ermöglicht oder ob nicht sogar eine Gefahr darstellt, weil die kommunalen Spitzenverbände die Gefahr sehen, dass sich die Eltern, wenn sie wissen, dass Daten weitergegeben werden, letztendlich gar nicht mehr mit ihren Kindern in ärztliche Behandlung begeben. – Das können wir doch nicht zulassen.
Deswegen das Angebot an Sie: Wir wollen es noch einmal prüfen und wollen diese unterschiedlichen Stellungnahmen
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
der Fachleute, die wir vorliegen haben, neu bewerten. Ich denke, wir kommen Ihnen entgegen. Wenn Sie sagen, dass Ihnen das nicht ausreicht und Sie sich über die Stellungnahmen der Fachleute stellen, dann ist das Ihre Haltung. Die ist nicht zu bewerten. Aber wir sehen uns ganz klar gestützt durch die Sachverständigen, die hier zu sehr deutlichen und sehr kritischen Äußerungen gegenüber Ihrem Gesetzentwurf gekommen sind.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. Ich kann Sie leider immer noch nicht vom Redepult entlassen. Denn buchstäblich in letzter Sekunde Ihrer regulären Redezeit hatte sich für die Piratenfraktion Herr Kollege Düngel zu einer Kurzintervention gemeldet. Er bekommt jetzt für 90 Sekunden Zeit, etwas an Sie zu adressieren. Dann können Sie bitte antworten. – Herr Kollege Düngel.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Andrea Asch, ich bin einigermaßen überrascht. Wir hören jetzt gerade das großzügige Angebot der regierungstragenden Koalition, dass wir uns als Opposition doch an diesem Projekt „Kinderschutz“ beteiligen könnten.
Vielleicht könnten wir an der Stelle festhalten: Der erste Antrag, den wir zu diesem Thema vorliegen haben, ist anderthalb Jahre alt. Wir, die Opposition, sind diejenigen, die Sie als regierungstragende Koalition eingeladen haben, daran mitzuwirken.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Das hat allerdings die ganze Zeit über nicht funktioniert. Wir haben die Anhörung durchgeführt. Es ist vorhin von der Kollegin Scharrenbach auch schon gesagt worden. Es gab nie wirkliche fachlich-sachliche Argumentationen gegen unseren Gesetzentwurf, den wir letzten Endes erarbeitet haben, wo wir Sie auch wieder eingeladen haben, daran mitzuwirken und dabei zu sein.
All das ist ausgeschlagen worden. Jetzt finde ich es wirklich dreist, sich vorne hinzustellen und hier die große Einladung zum Thema „Kinderschutz“ auszusprechen.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Andrea Asch (GRÜNE): Lieber Kollege Düngel, ich lasse mich jetzt nicht darauf ein, dass Sie als Piratenfraktion ursprünglich diesem Anliegen, das zuerst von der CDU-Fraktion in einem Antrag formuliert wurde, sehr kritisch gegenüberstanden. Lesen Sie sich noch einmal die Rede Ihres Kollegen Wegner – ich habe das getan – in der ersten Beratung durch.
(Marcel Hafke [FDP]: Sie können ja auch klüger werden!)
Er hat sehr deutlich gesagt, dass für die Piratenfraktion diese Datenweitergabe unter Datengesichtspunkten nicht zustimmungsfähig ist.
Er hat weiter gesagt, dass eine webbasierte Datensammlung von den Piraten nicht mitgetragen werden könne. Das entspricht auch Ihrem sonstigen Anspruch, Datenschutz zu betreiben. Aber darauf müssen wir jetzt nicht weiter eingehen.
Ich kann nur sagen: Unser Angebot steht. Wir haben einen sehr umfassenden Antrag vorgelegt, mit dem Kinderschutz in allen Facetten und nicht nur in einem kleinen Ausschnitt von Datenweitergabe gelingen kann.
(Christof Rasche [FDP]: Lug und Trug!)
Wir haben das verbunden mit dem Angebot an Sie, an der Erstellung des Gesetzes mitzuwirken, um Anregungen Ihrerseits aufzunehmen. Wir würden uns freuen, wenn wir den wichtigen Bereich, nachdem wir jetzt sehr kontrovers diskutiert haben, einvernehmlich in Auftrag geben könnten. Dabei bleibe ich. Sie können sich entscheiden, wie Sie es machen. Im Moment sieht es nicht so aus, als wären Sie dabei. Aber sowohl die SPD-Fraktion als auch die Grünen-Fraktion würde sich sehr freuen, wenn wir den Streit überwinden und dann zu einer gemeinsamen Beauftragung eines Kinderschutzgesetzes kommen könnten. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN)

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