Kinderschutz geht alle an – Prävention stärken, Zusammenarbeit von Jugend- und Gesundheitshilfe ausbauen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

I. Präventiver Kinderschutz: Vorbeugung weiter stärken, um Überforderung zu vermeiden

Kindern und Jugendlichen ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen, ist in erster Linie Aufgabe der Eltern. Land und Kommunen unterstützen sie dabei mit vielfältigen Angeboten – beginnend bei der Schwangerenberatung, über die Frühen Hilfen bis hin zur Erziehungsberatung oder primär präventiven Angeboten an Schulen, Kindertagesstätten und Familienzentren. Dennoch sind Eltern manchmal überfordert, kennen Unterstützungsangebote nicht oder finden keinen Zugang zu ihnen. So besteht die Gefahr, dass als Folge einer Überforderung Kinder und Jugendliche Opfer von elterlicher Vernachlässigung oder Gewalt werden.
Der Artikel 6 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen normiert in Absatz 1 für jedes Kind das Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft. Mit dieser verfassungsrechtlichen Verankerung wird in Nordrhein-Westfalen der Schutz von Kindern und Jugendlichen besonders gewürdigt: Kinderschutz ist ein hohes Gut zu dessen Verwirklichung der Staat und die Gesellschaft gleichermaßen beizutragen haben und zwar insbesondere dort, wo die zur Sorge Berechtigten und Verpflichteten ihrem Schutzauftrag nicht gerecht werden. Dabei haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Staat und Gesellschaft, so Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, schützen sie vor Gefahren für ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl. Sie achten und sichern ihre Rechte.
Nordrhein-Westfalen hat in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um Kinder in ihrer Entwicklung früh zu fördern und Eltern bei der Betreuung, Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen. Die Maßnehmen sind darauf ausgerichtet, frühe Hilfen und den präventiven Kinderschutz zu stärken. Dazu gehören Projekte und Initiativen wie der kostenlose Elternkurs, Elterncafés / Treffpunktangebote, Kooperationen in Netzwerken, der Ausbau der Familienzentren in  benachteiligten Stadtteilen und die Finanzierung von plusKITA-Einrichtungen. Vorhandene Kräfte und Angebote in den Kommunen sollen gebündelt werden, um Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu unterstützen – von der Schwangerschaft bis zum Berufseinstieg. Viele Kommunen haben Willkommensbesuche bei jungen Eltern eingeführt, um örtliche Unterstützungsangebote besser bekannt zu machen. Die Jugendämter haben darüber hinaus eine deutliche höhere Sensibilität im Bereich der Kindeswohlgefährdung entwickelt.
Die Angebote richten sich insbesondere an benachteiligte Familien und folgen dabei der Perspektive von Kindern und Jugendlichen. Die Kommunen werden dabei unterstützt, ihre vorbeugenden Angebote passgenau fortzuentwickeln. Seit 2012 werden in NRW 18 Kommunen dabei unterstützt, kommunale Präventionsketten aufzubauen. Ziel ist es, allen Kindern und Jugendlichen mehr Chancengleichheit und bessere Entwicklungsperspektiven zu bieten. Dieses Modellvorhaben wird auch in dieser Legislaturperiode fortgesetzt. „Frühe Hilfen“ umfassen dabei vielfältige, aufeinander bezogene und einander ergänzende Angebote und Hilfen für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen. Die Hilfen zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. Neben alltagspraktischer Unterstützung und Gesundheitshilfe soll auch ein Beitrag zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von Müttern und Vätern geleistet werden. Darüber hinaus wenden sich „Frühe Hilfen“ mit ihrem Unterstützungsangebot insbesondere an Familien in Problemlagen.

II. Ganzheitliche Konzepte notwendig – „Frühe Hilfen“ ein wesentlicher Bestandteil

Untersuchungen belegen, dass belastende familiäre Lebenslagen oft einhergehen mit einem schlechten Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen oder mit Entwicklungsrisiken. Aufgabe sowohl der Akteure der Kinder- und Jugendhilfe als auch des Gesundheitswesens ist es, solche Risiken so früh wie möglich zu erkennen und ihnen entgegen zu wirken. Noch wirkungsvoller ist es, frühzeitige Unterstützung präventiv anzubieten. Diesen Ansatz verfolgen die Frühen Hilfen. In den Netzwerken Frühe Hilfen soll die systemübergreifende Zusammenarbeit von Akteuren des Gesundheitswesen und der Kinder- und Jugendhilfe verbessert werden. Bisherige Erkenntnisse zeigen, dass die Zusammenarbeit insbesondere mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten mit familienorientiertem Tätigkeitsschwerpunkt von großer Bedeutung für eine frühzeitige Unterstützung betroffener Kinder und ihrer Familien ist, da sie die alltägliche Versorgung leisten.
Kinderfrüherkennungsuntersuchungen tragen dazu bei Krankheiten oder Beeinträchtigungen zu erkennen, die eine normale körperliche oder geistige Entwicklung eines Kindes gefährden können. Durch die Untersuchung können bestehende Entwicklungsstörungen oder Fehlentwicklungen früh erkannt und behandelt werden und sie kann Hinweise auf einen eventuellen Unterstützungsbedarf der Eltern geben. Um die Teilnahme an den  Kinderfrüherkennungsuntersuchungen (U5 bis U9) zu steigern, werden Eltern deshalb in NRW seit einigen Jahren im Rahmen des Meldeverfahrens „Gesunde Kindheit“ an die Teilnahme erinnert.
Wegweisend und einmalig ist der im Sommer dieses Jahres geschlossene Vertrag zwischen der Barmer GEK als erste gesetzliche Krankenkasse mit der Kinderschutzambulanz der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln. Danach können zeitintensive Betreuung der versicherten Kinder, Gespräche mit den Eltern aber auch mit den Jugendämtern oder der Polizei abgerechnet werden.
Auch das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) hat in Baden-Württemberg aus Mitteln, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) für den Ausbau der Frühen Hilfen zur Verfügung gestellt wurden, ein mehrstufiges Modellprojekt gefördert, das eine tragfähige Struktur zur flächendeckenden Vernetzung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte mit der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt und erprobt. Bundesweit einmalig konnte in diesem Jahr eine Rahmenvereinbarung zwischen den Kommunalen Spitzenverbänden, dem BKK Landesverband und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg geschlossen werden, die Vergütungsleistungen für Ärztinnen und Ärzte vorsieht: für die Erkennung von familiären Belastungssituationen (Fragebogen), für motivierende Elterngespräche zur Inanspruchnahme von Hilfen sowie für die Teilnahme an Qualitätszirkeln.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass Krankenkassen ihre Linie  ändern und sich an der Finanzierung von ganzheitlichen Maßnahmen für Kinder beteiligen, wo neben der  Jugend- und Familienhilfe auch Gesundheitsbelange berührt sind. Festzustellen ist, dass die Zugänge des Gesundheitssystems deutlich niedrigschwelliger sind als die der Jugendhilfe, da sie für (werdende) Eltern frei von jeglichem Kontrollverdacht sind. Dieser sehr gute Zugang sollte künftig noch stärker genutzt werden, indem z.B. präventive Unterstützungsangebote an Geburtskliniken oder die Finanzierung von Familienhebammen – soweit sie dem Leistungsspektrum des Gesundheitswesens zuzuordnen sind – von diesem zu finanzieren sind. Aber auch die Beteiligung von Kinderärztinnen und -ärzten an örtlichen Netzwerken des Kinderschutzes oder der Kindergesundheit sollte unter Berücksichtigung einer entsprechenden Honorierung gefördert werden.

Hilfen in Fällen sexueller Gewalt weiterentwickeln

Laut polizeilicher Kriminalstatistik gab es 2013 bundesweit fast 15.000 Fälle sexueller  Gewalt an Kindern und Jugendlichen. In vielen Kinderkliniken, in denen  Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, untersucht werden, ist gegenwärtig eine ganzheitliche Versorgung schwierig. Ursache ist, dass die Kassen allein die medizinischen Untersuchungen und Behandlungen finanzieren, evtl. unterstützt noch der Sozialdienst der Klinik. Notwendig wären allerdings zur Fallplanung und Begleitung multiprofessionelle Teams aus unterschiedlichen Disziplinen.
Auch im Abschlussbericht des Runden Tischs „Sexueller Kindesmissbrauch“ wurde bereits auf die unzureichenden Unterstützungsleistungen der Regelsysteme für Opfer sexueller Gewalt hingewiesen. Die Jugend- und Familienministerkonferenz vom Mai 2014 hat ebenfalls einstimmig beschlossen, das Gesundheitssystem und das Opferentschädigungsgesetz zu überprüfen und an die Bedürfnisse der von sexueller Gewalt Betroffenen anzupassen. Dabei geht es insbesondere um Weiterentwicklungsnotwendigkeiten im Bereich der therapeutischen Leistungen.

III. Bundeseinheitliche Rechtslage bei der Weitergabe von Informationen

Mit Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes sind Strukturen für die Kooperation von Jugend- und Gesundheitshilfe und auch Schulen geschaffen worden, die neben Netzwerken „Frühe Hilfen“ auch die verlässliche Kooperation in (Verdachts-) Fällen von Kindeswohlgefährdung stärken sollen. Im Kern geht es dabei um eine verlässliche und fachlich fundierte Zusammenarbeit aller Professionen, wenn bei Anhaltspunkten einer Kindeswohlgefährdung gesellschaftliches und staatliches Handeln geboten ist.
Der Bundesgesetzgeber hat mit der im Bundeskinderschutzgesetz (§ 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz – KKG) verankerten Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger (z.B. Ärztinnen/Ärzte oder Psychologinnen und Psychologen) eine bundeseinheitliche Rechtslage hinsichtlich der Weitergabe von Informationen bei Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt geschaffen. Diese Professionen, die eng mit Kindern und Jugendlichen zusammen arbeiten, unterliegen grundsätzlich der Schweigepflicht nach § 203 Strafgesetzbuch. Eine Durchbrechung der Schweigepflicht kann dann straffrei bleiben, wenn durch die Offenbarung eine drohende Gefahr für ein deutlich höher zu wertendes Rechtsgut abgewendet werden kann. Zu berücksichtigen ist, dass in der Gesetzesbegründung dargelegt wird, dass die Bundesregierung mit der o.g. Regelung als Umsetzung des damaligen Koalitionsvertrages auf Bundesebene eine Klarstellung der ärztlichen Schweigepflicht realisiert hat.
§ 4 Abs. 1 KKG fordert die Berufsgeheimnisträger zunächst auf, ihre „wertvolle Vertrauensbeziehung“ nicht zu gefährden, sondern den Beteiligten ein „glaubwürdiges“ Hilfeangebot zu machen und mit ihnen zu erörtern. Damit wird dem Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung Rechnung getragen; ebenso wie dem Transparenzgebot, also der Pflicht, bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung die Betroffenen einzubeziehen. Ausnahmen hiervon bestehen nur, wenn andernfalls der wirksame Schutz in Frage gestellt wäre.
Gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung sind stets auch Hinweise für einen Hilfebedarf. Daher sollen Berufsgeheimnisträger auch auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken. Dies intendiert ebenso, bei den Beteiligten mögliche Hemmschwellen zum Jugendamt abzubauen.
Berufsgeheimnisträger erhalten zur Einschätzung der Gefährdung einen Anspruch gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf Beratung durch eine Kinderschutzfachkraft. Dies dient auch der persönlichen Entlastung. Gleichzeitig wurde eine datenschutzrechtliche Befugnis normiert, um diese Fachberatung zu ermöglichen. Informationen dürfen – zunächst nur vertraulich, d.h. pseudonymisiert – an die Fachberatung weiter gegeben werden. Erst wenn die „Erörterung und das Hinwirken auf Hilfemaßnahmen“ oder der wirksame Schutz in Frage gestellt ist, ist eine Information an das Jugendamt auch ohne vorherigen Hinweis an die Eltern bzw. Personensorgeberechtigten zulässig.

IV. Debatte zur Änderung des Heilberufegesetzes

Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin basiert auf der ärztlichen Schweigepflicht (Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wahrgenommen bei Minderjährigen in der Regel durch die Erziehungsberechtigten), so dass nur unter bestimmten Voraussetzungen Patientendaten offenbart werden dürfen. Mediziner bemängeln, dass es ihnen nicht möglich sei, sich bei einem Verdacht von Kindesmisshandlung  ohne Einverständnis der Erziehungsberechtigten und damit möglicherweise der Täter über ihre Befunde und dem hinreichenden Verdacht auf Kindesmisshandlung interkollegial auszutauschen.
Die im Landtag diskutierte Änderung des Heilberufgesetzes ist nicht unumstritten, denn es ist unklar, ob eine entsprechende Regelung tatsächlich eine größere Rechtssicherheit für die Übermittlung von Daten bieten würde. So ist es auf Basis der bereits bestehenden Regelungen unter bestimmten Voraussetzungen bereits heute möglich, die ärztliche Schweigepflicht zu durchbrechen: § 4 KKG ermöglicht den Kinderärztinnen und Kinderärzten bei Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls bzw. Misshandlung die Straffreiheit, wenn durch die Datenweitergabe eine drohende Gefahr für Leib und Leben des Kindes abgewendet werden kann (Urteil Kammergericht Berlin v.27.06.2013).
Unterschiedlich bewertet wird auch die Tragweite einer entsprechenden Änderung. Während im Rahmen der Anhörung im Landtag u.a. der Berufsverband Kinder- und Jugendärzte eine Regelung zum interkollegialen Austausch einfordert um einem Verdacht eines möglichen Kindesmissbrauchs weiter nachgehen zu können, äußern der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) oder die Kommunalen Spitzenverbände die Befürchtung, dass bei einer Lockerung der Datenschutzregelung die betreffenden Familien Kinderarztbesuche meiden oder reduzieren könnten und sich so die Möglichkeit verringern wird, die Kinder entsprechend ärztlich versorgen zu können.
Der Kinderschutzbund legt des Weiteren dar, dass in Abgrenzung zum interkollegialen Austausch eine besondere Qualität im multiprofessionellen und interdisziplinären Austausch liegt und so zielführender ist. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW erläutert in ihrer Stellungnahme, dass die Änderung des Heilberufsgesetzes zu einer nicht erwünschten Exklusion der Kinderärzte aus interprofessionellen kommunalen Kinderschutz-netzwerken führen würde. Gleichwohl ist es notwendig für einen umfassenden Kinderschutz die rechtlichen Grundlagen zu schaffen und den Rahmen für einen präventiven Kinderschutz breiter aufzustellen.

V. Unsicherheiten im Handeln minimieren

Kein Regelungsmodell kann das Risiko versäumter Informationsweitergaben ausschließen. Handeln im Kinderschutz ist stets ein Handeln mit Risiken. Gleichwohl ist der Wunsch von Berufsgeheimnisträgern grundsätzlich nachvollziehbar, mögliche Verdachtsfälle abzusichern, bevor sie die Schweigepflicht durchbrechen.
In den meisten bekannt gewordenen oder neu aufkommenden Problemfällen wird deutlich, dass viele fachkompetente Beteiligte über Kenntnisse oder Beobachtungen verfügen, die Irritationen, Unbehagen und Zweifel auslösen, jedoch für sich allein betrachtet nicht als hinreichend konkretisiertes Merkmal einer Kindeswohlgefährdung zu gewichten wären. Ein Ziel der Vernetzung im Sinne eines kooperativen Kinderschutzes soll gerade sein, solche ersten Hinweise behutsam und diskret unter den Professionen austauschen zu können, ohne die Sorgeberechtigten mit überzogenen Reaktionen zu verschrecken oder gar zu stigmatisieren. Im anderen Fall jedoch auch eingreifende Maßnahmen hinreichend abzusichern und zielgerichtet abstimmen zu können.
Vor diesem Hintergrund sollte grundsätzlich geprüft werden, unter welchen gesetzlichen Rahmenbedingungen engagierte Fachkräfte der unterschiedlichen beteiligten Berufsfelder ihre im Hinblick auf das Wohl eines Kindes relevanten, jedoch noch nicht gesichert erscheinenden Eindrücke und Überlegungen miteinander austauschen können. Diese Prüfung muss im Rahmen der Wirkungsforschung nach Artikel 4 Bundeskinderschutzgesetz stattfinden, über deren Ergebnisse der Bundestag bis zum 31.12.2015 zu unterrichten ist. Grundsätzlich gilt, dass die schwierigen Fragestellungen von Informationsweitergabe, -speicherung und -austausch zum Zwecke des Kinderschutzes bundeseinheitlich geregelt werden sollten.

VI. Weiterentwicklung notwendig

Wir wollen, dass in Nordrhein- Westfalen alle Kinder die gleichen Chancen für ein gelingendes Aufwachsen haben und vor der Anwendung von Gewalt und vor Missbrauch geschützt werden. Deshalb sind eine Politik der Vorbeugung und Frühwarnsysteme notwendig. Um ein wirksames Vorbeugesystem zu entwickeln ist die Bildung von kommunalen Präventionsketten, wie sie in Modellprojekten „Kein Kind zurücklassen“ erprobt werden, erforderlich. Grundlegend für das Gelingen der Präventionsketten ist die Kooperation von verschiedenen Bereichen und Akteuren.
Einzubeziehen sind: Kinder- und Jugendhilfe, Familienhilfe, Gesundheitswesen, Kitas, Schule, Bildungswesen, Kultur, Sport- und weitere Freizeitangebote, Ausbildungswesen und Arbeitsverwaltung, Polizei und Gerichtsbarkeit. Wichtigste Aufgabe eines Kooperationsnetzwerkes ist es, familiäre Belastungssituationen und Risiken  zu identifizieren und Familien entsprechend zu unterstützen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Zusammenarbeit innerhalb eines Netzwerkes durch verbindliche Kooperationsvereinbarungen der einzelnen Akteure sichergestellt werden muss. Kommunen sollten die Netzwerke (wie in den Modelprojekten „Kein Kind zurück lassen“) initiieren und koordinieren.
Eine Regelung für eine einzelne Berufsgruppe wäre alleine für einen verbesserten Kinderschutz keine ausreichende Lösung. Vielmehr ist es notwendig die Integration der Gesundheitshilfe in den Kooperationsnetzwerken zu verbessern. Die verbindliche Mitwirkung der Ärztinnen und Ärzten in den kommunalen Netzwerken ist eine  notwendige Bedingung um Kinder besser schützen zu können.
Wir wollen zudem Brücken zu zivilgesellschaftlichen Akteuren schlagen und setzen auf eine aktive Teilhabe und Partizipation der Familien, Kinder und Jugendlichen bei der Ausgestaltung eines präventiven Ansatzes.
Aus diesem Grund sind umfassendere Maßnahmen notwendig, die ein Gesetz zum präventiven Kinderschutz regeln und vorbeugende Politik flächendeckend im Land umsetzen kann.
Ziele und Fördermöglichkeiten des Bundeskinderschutzgesetzes, insbesondere „Frühe Hilfen“ sollen mit dem politischen Ansatz des NRW-Modellvorhabens „Kein Kind zurücklassen – Kommunen beugen vor“ verknüpft und vorbeugende Politik flächendeckend im Land umsetzt werden.  Dabei sollen unter Einbeziehung des Bundeskinderschutzgesetzes die

  • Eltern in ihrer Erziehungskompetenz unterstützt,
  • Bildungs-, Beratungs-, Gesundheits- und Hilfsangebote (Familienhebammen) gestärkt und vernetzt,
  • Kooperation von Ärztinnen und Ärzten innerhalb der Netzwerke verbindlich verstärkt und ausgebaut,
  • gesundheitliche Präventions- und Hilfeangebote fortgeführt und bedarfsgerecht ausgerichtet,
  • Rechte von Kindern und Jugendlichen durch das Schaffen von wirksamen Beschwerdemöglichkeiten gestärkt,
  • Kooperationsstrukturen mit Bildungseinrichtungen wie Kitas und Schulen ausgebaut werden.
  • Darüber hinaus besteht Handlungsbedarf bei der Vernetzung und örtlichen Steuerung bestehender Hilfen, um die Zugänge der Eltern zu Unterstützungsangeboten weiter zu verbessern und eine Kontinuität von Hilfen zu gewährleisten. Die Landesregierung und der Landschaftsverband Rheinland haben hier Maßnahmen zur Förderung solch einer örtlichen Vernetzung eingeleitet, um passgenaue und kontinuierliche Unterstützung von Eltern und Kindern aufzubauen. Diesen Weg gilt es fortzusetzen.

VII. Der Landtag Nordrhein-Westfalen stellt fest:

Der Schutz von Kindern vor Vernachlässigung und Gewalt ist ein Thema von höchster politischer Priorität. Notwendig ist im Sinne der Prävention die Unterstützung von Eltern in ihrer Erziehungskompetenz.
Um die Vorreiterrolle des Landes Nordrhein-Westfalen und seiner Kommunen für einen gelingenden Schutz von Kindern vor Vernachlässigung beizubehalten, sind die bereits vorhandenen Maßnahmen weiterzuentwickeln und zu verstetigen.
Ziele und Fördermöglichkeiten des Bundeskinderschutzgesetzes, insbesondere „Frühe Hilfen“, sollen mit dem politischen Ansatz des NRW-Modellvorhabens „Kein Kind zurücklassen – Kommunen beugen vor“ verknüpft und vorbeugende Politik flächendeckend im Land umsetzt werden.
Dabei streben wir eine Konkretisierung und Einbettung in die vorbeugende Politik unseres Landes an. Wir wollen ein Gesetz für Frühe Hilfen und präventiven Kinderschutz entwickeln.
Die geführten Diskussionen und Fachmeinungen im Rahmen der beiden durchgeführten Anhörungen zeigen, dass es weitere aktuelle Verbesserungsbedarfe gibt. Fehlende Informationen über bestehende Rechtsgrundlagen, ihre Auslegung und mangelnde Kenntnisse über vorhandene Beratungsstrukturen bedingen Unsicherheiten im Umgang mit Gefährdungseinschätzungen von Kindern und Jugendlichen. Deutlich wurden auch die „Hürden“ auf dem Weg zu dem Systemziel eines Kooperativen Kinderschutzes, wie mangelnde Kommunikation durch gegenseitige Vorbehalte, systemeigene Handlungslogik, Zeitmangel und Unsicherheiten über eigene Hilfsmöglichkeiten.
Hieraus ergeben sich folgende Handlungsansätze:

  • Verbesserung der Diagnostik und des Vorgehens bei Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdungen (Informationsmanagement u.a. über Rechtsgrundlagen, Beratung, Fortbildung für Berufe des Gesundheitswesens, Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit insbesondere mit der Jugendhilfe);
  • (stärkere) Einbindung der Ärzteschaft in Netzwerke der Frühen Hilfen und des Kinderschutzes.

VIII. Der Landtag fordert daher die Landesregierung auf,

  1. ein Gesetz für Frühe Hilfen und präventiven Kinderschutz zu erarbeiten und dem Landtag einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Dabei sind landesgesetzliche Möglichkeiten zur Stärkung von Kooperationen und Netzwerken zur Stärkung der Förderung und des Schutzes von Kindern zu beachten;
  2. im Rahmen einer Bundesratsinitiative die Bundesregierung aufzufordern, in die Wirkungsforschung/Erfahrungsauswertung zum Bundeskinderschutzgesetz die Prüfung mit einzubeziehen, unter welchen gesetzlichen Rahmenbedingungen ein Austausch mit Berufsgeheimnisträgern noch unterhalb des formalisierten, auf sich bereits zuspitzende Problemlagen abzielenden § 8a-Verfahrens ermöglicht werden kann. Weiterhin sollen hierbei auch die Voraussetzungen dafür verbessert werden, dass Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen enger kooperieren können;
  3. gemeinsam mit den fachlich betroffenen Ressorts und mit Akteuren und Akteurinnen der Jugendhilfe, des Gesundheitswesens, der Schule und der Familienförderung unter Einbeziehung aller, auch zivilgesellschaftlicher Akteure geeignete Maßnahmen für eine verbesserte Zusammenarbeit zu entwickeln;
  4. zu prüfen, ob eine Form des interkollegialen Austausches von Kinderärzten aus Datenschutzgesichtspunkten möglich, rechtlich zulässig wäre;
  5. sich für eine stärkere anteilige finanzielle Beteiligung der gesetzlichen und privaten Krankenkassen im Bereich des Kinderschutzes für gesundheitsbezogene Leistungen im erzieherischen Kontext einzusetzen (z.B. Mitarbeit von Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten in Netzwerken der Frühen Hilfen und des Kinderschutzes, Kinderschutzgruppen an Kinderkliniken);
  6. mit den im Bereich des Kinderschutz tätigen wissenschaftlichen Einrichtungen, den Kommunalen Spitzenverbänden, den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, den Landesjugendämtern, der Landeskoordinatorin der LAG autonomer Frauenhäuser und Vertretern und Vertreterinnen des Gesundheitswesens Standards für einen gelingenden Kinderschutz zu erarbeiten und weiter zu entwickeln.