Moderne Wasserwege für effizienten, umweltfreundlichen Güterverkehr und nachhaltiges Wachstum in der Logistikwirtschaft

Gemeinsamer Antrag

I. Ausgangslage

Nordrhein-Westfalen ist eingebunden in die wichtigsten Verkehrskorridore Europas. Es befindet sich im Hinterland der größten europäischen Seehäfen. 12 Prozent des weltweiten Warenhandels laufen über die Seehäfen Rotterdam, Hamburg und Antwerpen. Nordrhein-Westfalen stellt den wesentlichen Hinterlandpartner der ZARA-Häfen sowie mit über 7 Prozent einen der größten Seehafenhinterlandpartner Hamburgs dar. Derzeit erreichen Nordrhein-Westfalen 183 Mio. t Güter, davon ca. 124 Mio. t (68 %) aus den ZARA-Häfen Zeebrügge, Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen. In Nordrhein-Westfalen ist die Binnenschifffahrt im Gütertransport stärker als die Güterbahnen und damit nach der Straße der zweitwichtigste Verkehrsträger.
240 Kilometer des Rheins, eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt, fließen durch Nordrhein-Westfalen. Das in seiner Dimension einzigartige westdeutsche Kanalnetz gewährleistet eine Versorgung der Fläche Nordrhein-Westfalens über die Wasserstraße mit Anschluss an den Rhein. Das nordrhein-westfälische Kanalnetz mit Dortmund-Ems-Kanal, Datteln-Hamm-Kanal, Wesel-Datteln-Kanal, Rhein-Herne-Kanal, der Weststrecke des Mittelland-Kanals sowie mit Ruhr und Weser umfasst insgesamt rund 340 Kilometer. Nordrhein-Westfalen ist der mit Abstand größte Binnenhafen-Standort Deutschlands mit rund 120 Häfen, davon 23 öffentliche und 97 private. In Duisburg befindet sich der größte Binnenhafen Europas, in Dortmund der größte europäische Kanalhafen. Die nordrhein-westfälischen Häfen schlagen pro Jahr ca. 130 Millionen Tonnen Güter per Schiff um. Dies entspricht fast 50 Prozent des gesamten Güterumschlages auf Binnenschiffen in Deutschland.
Die Wasserstraßen in Nordrhein-Westfalen bilden ein zusammenhängendes Netz, das die großen Seehäfen mit ihrem Hinterland sowie die bedeutendsten Industriezentren im Binnenland miteinander verbindet. Die Binnenhafenstandorte nehmen als leistungsfähige Knotenpunkte in diesem Netz eine bedeutende Rolle ein und bieten die Vernetzungs-möglichkeit mit den Verkehrsträgern Straße und Schiene (Trimodalität).
Dem entspricht, dass der Bund eine Netzkategorisierung des deutschen Wasserstraßen-netzes vorgelegt hat, die die Grundlage für die Priorisierung von Investitionsentscheidungen sein soll. Die vorliegenden Kategorisierungen stärken den Standort NRW insgesamt, da die meisten Wasserstraßen in NRW in der höchsten Kategorie eingestuft sind.
Das Schiff ist ein kostengünstiger und trotz Verbesserungspotenzialen vor allem im Bereich der Schadstoffemissionen ein umweltfreundlicher bzw. ökoeffizienter Verkehrsträger. Die Binnenschifffahrt kann einen wirksamen Beitrag zu der angestrebten Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor leisten. Rund 70 Prozent aller Güterverkehre in Nordrhein-Westfalen sind für den Wassertransport geeignet. Angesichts dieser Möglichkeit und der von 2010 bis 2025 prognostizierten Güterverkehrszuwächse von über 40 Prozent stellt sich zunehmend die Frage der effizienten Ausnutzung der vorhandenen Potenziale des Systems Wasserstraße.
Im Wissen um diese Potenziale und die ökonomischen und ökologischen Herausforderungen hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland überhaupt in 2004 ein Wasserstraßenverkehrs- und Hafenkonzept zur Stärkung des „Systems Wasserstraße“ entwickelt, das insbesondere die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Standorte systematisiert und einen Überblick über die Position im Gesamtsystem gegeben hat. Im Jahre 2008 wurde das Konzept unter besonderer Berücksichtigung der Logistik fortgeschrieben, auch um neue Entwicklungen wie die damals festzustellende Überlastung der Seehäfen sowie die fortschreitende Osterweiterung in entsprechende Konzepte für die Standorte einzubinden. Es wurden Stärken-Schwächen-Profile für die einzelnen Standorte entwickelt und politische Handlungsoptionen aufgezeigt, wie die Binnenhäfen gestärkt und die Verkehrsinfrastruktur sowohl wasser- als auch landseitig weiter verbessert werden können.

II.         Handlungsbedarf

In den Häfen Rotterdam und Antwerpen werden die Hafenkapazitäten zum Transport mit dem Binnenschiff massiv ausgebaut. In Rotterdam wird mit der Maasvlakte II bis zum Jahr 2015 ein Tiefseehafen mit einer Aufnahmekapazität von 16 Mio. Containern (TEU) errichtet, so dass dort Schiffe der neuesten Bauart anlanden und abgefertigt werden können, die jeweils 18.000 TEU transportieren können.
Für den Weitertransport aller Güter will der Hafen Rotterdam mit den dort tätigen Logistikunternehmen Transportvereinbarungen treffen, um den Modal Split zugunsten von Schiff und Bahn zu verändern. Der Anteil des LKW soll bis zum Jahr 2035 in Rotterdam von 47,5 % auf 35 % sinken. Der Anteil der Schiene soll von 13,5 % auf 20 %, der des Binnenschiffs von 39 % auf 45 % erhöht werden. Der Hafen Antwerpen will dem Beispiel folgen.
Der Ausbau der Seehäfen und die Änderungen des Modal Split lassen nicht nur eine weitere Zunahme der Güterverkehre mit Ziel und Quelle in Nordrhein-Westfalen erwarten, sondern werden eine deutliche Zunahme der Transitströme durch Nordrhein-Westfalen nach sich ziehen. Denn die ZARA-Häfen sind auch für süddeutsche und südosteuropäische Häfen wichtige Seehäfen.
Die Situation wird weiter dadurch verschärft, dass nach allgemeiner Einschätzung der vierlagige Containerverkehr auf großen Binnenschiffen zwischen 100 und 150 m Länge Standard werden wird, der Transporte mit kleineren Schiffen zunehmend unrentabel werden lässt. Dabei wird die Menge an Schiffen durch die Größe einzelner Schiffe ersetzt, die eine insgesamt gleich hohe oder höhere Massentragfähigkeit aufweisen.
Dies wird insbesondere deutsche Partikuliere treffen.
Spezifische, die Situation befeuernde Probleme erwachsen auch aus der erwarteten Bedeutungszunahme der Fluss-See-Verkehre mit See gängigen Schiffen. Die Folge sind gebrochene Verkehre mit deutlichen Effizienzverlusten und Umweltbeeinträchtigungen. Denn so wird beispielsweise das Ruhrgebiet schiffsseitig im Wesentlichen über Duisburg versorgt. Weil aber die Großmotorschiffe das westdeutsche Kanalnetz nicht durchgängig befahren können, erfolgt überwiegend ein Umschlag auf den LKW und nicht auf ein kleineres Binnenschiff.
Hinzu kommt, dass die Regelungen der Binnenschifffahrt (Zulassungen, Kanalgebühren, Nutzungssteuerung) sowie die entsprechenden Steuer- und Fördersystematiken wenig Möglichkeit wie Aussicht bieten, effizientere Fahrbehältnisse mit Motoren zu betreiben.
Die Binnenschifffahrt verfügt grundsätzlich noch über genügend Kapazitäten, um die entstehenden Probleme zu lösen. Insbesondere der Rhein als internationale Wasserstraße hat seine Kapazitätsgrenze noch nicht erreicht. Er kann ungefähr die doppelte der heutigen Verkehrsmenge aufnehmen. Entsprechende Potenziale weisen derzeit weder die Güterverkehrsstrecken der deutschen Bahn noch die der Privatbahnen oder das Netz der Bundesfern- und Landesstraßen auf.
Anders als im Rheinstrombereich stellt sich hingegen die Situation im Kanalnetz dar: Neben vielfältigen infrastrukturellen Einschränkungen – insbesondere unzureichende Brückenhöhen, Schleusenzustände – ist auch die personelle Ausstattung hinter den Anforderungen zurückgeblieben. So fehlen vor allem Ingenieure in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, die komplexe Bauwerke planen, Gewerke vergeben, Bauüberwachung leisten und die Unterhaltung fachgerecht begleiten. Demgegenüber erfordern Unterhaltungsrückstände in sicherheitsrelevanten Bereichen dringend Sanierungsmaßnahmen.
Der Bund als Bundeswasserstraßenbaulastträger muss für Erhalt, aber auch Ausbau der Wasserstraßeninfrastruktur bedarfsgerecht Sorge tragen. Nur mit einer leistungsfähigen Infrastruktur können die erwarteten Güterströme sachgerecht bewältigt werden und zu der für eine funktionierende Logistik notwendigen Mobilität beitragen. Im Wasserstraßennetz, etwa bei Schleusen und Dükern, bestehen schwerwiegende Mängel, die dringend saniert werden müssen. Neben Sanierungsmaßnahmen an den Kanälen ist die Abladeverbesserung durch umwelt- und wasserverträgliche Maßnahmen, die die durchgängige Befahrbarkeit des Rheins für größere Schiffe gewährleisten, ein wichtiges Vorhaben, das unter strenger Beachtung der Aspekte Natur- und Artenschutz, der Sohlenstabilität sowie Hochwasserproblematik weiter entwickelt werden soll. Hinzu kommen an den Kanälen erforderliche Schleusenertüchtigungen, Querschnittserweiterungen und Brückenanhebungen, die einen mindestens 2-lagigen Verkehr ermöglichen und für einen wirtschaftlich zu betreibenden Schiffsverkehr unabdingbar sind.
Binnenhäfen sind nicht nur von verkehrlicher, sondern auch von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung. Die Bereitstellung einer ausreichenden Suprastruktur in Häfen ist daher von grundlegender Bedeutung für die dort angesiedelte oder angebundene Industrie. Ausreichende Anbindungen der Häfen an das Straßen- und Schienennetz sind Voraussetzung für deren Leistungsfähigkeit als Knoten.
Bereits im Hafenkonzept 2008 wurden Maßnahmen zur Flächensicherung aufgezeigt, die über planerische Maßnahmen hinausgreifen. Die Notwendigkeit dazu hat sich mit Rücksicht auf die erwarteten Güterströme nicht entschärft, so dass insbesondere in Hubs ausreichende Flächen und Flächenreserven für Umschlag und Logistik auf dem Hafengelände oder hafennah und gut an den Hafen angebundene Flächen zur Verfügung stehen müssen. Sie müssen auch Entwicklungspotenziale für ansässige Unternehmen bilden. Standortsicherung ist vor allem ein Flächenthema.
Die CO2-Neutralität des Gütertransportes wird künftig ein entscheidender Wettbewerbsvorteil von Logistikunternehmen sein. Umweltgerechte und ressourceneffiziente Transport- bzw. Logistikprozesse erfahren in der Logistikbranche und im Kundenkreis eine zunehmend große  Aufmerksamkeit (green logistics). In diesem Zusammenhang sind zukunftsorientierte Maßnahmen für einen effizienten, schadstoffarmen und klimaschonenden Güterverkehr auf den Binnenwasserstraßen detailliert zu prüfen. Der Erfolg kann nur durch Veränderungen erzielt werden, die den Logistik- und Binnenschifffahrtsunternehmen dauerhaft eine erfolgreiche Marktpositionierung gegenüber anderen Verkehrsträgern ermöglicht.
Die bisherige Förderung der Binnenschifffahrt ist zu optimieren, insbesondere unter Berücksichtigung der notwendigen Absenkung der Schadstoff- und Feinstaubemissionen der Binnenschiffe. Die Ertragslage vor allem der Partikuliere lässt derzeit kaum spürbare Modernisierungen, vor allem der Antriebe, zu.

III. Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird aufgefordert, das Wasserstraßenverkehrs- und Hafenkonzept Nordrhein-Westfalens in naher Zukunft zu evaluieren und fortzuschreiben, damit moderne Wasserwege für effizienten, umweltfreundlichen Güterverkehr genutzt und nachhaltiges Wachstum in der Logistikwirtschaft erreicht werden können.
Zudem fordert der Landtag die Landesregierung auf,
–           Maßnahmen zur Stärkung der Binnenhafenstandorte aufzuzeigen;
–           Defizite in der verkehrlichen und logistischen Infrastruktur zu benennen. Dabei sind insbesondere logistische Brüche zu identifizieren;
–           die schienen- und straßenseitige Erreichbarkeit der Hafenstandorte zu analysieren und Möglichkeiten zu Verbesserungen zu benennen;
–           eine Bestandsaufnahme der Flächensituation durchzuführen und Maßnahmen der Flächensicherung für Umschlag und Logistik in Häfen oder Logistikarealen zu nennen;
–           zu prüfen, wie logistische Standorte am Wasser gesichert und hinsichtlich hafenaffiner Nutzungen bedarfsgerecht entwickelt werden können. Dabei ist mit zu berücksichtigen, wie die Kommunen und die öffentlichen Hafenbetriebe bei der Entwicklung und der Erreichbarkeit ihrer Hafenflächen sowie der besseren Vernetzung mit der Schiene unterstützt werden können;
–           zu prüfen, wie dem drohenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in der Logistikbranche – insbesondere unter angemessener Berücksichtigung der Binnenschifffahrt und ihrer Eignung für die Einbindung in Transport- und Logistikketten – begegnet werden kann;
–           zu prüfen, für welche Maßnahmen eine Förderung der Europäischen Union in Betracht käme und welche Effekte die dargestellten Entwicklungen und Maßnahmen auf die Binnenschifffahrt in Nordrhein-Westfalen haben;
–           darzustellen, mit welchen Instrumenten die bedarfs- und umweltgerechte Entwicklung von Binnenschifffahrt und Logistik unterstützt werden kann;
–           darzustellen, wie der EU-Vorschlag über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (COM (2013)18 final) bezüglich eines flächendeckenden Netzes von LNG-Betankungsstationen in allen See- und Binnenhäfen“ bis zum Jahr 2020 in Nordrhein-Westfalen umgesetzt werden kann;
–           darzustellen, wie eine flächendeckende Landstromversorgung, ggf. auf welcher Ebene und durch wen verbessert und weiterentwickelt werden sollte;
–           beim Bund darauf zu drängen, dass der Erhaltungszustand der Wasserstraßen transparent gemacht und ein entsprechendes Handlungskonzept entwickelt wird;
gegenüber dem Bund darauf hinzuwirken, die Investitionsmittel für die Verkehrsinfrastruktur und den Anteil des Landes Nordrhein-Westfalen unter Berücksichtigung seines Stellenwertes als bedeutendstes Verkehrsland Deutschlands bedarfsgerecht zu erhöhen. Dies ist auch nötig, um die Wasserstraßeninfrastruktur, z.B. im Kanalbereich – Schleusengröße, Brückenhöhe, Düker – so zu ertüchtigen, dass die Binnenschifffahrt wirtschaftlich betrieben werden kann;
sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Abladeverbesserung und durchgängige Befahrbarkeit des Rheins für größere Schiffe unter Wahrung der Sohlenstabilität sowie der Umwelt- und Gewässerverträglichkeit angestrebt wird;
dem Rückgang der mittelgroßen und kleineren Häfen nach Möglichkeit entgegenzuwirken und situativ geeignete Finanzierungsmodelle für die Hafenwirtschaft zu ermöglichen, damit sich bestehende Hafenstandorte marktnäher und wirtschaftlich gestärkt entwickeln können;
sich bei den genannten Maßnahmen mit den Niederlanden und Belgien abzustimmen und gemeinsame Konzepte zur Stärkung des Systems Wasserstraße zu entwickeln;
das Wasserstraßenverkehrs- und Hafenkonzept sowie die Rahmenbedingungen für den Binnenschifffahrtsstandort NRW alle zwei Jahre zu überprüfen und dem Landtag hierüber zu berichten.