Verena Schäffer: „Ihre Forderung nach einem unbefristeten, allgemeinen Abschiebestopp lässt sich als Land einfach nicht umsetzen und ist völlig unrealistisch.“

Antrag der Piraten gegen Abschiebungen in den Westbalkan

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes mit der Aufnahme von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien in die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten reiht sich leider in eine unrühmliche Reihe von Gesetzesinitiativen im Bereich Asyl und Zuwanderung ein.
Dabei ist vor allem der Referentenentwurf zur Neubestimmung der Aufenthaltsbeendigung und des Bleiberechts zu nennen. Neben Anpassungen an das EU-Recht ist hier eine völlige Neuordnung des Ausweisungsrechts vorgesehen. Dieser Referentenentwurf wird jetzt schon von vielen Kirchen und Verbänden zerrissen, weil er eine Abkehr von humanitären und rechtstaatlich orientierten Flüchtlingsgrundsätzen beinhaltet.
Ein anderes Beispiel ist sicherlich der Referentenentwurf zur Reform des Freizügigkeitsrecht, mit dem verschärfte Ausweisungsregelungen wegen angeblicher Missbrauchsvorfälle von eingereisten Zuwanderinnen und Zuwandern aus der EU, die letztlich aber niemand nachweisen kann, vermieden werden soll.
Auch der Referentenentwurf zum Asylbewerberleistungsgesetz stellt letztendlich nur eine Minimallösung dar, der nur die zwingenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzt. Daraus schließen wir, dass all diese gesetzlichen Vorhaben zeigen, dass eben das Thema Flüchtlingspolitik und die Rechte von Flüchtlingen in den Händen der Großen Koalition leider nicht in guten Händen sind. Und das möchte ich hier als deutliches Problem anmerken.
(Beifall von den GRÜNEN)
Um aber auf den Antrag zurückzukommen, muss man auch ganz deutlich sagen, dass es um die Rechte der Flüchtlinge vom Balkan schlecht steht. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das BAMF, macht jetzt schon regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch, Asylanträge von Flüchtlingen aus diesen Ländern als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Damit treten die gleichen Folgewirkungen ein, also verkürzte Verfahren, wie mit einer Regelung als sichere Herkunftsstaaten, wie es jetzt mit diesem Gesetzentwurf beabsichtigt ist.
Nach unseren Informationen, wir sind ja auch viel in Kontakt mit Flüchtlingsorganisationen, aber auch mit Rechtsanwälten, ist es schon jetzt so, dass es viele Klagen über die Schnellverfahren gibt, in denen nicht mehr gründlich die Asylgründe geprüft werden und die nach maximal sechs Wochen auch beendet werden.
Deshalb lehnen wir eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten ab. Aber – das muss man hier auch ganz deutlich sagen, weil es zur Wahrheit dazu gehört – diese Einstufung würde leider nicht viel an diesem bisher schon unhaltbaren Zustand verschlechtern.
Wir Grüne machen uns überall dort, wo wir mitregieren, wo wir in den Parlamenten sind, gegen den Abbau von Flüchtlingsrechten stark. Wir haben hier im Land mit mehreren Erlassen, die viel im Sinne des Flüchtlingsschutzes bewirkt haben, einiges erreichen können. Dafür brauchen wir im Übrigen auch nicht die Piratenfraktion hier im Landtag. Das haben wir auch so schon ganz gut in der rot-grünen Landesregierung hinbekommen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Schäffer, es gibt den Wunsch einer Zwischenfrage. Sie werden möglicherweis erraten können, dass der Kollege Herrmann Ihnen eine Frage stellen möchte. Möchten Sie diese zulassen?
Verena Schäffer (GRÜNE): Nein, möchte ich nicht.
Vizepräsident Daniel Düngel: Sie möchten nicht.
Verena Schäffer (GRÜNE): Nein, möchte ich nicht. – Bezüglich des Abschiebestopps für Flüchtlinge aus den Balkanländern, was Sie hier mit Ihrem Antrag fordern, muss man sich die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes ansehen, und schauen, wie die Maßgaben angelegt sind, um solch eine Regelung hier durchführen zu können. Wir hatten ja mehrfach den Winterabschiebestopp. Aber die Regelung im Aufenthaltsgesetz sagt ganz klar, dass das nur möglich ist, wenn es besondere Lagen gibt, die eine bestimmte Gruppe für die Dauer von längstens sechs Monaten von den Abschiebungen ausnimmt. Das kann aber nur nach vorheriger Konsultation mit anderen Ländern und dem BMI gemacht werden. Nach spätestens sechs Monaten muss das Einvernehmen mit dem BMI hergestellt werden.
So einfach ist diese Forderung nicht herzuleiten bzw. rechtlich zu begründen. Auch ist es eher, wenn man das realistisch sieht, aussichtlos, das Einvernehmen mit dem Bund zu erreichen.
Wenn Sie solche pauschalen Forderungen, was den Balkan angeht, haben, müssen Sie auch sagen, warum Sie das nicht für andere Länder, zum Beispiel für afrikanische Länder, fordern, sondern auf eine bestimmte Region begrenzen.
(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Joachim Stamp [FDP])
Ich will Ihnen gar nicht unterstellen, dass diese Absicht schlecht gemeint ist, überhaupt nicht. Die Absicht ist sicherlich gut gemeint, aber Ihre Forderung nach einem unbefristeten, allgemeinen Abschiebestopp lässt sich als Land einfach nicht umsetzen und ist völlig unrealistisch. Man muss auch einmal feststellen: Mit so einer Forderung helfen Sie auch nicht den Menschen hier in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Joachim Stamp [FDP])
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Schäffer, ich merke, Sie bleiben stehen und ahnen, was kommen wird. Herr Kollege Herrmann hat sich zu einer Kurzintervention angemeldet und dafür 90 Sekunden Zeit. Bitte sehr.
Frank Herrmann (PIRATEN): Ganz herzlichen Dank. – Ich musste noch einmal einschreiten, denn Sie haben ausgeführt, dass im Moment das BAMF die Konsequenzen des Gesetzes schon vorwegnehme und so handele, als gäbe es das Gesetz. Das finde ich eine sehr bemerkenswerte Feststellung.
Ich möchte fragen, ob Sie, weil das so ist, wie Sie es dargestellt haben – das Gesetz existiert quasi schon und danach wird gehandelt –, dem Gesetz zustimmen, weil Sie sagen, es gebe dann sowieso keine Veränderungen.
Konkret ist diese Intervention eine Frage: Denken Sie, dass es keine große Sache mehr ist, diesem Gesetz auch im Bundesrat seitens des Landes Nordrhein-Westfalen die Zustimmung zu erteilen?
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich habe in meinem Redebeitrag deutlich gemacht, dass die heutige Situation alles andere als gut ist und dieses Gesetz leider am heutigen Zustand nicht mehr viel verschlechtern würde, da wir heute schon unhaltbare Zustände haben. Das muss man so klar sagen. Ansonsten habe ich in meinem Redebeitrag alles deutlich gemacht. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Stamp.

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