Verena Schäffer: „Der alte Duktus von angeblichen Rechts-Links-Auseinandersetzungen, der meist zur Verharmlosung von rechtsextremer Gewalt geführt hat, lebt in diesem Bericht leider wieder auf.“

Aktuelle Stunde auf Antrag der CDU zu den Vorgängen am Kommunalwahltag in Dortmund

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

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Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, dass es nach dem Beitrag von Herrn Kruse nicht schlimmer werden könnte. Aber, Herr Orth, das geht gar nicht. Sie verdrehen die Tatsachen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Sie erheben ungeheuerliche Unterstellungen. Das ist peinlich für dieses Haus. Es ist auch peinlich, dass FDP und CDU kein Wort über den Bericht, über das Thema „Rechtsextremismus“ verlieren. Auf Sie wartet man bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus immer vergeblich.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Ich würde mir wünschen, dass Sie mal mit uns auf der Straße stehen!
Wir haben in Dortmund eine der gewaltbereitesten Neonaziszene in Nordrhein-Westfalen, aber auch bundesweit. In dieser Stadt sind Menschen ermordet worden. Es hat den Angriff auf die DGB-Demo im Jahr 2009 gegeben. Die Aufmärsche am 1. Mai, am 1. September sind mittlerweile von bundesweiter Bedeutung für die rechtsextremistische Szene. Es ist uns vor zwei Jahren gelungen, diese Gruppierung, diese autonomen Nationalisten zu verbieten: als nationaler Widerstand nach dem Vereinsgesetz. Das hat durchaus dazu geführt, dass sich Personen im Umfeld dieser Szene zum Ausstieg bewegen ließen.
Aber zur Wahrheit gehört auch – das muss man hier auch mal selbstkritisch ansprechen –, dass sich viele Mitglieder des Nationalen Widerstands Dortmund in der rechtsextremistischen Partei Die Rechte wiederfinden, die jetzt unter dem Deckmantel einer Partei neu agiert.
Ich finde es besonders erschreckend, dass genau diese Partei jetzt in Hamm, in Dortmund in mehreren Bezirksvertretungen vertreten ist. Das ist doch das eigentliche Problem, über das wir diskutieren müssen. Von Ihnen dazu kein Wort, Herr Kruse.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Denn das gemeinsame Ziel von Demokratinnen und Demokraten muss sein, dass wir es schaffen, 2020 die rechtsextremen Parteien wieder aus den Stadträten herauszuwählen.
(Beifall von Minister Ralf Jäger)
Bis 2020 – das ist eine lange Strecke von sechs Jahren – brauchen wir einen Umgang. Aber für uns Grüne ist klar: Es darf keine Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten, mit Neonazis geben. Das, was in Köln-Porz abgelaufen ist, ist peinlich für die Demokratie und geht so gar nicht.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Laut Polizei hat es im Vorfeld des Wahlabends keine Hinweise darauf gegeben, dass die Neonazis zur Wahlparty im Dortmunder Rathaus kommen würden. Dennoch stellt sich die Frage: Warum hat der Staatsschutz den Dortmunder Stadtteil Dorstfeld verlassen, um zum Rathaus zu fahren, statt an den Neonazis dranzubleiben? Diese Fehleinschätzung – als solche würde ich sie bezeichnen – hat dazu geführt, dass 30 Neonazis noch am späten Abend unbeobachtet losziehen konnten. Aus meiner Sicht hätte man annehmen können und auch müssen, dass eine Gruppe betrunkener Rechtsextremisten an so einem Abend noch loszieht, um Menschen zu bedrohen.
Im Innenausschuss haben die Vertreter des Innenministeriums ihr Bedauern darüber ausgesprochen. Ich meine aber, es schwächt Polizei nicht, sondern stärkt sie eigentlich, an solch einer Stelle auch mal zu sagen, dass man Fehler gemacht hat. Das hätte in dem Bericht auch so auftauchen müssen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Durch den Bericht selbst sind Menschen, die sich gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus positionieren und engagieren, mit Formulierungen wie „betrunkenen Politikern“ diffamiert worden. In dem Bericht wird nicht deutlich, dass von Neonazis Gewalt gegen Demokratinnen und Demokraten ausgeübt wurde. Der alte Duktus von angeblichen Rechts-Links-Auseinandersetzungen, der meist zur Verharmlosung von rechtsextremer Gewalt geführt hat, lebt in diesem Bericht leider wieder auf. Und die Darstellungen über die Gefährdeansprache mit einem bekannten Neonazikader klingen leider so, als hätte man sich auf diese Aussagen berufen. Solche Formulierungen sind fatal, weil sie das Vertrauen von demokratischen Bürgerinnen und Bürgern in Polizeiarbeit beschädigen, weil sie Fronten aufmachen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten auf der einen und Polizei auf der anderen Seite.
Das eigentlich Erschreckende dieses Berichtes und dieser ganzen Diskussion darüber ist, dass wir in der Diskussion, die wir in den letzten Jahren geführt haben, zurückgeworfen sind, weil es diese Empörung gibt, die zu Recht da ist. Ich meine, wir müssen jetzt wieder nach vorne arbeiten gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, weil die Gefahr durch Rechtsextremismus für unsere demokratische Gesellschaft vorhanden ist und wir alles daran setzen müssen, dieses Phänomen zu bekämpfen.
Der Kampf gegen den Rechtsextremismus kann aber nur gemeinsam, kann nur mit Zivilgesellschaft gelingen. Wir können die Polizeiarbeit stärken. Wir können den Verfassungsschutz entsprechend ausrichten. Wir können den Opferschutz stärken – das haben wir auch durch die Beratungsstellen gemacht. Wir können Präventionsmaßnahmen auflegen. Wir können Aussteigerprojekte fördern. Aber demokratische Werte und das tägliche Einstehen für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit muss durch die Bürgerinnen und Bürger, durch uns alle jeden Tag auch gelebt werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Gerade in Dortmund haben wir so eine aktive Zivilgesellschaft, die sich am Wahlabend mutig vor das Rathaus in Dortmund gestellt hat.
Die rechtliche Lage ist im Innenausschuss dargestellt worden. Ja, die Neonazis hatten das Recht, an diesem Abend die Wahlparty zu betreten, weil es eine öffentliche Veranstaltung war. Ja, das ist so. Man hätte sich vielleicht im Rathaus früher auch einmal Gedanken darüber machen können, inwiefern man beispielsweise eine nichtöffentliche Veranstaltung durch die Fraktionen macht, aber das ist etwas anderes.
Klar ist: Die rechtliche Situation ist so, wie ich sie gerade geschildert habe. Natürlich ist es so, dass durch das Hindern am Betreten der Wahlparty der Straftatbestand der Nötigung erfüllt sein kann. Das ist die rechtliche Ebene. Es gibt aber noch eine andere Ebene, es gibt eine politische, es gibt eine moralische Ebene.
(Zurufe von der FDP)
Die politische Ebene ist,
(Weitere Zurufe von der FDP – Unruhe – Glocke des Präsidenten)
dass es meiner Meinung nach richtig war, dass sich Menschen schützend vor dieses Rathaus gestellt haben. Ich kann sagen – ich glaube, da spreche ich zumindest für einige Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite des Parlamentes –: Viele von uns hätten sicherlich dasselbe getan, wenn Rechtsextreme versucht hätten, in das Rathaus in der eigenen Heimatstadt hineinzukommen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Ich meine aber auch, dass wir in den letzten Jahren in der Polizeiarbeit im Bereich Rassismus und Rechtsextremismus viel bewegt haben. Es gibt die Sonderkommission. Es gibt das Kompetenzzentrum beim LKA. Es gibt die gesonderte Erfassung der Straftaten der Allgemeinkriminalität durch Neonazis. Es gibt die feste Verankerung des Themenkomplexes in der Aus- und Fortbildung.
Jetzt muss es eigentlich darum gehen, zum einen aus solchen Diskussionen zu lernen, mit der Zivilgesellschaft in Kontakt zu treten und den Bericht nachzubereiten. Aber es muss zum anderen auch darum gehen, die fraktionsübergreifende Beschlussempfehlung des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum NSU umzusetzen.
Gerade für diejenigen, die sonst nicht im Innenausschuss sind, sage ich: Wir befinden uns weder am Anfang der Debatte noch am Ende, sondern wir sind eigentlich mittendrin in der Auseinandersetzung darüber, wie Polizeiarbeit besser werden kann, gerade bezogen auf dieses Themenfeld. Darum sollten wir alle als Demokratinnen und Demokraten für die Zukunft anknüpfen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)