Lehrerausbildungsgesetz -Erfahrungen produktiv für eine weitere Entwicklung nutzen

Antrag der Fraktionen der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I. Ausgangssituation

Das Lehrerausbildungsgesetz (LABG) ist zuletzt im Jahr 2009 reformiert worden. Hier wurde auf die Neuerungen im Zuge des Bologna-Prozesses und die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen eingegangen. Damals hatte die Landesregierung Herrn Prof. Baumert mit einem Gutachten beauftragt. Diese Empfehlungen sind weitgehend in das LABG aufgenommen worden. Nun liegt verabredungsgemäß ein Bericht zu den Erfahrungen aus der so reformierten Lehrerbildung vor.
Lehrerinnen und Lehrern kommt in ihrem Beruf eine besonders wichtige Aufgabe zu. Ihnen obliegt eine wesentliche Aufgabe in der Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler. Sie müssen sie zum selbstständigen und sachbezogenen Denken befähigen. Sie sorgen dafür, dass die junge Generation die fachlichen Kompetenzen erlangt, die sie für ihre Zukunft benötigt. Die Lehrerbildung muss daher den angehenden Lehrpersonen die pädagogischen, fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen sowie diagnostischen Kompetenzen vermitteln, die sie für einen qualitativ hochwertigen Unterricht für Schülerinnen und Schüler und die not-wendige individuelle Förderung benötigen.
Die Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer haben sich in den letzten Jahren – nicht zuletzt durch gesellschaftliche Veränderungen wie z. B. Ganztag und die Themen Inklusion und Integration massiv verändert. Um darauf angemessen reagieren zu können, musste auch die Lehrerausbildung verändert werden.
Das professionelle Selbstverständnis im Wandel
Der Fokus in der Lehramtsausbildung liegt heute sowohl auf der Veränderung der ersten Ausbildungsphase an der Hochschule als auch auf der zweiten Phase im Vorbereitungsdienst.
Das Bild der Lehrerin  und des Lehrers hat sich seit der Einführung der Schulpflicht deutlich verändert. In den 50er und 60er Jahren des vergangen Jahrhunderts herrschte noch das Bild der Lehrperson mit der Halbtagstätigkeit in der Schule und der Vor- und Nachbereitung im häuslichen Arbeitszimmer vor. Die Lehrperson heute muss verschiedene Rollenanteile in sich vereinen. Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Herbert Gudjons schreibt, jede einzelne Lehrperson stehe vor der „Notwendigkeit der individuellen und sehr persönlichen Integration disparater und widersprüchlicher Anforderungen.“ Es stellt sich die Frage, wie die zukünftigen Lehrpersonen in ihrer Ausbildung auf diesen Prozess vorbereitet werden können.
Lehrerinnen und Lehrer haben neben ihrem Auftrag als Vermittlerinnen und Vermittler von Wissen auch immer einen erzieherischen Auftrag. Lehrerinnen und Lehrer können sich dabei nicht mehr als Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer verstehen, sondern müssen sich als Teamspieler  eines multiprofessionellen Teams verstehen.
Inklusive Settings berücksichtigen die Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler auch in Bezug auf die sozialen Lagen, kulturellen Prägungen sowie Migration.
Das Studium der Bildungswissenschaften erfordert für alle Lehrpersonen verstärkt vergleich-bare Basiskompetenzen (u.a. Umgang mit Heterogenität, Inklusion und Ganztag). Hinzu kommt, dass sich die Schullandschaft in einem Wandel hin zu längerem gemeinsamen Lernen bewegt. Lehramtsübergreifende Fragestellungen und Fragen der Anschlussfähigkeit gewinnen in der Ausbildung an Bedeutung. Dabei sind neben den genannten notwendigen Kompetenzen nicht nur didaktische Qualifikationen gefragt. Jürgen Baumert u.a. haben schon in der Studie „COACTIV“,  einer Zusatzstudie zu PISA 2003/04, herausgestellt, dass für Lehrpersonen des Fachs Mathematik einer hohen fachlichen Ausbildung ein bedeutender Stellenwert zugemessen werden muss, da sich gerade hier das fachdidaktische Wissen aus dem fachlichen Wissen speist. Die Lernenden haben so eine bessere Voraussetzung das zu vermittelnde Wissen aufzunehmen und zu durchdringen. Die Anforderungen an die Fachlichkeit gilt für Lehrpersonen in allen Schulformen.
Die Schul- und Unterrichtsentwicklung gehört zum Aufgabenprofil der Lehrpersonen und Bestanteil ihrer Arbeitszeit. Die Ganztagsschule ermöglicht eine Entwicklung im umfassenden Sinne. Die Teamarbeit in der Schule wird durch längere gemeinsame Präsenzzeiten unterstützt.
Der Beruf des Lehrers und der Lehrerin wandelt sich neben den inhaltlichen Anforderungen auch in besonderem Maße in den organisatorischen Anforderungen. Die verstärkte Arbeit im Team und eine andere Rhythmisierung des schulischen Lernens durch Ganztagsschulen führen auch zu längeren Präsenzzeiten als Arbeitszeiten an der jeweiligen Schule. Damit wird auch die Entwicklung der einzelnen Schule als gemeinsame Aufgabe aller Lehrerinnen und Lehrer deutlich.

Fokussierung im Studium

Um die grundlegenden fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Anteile im Studium angemessen platzieren zu können, kommen die Gesamtanforderungen auf den Prüfstand. Das betrifft auch die Anforderungen an Fremdsprachenkenntnisse für den Zugang zum Lehramtsstudium. Sie waren in den letzten Jahren ein an den Hoch-schulen und in den Medien groß diskutiertes Thema. Insbesondere die Anforderung von Lateinkenntnissen im Umfang eines ehemaligen großen Latinums für den Zugang zu vielen Lehramtsstudiengängen wird als nicht zeitgemäß und über das notwendige Maß hinausgehend empfunden. Der hohe zusätzliche Arbeitsaufwand führt nicht nur zu häufigeren Studienabbrüchen, sondern stellt bereits für die Aufnahme eines Studiums eine Hürde dar. Dadurch könnten dem Land viele potenzielle Lehrpersonen verloren gehen. Daher ist es notwendig, dass die Anforderungen künftig nach Fächern differenziert gestellt werden, vergleichbar mit den Regelungen in anderen Bundesländern wie Niedersachsen oder Bayern. Für das Lehramtsstudium von modernen Fremdsprachen sollte künftig die Kenntnis von zwei Fremdsprachen ausreichen, ohne dass Latein zwingend dazu gehören muss. Für Geschichte und Philosophie sollten auch Lateinkenntnisse im Umfang des ehemaligen kleinen Latinums ausreichen, hier müsst auch über die Frage des Prüfungsortes diskutiert werden.
Es wird bei einer Änderung der Lehramtszugangsverordnung zudem wichtig sein, die Interessen der Studierenden sowie der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer hinsichtlich der Prüfungsorganisation in den Blick zu nehmen. Für eine optimale Einbindung der dann noch verbleibenden Kurse und Prüfungen in den Hochschulbetrieb müssen flexible Lösungen angeboten werden, ohne die Vergleichbarkeit der Ausbildungsstandards zu gefährden.
Entsprechend den Erfordernissen des Bologna-Prozesses müssen Studiengänge akkreditiert werden. Derzeit wird bei der Einrichtung der Lehramtsstudiengänge eine Programmakkreditierung vorgenommen, das heißt jeder Studiengang wird einzeln begutachtet. Dieses Verfahren wird jedoch von Seiten der Hochschulen als zu aufwendig und zu teuer kritisiert. Einige Hochschulen sind deshalb dabei, auf eine Systemakkreditierung umzustellen. Bei dieser wird nicht die Qualität der einzelnen Studiengänge von externen Akkreditierungsagenturen begutachtet, sondern das Qualitätsmanagementsystem der Hochschulen insgesamt betrachtet. Ist dieses System gut entwickelt, können die Hochschulen Studiengänge eigenverantwortlich und ohne weitere studiengangbezogene Akkreditierungen einrichten. Die Landesrektoren-konferenz der Universitäten empfiehlt diesen Weg, da er das Verfahren vereinfacht und die Eigenverantwortung der Hochschulen stärkt. Nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 2. Juni 2005 („Quedlinburger Beschluss“) bedürfen Lehramtsstudiengänge der Zustimmung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung. Daher muss geklärt werden, wie den Hochschulen eine Systemakkreditierung entsprechend des Quedlinburger Beschlusses der KMK von 2005 ermöglicht werden kann.
Eine weitere Öffnung der Hochschulen und eine Steigerung der Attraktivität bestimmter Studiengänge ist eine wichtige Voraussetzung für die Gewinnung und Ausbildung künftiger Fachkräfte. Es ist zu begrüßen, dass die Landesregierung in ihrem Bericht „Entwicklungs-stand und Qualität der Lehrerausbildung“ (Vorlage 16/1476) vom 10. Dezember 2013 das Vorhaben ankündigt, den Zugang zum Lehramt Berufskolleg einfacher zu gestalten und das Studium insgesamt attraktiver zu machen, um mehr Studierende für diesen Berufszweig gewinnen zu können. Die ebenfalls geplante Erleichterung des Zugangs für Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen ist eine sehr wichtige Änderung im Sinne der oben genannten Voraussetzung.

II. Der Landtag stellt fest:

Die Lehrerausbildung muss an die sich wandelnden gesellschaftlichen und fachlichen Anforderungen angepasst werden und das Lehrerausbildungsgesetz über das Jahr 2014 hinaus fortgeschrieben werden.
Inklusion und Heterogenität fordern die pädagogischen Kompetenzen einer Lehrper-son im besonderen Maße heraus. Diagnosefähigkeit, der Umgang mit Heterogenität und das Selbstverständnis der Lehrperson sind Qualifikationen, die eine Lehrperson vorweisen muss.
Angehende Lehrerinnen und Lehrer müssen in der Frage nach ihrer persönlichen Eignung im gesamten Verlauf ihrer Ausbildung stärker unterstützt werden. Praktika in unterschiedlichen Phasen der Hochschulausbildung sind dafür eine gute Vorbereitung.
Die Reform der Lehrerausbildung und die in Kraft getretene Neufassung des § 30 Abs. 1 Hochschulgesetz sehen eine strukturelle Stärkung der an den lehrerausbildenden Hochschulen eingerichteten Zentren für Lehrerbildung vor und weisen diesen als eigenständige Organisationseinheiten eine Entscheidungs-, Steuerungs- und Ressourcenkompetenz zu, die durch Hochschulsatzungen zu konkretisieren ist. Die Hochschul- und die Schulausbildungsphase der angehenden Lehrpersonen muss noch stärker verzahnt werden. Praktika und Praxissemester während der Hochschul-ausbildung und die zweite Ausbildungsphase müssen stärker aufeinander abgestimmt sein und so zu einer guten und aufeinander aufbauenden Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer führen.
Das Thema Alphabetisierung muss stärker in der Lehreraus- und -fortbildung veran-kert werden.
Die Anforderungen der Altsprachen für die Lehrämter der Fremdsprachen, Geschich-te und Philosophie müssen angepasst werden.
Bezüglich der Akkreditierung von Lehramtsstudiengängen ist zu prüfen, wie den Hochschulen eine Umstellung auf eine Systemakkreditierung entsprechend des Quedlinburger Beschlusses der KMK vom 2. Juni 2005 ermöglicht werden kann.
Eine weitere Öffnung der Hochschulen und eine Steigerung der Attraktivität bestimm-ter Lehramtsstudiengänge ist eine wichtige Voraussetzung für die Gewinnung und Ausbildung künftiger Fachkräfte.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

Die Lehrerausbildung ist auf der Grundlage der Reform von 2009 weiterzuentwickeln.
In der Lehrerausbildung ist für alle Lehrämter neben der hohen fachwissenschaftlichen Ausbildung auch ein besonderer Stellenwert auf die erziehungswissenschaftliche Ausbildung der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer zu legen, um hier die angehenden Lehrpersonen auf die inhaltlichen Anforderungen der Lehrämter und das Leitbild einer individuellen Förderung der Lernenden auszubilden. In diesem Zusammenhang möge die Landesregierung prüfen, eine lehramtsübergreifende und an den inhaltlichen Schwerpunkten der Bildungswissenschaft für alle Lehrämter strukturierte Ordnung entwickelt werden kann.
Die Kooperation zwischen der ersten und der zweiten Phase muss institutionell und inhaltlich weiter verstärkt werden: u.a. Vertretung der zweiten Phase in den Lehrerbil-dungszentren der Hochschulen, umgekehrt Vertretung dieser Lehrerbildungszentren in den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) und verbindliche gegen-seitige Abstimmung der Ausbildungsinhalte. Nur so ist es möglich, von Beginn des Studiums über unterschiedliche Praktika die Eignung zu erkennen und die persönliche Entwicklung des Studierenden hin zum Lehrenden zu begleiten.
Die Anforderungen an den Nachweis altsprachlicher Sprachkenntnisse für Lehrämter an Gymnasien und Gesamtschulen für Fremdsprachen sowie Geschichte und Philosophie sollen überprüft und den tatsächlichen Anforderungen des Lehrerberufs entsprechend nach Fächern differenziert ausgestaltet und angepasst werden. Den Anforderungen von Studierenden und Lehrenden ist dabei Rechnung zu tragen.
Der Zugang zum Lehramt Berufskolleg ist einfacher zu gestalten, insbesondere für Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen, und das Studium insgesamt attraktiver zu machen, um mehr Studierende für diesen Berufszweig gewinnen zu können. Auch die Kooperationen zwischen Universitäten und Fachhochschulen sollen für das Lehramt Berufskolleg verstärkt werden.
Es ist zu prüfen, wie den Hochschulen durch die Ermöglichung der Umstellung auf die Systemakkreditierung entsprechend des Quedlinburger Beschlusses der KMK von 2005 auch im Bereich der Lehramtsstudiengänge eine größere qualitative Ver-antwortung für die Lehrerausbildung gesichert werden kann.
Um die Ressourcenausstattung und die Studienangebote der Lehrerausbildung zu si-chern, sollen mit den einzelnen Hochschulen Ziel- und Leistungsvereinbarungen nach § 6 Hochschulgesetz abgeschlossen werden, die die qualitativen und quantitativen Ziele des Landes in der Lehrerbildung sichern.
Die Landesregierung wird gebeten, im Zuge des weiteren Inklusionsprozesses in der Schule die benötigte förderpädagogische Kompetenz für die Schulen zu sichern, in-novative Formen der förderpädagogischen Qualifizierung zu erproben und langfristig Fragen der strukturellen und curricularen Erfordernisse des förderpädagogischen Lehramtes neu zu prüfen.