Hans Christian Markert: „Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass hier ein Privatoligopol plötzlich nach Verstaatlichung ruft, sobald es um Verluste geht.“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Piraten zu den Folgen des Atomausstiegs

Hans Christian Markert (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Netter Versuch: Die Stromkonzerne ernten Hohn und Spott für ihren Vorstoß, die Folgekosten der Atomkraft den Steuerzahlern aufzubürden. – So titelte die „Frankfurter Rundschau“ vorgestern vollkommen zu Recht.
Herr Kufen, Hohn und Spott könnte man angesichts der Zahlen, die Sie hier für den Rückbau eines einzelnen Atomkraftwerks zugrunde legen, an jener Stelle Ihres Redebeitrags wahrscheinlich auch auf Sie beziehen.
(Beifall von den GRÜNEN – Thomas Kufen [CDU]: Zwischen 500 Millionen € und 1 Milliarde €!)
Herr Kufen, Herr Eiskirch, auch wenn wir jetzt nicht den letzten Beweis und die letzte Bestätigung haben, dass die Konzerne das, was wir beim „Spiegel“ gelesen haben, tatsächlich so beschlossen hätten – wir wissen doch, wie Politik funktioniert. Das ist möglicherweise erst mal nur ein Testballon, um zu sehen, wie die politische Landschaft reagiert. Und das ist nicht ungewöhnlich in der Politik. Deswegen ist es richtig, sich damit rechtzeitig auseinanderzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Da muss ich applaudieren!)
Das Einstreichen privater Gewinne und die Sozialisierung von Verlusten, Sicherheits- und Folgekosten – bei der Frage der Atommüllendlagerung reden wir ja sogar von Ewigkeitskosten -: Ein solches Ansinnen ist dreist, schäbig und keinesfalls marktwirtschaftlich.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Dagegen werden sich die Bürgerinnen und Bürger, also auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, mit Recht zur Wehr setzen. Und wir Grünen werden sie dabei politisch kräftig unterstützen.
(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Ein Kurswechsel!)
– Ach Herr Rohwedder, es ist beachtlich, wie Sie in den letzten Monaten versuchen, irgendwie auf den Atomkurs und die antiatompolitische Bewegung aufzuspringen. Ich habe es schon mal gesagt: Wir haben schon in Brokdorf, in Wackersdorf und anderswo demonstriert, da war Ihr Segelboot noch nicht mal in See gestochen.
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ohoho! Dünnes Eis! – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Der ist Gründungsmitglied der Grünen! – Weitere Zurufe von den PIRATEN)
Belehrungen dieser Art sind manchmal wenig hilfreich.
Ich möchte stattdessen lieber unsere Bundesvorsitzende Simone Peter kritisieren,
(Heiterkeit)
– Entschuldigung, natürlich nicht kritisieren -, ich möchte mich ihr anschließen und unsere Bundesvorsitzende in diesem Zusammenhang zitieren. Simone Peter sagte dieser Tage:
„Das ist ein dreister Vorschlag der Konzerne, die Folgekosten der Atomkraft den Steuerzahlern aufzubürden, nachdem die Unternehmen so lange kräftig daran verdient haben – nicht zuletzt aufgrund staatlicher Subventionen.“
(Beifall von den GRÜNEN)
„Wir fordern die Bundesregierung auf“
– so Frau Peter weiter -,
„keine Verhandlungen über diesen Fonds aufzunehmen. Die Verantwortung liegt hier klar bei den Konzernen, die für die vollständigen Kosten aufkommen und als deren Verursacher weiterhin finanziell haftbar bleiben müssen. Wir dürfen keinen Ablasshandel zulassen, mit dem sich Konzerne von ihrer finanziellen Verantwortung freikaufen.“
Angeblich bieten die Atomkonzerne bei diesem Ablasshandel auch noch an, ihre Klagen gegen den beschleunigten Atomausstieg und gegen die Brennelementesteuer im Gegenzug zurückzuziehen.
Verantwortung sieht gänzlich anders aus und hört sich auch anders an als dieses Junktim. Das ist allerdings wohl auch eine Folge der seinerzeitigen Laufzeitverlängerung durch die Regierung Merkel.
Die tatsächliche Werthaltigkeit der vorgeschriebenen Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber steht auch bei uns infrage. Dieser Vorschlag ist daher wohl auch ein Eingeständnis seitens der Unternehmen, nicht ausreichend vorgesorgt zu haben. Daraus folgt aber nicht, dass solch ein – wie der „Spiegel“ schreibt – Geheimplan für eine Bad Bank für Atomkraftwerke eine demokratische und für die öffentliche Hand akzeptable Lösung sein kann.
Apropos Bad Bank: Es ist doch absehbar, dass auch für Konzerne wie RWE und E.ON irgendwann einmal das die soziale Marktwirtschaft aushöhlende Prinzip des „Too big to fail“ eintreten könnte. Kapital würde entzogen, unabsehbare Kosten des Atomausstiegs könnten entstehen, der Konzern damit in Schieflage geraten – und schon müsste die öffentliche Hand den Rettungsschirm aufspannen.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Oder auch nicht!)
Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass hier ein Privatoligopol plötzlich nach Verstaatlichung ruft, sobald es um Verluste geht, ungeachtet der Gewinne, die aktuell immer noch eingefahren werden, übrigens inklusive der Gewinne der vergessenen Anlage hier in Nordrhein-Westfalen, der UAA in Gronau.
Im Geiste der Freiburger Thesen kann ich da nur sagen, dass für unsere Väter der sozialen Marktwirtschaft wie Rüstow, Böhm oder Eucken wohl eher eine Entflechtung dieser Oligopolstrukturen und auf jeden Fall die Gültigkeit des Verursacherprinzips ganz vorne gestanden hätten.
Daher und auch in Anbetracht der Zeiträume, von denen wir hier faktisch reden, ist eine Stiftungs- oder Fondslösung zwar grundsätzlich diskussionswürdig und nicht von vornherein völlig abzulehnen, aber eben nicht zu den von den Konzernen diktierten Bedingungen.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Unter dem Motto „Besser einen Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach“ ist aus meiner Sicht ein Treuhandmodell diskussionswürdig – nach britischem Recht spricht man eher vom öffentlich-rechtlichen Trust -, das auf die ca. 35 Milliarden € an Rückstellungen Zugriff nehmen muss, damit im Konkursfalle, wie etwa bei RWE, diese Mittel nicht verloren gehen.
Wir dürfen nicht vergessen, über welche Zeitspannen wir hier angesichts der Atommüllentsorgung reden. Mir ist in der Erdgeschichte kein Unternehmen bekannt, das über Tausende von Jahren existiert hätte – sehen wir mal vom britischen Königshaus oder vom Vatikan ab, wenn man die denn als klassische Unternehmen bezeichnen möchte.
Aufgrund der zwingend gegebenen Notwendigkeit zur langfristigen Haltbarkeit des Rechtskonstrukts im Falle von strahlenden Hinterlassenschaften kommen daher für mich zwei Handlungsoptionen in Betracht, um das Begleichen der Ewigkeitskosten tatsächlich zu gewährleisten; denn eine einfachgesetzliche Regelung wird das über die Jahrzehnte kaum sicherstellen: zum einen die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in das Grundgesetz, zum anderen – auch ergänzend möglich – eine Regelung über einen entsprechenden Staatsvertrag.
Darüber sollten wir nachdenken, wenn wir unseren Kindern und Enkeln nicht nur die Hochrisikolast des Atommülls überlassen müssen, sondern auch noch das Kostenrisiko für den Ausstieg, damit das Risiko letztendlich nicht bei ihnen hängenbleibt, sondern dort, wo es nach dem Verursacherprinzip hingehört, nämlich bei den Konzernen.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Daran werden wir Grünen entschieden festhalten.
Knapp zusammengefasst – ich komme zum Ende, Frau Präsidentin –: Die Konzerne sind in der gesetzlichen Pflicht, die sie zu erfüllen haben. Das Restrisiko für die öffentliche Hand und damit für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler muss so gering wie möglich gehalten werden. Schließlich und letztens: Das Primat der Politik über die Wirtschaft gilt auch und insbesondere in diesem Fall. Dies werden die Leitlinien unseres grünen Handelns sein. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)


2. Runde:

Hans Christian Markert (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich war die politische Messe schon nach der ersten Runde hier gelesen.
(Beifall von Thomas Eiskirch [SPD] und Rainer Schmeltzer [SPD])
Aber einige wollten unbedingt noch eine zweite Runde. – Es erscheint mir wichtig, auf drei Aspekte noch einmal einen Blick zu richten.
Erstens. Vorhin ist insbesondere von Herrn Brockes, aber auch von Minister Duin die Frage gestellt worden: Ist das Thema nicht längst abgeräumt? Ich habe vorhin dazu gesagt: Es handelt sich wohl um einen Testballon. Selbst dann, wenn es keine Verhandlungen und keine Beschlüsse gegeben hat: Gespräche hat es wahrscheinlich gegeben.
Ich habe auch den Eindruck, wenn da nichts dran wäre, dann hätten die Konzerne längst laut und vernehmbar gesagt: Ist nichts dran, könnt ihr in die Schublade packen! Ein solches Dementi ist mir nicht bekannt. Deshalb bleibe ich dabei: Es war ein Testballon. Deswegen ist es auch gut, dass wir uns hier politisch positionieren.
(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])
Zweitens. Herr Witzel, Sie haben in der Ihnen üblichen sehr leisen und zurückhaltend-vornehmen Art vorgetragen – Herr Brockes war da laut und vernehmbar –, dass Sie glauben, dass das Verursacherprinzip in die jahrhundertelange Zukunft gerichtet funktionieren würde. Da möchte ich Ihnen ehrlich sagen: Lieber Dietmar Brockes, ich habe großen Respekt vor Menschen, die Gottvertrauen haben. Aber diese Art von Konzernvertrauen, dass wir es auch in 100, 200 oder 300 Jahren noch mit RWE, E.ON oder deren Rechtsnachfolgern zu tun haben, kann ich nicht teilen. Da bin ich schon baff erstaunt, wie sehr Sie so weit in die Zukunft schauen können und wie weit Ihr Konzernvertrauen hier reicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist aller Ehren wert, lieber Herr Brockes, darüber nachzudenken, was denn eigentlich passiert, wenn ein Konzern wie RWE, was wir natürlich alle nicht wollen, in Konkurs fällt. Die haben immerhin Verbindlichkeiten von 30 Milliarden €. Da muss man doch darüber nachdenken, was wir aufgrund der langen strahlenden Zukunft von diesen Hinterlassenschaften letztendlich antworten, wenn die in Konkurs fallen. Da muss man sich einer Lösung annähern, die für den Steuerzahler und die Steuerzahlerin möglichst verträglich ist.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist wohl war!)
Die Ewigkeitskosten in der Braun- und Steinkohle sind schon in langen Dimensionen. Darüber reden wir wahrscheinlich jetzt noch das ganze Jahrhundert. Aber bei der Atomkraft geht es über Hunderte, über Tausende von Jahren. Da wird man sich doch einmal Gedanken darüber machen dürfen, ob es nicht legitim ist, die Rückstellung zumindest jetzt treuhänderisch zu verwalten.
Ich habe vorhin dazu gesagt: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Ich füge hinzu, lieber Herr Kufen – da bin ich doch noch einmal bei Ihnen –, es gibt auch eine Spekulation, und das wäre der dritte Aspekt in der Debatte: Wie hoch sind eigentlich die Ausstiegs- und Entsorgungskosten?
Jedes Großprojekt, das wir in Deutschland haben – das gilt insbesondere auch für dieses Nuklearfiasko, was wir da abzuwickeln haben –, ist von der Vergangenheit bis zur Gegenwart immer teurer geworden, als es ursprünglich geplant war. Deswegen glaube ich, dass man Studien von Greenpeace, die besagen, dass die 35 Milliarden € mitnichten ausreichen, ernst nehmen sollte.
Eine Rückstellung heißt ja nicht, dass man sie hinterher total in Anspruch nehmen soll; aber sie bedeutet, genug Geld in der Hand haben, um sich dieser Verantwortung nach dem Verursacherprinzip überhaupt erst stellen zu können. Dieser Verantwortung muss man sich doch auch stellen. Deswegen habe ich hier dafür plädiert, das nicht runterzurechnen. Greenpeace spricht von mindestens 44 Milliarden €, die notwendig sein werden. Nun kann man sagen: Da muss man andere Zahlen haben. Kollege Schulz möchte da wahrscheinlich von 440 Milliarden € reden. Es wird aber auf jeden Fall nicht ausreichen.
Deswegen tun wir gut daran, jetzt Modelle zu diskutieren, die nicht dem Steuerzahler zur Last fallen. Vielleicht tun wir bei den Gesprächen mit den Konzernen auch gut daran, zu überlegen, ob die nicht schon jetzt aus den Gewinnen, die sie bis heute aus der Nukleartechnologie einfahren – in Gronau und an jedem Atomkraftwerksstandort –, letztendlich nicht auch noch einmal Mittel in die Hand sollten, um ihre Rückstellungen zu erhöhen; denn nach dem Atomgesetz sind sie dafür verantwortlich, diese Kosten zu gewährleisten. Sie machen täglich Gewinne. Dann sollen sie im Prinzip auch täglich die Verantwortung übernehmen.
Herr Witzel, Herr Brockes, es wäre gut, wenn Sie das diesen Konzernen – denen Sie so stark vertrauen – bei Ihren intensiven Gesprächen, die Sie möglicherweise mit denen führen, vielleicht auch vermitteln würden. Sie haben ja so ein großes Vertrauen. Vielleicht führen Sie diese Gespräche ja bereits. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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