Manuela Grochowiak-Schmieding: „Damit Menschen mit Behinderung ihre Rechte wahrnehmen können, wollen wir dafür sorgen, dass in allen Regionen in NRW eine entsprechende Beratung in Anspruch genommen werden kann.“

Antrag von SPD und GRÜNEN zum Kompetenzzentrum für Menschen mit Behinderungen

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wissen möchte, was Paragrafendschungel im wörtlichen Sinne heißt und bedeutet, der muss sich mit der deutschen Sozialgesetzgebung befassen. Hunderte Paragrafen mit noch mehr Absätzen bilden in den zwölf Büchern des Sozialgesetzes ein Dickicht, das nur schwer zu durchdringen ist. Menschen, die aufgrund ihrer Lebensumstände all ihre Energie benötigen, um ihren Lebensalltag zu bewältigen, sind hier schlichtweg überfordert. Dazu gehören auch Menschen mit Behinderung oder deren Angehörige.
Immer wieder müssen diese Menschen die Erfahrung machen, dass auf Papier geschriebene Gesetze sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Mitunter kommt es sogar vor, dass verbrieftes Recht verweigert wird, so zum Beispiel bei Eltern, die ihr Kind mit Unterstützungsbedarf an einer Regelschule anmelden wollen und der Schulträger die Übernahme der Kosten für die Integrationshelferin ablehnt oder wenn die Arbeitsagentur die Beratung und Vermittlung in Arbeit verweigert und stattdessen auf der Verrentung eines Hilfesuchenden besteht.
Es sind aber nicht nur Gesetzestext und die Verweigerungshaltung, die in die Irre führen: Auch unterschiedliche Verwaltungsebenen der Leistungsträgerinnen und eine Vielfalt an Leistungserbringerinnen machen den Menschen das Leben schwer. Der Eindruck, dass Institutionen lediglich für den Selbstzweck und weniger für die Betroffenen selbst arbeiten, kann sich in vielen Situationen den Menschen, die Unterstützung suchen, aufdrängen.
All dies zusammengenommen macht eine unabhängige Beratung unabdingbar. Hier haben wir insbesondere die beiden Kompetenzzentren – der Kollege Scheffler hat es schon erwähnt – in Köln und in Dortmund, die diese Arbeit schon seit Jahren übernehmen. Hier finden Menschen mit Behinderung Hilfe, Beratung und auch Unterstützung. Neben der Interessenvertretung der Einzelnen sind Öffentlichkeitsarbeit, Bewusstseinsbildung und natürlich auch Vernetzung mit anderen schon bestehenden Strukturen wichtige Arbeitsfelder.
Diese Kompetenzzentren erfahren sehr großen Zulauf und leisten hervorragende und auch wichtige Arbeit. Ihre Arbeit ist deshalb so gut und wichtig – auch das hat der Kollege Scheffler schon gesagt –, weil hier nach dem Prinzip der Peer Counseling gearbeitet wird, nämlich Betroffene beraten Betroffene.
Der Landesaktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ beschreibt die Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung als Institutionen, die die Bewusstseinsentwicklung für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Politik und Gesellschaft voranbringen.
Zwei Kompetenzzentren alleine können nicht den Bedarf eines ganzen Landes befriedigen. Daher möchten wir diese Beratungsstruktur ausweiten. Damit Menschen mit Behinderung ihre Rechte wahrnehmen können, wollen wir dafür sorgen, dass in allen Regionen in NRW eine entsprechende Beratung in Anspruch genommen werden kann.
Außerdem wollen wir, dass in jedem Regierungsbezirk mindestens ein Kompetenzzentrum für selbstbestimmtes Leben vorhanden ist. Dabei legen wir großen Wert darauf, dass bereits bestehende und qualifizierte Institutionen in diesen Prozess einbezogen werden. Beispielhaft möchte ich die LAG SELBSTHILFE oder das Netzwerk für Frauen und Mädchen mit Behinderung nennen.
Bei den vielen unterschiedlichen Problemstellungen und Bedarfen der Unterstützungssuchenden – wie Geschlecht, kulturelle Herkunft oder einfach die Individualität der Beeinträchtigung – stehen die Kompetenzzentren natürlich vor einer Mammutaufgabe. Wir werden in Zukunft ganz genau beobachten müssen, inwieweit neben dem allgemeinen Beratungsangebot auch eine gewisse Spezialisierung – zumindest in Teilbereichen – in den einzelnen Kompetenzzentren notwendig werden kann.
Mit diesem Antrag machen wir einen wichtigen Schritt zur Erweiterung der Beratungsstrukturen für Menschen mit Behinderung hier in NRW. Wir kommen damit auch einem Wunsch und der Aufforderung aus dem Kreis der Betroffenen nach.
Wenn der Antrag dann beschlossen ist, liegt es an der Landesregierung, diesen Auftrag so schnell wie möglich umzusetzen. Das wünschen wir uns natürlich. Ich bin mir aber sicher, dass Sie sich entsprechend einsetzen werden. Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ermuntern, uns bei diesem Bestreben und bei unserem Antrag zu unterstützen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)