Stefan Engstfeld: „Mit dem TTIP droht eine Gefährdung des Umwelt-, Gesundheits-, Verbraucher- und Datenschutzes in Deutschland – und nicht zuletzt auch unserer rechtsstaatlichen Prinzipien.“

Antrag der Piraten zum Freihandelsabkommen TTIP

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika soll die größte Freihandelszone der Welt entstehen. Es geht hierbei jedoch weniger um den Abbau der ohnehin schon geringen Zölle als vielmehr um den Abbau zahlreicher Regelungen, die als Handelshemmnisse empfunden werden. Bisher werden die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt. Dennoch gibt es berechtigte Befürchtungen, dass damit zahlreiche europäische und deutsche Standards in vielen Bereichen gefährdet werden. Meine Damen und Herren, es droht eine Gefährdung des Umwelt-, Gesundheits-, Verbraucher- und Datenschutzes in Deutschland – und nicht zuletzt auch unserer rechtsstaatlichen Prinzipien.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Durch einen Landtagsbeschluss vom 16. Mai 2013, der sich an die Bundesregierung richtete, hat die Grünen-Landtagfraktion bereits mit dazu beigetragen, dass Teile des Kultur- und Medienbereichs von den Verhandlungen ausgenommen werden; denn Kultur und Medien sind für uns keine Handelsware und wurden bisher immer von Handelsverträgen ausgenommen, um die kulturelle Vielfalt und die freie Meinungsbildung sicherzustellen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir Grüne haben im Europaparlament vergeblich versucht, das Verhandlungsmandat für die Europäische Kommission sozial, ökologisch und demokratisch zu gestalten. Grundsätzlich könnten Handelsabkommen sinnvolle Instrumente für effektivere Märkte auch im Interesse des Gemeinwohls sein. Leider wurden die Grünen-Anträge in allen wichtigen Fragen im Europaparlament abgelehnt. Deswegen hat sich die Landtagsfraktion im Februar dieses Jahres mit einem Fraktionsbeschluss daraufhin kritisch zu dem geplanten Handelsabkommen positioniert, und die grüne Bundespartei ist wenig später dieser kritischen Positionierung gefolgt.
Ich möchte Ihnen vier Beispiele nennen, warum wir so kritisch sind:
Erstens. Ein grundlegendes Problem stellt die Art und Weise der Verhandlungen zwischen den USA und der EU über das Freihandelsabkommen dar; denn diese finden hinter verschlossenen Türen statt. Bis zur endgültigen Fertigstellung bleiben Öffentlichkeit und Presse außen vor. Gleichwohl wird Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen ein privilegierter Zugang gewährt. Bereits vor den eigentlichen Verhandlungen wurden seit 2011 die Beratungen in internen Arbeitsgruppen unter der Beteiligung von Unternehmen vorbereitet. Für uns Grüne ist jedoch klar, dass ein so weitreichendes Abkommen, das hinter verschlossenen Türen verhandelt wird und bei dem zwar Unternehmen, nicht aber die Öffentlichkeit und die Parlamente mitsprechen dürfen, nicht akzeptabel ist.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Transparenz und Öffentlichkeit sind für uns nicht verhandelbare Grundprinzipien.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zweitens. Mit dem geplanten Investitionsschutz sollen Investor-Staat-Klagen eingeführt werden, bei denen ein Unternehmen gegen eine staatliche Regelung klagen kann, wenn es sich von dieser in seinen wirtschaftlichen Betätigungen benachteiligt fühlt. Geplant ist jedoch nicht, dass das Urteil von einem ordentlichen Gericht gefällt wird, sondern dass drei von Unternehmen und der Nationalregierung benannte Juristinnen und Juristen in einem Schiedsgericht entscheiden sollen und dass diese Entscheidung rechtskräftig ist.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Das ist eine immense Gefährdung des deutschen Rechtsstaates sowie der Souveränität und Handlungsspielräume von Gerichten, Parlamenten und Regierungen.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Diese Klagemöglichkeiten sind zudem überflüssig, weil Investorinnen und Investoren auf beiden Seiten des Atlantiks einfach die nationalen Gerichte anrufen könnten.
Ab heute – der Kollege Jostmeier hat es schon erwähnt – haben alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union die Chance, im Rahmen eines Online-Konsultationsprozesses der EU-Kommission ihre Meinung zu diesem besonders umstrittenen Kapitel des Freihandelsabkommens, dem Investitionsschutzkapitel, zu äußern. Das ist ein absolut richtiger Schritt. Die Kommission muss aber beweisen, dass das Konsultationsverfahren keine Scheinbeteiligung, sondern ein ernst gemeinter Dialog wird. Deshalb reicht es nicht nur, einzelne Bausteine zu veröffentlichen, das gesamte Kapitel zum Investitionsschutz muss für die Öffentlichkeit einsehbar werden – eigentlich das komplette Verhandlungsmandat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Andernfalls haben die Bürgerinnen und Bürger keine Chance, die gesamten Auswirkungen des Kapitels und des Mandates an sich zu bewerten. Außerdem muss Brüssel die Ergebnisse am Ende ernst nehmen und die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Wir Grünen meinen: Ein solches Investitionsschutzkapitel darf kein Teil von TTIP sein.
(Beifall von den GRÜNEN)
Drittens. Das Abkommen könnte im Bereich „Erneuerbare Energien und Energieeffizienz“ positive Effekte für Deutschland und Europa bringen, da wir in diesem Bereich führend sind. Im Bereich der fossilen Energieträger sind jedoch erhebliche Risiken zu erwarten. Die Gefahren ergeben sich aus wesentlich geringeren Umweltstandards und der fragwürdigen, aber kostengünstigen Gewinnung von Kohle, Öl und Gas in den USA. Diese durch die Entfernung von ganzen Bergkuppen oder Fracking gewonnenen Energieträger könnten am europäischen Markt günstiger angeboten werden und hätten so einen negativen Effekt im Hinblick auf unsere Bemühungen zur Energiewende und zum Klimaschutz, da sie erneuerbare Energien verdrängen könnten. Notwendig wären folglich sehr hohe Vorgaben für Umwelt- und Klimastandards im Rahmen des Handelsabkommens, was jedoch derzeit unmöglich erscheint.
Hinzu kommt die Gefahr, die von den eben genannten geplanten Investor-Staat-Klagen ausgeht, dass künftig in Deutschland doch Fracking durchgeführt werden könnte. Allein die zurzeit anhängigen und bisher durchgeführten Klageverfahren gegen investitionsfeindliche Regelungen zeigen, dass der wirtschaftliche Druck enorm ist. Ein Beispiel aus Kanada zeigt dies plastisch. Kanada unterliegt aufgrund des nordamerikanischen Freihandelsabkommens einer gleichen Investorenschutzregelung. Daher konnte das US-amerikanische Unternehmen Lone Pine den Staat Kanada auf 183 Millionen € verklagen, nachdem die Landesregierung von Québec ein Moratorium zu Fracking erlassen hatte.
Durch solche Möglichkeiten werden Staaten erpressbar, sodass ein Fracking-Moratorium in Europa – auch bei uns in Nordrhein-Westfalen – auf wackeligen Füßen stehen würde, sollte ein derartiges Abkommen beschlossen werden. Ich füge mal eben an die Adresse der CDU-Fraktion hinzu: Das wird teilweise von Oliver Wittke gefährdet; der war gerade wieder ein bisschen schnell unterwegs. Es ist irgendwie sein Schicksaal, dass er immer so schnell ist.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Werner Jostmeier [CDU])
– Gut, er hat das Zitat nicht autorisiert. Verstehe! Das nehme ich mal so hin.
Wenn Fracking zugelassen werden würde, würden künftig Millionen von Litern Chemikalien in den Boden gepresst, um Gas aus den Gesteinsschichten zu gewinnen. Damit würde das Lebensmittel Nummer eins, unser Wasser – und damit auch wir und unsere Umwelt –, massiv gefährdet werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Viertens. Fast allen öffentlichen Dienstleistungen droht durch TTIP ein neuer Privatisierungsdruck. Die Ausnahmen im Verhandlungsmandat für „in hoheitlicher Gewalt“ erbrachte Dienstleistungen schützt praktisch nur die Europäische Zentralbank sicher vor der angestrebten Liberalisierung. Unter Druck kann geraten, wer im Wettbewerb mit anderen Dienstleistern steht. Private Unternehmen und Wettbewerb gibt es aber fast überall: bei Stadtwerken, bei Bahnen, bei der Post, in der Bildung, bei der Gesundheit, bei der Kranken- oder sogar der Rentenversicherung.
Wir erinnern uns – das hat der Kollege Kern auch schon gesagt – an die Debatte zur Vergaberichtlinie. Da ist es uns gelungen, die Privatisierung der Wasserversorgung aus dem Mandat herauszubekommen. Es ist zu befürchten, dass das Abkommen gravierende Auswirkungen auf kommunale Unternehmen und die Daseinsvorsorge mit sich bringen wird. Wir Grüne stehen auf allen Ebenen für gute öffentliche Dienste und gegen dieses uneingeschränkte Verhandlungsmandat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich komme zum Schluss. Freihandel ist kein Selbstzweck. Freihandel bedarf sozialer und ökologischer Leitplanken. Bei richtiger Ausgestaltung könnte eine engere transatlantische Zusammenarbeit auch für den Klimaschutz positive Impulse setzen und zum Abbau umweltschädlicher Subventionen beitragen. Dafür braucht es aber einen Neustart, der die vielen Sorgen ernst nimmt.
Der Überweisung an den Ausschuss stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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