Die strafrechtliche Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller nach 1949 muss aufgearbeitet werden

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

I.

Seit dem 11. Juni 1994 gibt es in Deutschland keine strafrechtliche Sondervorschrift zur Homosexualität mehr. 45 Jahre hat die Bundesrepublik gebraucht, um diesen Zustand zu erreichen. Das ist alles andere als ein Ruhmesblatt. Den letzten Anstoß zur Beseitigung des diskriminierenden Strafrechts gegen Homosexualität durch den demokratischen Rechtsstaat, gab es aus den Neuen Bundesländern, denn in der DDR wurde der äquivalente Paragraf bereits 1988 abgeschafft. Im Rahmen der Rechtsangleichung fiel somit 1994 endgültig für das wiedervereinigte Deutschland der Paragraf 175 StGB. In unserer heutigen Gesellschaft wirkt der Gedanke einer Strafvorschrift zur Homosexualität nur noch befremdlich. Junge Menschen können es kaum glauben, wenn man ihnen erzählt, dass unser Staat Menschen ins Gefängnis steckte, nur weil sie anders liebten als die Mehrheit.
Sexuelle Handlungen zwischen Männern waren in Deutschland von 1872 bis 1994 durch §175 Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe gestellt. Auf Grund dieses Paragrafen wurden viele homosexuelle Männer Opfer der Nationalsozialisten.
Etliche von ihnen fanden den Tod in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Umso unverständlicher ist es, dass dieses schwere Unrecht im Nachkriegsdeutschland weiter Rechtsbestand hatte. Auch in der Bundesrepublik sind nach diesem Paragrafen noch rund 100.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die Hälfte dieser Ermittlungsverfahren führte zu Verurteilungen dieser sogenannten Täter.
Noch im Jahre 1957 erklärte das Bundesverfassungsgericht: „Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz“ und sprach somit Homosexuellen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) rund herum ab. Inzwischen kommen die Karlsruher Richter und Richterinnen zu einem ganz anderen Schluss. In der Entscheidung zum Lebenspartnerschaftsgesetz von 2002 hat das Gericht dessen Grundgesetzkonformität nicht zuletzt damit begründet, dass es Art. 2 Abs. 1 GG Rechnung trägt, indem es Lesben und Schwulen „zu einer besseren Entfaltung ihrer Persönlichkeit verhilft und Diskriminierungen abbaut.“
Die staatliche Verfolgung wie auch der gesellschaftliche Ausschluss und die Stigmatisierung zwangen schwule Männer, aber auch lesbische Frauen, diesen Teil ihrer Identität nur im Verborgenen auszuleben. Dies bedeutete für Viele ein Leben in ständiger Angst und häufig auch den Verlust der bürgerlichen Existenz. Ein Trauma, das bei den Betroffenen zum Teil bis heute nachwirkt. Erst langsam erkennen Politik und Gesellschaft an, dass die Form der Repression eine fortdauernde Verletzung der Menschenwürde darstellte.
Daher war es gut, dass sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen bereits im Jahr 2012 für die Rehabilitierung und Aufhebung der Urteile auf Bundesebene eingesetzt hat (Drucksache 16/812). Dieser Teil der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ist aber bislang kaum aufgearbeitet. Es ist gut und richtig, dass heute ein offener Umgang mit dem Thema Homosexualität in der Gesellschaft möglich ist. Dies ermöglicht die Würdigung der historischen Zusammenhänge und eine offene Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels deutscher Nachkriegsgeschichte. Nach wie vor, bedarf es aber einer wissenschaftlichen Aufarbeitung, wie und warum seit dem Neubeginn unseres heutigen Rechtsstaats homosexuelle Handlungen jahrzehntelang immer noch strafrechtlich relevant waren.
Die Verfolgung von Homosexuellen hat darüber hinaus auch zu benachteiligenden beamtenrechtlichen Verordnungen und entsprechenden Einzelfallentscheidungen geführt, die homosexuellen Männern ihre Lebensgrundlage entzog.
Projekte zur Aufarbeitung der Beispiele für Verfolgung und Diskriminierung wurden bereits in Hamburg (vgl. „Liberales Hamburg?“ von Gottfried Lorenz und Ulf Bollermann, Juli 2013) mit Unterstützung des dortigen Lesben- und Schwulenverbands LSVD und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld umgesetzt. Das Berliner Abgeordnetenhaus und der Landtag von Rheinland-Pfalz haben ähnliche Anliegen beschlossen. Auch Nordrhein-Westfalen sollte daher darauf hinwirken, dass ein umfassendes Konzept zur bundesweiten Aufarbeitung und Veröffentlichung einer vergleichbaren Dokumentation von Einzelfällen auf den Weg gebracht wird.
Obwohl sich die Strafbarkeit in § 175 StGB nur auf sexuelle Handlungen zwischen Männern bezog, mussten auch lesbische Frauen soziale Ausgrenzung und Repression fürchten und erfahren. Ihnen wurde seitens des Bundesverfassungsgerichts noch 1953 mit der Begründung sie seien auf Grund „der Geschlechtsorgane… mehr hinnehmende und zur Hingabe“ veranlagte Menschen, jegliche selbstbestimmte Sexualität und jedweder Anspruch auf Entfaltung der Persönlichkeit abgesprochen. Das soziale Klima machte es ihnen unmöglich zu ihrer sexuellen Identität zu stehen und diese zu leben.
Dieses repressive, stigmatisierende, gesamtgesellschaftliche Klima hat die Lebensrealitäten von Lesben und Schwulen massiv beeinflusst und beeinträchtigt. Das Land NRW hat sich bereits im „NRW-Aktionsplan für Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – gegen Homo- und Transphobie“ zu seiner historischen Verantwortung bekannt. Dennoch sind wir uns unserer weitergehenden Verantwortung bewusst. Wir werden daher nicht nachlassen darauf hinzuwirken, dass die  Geschichte der Homosexuellen in der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 aufgearbeitet wird. Aber auch in Nordrhein-Westfalen werden wir das Schicksal von Schwulen und Lesben und die Geschichte ihrer Emanzipation verstärkt zum Gegenstand politischer und historischer Bildung machen.

II.

Der Landtag stellt fest:

  • Die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Menschen zwischen 1949 und 1994 war falsch. Wir begrüßen daher nachdrücklich die Abschaffung des § 175 StGB im Jahre 1994 durch den Bundesgesetzgeber.
  • Es ist an der Zeit, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland bei den Männern entschuldigt, die zwischen 1949 und 1994 nach § 175 StGB verurteilt wurden.
  • Die Verfolgung und gesellschaftliche Ausgrenzung schwuler Männer und lesbischer Frauen ist bislang nur unzureichend Gegenstand der Aufarbeitung bundesrepublikanischer Geschichte.
  • Gleichermaßen findet auch die Emanzipationsbewegung der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transidenten, Transgender und Intersexuellen (LSBTTI) bislang kaum Beachtung in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung.
  • Darüber hinaus ist es unsere Pflicht, uns weiterhin gesamtgesellschaftlich dafür einzusetzen, dass alle Lebensformen gleichberechtigt neben einander anerkannt werden.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, darauf hinzuwirken,

  • dass auf Bundesebene ein Konzept zur Aufarbeitung und Dokumentation der Verfolgung Homosexueller durch beamtenrechtliche Verordnungen, Einzelfälle und Strafurteile nach 1949 gemeinsam mit hier bereits tätigen Verbänden und Stiftungen erarbeitet wird;
  • dass auf Bundesebene bei der Erstellung und Ausführung des Konzepts die Bundesländer beteiligt werden;
  • dass die schlussendlichen Erkenntnisse und Ergebnisse mittels einer Ausstellung und begleitenden Dokumentation einer breiten Öffentlichkeit vermittelt werden;
  • dass auf Bundes- wie auf Landesebene die Geschichte lesbischer und schwuler Verfolgung sowie der LSBTTI-Emanzipationsbewegung verstärkt zum Gegenstand politischer und historischer Bildung gemacht wird.